Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.07.2020, Az. VII S 23/20 (AdV)

7. Senat | REWIS RS 2020, 3470

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Gegenstand

Pfändung der Corona-Soforthilfe ist unzulässig


Leitsatz

1. NV: Bei der Corona-Soforthilfe handelt es sich aufgrund ihrer Zweckbindung um eine nach § 851 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 399 Alternative 1 BGB regelmäßig nicht pfändbare Forderung.

2. NV: Eine Beschwerde gegen die Ablehnung der AdV durch das FG ist nicht statthaft, weil unmittelbar beim BFH ein Antrag auf AdV gestellt werden kann.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Tatbestand

I.

1

Der Antragsteller (das Finanzamt --[X.]--) begehrt einstweilige Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Beschlusses des Finanzgerichts ([X.]) Münster vom [X.].

2

Der Antragsgegner betreibt einen Hausmeisterservice. Er unterhält ein als Pfändungsschutzkonto nach § 850k der Zivilprozessordnung (ZPO) geführtes Konto bei der [X.]. Betreffend dieses Konto hatte das [X.] unter dem 17.04.2019 eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung über eine Gesamtforderung in Höhe von 9.075,50 € wegen rückständiger Umsatzsteuer und Umsatzsteuer-Vorauszahlungen 2015 und rückständiger [X.] zur Umsatzsteuer 2015 erlassen, die der [X.] am [X.] zugestellt wurde. Mit der Drittschuldnererklärung vom 30.04.2019 erklärte die [X.] u.a., dass das Konto kein pfändbares Guthaben ausweise und vorrangige Pfändungen in Höhe von 823,47 € vorlägen.

3

Mit Bescheid (Billigkeitszuschuss) der [X.] ... vom 06.04.2020 wurde dem Antragsgegner auf seinen Antrag vom 06.04.2020 gemäß § 53 der Landeshaushaltsordnung ([X.]) i.V.m. dem Programm zur Gewährung von Soforthilfen aus dem Bundesprogramm "[X.]" und dem ergänzenden Landesprogramm "[X.]" eine Soforthilfe in Höhe von 9.000 € als einmalige Pauschale bewilligt. In dem Bescheid wird weiter ausgeführt:

"...

2. Zweckbindung: Die Soforthilfe erfolgt ausschließlich zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbstständigen im Zusammenhang mit der [X.] als Einmalzahlung für einen Bewilligungszeitraum von drei Monaten ab Antragstellung. Die Soforthilfe dient insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 1. März 2020 in Zusammenhang mit der [X.] entstanden sind. Nicht umfasst sind vor dem 1. März 2020 entstandene wirtschaftliche Schwierigkeiten bzw. Liquiditätsengpässe.

3. Aufrechnungsverbot: Für die bewilligte Soforthilfe gilt ein direktes [X.] bzw. Aufrechnungsverbot mit bereits bestehenden Kreditlinien beim jeweiligen Kreditinstitut. Bei Überweisung der Soforthilfe darf es nicht zu einer zwangsläufigen Bedienung bereits bestehender Kontokorrentforderungen oder sonstiger Zins- und Tilgungsforderungen kommen. Etwas Anderes gilt nur, wenn bereitgestellte Finanzierungslinien ausdrücklich kurzfristig zur Vorfinanzierung der Soforthilfe erhöht wurden. Die bewilligte Soforthilfe muss vollumfänglich zur Kompensation der unmittelbar durch die [X.] ausgelösten wirtschaftlichen Engpässe genutzt werden. Ihnen als Empfänger/-in obliegt die Entscheidung, welche Forderungen mit höchster Relevanz für die Existenzsicherung ausgestattet sind (bspw. Mietforderungen, Lieferantenforderungen) und daher vorrangig durch den Zuschuss bedient werden sollen.

