Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14.12.2010, Az. 9 B 58/10

9. Senat | REWIS RS 2010, 443

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Erschließungsbeitrag; Erschließungsvorteil; Erschließung durch neue Anbaustraße bei gleichzeitigem Verlust einer früheren Erschließung; Eckgrundstücksermäßigung; Billigkeitserwägungen


Leitsatz

Das Erschließungsbeitragsrecht, namentlich § 131 Abs. 1 BauGB, bietet keinen Raum für eine Betrachtung, wonach bei Wegfall einer bislang vorhandenen Erschließung und deren "Ersetzung" durch Herstellung einer anderen Anbaustraße, die das Grundstück anderweitig neu erschließt, "per saldo" keine einen Erschließungsvorteil begründende Veränderung der Erschließungssituation vorliege (wie Urteil vom 1. Dezember 1989 - BVerwG 8 C 52.88 - Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 82 S. 50).

Gründe

1

Die auf den [X.] der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde kann keinen Erfolg haben.

2

1. Die von der Beschwerde als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichneten Fragen,

"ob im Fall der bloßen ersatzweisen Herstellung einer neuen Erschließungsanlage als Ausgleich für eine entfallene zuvor bestehende Erschließung gleichwohl ein erschließungsrechtlicher Vorteil dem Grundstück zugute kommt, der Grundlage für die Erhebung eines [X.] sein kann,"

und

"inwiefern bei der Festsetzung eines [X.] zu berücksichtigen ist, dass dem Erschließungsvorteil in Gestalt des [X.] der neuen Zufahrt ein stoffgleicher Nachteil in Gestalt der Entziehung der bisherigen Erschließung gegenübersteht",

die in der Beschwerdebegründung noch weiter variiert werden (Seite 2 Mitte bis Seite 6 oben), rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision, weil sie anhand vorhandener Rechtsprechung des [X.] beantwortet werden können, ohne dass es dafür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.

3

Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] besteht der Erschließungsvorteil in dem, was die Erschließung für die bauliche oder gewerbliche Nutzbarkeit (Nutzung) des Grundstücks hergibt. Erschließung in diesem Sinne ist nicht gleichbedeutend mit Zugänglichkeit, sondern besteht darüber hinaus darin, einem Grundstück die Erreichbarkeit der Erschließungsanlage in einer auf die bauliche oder gewerbliche Nutzbarkeit des Grundstücks gerichteten Funktion zu vermitteln (vgl. Urteile vom 27. September 2006 - BVerwG 9 [X.] 4.05 - BVerwGE 126, 378 = [X.] 406.11 § 131 BauGB Nr. 118, jeweils Rn. 22 und vom 1. September 2004 - BVerwG 9 [X.] 15.03 - BVerwGE 121, 365 <366 f.> = [X.] 406.11 § 131 BauGB Nr. 116 S. 12 f.; stRspr). Der Erschließungsvorteil liegt mithin darin, dass das Grundstück gerade mit Blick auf die abzurechnende Erschließungsanlage - im Falle einer Zweiterschließung unter Hinwegdenken der Ersterschließung - bebaubar wird, also eine Baugenehmigung nicht mehr unter Hinweis auf die fehlende verkehrliche Erschließung abgelehnt werden darf. Ändert im Sinne dieser sog. "Wegdenkenstheorie" (vgl. dazu [X.], Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. Aufl. 2007, § 17 Rn. 104 m.w.N.) das Hinzutreten einer (an sich "überflüssigen") Zweiterschließung nichts am Vorliegen eines Erschließungsvorteils, so muss dies erst recht bei einem Wegfall der Ersterschließung gelten, weil das Grundstück dann auf die neu hinzutretende Erschließungsanlage angewiesen ist, da sie allein ihm nunmehr seine Bebaubarkeit vermittelt. Das [X.]recht, namentlich § 131 Abs. 1 BauGB, bietet daher keinen Raum für eine Betrachtung, wonach bei Wegfall einer bislang vorhandenen Erschließung und deren "Ersetzung" durch Herstellung einer anderen Anbaustraße, die das Grundstück anderweitig neu erschließt, "per saldo" keine einen Erschließungsvorteil begründende Veränderung der Erschließungssituation vorliege (so ausdrücklich bereits das Urteil vom 1. Dezember 1989 - BVerwG 8 [X.] 52.88 - [X.] 406.11 § 131 BBauG Nr. 82 S. 50 f.; vgl. auch [X.], a.a.O. § 26 Rn. 11). Dass sich aus der von der Beschwerde angeführten Entscheidung des [X.] zum [X.] ([X.], Beschluss vom 5. Juli 1972 - 2 BvL 6/66 u.a. - [X.]E 33, 265) Gegenteiliges ergeben soll, vermag der beschließende Senat nicht zu erkennen.

