Bundessozialgericht, Urteil vom 27.04.2010, Az. B 2 U 13/09 R

2. Senat | REWIS RS 2010, 7226

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

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Gegenstand

Gesetzliche Unfallversicherung - Wie-Berufskrankheit - Gruppentypik - generelle Geeignetheit - gruppentypische Risikoerhöhung - gruppenspezifische Risikoerhöhung - genereller Ursachenzusammenhang - BK-Bezeichnung - Theorie der wesentlichen Bedingung - besondere Einwirkungen - Schule - psychische Erkrankung - Neurotisierung - Legasthenie - Dyskalkulie - Behinderung - Schüler


Leitsatz

Für den bei einer Wie-BK zu prüfenden generellen Ursachenzusammenhang zwischen den Einwirkungen, denen die Personengruppe ausgesetzt ist, und der Krankheit gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung.

Tatbestand

1

Umstritten ist die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit (Wie-BK) nach § 9 Abs 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch ([X.]) beim Kläger aufgrund seines Schulbesuchs.

2

Der im August 1989 geborene Kläger ist durch eine schwere Legasthenie und Dyskalkulie behindert. Das Versorgungsamt hat bei ihm wegen Teilleistungsstörung (Legasthenie und Dyskalkulie) mit sekundärer Neurotisierung einen Grad der Behinderung von 60 festgestellt (Bescheid vom 14. Oktober 2004). Zur Begründung seines an den beklagten [X.] gerichteten Antrags auf Anerkennung einer Wie-BK legte der Kläger zahlreiche ärztliche Unterlagen vor und behauptete, durch falsche Schulpädagogik eine schwere seelische Erkrankung erlitten zu haben. Eine gruppenspezifische Erhöhung des [X.] sei für Legastheniker wissenschaftlich belegbar. Der Beklagte lehnte den Antrag ab, es gebe keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Geeignetheit von Schulunterricht, psychische Erkrankungen herbeizuführen (Bescheid vom 7. Juli 2005, Widerspruchsbescheid vom 19. September 2005).

3

Das Sozialgericht ([X.]) hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 17. Mai 2006). Das [X.] (L[X.]) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 14. Januar 2009) und im Wesentlichen zur Begründung ausgeführt: Das bloße Versäumnis einer adäquaten Förderung des [X.] könne nicht als besondere Einwirkung iS des § 9 [X.] verstanden werden. Auch scheitere die "Anerkennung und Entschädigung" einer Wie-BK daran, dass eine gruppenspezifische Risikoerhöhung im Falle des [X.] nicht feststellbar sei. Legastheniker würden im [X.] Schulsystem nicht anders beschult wie [X.]. Sie seien daher keinen anderen Einwirkungen im Schulsystem ausgesetzt wie nicht-legasthene Schüler. Hinsichtlich der Bezugsgruppe für die erforderliche gruppenspezifische Risikoerhöhung sei auf alle Schüler abzustellen und nicht auf die Gruppe der an Legasthenie leidenden Schüler. Ob von einer versicherten Tätigkeit spezielle Risiken ausgehen würden, die erheblich höher als die Risiken der Allgemeinbevölkerung seien, könne statistisch und epidemiologisch zutreffend nur im Vergleich der Allgemeinbevölkerung mit den Versicherten ermittelt werden, die die versicherte Tätigkeit ausüben, ohne sich durch zusätzliche risikoerhöhende persönliche Eigenschaften (Behinderungen) von der Allgemeinbevölkerung zu unterscheiden. Umgekehrt ließe sich ein besonderes schulisches Risiko von Legasthenikern nur im Vergleich mit dem von Legasthenie betroffenen Teil der Allgemeinbevölkerung ermitteln. § 9 Abs 1 Satz 2 [X.] stelle als Maßstab auf die Allgemeinbevölkerung ab, so dass die bestimmte Personengruppe sich allein durch ihre versicherte Tätigkeit von der Allgemeinbevölkerung unterscheiden dürfe. Wissenschaftliche Erkenntnisse, dass die Ausgestaltung des Schulunterrichts in [X.] allgemeinbildende Schulen ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöhtes Risiko der Schüler zur Folge habe, psychisch zu erkranken, habe der Kläger nicht behauptet und seien auch nicht erkennbar. Soweit der Kläger mit Recht einen Mangel an spezieller individueller Förderung von Legasthenikern an [X.] Schulen beklage, könne die Anerkennung psychischer Folgen eines solchen Mangels nicht als Wie-BK verlangt werden, selbst wenn eine gruppenspezifische Risikoerhöhung von [X.] Schülern gegenüber der Allgemeinbevölkerung angenommen würde. Denn die Risikoerhöhung würde nicht durch "besondere Einwirkungen" iS des § 9 Abs 1 Satz 2 [X.] verursacht, weil das Unterlassen einer behinderungsgerechten Förderung dafür nicht ausreiche. Eine pflichtwidrige Unterlassung möge zwar eine Handlung im strafrechtlichen Sinne sein, stelle aber keine Einwirkung im unfallversicherungsrechtlichen Sinne dar. Angesichts dessen könne dahingestellt bleiben, ob mögliche Versäumnisse des Beklagten hinsichtlich einer die Teilleistungsstörungen des [X.] berücksichtigenden Pädagogik dessen sekundäre Neurotisierung wesentlich mit verursacht hätten.