II. Nebenbestimmungen: Die Soforthilfe wird unter folgenden Nebenbestimmungen gewährt: ... 3. Sollten Sie am Ende des dreimonatigen Bewilligungszeitraums feststellen, dass diese Finanzhilfe höher ist als Ihr Umsatzausfall abzüglich eventuell eingesparter Kosten (z.B. Mietminderung) und Sie die Mittel nicht (vollständig) zur Sicherung Ihrer wirtschaftlichen Existenz bzw. Ausgleich Ihres Liquiditätsengpasses benötigen, sind die zu viel gezahlten Mittel auf das Konto der Landeskasse … zurückzuzahlen. … 4. Die Finanzhilfe ist zurückzuerstatten, wenn der Bescheid aufgrund falscher oder unvollständiger Angaben erteilt wurde oder Entschädigungsleistungen, Versicherungsleistungen und/oder andere Fördermaßnahmen einzeln und/oder zusammen zu einer Überkompensation führen. … . 5. Ich behalte [X.] im Einzelfall eine Prüfung der Verwendung der Soforthilfe vor. In diesem Fall ist die Bewilligungsbehörde berechtigt, Bücher, Belege und sonstige Geschäftsunterlagen anzufordern sowie die Verwendung der Soforthilfe durch örtliche Erhebungen zu prüfen oder durch Beauftragte prüfen zu lassen. Sie haben die erforderlichen Unterlagen bereitzuhalten und die notwendigen Auskünfte zu erteilen. Ihr zuständiges Finanzamt, der [X.] sowie die nachgeordneten Behörden (vgl. § 91 [X.]), der [X.], das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und die Europäische Kommission sind ebenfalls berechtigt, Prüfungen vorzunehmen. … 8. [X.] erfolgt unter Zuhilfenahme des Vordrucks im [X.] auf [X.] bei Ihrem zuständigen Finanzamt und ist der nächsten Steuererklärung beizufügen. …"

4

Der Betrag in Höhe von 9.000 € wurde mit Wertstellung am 08.04.2020 auf dem Konto des Antragsgegners gutgeschrieben. Nachdem sich die [X.] weigerte, ihm den Betrag auszuzahlen, beantragte der Antragsgegner mit Schreiben vom 15.05.2020 beim [X.] die Freigabe der [X.]. Er benötige die Freigabeerklärung, um über das Geld, welches zweckgebunden zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen ausgelöst durch die [X.] verwandt werden solle, verfügen zu können.

5

Das [X.] lehnte den Antrag auf vollständige Freigabe des sich auf dem Konto derzeit und zukünftig befindlichen Guthabens mit Bescheid vom 20.05.2020 ab. Es bleibe dem Antragsgegner unbenommen, unter Erbringung der erforderlichen Nachweise (Kontoauszüge, [X.] etc.) einen Antrag auf Pfändungsschutz nach § 319 der Abgabenordnung [X.]) i.V.m. §§ 850 ff. ZPO für bestimmte Beträge zu stellen.

6

Mit Schreiben vom 28.05.2020, eingegangen am 29.05.2020, wandte sich der Antragsgegner an das [X.] und beantragte die Freigabe der Soforthilfe.

7

Sein Unternehmen sei drei Jahre alt und vor der [X.] "gesund" gewesen. Seine Existenz sei definitiv bedroht. Bis auf kleinere Aufträge sei alles weggebrochen. Deshalb habe er die Soforthilfe beantragt. Er könne seinen Lebensunterhalt und den Unterhalt für seine bei der Ehefrau lebende Tochter nicht mehr sicherstellen. Für seine Krankenversicherung fielen 240 € monatlich an. Seine Warmmiete liege bei 460 €. Hinzu kämen laufende Kosten für Strom, Telefon und Versicherungen. Für seine berufliche Tätigkeit habe er für 100 € monatlich zwei Garagen angemietet. Er sei zudem auf einen LKW angewiesen. Für diesen entrichte er eine monatliche Rate von 120 €, die er abzahlen müsse. Die [X.] betrage 146,20 € pro Monat. Zum Betanken des LKWs fielen ca. 500 € pro Monat an, wenn sein Auftragsvolumen stimme. Auch in der Corona-Zeit sei er zur Erledigung kleinerer Aufträge auf seinen LKW angewiesen. Jetzt sei auch noch der Turbolader seines LKWs defekt. Die Kosten für den Einbau des Turboladers betrügen 1.600 €. Ohne die Auswirkungen der [X.] hätte er die Reparatur aus dem Ergebnis seiner laufenden Aufträge decken können. Aktuell sei dies jedoch nicht möglich. Zudem seien die Steuerschulden, die der Pfändungs- und Einziehungsverfügung zugrunde lägen, solche seiner Ehefrau aus deren damaliger Selbständigkeit. Aus seinem jetzigen Unternehmen bestünden keine Steuerschulden. Er sei dringend auf die Unterstützungsleistung angewiesen. Ihm sei bekannt, dass er Gelder, die er in den drei Monaten seit der Bewilligung nicht benötige, an die [X.] zurückerstatten müsse. Die Vollstreckung bedrohe seine persönliche und wirtschaftliche Existenz, die er sich mühsam aufgebaut habe.