4

2. Die von der Beschwerde des Weiteren aufgeworfenen Fragen zu der vom [X.] im Streitfall bejahten Eckgrundstücksvergünstigung von 50 % für übergroße Grundstücke gemäß der einschlägigen Satzungsbestimmung der Beklagten, namentlich

"ob im [X.]recht bereits bei der Beitragsfestsetzung [X.] überhaupt Berücksichtigung finden können und, falls ja, welche Maßstäbe dabei heranzuziehen sind",

sowie

"ob eine derartige Ermessensentscheidung der Gemeinde als Satzungsgeber in Gestalt der erheblichen Begünstigung übergroßer, jedoch vollständig gewerblich nutzbarer [X.] noch mit den Grundsätzen der Beitragsgerechtigkeit vereinbart werden kann",

rechtfertigen ebenfalls nicht die Zulassung der Revision.

5

Die Antwort auf die erste Frage ergibt sich zum einen aus dem Gesetz selbst, das in § 135 Abs. 2 bis 5 BauGB bestimmte [X.] normiert hat, sowie aus der hierzu ergangenen Rechtsprechung des [X.], derzufolge die Gemeinde ausnahmsweise (im Falle einer Ermessensreduzierung auf Null) verpflichtet sein kann, bereits bei der Heranziehung offensichtlich erkennbare Härtegründe von Amts wegen zu berücksichtigen, sofern diese aus sachlichen Gründen einen (teilweisen) [X.]. § 135 Abs. 5 BauGB gebieten (vgl. Urteile vom 12. September 1984 - BVerwG 8 [X.] 124.82 - BVerwGE 70, 96 <97 ff.> = [X.] 406.11 § 135 BBauG Nr. 25 S. 25 f. und vom 5. Oktober 1984 - BVerwG 8 [X.] 41.83 - [X.] 1985, 49 <50>, § 135 BBauG Nr. 26 S. 31 f. nicht abgedruckt>), doch führt ein Verstoß gegen diese Berücksichtigungspflicht nicht zur Rechtswidrigkeit eines gleichwohl (ungekürzt) ergehenden [X.]bescheids. Was die dabei heranzuziehenden Maßstäbe angeht, zeigt die Beschwerde nicht auf, dass und inwieweit diese über die bereits vorliegende höchstrichterliche Rechtsprechung hinaus (vgl. die Darstellung und Nachweise bei [X.], a.a.O. § 26 Rn. 5 ff.) einer weiteren Klärung bedürfen bzw. einer solchen überhaupt zugänglich sind, da es - wie stets bei [X.] - in der Regel um die Umstände des Einzelfalls geht.

6

Mit Blick auf die zweite Frage ist ebenfalls geklärt, dass den Gemeinden eine satzungsrechtliche Verteilungsregelung gestattet ist, derzufolge einem mehrfach (durch die gleiche Art von beitragsfähigen Anlagen) erschlossenen Grundstück eine Vergünstigung mit der Folge zu gewähren ist, dass dieses Grundstück zu Lasten der übrigen Beitragspflichtigen nicht in vollem Umfang, sondern nur zu einem Teil desselben an der Verteilung des umlagefähigen [X.] teilnimmt; dies liegt im Rahmen der Typisierungsbefugnis des [X.] und stellt keine Verletzung des [X.] dar (vgl. Urteil vom 8. Oktober 1976 - BVerwG 4 [X.] 56.74 - BVerwGE 51, 158 <159 f.> = [X.] 406.11 § 131 BBauG Nr. 18 S. 16 f., stRspr; vgl. auch [X.], a.a.O. § 18 Rn. 76 ff.). Dabei unterliegt der Umfang der zulässigen Eckgrundstücksermäßigung bundesrechtlichen Grenzen (vgl. etwa die Urteile vom 8. Oktober 1976 a.a.[X.] ff. bzw. S. 18 f. und vom 3. Februar 1989 - BVerwG 8 [X.] 78.88 - [X.] 406.11 § 131 BBauG Nr. 79 S. 32 und 35). Diese hat das [X.] gesehen und auf den Streitfall angewandt. Die Beschwerde zeigt auch insoweit keinen Bedarf nach weiterer höchstrichterlicher Klärung auf, der über den derzeit erreichten Stand der Rechtsprechung hinausgeht.

Meta

9 B 58/10

14.12.2010

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 9. März 2010, Az: 4 L 169/07, Beschluss

§ 131 Abs 1 BauGB, § 135 BauGB

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14.12.2010, Az. 9 B 58/10 (REWIS RS 2010, 443)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 443

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

9 B 42/15 (Bundesverwaltungsgericht)

Erschließung durch Wohnweg


9 C 1/19 (Bundesverwaltungsgericht)

Unanwendbarkeit des Erschließungsbeitragsrechts im Bereich eines Vorhaben- und Erschließungsplans


6 ZB 19.2115 (VGH München)

Ersetzung der vorhandenen Erschließung


9 C 7/13 (Bundesverwaltungsgericht)

Erschließungsvorteil für eine im Außenbereich liegende Teilfläche eines im Übrigen im unbeplanten Innenbereich liegenden Grundstücks; …


9 C 4/13 (Bundesverwaltungsgericht)

Kein "Erschlossensein" eines nicht gefangenen Hinterliegergrundstücks trotz Eigentümeridentität und übergreifender Nutzung


Referenzen
Wird zitiert von

M 28 K 17.1289

M 2 S 14.5356

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.