Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.12.2017, Az. XI R 12/16

11. Senat | REWIS RS 2017, 724

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Zur Bindungswirkung eines BFH-Urteils


Leitsatz

NV: Ein FG verstößt gegen § 126 Abs. 5 FGO, wenn es eine ihm aufgegebene Sachverhaltsaufklärung unterlässt und stattdessen annimmt, die Vorgaben des BFH erscheinen "nicht eindeutig" und "widersprüchlich" , , .

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 19. Mai 2016  5 K 85/15 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Die Beteiligten streiten darum, ob Umsätze eines Landwirts aus einer "Pensionspferdehaltung zu Zuchtzwecken" für Nichtlandwirte der [X.] nach § 24 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) unterliegen.

2

Wegen der weiteren Einzelheiten verweist der Senat auf sein Urteil vom 21. Januar 2015 XI R 13/13 ([X.], 462, [X.], 730).

3

Gegen den aufgrund einer landwirtschaftlichen Betriebsprüfung ergangenen Umsatzsteuerbescheid des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt --[X.]--) für 2005 vom 18. März 2010 wandte sich der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) nach erfolglosem Einspruch mit der Klage, die das [X.] ([X.]) im ersten Rechtsgang abwies.

4

Das Urteil des [X.] vom 14. Februar 2013  5 K 281/11 ist in Entscheidungen der [X.]e (E[X.]) 2013, 817 veröffentlicht.

5

Auf die Revision des [X.] hob der erkennende Senat mit Urteil in [X.], 462, [X.], 730 das Urteil des [X.] auf und verwies die Sache an das [X.] zurück.

6

Der Senat war der Ansicht, dass auch Umsätze an Nichtunternehmer (Endverbraucher) der pauschalen Umsatzbesteuerung nach Durchschnittssätzen unterliegen können. Eine Beschränkung des Pauschalausgleichs auf Land- und Forstwirte als Dienstleistungsempfänger sei in den unionsrechtlichen Vorgaben nicht enthalten. Bei einer [X.] von Pferden scheide die [X.] aus, wenn die betreuten Pferde aus privaten Gründen zu Freizeitzwecken gehalten werden, nicht aber dann, wenn die Pferde von ihren [X.] --ausnahmsweise-- zu land- oder forstwirtschaftlichen Zwecken genutzt werden. Dasselbe gelte bei der streitbefangenen "Pensionspferdehaltung zu Zuchtzwecken". Dem [X.] wurde im zweiten Rechtsgang Folgendes auferlegt:

   

"[Rz 43] ... Der Senat kann nicht durcherkennen, weil das [X.] --ausgehend von seiner Rechtsauffassung zu [X.] bislang noch keine tatsächlichen Feststellungen zu der Frage getroffen hat, ob --und ggf. in welchem Umfang-- die Pensionspferde (Stuten und Fohlen) von den Einstellern zu land- oder forstwirtschaftlichen Zwecken gehalten wurden.

        
   

[Rz 44] Soweit dies der Fall ist, wird das [X.] prüfen müssen, ob der Kläger die Pensionspferdehaltung zu Zuchtzwecken mithilfe von Wirtschaftsgütern erbracht hat, die seinem normalen Ausrüstungsbestand zuzurechnen waren bzw. hierfür Wirtschaftsgüter verwendet hat, die nicht dem betriebsgewöhnlichen Ausrüstungsbestand des land- und forstwirtschaftlichen Betriebs zuzurechnen waren (vgl. Art. 25 Abs. 2 fünfter Gedankenstrich der [[X.]/[X.] des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/[X.])]; s. dazu [Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --[X.]-- [X.] vom 15. Juli 2004 C-321/02, [X.]:[X.],] [X.]NV Beilage 2004, 371, Rz 34).

        
   

[Rz 45] Das [X.] wird die entsprechenden tatsächlichen Feststellungen im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben."

        

7

Das [X.] gab der Klage im zweiten Rechtsgang statt.

8

Die vom Kläger betriebene Pferdepension zu Zuchtzwecken unterfalle in vollem Umfang der [X.] nach § 24 UStG. Die Vorgabe des [X.] ([X.]), dass die Einsteller (Leistungsempfänger) keine Land- und Forstwirte sein müssten, die von ihnen empfangenen Leistungen (Zuchtleistungen als einheitliche Leistung) aber gleichwohl zu landwirtschaftlichen Zwecken genutzt werden müssten, erscheine nicht eindeutig und auf den ersten Blick widersprüchlich. Statt der hierzu vertretenen Ansicht des [X.] --BMF-- (Schreiben vom 27. August 2015 III C 2-S 7410/07/10005, 2015/0735706, [X.], 656) sei die Ansicht des [X.] zutreffend, wonach allein entscheidend sei, ob die übertragene Aufgabe (hier Pensions- und Zuchtleistungen) dem Grunde nach land- und forstwirtschaftliche Dienstleistungen darstellen würden, ohne dass weitere Voraussetzungen in der Person der Einsteller (z.B. eigene Bodenbewirtschaftung) für die Pauschalbesteuerung erfüllt sein müssten.