8

Das [X.] vertrat die Ansicht, dass mangels Legaldefinition der "Relevanz für die Existenzsicherung" die Tilgung von älteren [X.] nicht einer etwaigen Zweckbindung der [X.] widerspräche.

9

Das [X.] legte das Begehren des Antragsgegners als Antrag auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung nach § 258 AO aus und gab ihm mit Beschluss vom [X.], der Gegenstand des hiesigen Beschwerdeverfahrens VII B 78/20 ist, statt. Der Anordnungsanspruch ergäbe sich aus § 258 AO. Die auch nur teilweise Einziehung der [X.] durch das [X.] führe zu einem unangemessenen Nachteil für den Antragsgegner. Die [X.] sei eine nicht der Pfändung unterworfene Forderung nach § 851 Abs. 1 ZPO, weil sie zweckgebunden sei. Sie werde ausschließlich zur Milderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbständigen im Zusammenhang mit der [X.] gezahlt. Sie diene insbesondere der Überbrückung von Liquiditätsengpässen, die seit dem 01.03.2020 entstanden seien und nicht der Befriedigung von [X.], die vor dem 01.03.2020 entstanden seien. Es komme nicht darauf an, ob der Antragsgegner die [X.] rechtmäßig erlangt habe. Es liege auch ein Anordnungsanspruch vor, weil die Existenz des Geschäftsbetriebes des Antragsgegners ohne den begehrten Zugriff auf die [X.] gefährdet sei.

Zur Erreichung des mit der [X.] verfolgten Zwecks seien die Pfändung und die Einziehungsrechte des [X.] dahingehend zu modifizieren, dass diese sich nicht auf die gutgeschriebenen 9.000 € beziehen. Hierzu sei jedoch nicht die Pfändungs- und Einziehungsverfügung aufzuheben, was zu einem "Rangverlust" führen würde. Vielmehr sei das [X.] verpflichtet, die Freigabe zu erklären. Sollte der Betrag bereits (teilweise) an das [X.] ausgezahlt worden sein, so habe das [X.] den Betrag auf das Konto des Antragsgegners [X.]. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den in juris veröffentlichten Beschluss vom [X.] verwiesen.

Am 10.06.2020 ging bei dem [X.] ein Betrag in Höhe von 5.818,16 € aus der dem Antragsgegner bewilligten [X.] ein.

Gegen den Beschluss vom [X.] legte das [X.] Beschwerde ein, welcher das [X.] mit Beschluss vom 19.06.2020 nicht abhalf. Das Verfahren wird beim [X.] ([X.]) unter dem [X.]. VII B 78/20 geführt.

Zugleich beantragte das [X.], die Vollziehung des genannten Beschlusses vom 08.06.2020 bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Beschwerdeverfahren gemäß § 131 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) auszusetzen. Diesen Antrag lehnte das [X.] mit Beschluss vom 19.06.2020 - 11 V 1720/[X.] ab und ließ hiergegen wiederum die Beschwerde zu. Die Beschwerde gegen den Beschluss vom [X.] habe bei der gebotenen summarischen Prüfung keine Aussicht auf Erfolg. Darüber hinaus sei die sofortige Beschränkung der Vollstreckung unmittelbar notwendig, damit der Antragsgegner im Bewilligungszeitraum über die [X.] verfügen und seine durch die [X.] entstandenen wirtschaftlichen Engpässe kompensieren könne.

