Bundesfinanzhof, Beschluss vom 06.08.2020, Az. VII S 27/20 (AdV)

7. Senat | REWIS RS 2020, 3508

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Gegenstand

Kein einstweiliger Rechtsschutz gegen gerichtliche Zwangsgeldandrohung


Leitsatz

1. NV: Ein beim BFH gestellter Eilrechtsantrag kann in die Zulässigkeit hineinwachsen.

2. NV: Für einen Antrag auf AdV einer gerichtlichen Zwangsgeldandrohung besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, weil die Androhung ihre Wirkung bereits in dem Augenblick entfaltet hat, in dem die gerichtliche Entscheidung bekanntgegeben worden ist.

Tenor

Der Antrag, den Beschluss des [X.] vom 03.07.2020 - 10 V 1865/[X.] auszusetzen, wird abgelehnt.

Tatbestand

I.

1

Der Antragsteller und Antragsgegner (Antragsteller) hat Einkommensteuerschulden aus den Jahren 2010 bis 2018. Sein Bankkonto wird als Pfändungsschutzkonto (P-Konto) gemäß § 850k der Zivilprozessordnung (ZPO) geführt. Im Mai 2018 und im Juli 2019 wurden seiner Bank Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse des Antragsgegners und Antragstellers (Finanzamt --[X.]--) über insgesamt rund ... € zugestellt. Anschließend wurde sein Bankguthaben nach seinen Angaben von weiteren Gläubigern gepfändet. Am 12.05.2020 beantragte der Antragsteller beim [X.] eine Corona-Soforthilfe für Kleinstunternehmer und Soloselbständige. Mit Bescheid vom selben Tag wurden ihm die beantragte Soforthilfe als einmalige Pauschale bewilligt und 9.000 € auf das P-Konto überwiesen. Nachdem das [X.] das Guthaben nicht freigab, stellte der Antragsteller beim Finanzgericht ([X.]) den Antrag auf Vollstreckungsschutz nach § 258 der Abgabenordnung ([X.]) durch Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung. Mit Beschluss vom 15.06.2020 - 10 V 1604/20 [X.] erließ das [X.] die begehrte einstweilige Anordnung und verpflichtete das [X.] gemäß § 258 [X.], der Bank innerhalb eines [X.] nach Zustellung des Beschlusses anzuzeigen, dass es Verfügungen des Antragstellers über einen Betrag in Höhe von 9.000 € bis zum 12.08.2020 freigebe. Für den Fall, dass die Bank aufgrund der Pfändungs- und Einziehungsverfügungen der Jahre 2018 und 2019 zwischenzeitlich diesen Betrag oder einen Teil davon an das [X.] ausgezahlt habe, werde dieses verpflichtet, diesen Betrag auf das Konto des Antragstellers zurückzuüberweisen.

2

Das [X.] hat gegen diesen Beschluss die Beschwerde zum [X.] ([X.]) zugelassen, die vom [X.] mit [X.] vom 22.06.2020 eingelegt wurde und unter dem [X.]. VII B 77/20 geführt wird. Außerdem hat das [X.] in diesem Schreiben gemäß § 131 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Beschlusses vom 15.06.2020 - 10 V 1604/20 [X.] beantragt, die das [X.] mit Beschluss vom 24.06.2020 - 10 V 1604/20 [X.] abgelehnt hat. Die Beschwerde des [X.] gegen den Beschluss vom 24.06.2020 - 10 V 1604/20 [X.] wurde als unzulässig verworfen (Senatsbeschluss vom 16.07.2020 - VII B 79/20 (AdV)). Der Antrag auf AdV des [X.]-Beschlusses vom 15.06.2020 - 10 V 1604/20 [X.] wurde mit Senatsbeschluss vom 16.07.2020 - VII S 24/20 (AdV) abgelehnt.

