Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 19.06.2023, Az. 1 BvR 929/23

1. Senat 2. Kammer | REWIS RS 2023, 4564

Foto: © Bundesverfassungsgericht │ foto USW. Uwe Stohrer, Freiburg

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtannahme einer mangels hinreichender Substantiierung sowie wegen Subsidiarität unzulässigen Verfassungsbeschwerde


Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, ohne dass über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entschieden zu werden braucht.

Entscheidungsgründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft fachgerichtliche Entscheidungen in einem zivilgerichtlichen Verfahren, in dem die Beschwerdeführerin Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzungen vor allem im Zusammenhang mit einem früheren familiengerichtlichen Verfahren geltend macht.

I.

2

Die Beschwerdeführerin ist Mutter von vier Kindern. Ihr und dem Vater, ihrem früheren Ehemann, war durch familiengerichtliche Entscheidungen zeitweilig das Sorgerecht für die Kinder entzogen und diese fremduntergebracht worden. Sie vertritt die Auffassung, dem liege eine Rechtsbeugung (§ 339 StGB) durch das Familiengericht zugrunde und stützt vor allem darauf den im Ausgangsverfahren geltend gemachten Schadensersatzanspruch. Klage und Berufung blieben ohne Erfolg. Der [X.] lehnte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Erhebung einer Nichtzulassungsbeschwerde ebenso ab wie einen Antrag der Beschwerdeführerin auf Beiordnung eines Notanwalts zur Wahrung ihrer Rechte in dem Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde.

3

Sie sieht sich durch die angegriffenen Entscheidungen der Fachgerichte vor allem in ihrem Anspruch auf ein faires Verfahren sowie auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und in Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot verletzt.

4

Einen isolierten Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfassungsbeschwerdeverfahren hat die [X.] des [X.] des [X.] mit Beschluss vom 28. Februar 2023 im Verfahren 1 BvR 2362/22 abgelehnt.

II.

5

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 [X.] nicht vorliegen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg, denn sie ist insgesamt unzulässig.

6

1. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des [X.]s vom 3. November 2022 über die Ablehnung der Beiordnung eines Notanwalts ist unzulässig, weil die Beschwerdeführerin den Rechtsweg insoweit nicht erschöpft hat. Sie macht eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG geltend, die sich offenbar auch auf den genannten Beschluss des [X.]s bezieht. Dies ergibt sich aus den Ausführungen zu "perpetuierten Grundrechtsverletzungen" einerseits sowie dem Fehlen einer sonstigen, spezifisch auf diese Entscheidung bezogenen Begründung der Verfassungsbeschwerde andererseits. Wird aber ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör (auch) durch die Ablehnung der Beiordnung eines Notanwalts geltend gemacht, hätte zur Erschöpfung des Rechtswegs insoweit eine Anhörungsrüge erhoben werden müssen (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 6. Juni 2016 - 1 BvR 2714/12 -, Rn. 4). Dass dies unzumutbar war (§ 90 Abs. 2 Satz 2 [X.]), wird weder dargelegt noch ist dies ersichtlich.

7

Zudem zeigt die Verfassungsbeschwerde entgegen den aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] folgenden Begründungsanforderungen nicht die Möglichkeit einer Verletzung der Beschwerdeführerin in dem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG oder in sonstigen grundrechtsgleichen Rechten oder Grundrechten auf. Die Beschwerdeführerin hat es insoweit versäumt, sich im Einzelnen argumentativ mit dem Beschluss des [X.]s vom 3. November 2022 auseinanderzusetzen (vgl. zu den Anforderungen [X.]E 149, 346 <359 Rn. 24>; 158, 210 <230 f. Rn. 51>).