Das [X.] richtete nunmehr einen Antrag, die Vollziehung des genannten Beschlusses vom 08.06.2020 bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Beschwerdeverfahren auszusetzen, direkt an den [X.] und legte hilfsweise Beschwerde gegen den Beschluss des [X.] vom 19.06.2020 - 11 V 1720/[X.] ein. Gegen die Annahme einer Zweckbindung und damit einer Unpfändbarkeit der [X.] spreche, dass die Gerichte Förderrichtlinien nicht eigenständig auslegen dürften ([X.]-Urteil vom 13.01.2005 - V R 35/03, [X.]E 208, 398, [X.], 460; Beschluss des [X.] vom 11.11.2008 - 7 B 38/08, juris). Die im Bewilligungsbescheid enthaltene Formulierung betreffe nur die zweckentsprechende Verwendung der Mittel, führe jedoch nicht zu einer Zweckbindung. Das [X.] zweifelt im Übrigen den Anspruch des Antragsgegners auf die [X.] an, weil sich dieser ausweislich der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 17.04.2019 bereits vor dem 01.03.2020 in einem Liquiditätsengpass befand. Wenn jedoch kein Anspruch bestehe, könne die [X.] ihren Zweck auch nicht erfüllen. Ergänzend wies das [X.] darauf hin, dass das [X.] Soforthilfeprogramm eine Sonderregelung für die Bestreitung von Lebenshaltungskosten bzw. fiktiven Unternehmerlohn vorsehe. Jedenfalls in diesem Umfang könne § 851 ZPO nicht greifen, weil unter den Begriff Lebenshaltungskosten bzw. fiktiver Unternehmerlohn jegliche Ausgaben fielen und damit auch Altverbindlichkeiten.

Das [X.] habe zur Vermeidung der Vorwegnahme der Hauptsache den Beschluss vom 08.06.2020 -11 V 1541/[X.] bislang nicht befolgt. In Anbetracht der bei dem Antragsgegner verbliebenen 3.181,84 € dürfe von einer Gefährdung der Betriebsfortführung nicht auszugehen sein. Überdies sichere bereits das Pfändungsschutzkonto den Lebensunterhalt ([X.] Nürnberg, Beschluss vom 11.10.2007 - 3 V 1280/2007, juris).

Entscheidungsgründe

II.

Der Antrag des [X.] ist gemäß § 131 Abs. 1 Satz 2 [X.]O i.V.m. § 570 Abs. 3 ZPO zulässig, jedoch unbegründet.

1. Der direkt an den [X.] gerichtete Antrag, die Vollziehung des Beschlusses des [X.] vom 08.06.2020 - 11 V [X.] auszusetzen, ist statthaft.

Auch wenn nach dem Wortlaut des § 131 Abs. 1 Satz 2 [X.]O lediglich das [X.], der Vorsitzende oder der Berichterstatter, dessen Entscheidung angefochten wird, über die [X.] der angefochtenen Entscheidung bestimmen kann, geht das Recht zur Entscheidung über einen solchen Eilantrag nach dem Zweck des Beschwerdeverfahrens in analoger Anwendung des § 570 Abs. 3 ZPO (i.V.m. § 155 [X.]O) auf den [X.] über, sobald das [X.] diesem die Beschwerde vorlegt (ausführlich hierzu Senatsbeschluss vom 18.12.1984 - VII S 25/84, [X.]E 142, 427, BStBl II 1985, 221; zuletzt [X.]-Beschluss vom 17.07.2012 - X S 24/12, [X.]/NV 2012, 1638; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 131 [X.]O Rz 16).

Gegen den Beschluss des [X.] vom 08.06.2020 - 11 V [X.] stand dem [X.] aufgrund der Zulassung des [X.] die Beschwerde zu, welche mit Schriftsatz vom 18.06.2020 beim [X.] eingelegt wurde. Das [X.] hat der Beschwerde nicht abgeholfen und diese mit dem Nichtabhilfebeschluss vom 19.06.2020 - 11 V [X.] dem [X.] vorgelegt, so dass nunmehr der [X.] für die Entscheidung über die [X.] des Beschlusses zuständig ist.