3

Zuvor hat das [X.] auf Antrag des Antragstellers in dem Beschluss vom 03.07.2020 - 10 V 1865/20 [X.] dem [X.] ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000 € angedroht für den Fall, dass es bis zum 08.07.2020 der im Beschluss vom 15.06.2020 - 10 V 1604/20 [X.] ausgesprochenen Verpflichtung nicht nachkomme. Mit Beschluss vom 20.07.2020 - 10 V 1865/20 [X.] hat das [X.] das Zwangsgeld festgesetzt.

4

Das [X.] hat gegen den Beschluss vom 03.07.2020 - 10 V 1865/20 [X.] am 16.07.2020 gemäß § 128 Abs. 1 [X.]O Beschwerde eingelegt, die unter dem [X.]. VII B 85/20 geführt wird, und den streitgegenständlichen Antrag gestellt, den Beschluss des [X.] Münster vom 03.07.2020 - 10 V 1865/20 [X.] über die Androhung des Zwangsgeldes auszusetzen.

Entscheidungsgründe

II.

5

Der streitgegenständliche Antrag des [X.] hat keinen Erfolg.

6

1. Der Antrag ist unzulässig.

7

a) Der mit Schreiben vom 16.07.2020 an den [X.] gerichtete Antrag, die Vollziehung des [X.] vom 03.07.2020 - 10 V 1865/[X.] auszusetzen, ist gemäß § 131 Abs. 1 Satz 2 [X.]O i.V.m. § 155 Satz 1 [X.]O und § 570 Abs. 3 ZPO im Grundsatz statthaft (vgl. Senatsbeschluss vom 09.07.2020 - VII S 23/20 (AdV), [X.] Steuerrecht --DStR-- 2020, 1734, m.w.[X.]). Denn regelmäßig stellt bereits die Androhung eines Zwangsgeldes einen selbständig anfechtbaren Rechtsakt dar, auch wenn die Androhung des Zwangsgeldes in erster Linie eine Warnfunktion hat (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 29.05.2019 - VII B 10/19, [X.]/NV 2019, 1121; [X.]-Beschluss vom 26.02.2010 - IV B 6/10, [X.]/NV 2010, 1109; Senatsurteil vom 23.11.1999 - VII R 38/99, [X.], 463).

8

b) Der Antrag konnte auch in die Zulässigkeit hineinwachsen, nachdem das [X.] mit Beschluss vom 05.08.2020 - 10 V 1865/[X.] entschieden hat, der Beschwerde des [X.] gemäß § 128 Abs. 1 [X.]O gegen den Beschluss vom 03.07.2020 - 10 V 1865/[X.] nicht abzuhelfen und die Sache dem [X.] vorzulegen. Denn (erst) damit ist das Recht zur Entscheidung über den Eilantrag gemäß § 155 Satz 1 [X.]O i.V.m. § 570 Abs. 3 ZPO auf den [X.] übergegangen (vgl. Senatsbeschluss vom 09.07.2020 - VII S 23/20 (AdV), [X.], 1734, Rz 18, m.w.[X.]). Entscheidet der Senat --wie im [X.] in einem derartigen Fall erst nach Ergehen des [X.], ist der Eilantrag nach dem Grundsatz, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen müssen, in die Zulässigkeit hineingewachsen (vgl. etwa [X.]-Urteil vom 16.10.1991 - I R 95/90, I R 96/90, [X.]/NV 1992, 326; Urteil des [X.] vom 02.10.2018 - [X.], Neue Juristische Wochenschrift 2019, 520; Beschluss des [X.] vom 05.10.1999 - 5 [X.], [X.], 422 zu § 570 ZPO). Umstände, die einem "Hineinwachsen" in die Zulässigkeit entgegenstehen könnten, sind im Streitfall nicht ersichtlich (vgl. etwa [X.]-Beschluss vom 30.06.1995 - III B 187/94, [X.]/NV 1996, 412, zu einem Fall der rechtsmissbräuchlichen vorzeitigen Antragstellung). Insbesondere lagen der Beschluss und die Beschwerde des [X.], welche die Zuständigkeit des [X.] für das Eilrechtsverfahren begründeten, am 16.07.2020 bereits vor; lediglich der Nichtabhilfebeschluss war im Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht gefasst worden (vgl. hierzu die Überlegungen im Beschluss des [X.] vom 09.07.2019 - 9 N 16.1228, [X.] 2020, 24, wonach vor der Existenz des angegriffenen Akts der öffentlichen Gewalt eingelegte Rechtsmittel nicht in die Zulässigkeit hineinwachsen).

