Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 30.06.2011, Az. I ZR 29/11

1. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 5221

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Gegenstand

Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH: Auslegung der Informationsgesellschaftsrichtlinie hinsichtlich ihrer zeitlichen Anwendbarkeit und ihrer Geltung für Vervielfältigungen mittels fotomechanischer Verfahren


Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem [X.] werden zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/[X.] und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ([X.] L 167 vom [X.], S. 10) folgende Fragen vorgelegt:

1. Ist die Richtlinie bei der Auslegung des nationalen Rechts bereits für Vorfälle zu berücksichtigen, die sich nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie am 22. Juni 2001, aber vor dem Zeitpunkt ihrer Anwendbarkeit am 22. Dezember 2002 ereignet haben?

2. Handelt es sich bei Vervielfältigungen mittels Druckern um Vervielfältigungen mittels beliebiger fotomechanischer Verfahren oder anderer Verfahren mit ähnlicher Wirkung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie?

3. Für den Fall, dass die zweite Frage bejaht wird: Können die Anforderungen der Richtlinie an einen gerechten Ausgleich für Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht nach Art. 5 Abs. 2 und 3 der Richtlinie unter Berücksichtigung des Grundrechts auf Gleichbehandlung aus Art. 20 der [X.] auch dann erfüllt sein, wenn nicht die Hersteller, Importeure und Händler der Drucker, sondern die Hersteller, Importeure und Händler eines anderen Geräts oder mehrerer anderer Geräte einer zur Vornahme entsprechender Vervielfältigungen geeigneten Gerätekette Schuldner der angemessenen Vergütung sind?

4. Lässt bereits die Möglichkeit einer Anwendung von technischen Maßnahmen gemäß Art. 6 der Richtlinie die Bedingung eines gerechten Ausgleichs im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie entfallen?

5. Entfällt die Bedingung (Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie) und die Möglichkeit (vgl. Erwägungsgrund 36 der Richtlinie) eines gerechten Ausgleichs, soweit die Rechtsinhaber einer Vervielfältigung ihrer Werke ausdrücklich oder konkludent zugestimmt haben?

Gründe

1

I. Die Parteien streiten darüber, ob Drucker und Plotter - bei einem Plotter handelt es sich um ein Ausgabegerät, mit dem insbesondere graphische Darstellungen wiedergegeben werden können - zu den nach § 54a Abs. 1 [X.] aF vergütungspflichtigen [X.]n gehören.

2

Die Klägerin nimmt als einzige Verwertungsgesellschaft in [X.] die urheberrechtlichen Befugnisse der ihr angeschlossenen Wortautoren und ihrer Verleger wahr. Sie ist im vorliegenden Rechtsstreit auch im Auftrag der [X.] tätig, deren Aufgabe in der Wahrnehmung der urheberrechtlichen Nutzungsrechte an Fotografien, Bildwerken und Grafiken aller Art besteht. Die Beklagte vertreibt Drucker und Plotter, die sie in [X.] herstellt oder aus dem Ausland nach [X.] einführt.

3

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen eines Teils der von ihr [X.] in Verkehr gebrachten Drucker und Plotter auf Zahlung einer Vergütung nach § 54a Abs. 1 [X.] aF in Anspruch.

4

Das [X.] hat die Beklagte zur Zahlung von 519.703,71 € einschließlich Mehrwertsteuer und zuzüglich Zinsen verurteilt. Auf die Berufung der [X.] hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen ([X.], [X.], 100 = ZUM-RD 2008, 65). Der [X.] hat die Revision der Klägerin unter Hinweis auf sein Urteil vom 6. Dezember 2007 in der Sache I ZR 94/05 ([X.], 359 - Drucker und Plotter) durch Beschluss gemäß § 552a ZPO zurückgewiesen.

5

Das [X.] hat diese Entscheidung aufgehoben und die Sache an den [X.] zurückverwiesen ([X.], [X.] vom 21. Dezember 2010 - 1 BvR 2742/08, [X.], 86 = ZUM 2011, 313).

6

Die Klägerin erstrebt im erneuten Revisionsverfahren die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

7

II. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung der Richtlinie 2001/29/[X.] und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ([X.] Nr. L 167 vom [X.], S. 10; im Folgenden: Richtlinie) ab. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der [X.] einzuholen.

8

1. Die Vergütungspflicht für [X.] ist zwar durch das am 1. Januar 2008 in [X.] getretene Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 26. Oktober 2007 ([X.] I, [X.]) neu geregelt worden (§§ 54 ff. [X.]). Für den Streitfall ist jedoch die alte Rechtslage maßgeblich.

9

2. Gemäß § 54a Abs. 1 [X.] aF hat der Urheber eines Werkes, wenn nach der Art des Werkes zu erwarten ist, dass es nach § 53 Abs. 1 bis 3 [X.] aF durch Ablichtung eines Werkstücks oder in einem Verfahren vergleichbarer Wirkung vervielfältigt wird, gegen den Hersteller (§ 54a Abs. 1 Satz 1 [X.] aF) sowie gegen den Importeur und den Händler (§ 54a Abs. 1 Satz 2 [X.] aF) von Geräten, die zur Vornahme solcher Vervielfältigungen bestimmt sind, Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung für die durch die Veräußerung oder sonstiges Inverkehrbringen der Geräte geschaffene Möglichkeit, solche Vervielfältigungen vorzunehmen. Der Zahlungsanspruch nach § 54a Abs. 1 [X.] aF kann gemäß § 54h Abs. 1 [X.] nur durch eine Verwertungsgesellschaft geltend gemacht werden.