2. Der Antrag auf [X.] des Beschlusses ist jedoch unbegründet.

a) Die Entscheidung über den Antrag ist aufgrund summarischer Prüfung und Beurteilung der Erfolgsaussichten der Beschwerde und der beiderseitigen Interessen der Beteiligten nach dem jeweiligen Sach- und Rechtsstand zu treffen. Sie ergeht in erster Linie aufgrund einer Rechtmäßigkeitsprüfung, nicht lediglich aufgrund einer Folgenabwägung (vgl. [X.]-Beschluss in [X.]/NV 2012, 1638).

Bei summarischer Betrachtung ist der Beschluss des [X.] vom 08.06.2020 - 11 V [X.] rechtmäßig, so dass zur [X.] kein Anlass besteht.

b) Das [X.] hat das Begehren des Antragsgegners als Antrag nach § 258 AO ausgelegt und im einstweiligen Rechtsschutz entschieden. Diese Auslegung begegnet keinen Bedenken, denn es geht dem Antragsgegner ausweislich seiner Schriftsätze vom 28.05.2020 an das [X.] und vom 15.05.2020 an das [X.] um eine Freigabe der [X.], um über das Geld tatsächlich verfügen zu können.

c) Das [X.] hat zutreffend einen Anordnungsanspruch aus § 258 AO bejaht, weil es sich bei der [X.] um eine nach § 851 Abs. 1 ZPO nicht pfändbare Forderung handelte und demzufolge der entsprechende Betrag auf dem Konto des Antragsgegners nicht pfändbar war.

Nach § 851 Abs. 1 ZPO ist eine Forderung nur pfändbar, wenn sie übertragbar ist. Damit verweist § 851 Abs. 1 ZPO u.a. auf die Regelung des § 399 Alternative 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs --BGB-- (Beschlüsse des [X.] --BGH-- vom 08.11.2017 - VII [X.] 9/15, Zeitschrift für das gesamte Insolvenz- und Sanierungsrecht --ZInsO-- 2018, 92; vom 30.04.2020 - VII [X.] 82/17, juris). [X.] ist eine Forderung, wenn der [X.] den Inhalt der Leistung ändern würde. Darunter fällt auch eine zweckgebundene Forderung, weil der Verwendungszweck einer Forderung zum Inhalt der zu erbringenden Leistung gehört ([X.]/[X.], ZPO, 33. Aufl., § 851 Rz 3). Zu den nur im Rahmen ihrer Zweckbindung pfändbaren Forderungen können auch staatliche Subventionszahlungen gehören ([X.], 5. Aufl. 2016, ZPO § 851 Rz 9; [X.] vom 19.09.1957 - VII ZR 423/56, BGHZ 25, 211; vom 29.10.1969 - I ZR 72/67, Monatsschrift für Deutsches Recht 1970, 210).

Nach diesen Grundsätzen ist die [X.] ausweislich der ihr zugrunde liegenden Bestimmungen als zweckgebunden einzustufen (so ausdrücklich [X.] ZPO/[X.], [X.]. [01.03.2020], ZPO § 851 Rn. 10; [X.], Beschluss vom 13.05.2020 - 1 V 1286/[X.], juris; [X.], Beschluss vom 07.05.2020 - 4 M 1551/20, juris, Rz 6; [X.], Beschluss vom 23.04.2020 - 39 T 57/20, [X.], 1028, Rz 18). Den Gerichten ist es nicht verwehrt, zur Beurteilung der Zweckbindung der [X.] die Programme des [X.] und der Länder oder andere Bestimmungen heranzuziehen. Die vom [X.] zitierten Entscheidungen des [X.] zur Auslegung von Verwaltungsentscheidungen (z.B. [X.]-Urteil in [X.]E 208, 398, [X.], 460) betreffen einen anderen Fall.