9

Das Urteil des [X.] im zweiten Rechtsgang vom 19. Mai 2016  5 K 85/15 ist in E[X.] 2016, 1388 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts. Es ist im [X.] der Ansicht, das [X.] verkenne die bereits vom [X.] aufgestellten Grundsätze. Aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19. Mai 2016 ergebe sich, dass die erforderlichen Feststellungen nicht erbracht worden seien. Ohne entsprechenden Nachweis könne § 24 UStG nicht angewandt werden.

Das [X.] beantragt,
das angefochtene Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen,
hilfsweise eine Vorabentscheidung des [X.] zu folgender Frage einzuholen:
Setzt die Sonderregelung des Art. 25 der Richtlinie 77/388/[X.] bzw. Art. 295 und Art. 300 der Richtlinie 2006/112/[X.] vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) voraus, dass die landwirtschaftlichen Erzeugnisse oder die landwirtschaftlichen Dienstleistungen nur an Landwirte oder an Nichtlandwirte, die jedoch die Leistung ihrerseits zu landwirtschaftlichen Zwecken verwenden, erbracht werden können, um die Sonderregelung in Anspruch nehmen zu können?

Der Kläger tritt der Revision des [X.] entgegen und verteidigt die Vorentscheidung.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

Das [X.] hat gegen § 126 Abs. 5 [X.]O verstoßen.

1. a) Gemäß § 126 Abs. 5 [X.]O hat das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden ist, seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des [X.] zugrunde zu legen. Die Bindung tritt nicht nur hinsichtlich der Gründe ein, die zur Aufhebung des [X.]-Urteils führen, sondern auch hinsichtlich der Gründe, die zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] führen ([X.]-Urteile vom 4. November 2004 III R 38/02, [X.]E 208, 155, [X.], 271; vom 17. Mai 2006 VIII R 21/04, [X.]/NV 2006, 1839; [X.]-Beschluss vom 1. März 1994 IV B 6/93, [X.]E 174, 103, [X.] 1994, 569, m.w.N.).

aa) Eine Bindung besteht insbesondere hinsichtlich der abschließenden rechtlichen Beurteilung anlässlich der Zurückverweisung durch den [X.] ([X.]-Urteile vom 23. Oktober 1991 I R 52/90, [X.]/NV 1992, 271; vom 17. September 1992 IV R 78/90, [X.]/NV 1993, 398; in [X.]/NV 2006, 1839). Die Bindung bestünde selbst dann, wenn das Urteil des [X.] rechtsfehlerhaft wäre ([X.]-Beschluss vom 2. Mai 1997 I B 117/96, [X.]/NV 1998, 18, m.w.N.; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 126 Rz 25; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 126 [X.]O Rz 79).

bb) Nicht nur das [X.], an das zurückverwiesen wurde, sondern auch das Revisionsgericht selbst ist an die dem zurückverweisenden Urteil zugrunde gelegte Rechtsauffassung gebunden (sog. Selbstbindung des Revisionsgerichts; ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] vom 6. Februar 1973 GmS-OGB 1/72, [X.]E 109, 206, [X.] 1973, 399; [X.]-Beschluss in [X.]/NV 1998, 18; [X.]-Urteile in [X.]/NV 1992, 271; in [X.]E 208, 155, [X.], 271; in [X.]/NV 2006, 1839, unter [X.], Rz 16, m.w.N.; [X.] in [X.], § 126 [X.]O Rz 89, m.w.N. in [X.] 1).

b) Die Bindung des [X.] entfällt ebenso wie die Selbstbindung des [X.] nur in Ausnahmefällen (dazu im Einzelnen Gräber/ Ratschow, a.a.[X.], § 126 Rz 27 ff., m.w.N.), die im Streitfall indes offensichtlich nicht vorliegen.