3. Die Klägerin und die [X.], in deren Auftrag die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit ebenfalls tätig wird, sind als Verwertungsgesellschaften nach § 54h Abs. 1 [X.] aF befugt, den Zahlungsanspruch nach § 54a Abs. 1 [X.] aF geltend zu machen. Die Klägerin kann von der [X.], die Drucker und Plotter herstellt, importiert und vertreibt, hinsichtlich der [X.] in Verkehr gebrachten Geräte dem Grunde nach Zahlung einer angemessenen Vergütung beanspruchen, wenn Drucker und Plotter zu den nach § 54a Abs. 1 [X.] aF vergütungspflichtigen [X.]n gehören. Das setzt voraus, dass diese Geräte zur Vornahme von Vervielfältigungen nach § 53 Abs. 1 bis 3 [X.] aF durch Ablichtung eines Werkstücks oder in einem Verfahren vergleichbarer Wirkung bestimmt sind. Dabei ist zu beachten, dass die Vergütungspflicht nur solche Vervielfältigungshandlungen erfasst, die nach der - Art. 5 Abs. 2 und 3 der Richtlinie umsetzenden - Schrankenregelung des § 53 [X.] aF vom Ausschließlichkeitsrecht des Urhebers ausgenommen sind. Vervielfältigungshandlungen, die nicht unter die Schrankenregelung fallen und daher eine Urheberrechtsverletzung darstellen, sind nicht Gegenstand des Vergütungsanspruchs nach § 54a Abs. 1 [X.] aF.

4. Die Klägerin stützt ihre Ansprüche auf das Inverkehrbringen von Druckern durch die Beklagte [X.]. Deshalb stellt sich vorab die Frage, ob die Richtlinie bei der Auslegung des nationalen Rechts bereits für Vorfälle zu berücksichtigen ist, die sich nach dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens am 22. Juni 2001, aber vor dem Zeitpunkt ihrer Anwendbarkeit am 22. Dezember 2002 ereignet haben.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] müssen es die Gerichte der Mitgliedstaaten bereits ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens einer Richtlinie soweit wie möglich unterlassen, das innerstaatliche Recht auf eine Weise auszulegen, die die Erreichung des mit dieser Richtlinie verfolgten Zieles nach Ablauf der Umsetzungsfrist ernsthaft gefährden würde ([X.], Urteil vom 4. Juli 2006 - [X.]/04, [X.]. 2006, I-6057 = NJW 2006, 2465 Rn. 123 - Adeneler/[X.]). Die Richtlinie 2001/29/[X.] ist nach ihrem Art. 14 am Tag ihrer Veröffentlichung im [X.], also am 22. Juni 2001, in [X.] getreten. Danach wäre die Richtlinie bereits ab diesem Zeitpunkt bei der Auslegung des nationalen Rechts zu berücksichtigen.

Die Richtlinie berührt jedoch nach ihrem Art. 10 Abs. 2 Handlungen und Rechte nicht, die vor dem 22. Dezember 2002 abgeschlossen bzw. erworben wurden. Das könnte dafür sprechen, dass die Richtlinie bei der Beurteilung der Frage, ob die geltend gemachten Ansprüche wegen eines Inverkehrbringens von Druckern vor dem 22. Dezember 2002 begründet sind, für die Auslegung des nationalen Rechts nicht von Bedeutung ist (vgl. [X.], Urteil vom 30. Januar 2008 - I ZR 131/05, [X.], 786 Rn. 40 = [X.], 1229 - Multifunktionsgeräte; vgl. aber [X.] [Kammer], GRUR 2010, 999 Rn. 54; ZUM 2011, 313 Rn. 26).

5. Nur für den Fall, dass die erste Frage zu bejahen ist, stellen sich im vorliegenden Fall dieselben weiteren Fragen zu 2 bis 5 wie im heute gleichfalls zur Vorabentscheidung vorgelegten Verfahren [X.]/11. Zur Erläuterung dieser Fragen wird auf das Verfahren [X.]/11 Bezug genommen.

[X.]Büscher

                         Schaffert                                    Koch

Meta

I ZR 29/11

30.06.2011

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

EuGH-Vorlage

Sachgebiet: ZR

vorgehend BVerfG, 21. Dezember 2010, Az: 1 BvR 2742/08, Stattgebender Kammerbeschluss

Art 5 Abs 2 Buchst a EGRL 29/2001, Art 5 Abs 2 Buchst b EGRL 29/2001, Art 5 Abs 3 EGRL 29/2001, Art 6 EGRL 29/2001, Art 20 EUGrdRCh, Art 267 Abs 1 Buchst b AEUV, Art 267 Abs 3 AEUV, § 53 UrhG vom 10.09.2003, § 54 UrhG vom 25.07.1994, § 54a UrhG vom 25.07.1994

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, EuGH-Vorlage vom 30.06.2011, Az. I ZR 29/11 (REWIS RS 2011, 5221)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5221


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. I ZR 29/11

Bundesgerichtshof, I ZR 29/11, 03.07.2014.

Bundesgerichtshof, I ZR 29/11, 30.06.2011.


Az. 1 BvR 2742/08

Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 2742/08, 21.12.2010.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
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Zitiert

1 BvR 2760/08

I ZR 43/11

1 BvR 2742/08

I ZR 59/10

I ZR 28/11

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