Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.09.2015, Az. 9 B 42/15

9. Senat | REWIS RS 2015, 4705

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Gegenstand

Erschließung durch Wohnweg


Leitsatz

Ein Grundstück, das an eine Anbaustraße und einen diese Anbaustraße mit einer weiteren Anbaustraße verbindenden unbefahrbaren Wohnweg grenzt, wird durch diesen Wohnweg im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossen, sofern das Bebauungsrecht eine Erreichbarkeit in Form einer nur fußläufigen Zugänglichkeit für die Bebaubarkeit des Grundstücks ausreichen lässt (im Anschluss an Urteil vom 1. März 1996 - 8 C 26.94 - Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 101).

Gründe

I

1

Die [X.]eteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Vorausleistung auf einen Erschließungsbeitrag für eine mit Kraftfahrzeugen nicht befahrbare Verkehrsanlage.

2

Die Kläger sind Eigentümer eines mit einem zweigeschossigen Wohngebäude bebauten Grundstücks, das sowohl an die M.-Straße, eine [X.], als auch an den [X.] angrenzt. Der ausschließlich für den Rad- und Fußgängerverkehr freigegebene [X.] führt von der [X.] im Westen bis zur G.-Straße im Osten; das Teilstück zwischen der M.-Straße und der G.-Straße ist ca. 89 m lang. Der [X.] findet an beiden Enden eine Verlängerung in Form bestehender [X.]n.

3

Für die Herstellung des [X.]es setzte die beklagte Stadt eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag fest. Das Verwaltungsgericht hat den an die Kläger gerichteten Vorausleistungsbescheid aufgehoben, da der als durchgehende Rad- und Fußgängerverbindung konzipierte Weg die Erschließungssituation der anliegenden Grundstücke nicht verbessere. Auf die [X.]erufung der [X.]eklagten hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur [X.]egründung hat es darauf abgestellt, dass der [X.], soweit hier von [X.]elang, ein [X.]. § 127 Abs. 2 Nr. 2 [X.]auG[X.] sei. Denn nach Maßgabe des einschlägigen [X.]auordnungsrechts (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 [X.]bg[X.]auO) vermittele eine 50 m lange Teilstrecke des Weges, ausgehend von der G.-Straße, dem anliegenden Grundstück der Kläger die [X.]ebaubarkeit und damit eine beitragsfähige Zweiterschließung zu dieser Straße hin. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger.

II

4

Die [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

5

1. Die Revision ist nicht wegen eines Abweichens des [X.]erufungsurteils von einer Entscheidung des [X.] (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.

6

Eine solche Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die [X.]eschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des [X.] aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung des [X.] tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Vorschrift widersprochen hat. Hieran fehlt es. Die [X.]eschwerde stellt in keinem der behaupteten [X.] konkrete Rechtssätze des [X.] und des [X.] einander gegenüber, sondern beschränkt sich in weiten Teilen darauf, im Stil einer Revisionsbegründung eine vermeintlich fehlerhafte Auslegung bzw. Anwendung der Rechtssätze des [X.] aufzuzeigen. Dies genügt nicht den Darlegungsanforderungen der [X.] (vgl. [X.], [X.]eschluss vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14 m.w.[X.]).