aa) Die Bindung kann entfallen, wenn sich nachträglich die maßgebenden Umstände geändert haben, und zwar entweder, weil sich der zugrunde gelegte Sachverhalt in einer für die Entscheidung erheblichen Weise geändert hat (dazu [X.]-Urteil vom 7. August 1990 VII R 120/89, [X.]/NV 1991, 569), sich einschlägige Gesetzesbestimmungen rückwirkend geändert haben oder sich die höchstrichterliche Rechtsprechung des entscheidenden Senats, des Großen Senats des [X.], des [X.] oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] --unabhängig von dem [X.] geändert hat ([X.]-Urteil vom 8. November 1983 VII R 141/82, [X.]E 140, 11, [X.] 1984, 317, unter II.2., zur Entscheidung des Senats; [X.]-Beschlüsse vom 22. Februar 2006 I B 145/05, [X.]E 213, 29, [X.] 2006, 546, unter II.2.d bb, Rz 35, zur Gesetzesänderung; vom 11. Januar 2007 XI B 22/06, [X.]/NV 2007, 909, zur Entscheidung des Großen Senats; Gräber/Ratschow, a.a.[X.], § 126 Rz 29).

bb) Vorliegend ist kein Fall gegeben, in dem die Bindung an das Urteil des Senats im ersten Rechtsgang ausnahmsweise entfallen kann. Weder haben sich der Sachverhalt, die höchstrichterliche Rechtsprechung noch die Gesetzeslage bzw. das einschlägige Unionsrecht geändert. Im Wesentlichen inhaltsgleich wurde Art. 25 der Richtlinie 77/388/[X.] durch Art. 295 und 300 MwStSystRL mit Wirkung zum 1. Januar 2007 ersetzt.

2. Im Streitfall hat das [X.] zu der Frage, ob --und ggf. in welchem Umfang-- die Pensionspferde (Stuten und Fohlen) von den Einstellern zu land- oder forstwirtschaftlichen Zwecken gehalten wurden, ausreichende tatsächliche Feststellungen nicht getroffen, obwohl ihm diese Prüfung vom Senat in Rz 43 und 44 des [X.]-Urteils in [X.]E 248, 462, [X.] 2015, 730 aufgegeben war.

Insbesondere genügen nicht die Aussagen des [X.] in der mündlichen Verhandlung des [X.] im zweiten Rechtsgang, "dass er regelmäßig keine Kenntnis darüber habe, ob die Einsteller ihrerseits über land- und forstwirtschaftliche Flächen verfügten. Bei einem geringen Teil der Einsteller könnte dies der Fall [sein], bei dem überwiegenden Teil der Einsteller wohl eher nicht".

Können keine Feststellungen zur Nutzung zu land- oder forstwirtschaftlichen Zwecken beim Einsteller getroffen werden, so kommt die [X.] nach § 24 UStG nicht zur Anwendung (vgl. [X.]-Urteil vom 10. September 2014 XI R 33/13, [X.]E 247, 360, [X.] 2015, 720).

Insoweit entspricht auch das BMF-Schreiben in [X.], 656 den Grundsätzen, die der [X.] im ersten Rechtsgang aufgestellt hat.

3. Damit verbleibt es bei der auch für den Senat bindenden rechtlichen Würdigung in seinem zurückverweisenden Urteil, wonach die Feststellungen nicht die Annahme einer [X.] nach § 24 UStG rechtfertigen. Es fehlen Feststellungen zu der Haltung der Pensionspferde zu land- und forstwirtschaftlichen Zwecken durch die Einsteller. Das [X.] wird im dritten Rechtsgang die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben. Sollte es die (ggf. beabsichtigte) Nutzung bei den Erwerbern nicht mehr feststellen können, wird es die Klage abzuweisen haben.

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

XI R 12/16

13.12.2017

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 19. Mai 2016, Az: 5 K 85/15, Urteil

§ 24 UStG 2005, § 126 Abs 5 FGO, UStG VZ 2005

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.12.2017, Az. XI R 12/16 (REWIS RS 2017, 724)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 724

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XI R 13/13 (Bundesfinanzhof)

Zur Durchschnittssatzbesteuerung bei einer Pensionspferdehaltung zu Zuchtzwecken


V R 65/09 (Bundesfinanzhof)

(Keine Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG für Umsätze aus sog. Pensionspferdehaltung - Auslegung des Art. …


XI R 37/22 (Bundesfinanzhof)

Umsatzsteuer: Grenzen der Pauschalbesteuerung für Landwirte; Besteuerung bei Sport-, Renn- und Turnierpferden


XI R 27/21 (Bundesfinanzhof)

Keine Durchschnittssatzbesteuerung bei entgeltlichem Verzicht auf ein vertragliches Lieferrecht


V R 22/19 (Bundesfinanzhof)

Vorabgewinn als umsatzsteuerbares Sonderentgelt; Regelsteuersatz für die Überlassung von Vieheinheiten


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.