4

Mit der - vom L[X.] zugelassenen - Revision rügt der Kläger: Soweit das L[X.] ausgeführt habe, dass die Ausgestaltung des [X.] Schulunterrichts gegenüber der Allgemeinbevölkerung kein wesentlich erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen zur Folge habe, sei darauf hinzuweisen, dass "die Tatsache, dass Schule krankmachen kann," seit längerer Zeit allgemein bekannt sei. Die entscheidungserhebliche Frage sei jedoch vor allem, ob eine gruppenspezifische Erhöhung auch dann vorliege, wenn eine durch gemeinsame Merkmale (Behinderung) abgrenzbare Teilgruppe aus der Gesamtgruppe, die die gefährdende Tätigkeit ausübe, besonders gefährdet werde. Ein behinderter Arbeitnehmer habe grundsätzlich Anspruch auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz. Wenn die für die Krankheit des [X.] ursächliche Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Schülern eine verfassungswidrige Diskriminierung von Behinderten iS des Art 3 Abs 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) sei, so würde eine fortgesetzte Gleichbehandlung von Behinderten und Nichtbehinderten bei der Frage der Gruppentypik ebenfalls eine fortgesetzte verfassungswidrige Diskriminierung darstellen. Daher sei für die Prüfung der Gruppentypik auf die Vergleichsgruppe der ebenso behinderten Mitschüler abzustellen. Dem Umgang aller staatlichen Organe mit behinderten Menschen seien durch Art 3 Abs 3 Satz 2, Art 1 Abs 2 GG Grenzen gesetzt. Durch seine Beschulung, die seine Behinderung nicht berücksichtigt habe, sei er benachteiligt worden. Nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) (Hinweis auf [X.]E 96, 288 ff) könne eine Benachteiligung durch Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten gegeben sein, wenn die Behinderung nicht durch entsprechende Fördermaßnahmen hinlänglich kompensiert werde; für behinderte Kinder und Jugendliche sei der Staat gehalten, schulische Einrichtungen bereit zu halten, die auch ihnen eine sachgerechte schulische Erziehung und Ausbildung ermöglichten. Dies ergebe sich auch aus dem von [X.] ratifizierten Übereinkommen der [X.] über die Rechte behinderter Menschen vom 13. Dezember 2006. Ebenso wie ein tauber Schüler in der Gebärdensprache hätte er in Lesen und Schreiben nach den für Legastheniker geeigneten Methoden unterrichtet werden müssen. In [X.] erfolge keine entsprechende Förderung. Dies führe zu psychischen Erkrankungen der Betroffenen, die bei entsprechender Intensität Anspruch auf Leistung nach § 35a [X.] ([X.]I) wegen seelischer Behinderung hätten.

5

Soweit das L[X.] das Vorliegen von besonderen Einwirkungen iS des § 9 Abs 1 Satz 2 [X.] verneint habe, weil das Unterlassen einer entsprechenden Förderung keine Einwirkung sei, könne dem nicht gefolgt werden. Aufgrund der Einheit der Rechtsordnung und zB der Schutzpflichten für behinderte Arbeitnehmer, die zu [X.] deren Arbeitgeber führen würden, könne nicht einfach das Vorliegen einer Einwirkung verneint werden. Im Übrigen habe er der Schulpflicht unterlegen und es sei auf ihn durch Erziehungsmaßnahmen der Lehrer eingewirkt worden. Diese Einwirkungen seien in der Grundschulzeit so stark gewesen, dass er einen Selbstmordversuch unternommen habe. Seine sekundäre Neurotisierung sei nicht die Folge eines Unterlassens, sondern komplexer Verhaltensweisen, die sowohl Handeln wie Unterlassen miteinander verbunden hätten, sodass eine Einwirkung vorgelegen habe.