8

2. Soweit die Verfassungsbeschwerde sich gegen den Beschluss des [X.]s vom 29. September 2022 mit der Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Erhebung einer Nichtzulassungsbeschwerde richtet, mangelt es ebenfalls an der gebotenen Erschöpfung des Rechtswegs. Aus den zu [X.] genannten Gründen (Rn. 6) ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin sich insoweit ebenfalls in ihrem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt sieht. Gegen die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem [X.] ist die Anhörungsrüge nach § 321a ZPO statthaft (vgl. [X.], Beschluss vom 29. August 2022 - [X.] 2/22 -, Rn. 2). Eine solche hat die Beschwerdeführerin nicht erhoben. Die Unzumutbarkeit ist hier ebenfalls weder dargelegt noch ersichtlich. Der Antrag auf Beiordnung eines Notanwalts (§ 78b ZPO) steht mit dem [X.] einer Gehörsverletzung in dem eigenständigen Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 6. Juni 2016 - 1 BvR 2714/12 -, Rn. 7) nicht in Zusammenhang und vermag die zur Rechtswegerschöpfung erforderliche fachrechtliche Gehörsrüge nicht zu ersetzen.

9

Die Beschwerdeführerin setzt sich darüber hinaus mit dem Beschluss des [X.]s vom 29. September 2022 ebenfalls nicht näher auseinander und genügt den gesetzlichen Begründungsanforderungen insoweit ebenfalls nicht.

3. Auch die gegen den Beschluss des [X.] vom 7. März 2022 und das Endurteil des [X.] vom 24. Oktober 2019 gerichtete Verfassungsbeschwerde erweist sich als unzulässig.

a) Die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist nicht gewahrt. Die Beschwerdeführerin macht geltend, durch beide Entscheidungen, vor allem aber durch den ihre Berufung zurückweisenden Beschluss des [X.], insbesondere in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt zu sein. Sie hat es aber versäumt, die ihr im fachgerichtlichen Verfahren eröffneten prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um diese behauptete Rechtsverletzung dort auszuräumen (vgl. zum Maßstab [X.]E 134, 242 <285 Rn. 150> m.w.N.). Dabei kann dahinstehen, ob es der Beschwerdeführerin zuzumuten war, das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde, in dem die Verletzung rechtlichen Gehörs als Zulassungsgrund nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO hätte geltend gemacht werden können (vgl. [X.], Beschluss vom 5. Oktober 2022 - [X.] -, Rn. 9), auch ohne die Gewährung von Prozesskostenhilfe durchzuführen. Denn sie war jedenfalls gehalten, gegen den die Gewährung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des [X.]s vom 29. September 2022 Anhörungsrüge einzulegen (oben Rn. 8), um eine Abänderung dieser Entscheidung herbeizuführen und sich die Möglichkeit zu erhalten, Prozesskostenhilfe für die Nichtzulassungsbeschwerde zu erlangen. Im Fall einer erfolgreichen Anhörungsrüge und der dann möglicherweise erfolgenden Gewährung von Prozesskostenhilfe für das [X.] hätten auch die übrigen geltend gemachten, denselben Streitgegenstand betreffenden Grundrechtsverletzungen (vgl. [X.]E 134, 106 <113 Rn. 22>) im fachgerichtlichen Verfahren ausgeräumt werden können (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des Zweiten Senats vom 11. Februar 2022 - 2 BvR 723/20 -, Rn. 5).

b) Der gegen das Endurteil des [X.] gerichteten Verfassungsbeschwerde fehlt es zudem an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Das Urteil ist prozessual überholt. Das [X.] hat als zweite Tatsacheninstanz (vgl. § 529 Abs. 1 ZPO) in seinem die Berufung zurückweisenden Beschluss eine vollumfängliche Sachentscheidung getroffen. Ein ausnahmsweise fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis gegen das erstinstanzliche Urteil ist nicht dargelegt.