Ausweislich des Bescheids und der zugrunde liegenden Programme des [X.] und des [X.] [X.] dient die [X.], bei der es sich um eine Billigkeitsleistung als freiwillige Zahlung ohne Rechtsanspruch handelt (1.2 und 1.3 [X.], Ministerialblatt --MinBl-- [X.] 2020, [X.]), der Abmilderung der finanziellen Notlagen des betroffenen Unternehmens bzw. des Selbständigen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Sie soll insbesondere Liquiditätsengpässe, die seit dem 01.03.2020 im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie entstanden sind, überbrücken. Ausdrücklich nicht umfasst sind nach dem Bescheid vor dem 01.03.2020 entstandene wirtschaftliche Schwierigkeiten bzw. Liquiditätsengpässe. Aus den Bestimmungen zur [X.] hat das [X.] zutreffend geschlussfolgert, dass die [X.] jedenfalls nicht der Befriedigung von [X.] dient, die --wie im [X.] vor dem 01.03.2020 entstanden sind, sondern nur solchen, die seit dem 01.03.2020 entstanden sind. Die Mittel sind zur Finanzierung von Verbindlichkeiten für fortlaufende erwerbsmäßige Sach- und Finanzausgaben vorgesehen, wobei die Entscheidung darüber, welche Ausgaben damit getätigt werden und in welcher Reihenfolge damit Forderungen erfüllt werden, nach den Förderbestimmungen allein dem Empfänger der Soforthilfe obliegt, der eine zweckentsprechende Verwendung später auch zu verantworten hat. Vor diesem Hintergrund ist es jedenfalls bei summarischer Prüfung im Ergebnis nicht zu beanstanden, dass das [X.] den Anspruch auf Soforthilfe als i.S. des § 851 Abs. 1 ZPO aufgrund der Zweckbindung nicht übertragbar und damit unpfändbar angesehen und diesen Gedanken auch auf die bereits ausgezahlten Mittel übertragen hat.

Auch soweit der Antragsgegner nach 5.3. Abs. 3 [X.] (MinBl [X.] 2020, [X.]) für seinen fiktiven Unternehmerlohn 2.000 € ansetzen darf, rechtfertigt dies nicht die Annahme, dass es sich bei der [X.] lediglich um einen pfändbaren Lohnersatz handelt, so dass die Pfändung und Einziehung der [X.] zugunsten des [X.] als Altgläubiger keinen rechtlichen Bedenken begegneten.

Die dargestellte Zweckbindung entfiele im Übrigen nicht (rückwirkend), wenn dem Antragsgegner mangels Vorliegens der Beihilfevoraussetzungen diese Beihilfe nicht zustünde und er sie zurückzahlen müsste. Im Übrigen ist es nicht Aufgabe des [X.] und des beschließenden Senats, diese Voraussetzungen im vorliegenden summarischen Verfahren zu prüfen. Diese Prüfung obliegt im Nachhinein dem [X.] entsprechend der Nebenbestimmungen nach Einreichung eines [X.]. Dabei kann der Senat auch dahingestellt lassen, ob die im Ergebnis erfolgte Tilgung von Altschulden gegenüber dem [X.] zu einem Rückforderungsanspruch des [X.]s gegen den Antragsgegner führen könnte.

Eine Forderung kann trotz ihrer [X.] pfändbar sein, wenn sie durch die Vollstreckungsmaßnahme ihrer Zweckbestimmung zugeführt werden soll. Im Streitfall ist das [X.] jedoch nicht als sog. Anlassgläubiger anzusehen, dem die Vollstreckung gestattet gewesen wäre. Denn wie bereits dargestellt, soll die [X.] zur Kompensation der unmittelbar durch die [X.] ausgelösten Liquiditätsengpässe dienen. Der Pfändungs- und Einziehungsverfügung lagen jedoch Umsatzsteuerforderungen betreffend das Jahr 2015 einschließlich [X.] zugrunde. Deshalb besteht kein Zusammenhang zu der durch die [X.] ausgelösten Liquiditätskrise des Antragsgegners.

Da hiernach die Forderung des Antragsgegners auf die [X.] und --nach deren Überweisung auf das [X.] gegen die kontoführende Bank gemäß § 851 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 399 Alternative 1 BGB im Hinblick auf ihre Zweckbindung nicht pfändbar war bzw. ist (vgl. [X.] vom 05.11.2004 - IXa [X.] 17/04, [X.], [X.], 2005, 181), kann der Senat offenlassen, ob durch Ziffer 3. des Schreibens des [X.]ministeriums der Finanzen ([X.]) vom 19.03.2020 ([X.], 262) das in § 258 AO eingeräumte Ermessen in einer die Verwaltung selbstbindenden Weise dahin gelenkt wird, dass bei nicht nur unerheblich betroffenen Steuerpflichtigen von der Vollstreckung fälliger Steuerforderungen abgesehen werden soll und ob das "Absehen" von Vollstreckungsmaßnahmen nach Ziffer 3. auch Vollstreckungsmaßnahmen umfasst, die bereits vor Erlass des [X.]-Schreibens ausgebracht worden sind, weil anderenfalls --entgegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes ([X.] eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung  vorläge (so [X.] Düsseldorf, Beschluss vom 29.05.2020 - 9 V 754/20 AE ([X.]), juris, Rz 34; Rothbächer, [X.] gemäß § 258 AO als Teil des [X.] in der [X.], [X.], 1014, 1020; Katemann, [X.] und Vollstreckungsmaßnahmen in Zeiten der [X.], [X.] 2020, 223, 228).