6

Der Kläger beantragt,

        

das Urteil des [X.]s [X.]-Bremen vom 14. Januar 2009 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 17. Mai 2006 sowie den Bescheid des Beklagten vom 7. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. September 2005 aufzuheben und bei ihm eine sekundäre Neurotisierung als Versicherungsfall einer Wie-Berufskrankheit anzuerkennen.

7

Der Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision des [X.] ist unbegründet. Bei ihm ist eine "sekundäre Neurotisierung bei Teilleistungsstörung (Legasthenie und Dyskalkulie)" ni[X.]ht wie eine Berufskrankheit anzuerkennen.

9

Na[X.]h § 9 Abs 2 [X.] haben die Unfallversi[X.]herungsträger eine Krankheit, die ni[X.]ht in der [X.] ([X.]) bezei[X.]hnet ist oder bei der die dort bestimmten Voraussetzungen ni[X.]ht vorliegen, wie eine Berufskrankheit als Versi[X.]herungsfall anzuerkennen, sofern im Zeitpunkt der Ents[X.]heidung na[X.]h neuen Erkenntnissen der medizinis[X.]hen Wissens[X.]haft die Voraussetzungen für eine Bezei[X.]hnung na[X.]h § 9 Abs 1 Satz 2 [X.] erfüllt sind (sogenannte Öffnungsklausel für [X.]). Die si[X.]h aus dieser Vors[X.]hrift ergebenden Tatbestandsmerkmale für die Feststellung einer Wie-[X.] bei einem Versi[X.]herten sind (1.) das [X.] der Voraussetzungen für eine in der [X.] bezei[X.]hneten Krankheit, (2.) das Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für die Bezei[X.]hnung der geltend gema[X.]hten Krankheit als [X.] na[X.]h § 9 Abs 1 Satz 2 [X.] - (3.) na[X.]h neuen wissens[X.]haftli[X.]hen Erkenntnissen - sowie (4.) die individuellen Voraussetzungen für die Feststellung dieser Krankheit als Wie-[X.] im Einzelfall bei dem Versi[X.]herten. Na[X.]h der gefestigten Re[X.]htspre[X.]hung des Senats enthält diese Vors[X.]hrift keine "Härteklausel", na[X.]h der jede dur[X.]h eine versi[X.]herte Tätigkeit verursa[X.]hte Krankheit als "Wie-[X.]" anzuerkennen wäre (vgl nur BSG vom 23. Juni 1977 - 2 [X.] 53/76 - [X.], 90 = [X.] 2200 § 551 [X.]; BSG vom 14 November 1996 - 2 [X.] 9/96 - [X.], 250 = 3-2200 § 551 [X.]).

Das erste Tatbestandsmerkmal ist hinsi[X.]htli[X.]h der vom Kläger begehrten Anerkennung einer psy[X.]his[X.]hen Erkrankung aufgrund von Einwirkungen während seines Besu[X.]hs von allgemeinbildenden S[X.]hulen in [X.] erfüllt, weil in der Anlage 1 zur [X.] - der [X.]-Liste mit den sogenannten Listen-[X.]en -, in der die als [X.] dur[X.]h Re[X.]htsverordnung na[X.]h § 9 Abs 1 Satz 1 [X.] bezei[X.]hneten Krankheiten aufgeführt sind, keine psy[X.]his[X.]hen Erkrankungen dur[X.]h Einwirkungen während eines S[X.]hulbesu[X.]hs zu finden sind.

Das vierte Tatbestandsmerkmal - die Voraussetzungen für die Feststellung der Krankheit als Wie-[X.] im Einzelfall (vgl dazu grundlegend das Urteil des Senats vom 2. April 2009 - [X.] U 9/08 R - [X.], 59 = [X.] 4-2700 § 9 [X.] 14) - hat das [X.] dahingestellt sein lassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es gäbe keine wissens[X.]haftli[X.]hen Erkenntnisse, dass die Ausgestaltung des S[X.]hulunterri[X.]hts in [X.] allgemeinbildenden S[X.]hulen ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöhtes Risiko der S[X.]hüler zur Folge habe psy[X.]his[X.]h zu erkranken.