7

Darüber hinaus liegt ungeachtet der unzureichenden Darlegung eine Divergenz zu den von den Klägern genannten Entscheidungen des [X.] nicht vor. Von dem Urteil vom 10. Dezember 1993 - 8 [X.] 58.91 - ([X.] 406.11 § 127 [X.]auG[X.] Nr. 71) weicht die angefochtene Entscheidung bereits deshalb nicht ab, weil das [X.]erufungsgericht den von den Klägern behaupteten Rechtssatz, jede ([X.] sei unabhängig von ihrer konkreten Nutzbarkeit ein beitragsrechtlicher Vorteil für den Grundstückseigentümer, nicht aufgestellt hat. Vielmehr hat es darauf abgestellt, der [X.] verschaffe dem klägerischen Grundstück eine zusätzliche Erschließung über die G.-Straße; darüber hinaus ermögliche er eine Teilung der anliegenden Grundstücke dergestalt, dass auch die hierdurch entstehenden [X.] erschlossen seien. Dies steht nicht in Widerspruch zu dem in der vorgenannten Entscheidung des [X.] enthaltenen Rechtssatz, dass, wenn ein [X.] nicht zwei [X.]n miteinander verbindet, sondern lediglich von einer [X.] abzweigt, Grundstücke, die sowohl an den [X.] als auch an die [X.] grenzen, ausschließlich durch die letztere Anlage, nicht jedoch auch durch den [X.] erschlossen werden ([X.], Urteil vom 10. Dezember 1993 - 8 [X.] 58.91 - [X.] 406.11 § 127 [X.]auG[X.] Nr. 71 S. 107). Auch weicht das angefochtene Urteil damit nicht von dem im Urteil des [X.] vom 1. März 1996 - 8 [X.] 26.94 - ([X.] 406.11 § 131 [X.]auG[X.] Nr. 101) aufgestellten Rechtssatz ab, wonach ein Grundstück, das an eine [X.] und einen diese [X.] mit einer weiteren [X.] verbindenden unbefahrbaren [X.] grenzt, durch diesen [X.]. § 131 Abs. 1 Satz 1 [X.]auG[X.] erschlossen wird, sofern das [X.]ebauungsrecht eine Erreichbarkeit in Form einer nur fußläufigen Zugänglichkeit für die [X.]ebaubarkeit des Grundstücks ausreichen lässt. Einen Rechtssatz des Inhalts, dass die [X.]eitragsfähigkeit über die Zweiterschließung hinaus eine (weitere) "reale" Verbesserung der Erschließungsqualität voraussetzt, enthält die letztgenannte Entscheidung entgegen dem Vorbringen der Kläger nicht. Vielmehr hat das [X.] in seinem Urteil vom 10. Februar 1978 - 4 [X.] 4.75 - ([X.] 406.11 § 127 [X.][X.]auG Nr. 29 S. 26; bestätigt durch [X.], Urteil vom 3. März 1995 - 8 [X.] 25.93 - [X.] 406.11 § 129 [X.]auG[X.] Nr. 28 S. 3) ausgeführt, hinsichtlich der Erforderlichkeit einer Anlage könnten allenfalls dann Zweifel bestehen, wenn alle angrenzenden Grundstücke bereits anderweitig erschlossen und schon dadurch bebaubar oder gewerblich nutzbar seien und die Zweitanlage den von ihr erschlossenen Grundstücken ausnahmsweise keine prinzipiell bessere Qualität der Erschließung im bebauungsrechtlichen Sinne vermittele, weil sie beispielsweise ihrer Zweckbestimmung nach keine Erschließungsfunktion übernehmen soll. Diese Rechtssätze hat das [X.]erufungsgericht der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegt.

8

2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher [X.]edeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

9

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von [X.]edeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint ([X.], [X.]eschluss vom 9. März 1993 - 3 [X.] 105.92 - NJW 1993, 2825). Den Darlegungen der [X.]eschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

a) Die von der [X.]eschwerde als rechtsgrundsätzlich bezeichnete Frage, welche Anforderungen an den erschließungsbeitragsrechtlichen Vorteil bei einer Zweiterschließung durch Fußwege zu stellen sind, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich. Das angefochtene Urteil verhält sich nicht zu den Voraussetzungen einer Erschließung durch Fußwege. Vielmehr hat das [X.]erufungsgericht unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des [X.], der zufolge [X.]e - aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen - unbefahrbare öffentliche Verkehrsanlagen sind, an denen zulässigerweise Wohngebäude errichtet werden dürfen ([X.], Urteile vom 1. März 1996 - 8 [X.] 26.94 - [X.] 406.11 § 131 [X.]auG[X.] Nr. 101 S. 67 und vom 17. Juni 1998 - 8 [X.] 34.96 - [X.] 406.11 § 131 [X.]auG[X.] Nr. 108 S. 98), auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen sowie der landesrechtlichen Regelung des § 4 Abs. 1 Nr. 2 [X.]bg[X.]auO entschieden, dass der [X.] bis zu einer Länge von 50 m, gerechnet von der Einmündung in die G.-Straße, die [X.]ebaubarkeit der angrenzenden Grundstücke einschließlich des Grundstücks der Kläger vermittelt und daher erschließungsbeitragsrechtlich als [X.]. § 127 Abs. 2 Nr. 2 [X.]auG[X.] zu qualifizieren ist. Die Frage, ob bzw. welche zusätzlichen Anforderungen für eine Erschließung durch reine Fußwege gelten (vgl. hierzu [X.], in: [X.]/[X.]/[X.]ielenberg/[X.], [X.]auG[X.], Stand Mai 2015, § 127 Rn. 15q; [X.], in: [X.]attis/[X.]/[X.], [X.]auG[X.], 12. Aufl. 2014, § 127 Rn. 25; [X.], Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 12 Rn. 69), stellt sich damit vorliegend nicht.

b) Sofern die [X.]eschwerde sinngemäß die Frage aufwirft, unter welchen Voraussetzungen [X.]e einen erschließungsbeitragsrechtlich relevanten Vorteil für solche Grundstücke vermitteln, die bereits über eine anderweitige Erschließung verfügen, lässt sich diese Frage anhand der vom [X.] bereits entschiedenen und unter a) dargelegten Grundsätze beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.