9

c) Jedoch hat das [X.] schon deshalb kein Rechtsschutzbedürfnis an einer Aussetzung der Vollziehung des Beschlusses vom 03.07.2020 - 10 V 1865/20 AO, weil die Androhung ihre Wirkung bereits in dem Augenblick entfaltet hat, in dem die gerichtliche Entscheidung bekanntgegeben worden ist. Eine Aufhebung der Vollziehung sieht § 131 Abs. 1 Satz 2 [X.]O, anders als § 69 Abs. 2 Satz 7 [X.]O (i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 3 [X.]O), nicht vor. Es kann deshalb dahinstehen, ob und gegebenenfalls in welchen Fällen in Bezug auf eine (Zwangsgeld-)Androhung einstweiliger Rechtsschutz überhaupt in Betracht kommt.

2. Der Antrag auf AdV des Beschlusses vom 03.07.2020 - 10 V 1865/[X.] wäre bei summarischer Prüfung im Übrigen auch unbegründet.

a) Bei summarischer Prüfung ist die Androhung des Zwangsgeldes rechtmäßig.

aa) Gemäß § 154 Satz 1 [X.]O kann das [X.] als das Gericht des ersten Rechtszugs ein Zwangsgeld bis zu 1.000 € durch Beschluss androhen, wenn eine Finanzbehörde in einem Fall des § 114 [X.]O der ihr in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtung nicht nachkommt.

bb) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das [X.] lehnt es ab, den ihm in der einstweiligen Anordnung auferlegten Verpflichtungen nachzukommen. Zur Begründung trägt es lediglich (sinngemäß) vor, dass die einstweilige Anordnung zu Unrecht ergangen ist, wobei es insbesondere die Güterabwägung zwischen dem [X.] und dem Interesse des Antragstellers an einem zeitnahen Zugriff auf die "[X.]" kritisiert. Damit kann das [X.] jedoch im streitgegenständlichen Verfahren nicht gehört werden (vgl. § 767 Abs. 1 und 2 ZPO i.V.m. § 155 Satz 1 [X.]O).

Der vom Gesetz vorgegebene Rahmen von 1.000 € wurde nicht überschritten. Die diesbezüglichen Ermessenserwägungen des [X.] sind bei einer nur eingeschränkten Überprüfung von Ermessensentscheidungen nicht zu beanstanden.

b) Auch unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen ist der Antrag, die Vollziehung des [X.] vom 03.07.2020 - 10 V 1865/[X.] einstweilen auszusetzen, abzulehnen. Das Gesetz sieht vor, dass gerichtliche Entscheidungen notfalls zwangsweise durchgesetzt werden können, auch wenn die unterlegene [X.] sie für falsch hält, soweit kein Ausnahmetatbestand eingreift (wie z.B. § 767 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 155 Satz 1 [X.]O). Dies gilt uneingeschränkt auch für Entscheidungen in Eilrechtsverfahren.

3. Bei der streitgegenständlichen Entscheidung handelt es sich um ein Nebenverfahren zum Beschwerdeverfahren VII B 85/20, in dem keine (zusätzliche) Kostenentscheidung zu treffen ist ([X.]-Beschlüsse vom 17.07.2008 - VI S 8/08, juris, und vom 17.07.2012 - X S 24/12, [X.]/NV 2012, 1638, jeweils m.w.[X.]).

Meta

VII S 27/20 (AdV)

06.08.2020

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend FG Münster, 3. Juli 2020, Az: 10 V 1865/20 AO, Beschluss

§ 131 Abs 1 S 2 FGO, §§ 151ff FGO, § 151 FGO, § 154 S 1 FGO, § 570 Abs 3 ZPO, § 69 Abs 2 S 7 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 06.08.2020, Az. VII S 27/20 (AdV) (REWIS RS 2020, 3508)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3508

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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