c) Die Verfassungsbeschwerde zeigt darüber hinaus auch nicht in der durch § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] gebotenen Weise die Möglichkeit einer Verletzung der Beschwerdeführerin in grundrechtsgleichen Rechten oder Grundrechten durch den Beschluss des [X.] auf. Insbesondere die Möglichkeit einer Verletzung in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör lässt sich der Verfassungsbeschwerde nicht in substantiierter Weise entnehmen. Das umfangreiche Vorbringen erschöpft sich weitgehend darin, unzutreffende Rechtsauffassungen des [X.] zu beklagen. Soweit unzureichende oder fehlerhafte Tatsachenfeststellungen sowie unterbliebene Beweiserhebungen dargelegt werden, ist nicht erkennbar, ob und in welcher Weise diese entscheidungserheblich sein könnten. Insbesondere setzt sich die Verfassungsbeschwerde mit den tragenden Entscheidungsgründen des [X.] nicht näher auseinander. Das gilt etwa sowohl zum Fehlen der Voraussetzungen der Rechtsbeugung in der Person des im vorangegangenen familiengerichtlichen Verfahren erstinstanzlich zuständigen Richters als auch zu der - wegen fehlender Konkretisierung - unwirksamen Abtretung einer Forderung ihres ältesten [X.]. Der Begründung der Verfassungsbeschwerde kann nicht in nachvollziehbarer Weise entnommen werden, wie sich die behaupteten Gehörsverletzungen auf die entsprechenden rechtlichen Wertungen des [X.] ausgewirkt haben und dass es bei Meidung der Gehörsverstöße möglicherweise zu einer anderen, der Beschwerdeführerin günstigeren Entscheidungen gelangt wäre.

4. Da die Verfassungsbeschwerde insgesamt aus anderen Gründen als der Wahrung der Frist aus § 93 Abs. 1 Satz 1 [X.] unzulässig ist, braucht über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht entschieden zu werden. Daher kann auch offenbleiben, ob dieser Antrag seinerseits verspätet gestellt wurde.

Es kommt wegen der vorhandenen [X.] auch nicht darauf an, ob es bei einem der Verfassungsbeschwerde vorausgehenden - isolierten - Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für das Verfassungsbeschwerdeverfahren nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 [X.] erforderlich ist, für die Verfassungsbeschwerde alle zur Entscheidung darüber erforderlichen Unterlagen (erneut) vorzulegen. Der Verfassungsbeschwerde selbst waren nicht einmal die angegriffenen Entscheidungen beigefügt.

5. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 [X.] abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Meta

1 BvR 929/23

19.06.2023

Bundesverfassungsgericht 1. Senat 2. Kammer

Nichtannahmebeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend BGH, 3. November 2022, Az: III ZA 5/22, Beschluss

Art 103 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 114 Abs 1 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Nichtannahmebeschluss vom 19.06.2023, Az. 1 BvR 929/23 (REWIS RS 2023, 4564)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4564


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. III ZA 5/22

Bundesgerichtshof, III ZA 5/22, 03.11.2022.


Az. 1 BvR 929/23

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 929/23, 19.06.2023.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 BvR 2714/12 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde wegen Subsidiarität bei unterlassener Anhörungsrüge im fachgerichtlichen Verfahren - teilweise zudem …


1 BvR 1019/22 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Überraschende Kostenentscheidung nach dem Veranlasserprinzip in einem atypischen Fall verletzt Anspruch auf rechtliches …


1 BvR 552/18 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Übergehen einer per Telefax eingereichten Klageerwiderung im vereinfachten Verfahren (§ 495a ZPO) unter …


2 BvR 775/19 (Bundesverfassungsgericht)

Teilweise stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Art 3 Abs 1 GG durch Versagung von Kindergeld gegenüber …


1 BvR 667/13 (Bundesverfassungsgericht)

Stattgebender Kammerbeschluss: Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch Übergehen von entscheidungsrelevantem Parteivortrag im Zivilprozess …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

2 BvR 723/20

VIII ZR 88/21

XI ZA 2/22

1 BvR 2714/12

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.