d) Das [X.] hat zutreffend einen Anordnungsgrund angenommen.

Begehrt ein Vollstreckungsschuldner die Abwehr von Vollstreckungsmaßnahmen und beruft er sich dabei auf § 258 AO, so besteht ein Anordnungsgrund nur bei außergewöhnlichen Umständen, z.B. Existenzvernichtung oder konkreter und unmittelbarer Gesundheitsgefährdung (Loose in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 114 [X.]O Rz 29; [X.] Köln, Beschluss vom 01.02.2018 - 11 V 3169/17, juris). Diese Umstände müssen über die Nachteile hinausgehen, die im Regelfall bei einer Vollstreckung zu erwarten sind.

Hierzu hat das [X.] bei summarischer Prüfung nachvollziehbar ausgeführt, dass der Antragsgegner ohne die [X.] die laufenden Kosten seines Geschäftsbetriebs nicht befriedigen könne.

e) Die Entscheidung des [X.] --insbesondere die Anordnung an das [X.], den bereits gutgeschriebenen Betrag zurückzuüberweisen-- erweist sich bei der gebotenen summarischen Prüfung nicht als unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache.

Grundsätzlich darf die einstweilige Anordnung zwar die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht vorwegnehmen. Etwas anderes gilt jedoch im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) dann, wenn ohne vorläufigen Rechtsschutz schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Beschlüsse des [X.]verfassungsgerichts vom 19.10.1977 - 2 BvR 42/76, [X.] 46, 166, und vom 25.10.1988 - 2 BvR 745/88, [X.] 79, 69; Senatsbeschluss vom 27.01.2016 - VII B 119/15, [X.]/NV 2016, 1586, Rz 39).

Dass das [X.] zum Zeitpunkt seiner Entscheidung am 08.06.2020 einen derartigen Ausnahmefall angenommen hat, ist bei summarischer Prüfung nicht zu beanstanden.

3. Auch unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen ist der Antrag auf [X.] abzulehnen. Hierbei berücksichtigt der Senat insbesondere, dass das [X.] die [X.] auf den Beschluss des [X.] nicht unverzüglich zurücküberwiesen hat, obwohl der Bewilligungszeitraum am 06.07.2020 endete und der Antragsgegner auf die Mittel angewiesen war.

4. Bei der Entscheidung über die einstweilige [X.] handelt es sich um ein Nebenverfahren zum Beschwerdeverfahren VII B 78/20, in dem keine (zusätzliche) Kostenentscheidung zu treffen ist ([X.]-Beschlüsse vom 17.07.2008 - VI S 8/08, juris, und in [X.]/NV 2012, 1638).

5. Die hilfsweise erhobene Beschwerde gegen die (vorherige) Ablehnung der [X.] durch das [X.] ist nicht statthaft, weil unmittelbar beim [X.] ein Antrag auf [X.] gestellt werden konnte und dies im Streitfall auch geschehen ist (vgl. [X.] in [X.], § 131 [X.]O Rz 20).

Meta

VII S 23/20 (AdV)

09.07.2020

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend FG Münster, 8. Juni 2020, Az: 11 V 1541/20 AO, Beschluss

§ 258 AO, § 131 Abs 1 S 2 FGO, § 114 FGO, § 570 Abs 3 ZPO, § 851 Abs 1 ZPO, § 399 Alt 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.07.2020, Az. VII S 23/20 (AdV) (REWIS RS 2020, 3470)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3470

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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