Der Erschließungsvorteil, zu dessen Abgeltung der Erschließungsbeitrag erhoben wird, ist danach die durch die Anlage und die damit bewirkte Erreichbarkeit vermittelte bauliche oder gewerbliche Nutzbarkeit des Grundstücks. Dabei steht der Annahme eines Erschließungsvorteils nicht entgegen, dass ein Grundstück gleichzeitig eine Zufahrt zu einer anderen Erschließungsanlage besitzt; diese ist vielmehr hinwegzudenken. Insoweit ist es deshalb unerheblich, dass der Grundstückseigentümer die zusätzliche Erschließung nicht selten als überflüssig oder gar lästig empfindet. Es kommt vielmehr allein darauf an, dass die Zweitanlage dem Grundstück durch die - von der tatsächlichen Nutzung unabhängige - Möglichkeit der Inanspruchnahme eine prinzipiell bessere Qualität der Erschließung im bebauungsrechtlichen Sinne vermittelt (stRspr, vgl. [X.], Urteil vom 12. November 2014 - 9 [X.] 4.13 - [X.]E 150, 308 Rn. 11, 15 m.w.[X.]). Indes kann einer weiteren Erschließungsanlage ausnahmsweise die Erforderlichkeit i.S.d. § 129 Abs. 1 Satz 1 [X.]auG[X.] fehlen, wenn sie - bezogen allerdings nicht nur auf ein einzelnes Grundstück, sondern auf das gesamte zu erschließende Gebiet ([X.], Urteile vom 6. Mai 1966 - 4 [X.] 136.65 - [X.] 406.11 § 133 [X.][X.]auG Nr. 8 S. 43, vom 21. Mai 1969 - 4 [X.] 93.67 - [X.] 406.11 § 129 [X.][X.]auG Nr. 2 S. 4, vom 13. August 1976 - 4 [X.] 23.74 - [X.]RS 37 Nr. 142 S. 288 und vom 3. März 1995 - 8 [X.] 25.93 - [X.] 406.11 § 129 [X.]auG[X.] Nr. 28 S. 2 f.) - ihrer Zweckbestimmung nach keine Erschließungsfunktion i.S.d. §§ 127, 129 Abs. 1 Satz 1 [X.]auG[X.] übernehmen, sondern beispielsweise nur den Zugang zu einem Sportgelände oder einem Aussichtsturm gewährleisten soll ([X.], Urteile vom 10. Februar 1978 - 4 [X.] 4.75 - [X.] 406.11 § 127 [X.][X.]auG Nr. 29 S. 26 und vom 3. März 1995 - 8 [X.] 25.93 - [X.] 406.11 § 129 [X.]auG[X.] Nr. 28 S. 3). Für die [X.]eantwortung der Frage, ob es auch unter [X.]erücksichtigung des den Gemeinden hierbei zukommenden weiten Entscheidungsspielraums an der Erforderlichkeit fehlt, kommt es stets auf die Situation des Einzelfalls an; sie ist daher einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.

c) Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass sich die weiteren von der [X.]eschwerde aufgeworfenen Fragen, wodurch sich [X.]e und Fußwege i.S.v. § 127 Abs. 2 Nr. 2 [X.]auG[X.] unterscheiden und wie [X.]e im bauordnungsrechtlichen Sinne von [X.]en und Fußwegen im erschließungsbeitragsrechtlichen Sinne (§ 127 Abs. 2 Nr. 2 [X.]auG[X.]) abzugrenzen sind, vorliegend nicht stellen und damit gleichfalls nicht die Zulassung der Revision rechtfertigen.

3. [X.] beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.

Meta

9 B 42/15

29.09.2015

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 26. Februar 2015, Az: OVG 5 B 20.14, Urteil

§ 131 Abs 1 S 1 BauGB, § 127 Abs 2 Nr 2 BauGB, § 129 Abs 1 S 1 BauGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.09.2015, Az. 9 B 42/15 (REWIS RS 2015, 4705)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 4705

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