Damit hat das [X.] das zweite Tatbestandsmerkmal - die allgemeinen Voraussetzungen für die Bezei[X.]hnung einer Krankheit als [X.] - mangels entspre[X.]hender wissens[X.]haftli[X.]her Erkenntnisse verneint, womit au[X.]h die Prüfung des dritten Tatbestandsmerkmals - die Neuheit der Erkenntnisse - entfiel.

Seine Revision wird vom Kläger insbesondere damit begründet, dass entgegen der Ansi[X.]ht des [X.] für die Ermittlung dieses zweiten Tatbestandsmerkmals ni[X.]ht auf alle S[X.]hüler in [X.] allgemeinbildenden S[X.]hulen abzustellen sei, sondern nur auf die S[X.]hüler, die an Legasthenie und Dyskalkulie leiden. Der Kläger verwendet insofern ebenso wie das [X.] die Begriffe "gruppenspezifis[X.]he Risikoerhöhung" oder "Gruppentypik" und meint, zur Bestimmung der Risikoerhöhung müsse auf die abgrenzbare (Teil-)Gruppe der S[X.]hüler mit diesen Behinderungen abgestellt werden.

Entgegen diesem Vorbringen des [X.] und entspre[X.]hend den tatsä[X.]hli[X.]hen Feststellungen des [X.], gegen die der Kläger keine zulässigen und begründeten [X.] erhoben hat, ist jedo[X.]h das zweite Tatbestandsmerkmal einer Wie-[X.] für die vom Kläger begehrte Anerkennung einer "sekundären Neurotisierung bei Teilleistungsstörung (Legasthenie und Dyskalkulie)" ni[X.]ht erfüllt.

Die aus dem Wortlaut des § 9 Abs 1 [X.] ableitbaren allgemeinen Voraussetzungen für dieses Tatbestandsmerkmal - die Bezei[X.]hnung einer Krankheit als [X.] - sind eine versi[X.]herte Tätigkeit na[X.]h §§ 2, 3, 6 [X.] (a), dur[X.]h die bestimmte Personengruppen in erhebli[X.]h höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen (b) ausgesetzt sind ([X.]). Diese Einwirkungen müssen eine Krankheit (d) verursa[X.]ht haben (e) na[X.]h den Erkenntnissen der medizinis[X.]hen Wissens[X.]haft (f). Soweit der Senat oder andere Senate des BSG in der Vergangenheit in diesem Zusammenhang vers[X.]hiedene andere Begriffe verwandt haben, wie Gruppentypik, generelle Geeignetheit (vgl zuletzt insbesondere BSG vom 23. März 1999 - [X.] U 12/98 R - [X.], 30, 34 f = [X.] 3-2200 § 551 [X.] 12) oder zB au[X.]h den der gruppentypis[X.]hen oder gruppenspezifis[X.]hen Risikoerhöhung (vgl BSG vom 4. Juni 2002 - [X.] U 20/01 R), dienten diese nur der Erläuterung oder Ums[X.]hreibung der aufgezeigten Voraussetzungen, ohne dass damit andere Anforderungen aufgestellt werden sollten (vgl s[X.]hon BSG vom 14. November 1996 - 2 [X.] 9/96 - [X.], 250 = 3-2200 § 551 [X.]). Im Übrigen ist zu bea[X.]hten, dass der Verordnungsgeber bei seiner Ents[X.]heidung über die Bezei[X.]hnung einer Krankheit na[X.]h § 9 Abs 1 [X.] einen gesetzgeberis[X.]hen Gestaltungsspielraum hat (vgl BSG vom 23. März 1999 - [X.] U 12/98 R - aaO), während der Anspru[X.]h auf Anerkennung einer Wie-[X.] na[X.]h § 9 Abs 2 [X.] ein auf diesem Parlamentsgesetz beruhender Re[X.]htsanspru[X.]h ist, so dass dessen Ablehnung uneinges[X.]hränkt justiziabel und im Re[X.]htszug überprüfbar ist.

Ausgehend von den Feststellungen des [X.] zum Vorbringen des [X.] über die Einwirkungen, denen er ausgesetzt war, seine Krankheit usw ergibt si[X.]h auf der für die Bezei[X.]hnung einer [X.] zu prüfenden abstrakten Ebene der allgemeinen Voraussetzungen des zweiten Tatbestandsmerkmals:

a) Die versi[X.]herte Tätigkeit, auf die abzustellen ist, ist die eines S[X.]hülers einer allgemeinbildenden S[X.]hule na[X.]h § 2 Abs 1 [X.] 8b [X.], wie der Kläger sie "ausgeübt" hat. Ob eine Krankheit als Listen-"Berufs"-krankheit bezei[X.]hnet oder als Wie-"Berufs"-krankheit anerkannt werden kann, wenn sie nur dur[X.]h S[X.]hulbesu[X.]h, ni[X.]ht aber infolge der Ausübung eines "Berufs" entstehen kann, kann offen gelassen werden, weil die Voraussetzungen vorliegend s[X.]hon aus anderen Gründen ni[X.]ht erfüllt sind.

b) Das Erfordernis von besonderen Einwirkungen, denen eine bestimmte Personengruppe in erhebli[X.]h höherem Grade als die übrige Bevölkerung dur[X.]h die versi[X.]herte Tätigkeit ausgesetzt ist, verlangt zunä[X.]hst die Ermittlung der Einwirkungen und in einem weiteren S[X.]hritt deren Zure[X.]hnung zur versi[X.]herten Tätigkeit ([X.]), zumal ohne eine Ermittlung der Einwirkungen s[X.]hwerli[X.]h Aussagen über die Krankheiten (d), die dur[X.]h sie verursa[X.]ht wurden (e), mögli[X.]h sind.

Zur näheren Konkretisierung der besonderen Einwirkungen, denen bestimmte Personengruppen in erhebli[X.]h höherem Grade als die übli[X.]he Bevölkerung ausgesetzt sind, ist aufgrund der Praxis des Verordnungsgebers bei der Bezei[X.]hnung von Listen-[X.]en und der Re[X.]htspre[X.]hung des BSG auf Folgendes hinzuweisen: Als Einwirkungen kommt - wie s[X.]hon den vers[X.]hiedenen [X.]-Bezei[X.]hnungen in der [X.]-Liste entnommen werden kann - praktis[X.]h alles in Betra[X.]ht, was auf Mens[X.]hen einwirkt. Daher ist es, au[X.]h wenn es (no[X.]h) keine Listen-[X.] gibt, die auf rein psy[X.]his[X.]he Einwirkungen abstellt, denkgesetzli[X.]h ni[X.]ht ausges[X.]hlossen, dass der Verordnungsgeber eine sol[X.]he Listen-[X.] einführen kann. An die bestimmte Personengruppe sind keine besonderen Anforderungen hinsi[X.]htli[X.]h ihrer Größe (vgl BSG vom 29. Oktober 1981 - 8/8a [X.] 82/80 - [X.], 272, 274 = [X.] 2200 § 551 [X.] 20 insbesondere zu den sogenannten Seltenheitsfällen) oder sonstiger [X.]harakterisierender Merkmale zu stellen (zB ni[X.]ht gemeinsamer Beruf, vgl [X.] in [X.]/Bur[X.]hardt/[X.]/Krus[X.]hinsky, Gesetzli[X.]he Unfallversi[X.]herung, [X.], Kommentar, Stand November 2009, § 9 Rd[X.] 55). Dur[X.]h den "[X.]" wird der Unters[X.]hied zwis[X.]hen der hier anzustellenden allgemeinen und abstrakten Prüfung der Voraussetzungen einer [X.]-Bezei[X.]hnung gegenüber der Prüfung der Voraussetzungen einer [X.] im Einzelfall betont (vgl zum [X.] im [X.] Re[X.]ht au[X.]h: BSG vom 2. April 2009 - [X.] U 33/07 R - [X.], 54 = [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 3101 [X.] 5).

Ents[X.]heidend für die Voraussetzung "Einwirkungen" bei der Prüfung einer Bezei[X.]hnung ist das Erfordernis "den Einwirkungen ausgesetzt sein in erhebli[X.]h höherem Grade als die übrige Bevölkerung", wobei es au[X.]h genügt, wenn die Versi[X.]herten sol[X.]hen Einwirkungen ausgesetzt sind, denen die übrige Bevölkerung ni[X.]ht ausgesetzt ist (vgl viele allein im Berufsleben vorkommende S[X.]hadstoffe), weil dies zwangsläufig ein Ausgesetztsein in erhebli[X.]h höherem Grade na[X.]h si[X.]h zieht. Notwendige Vorbedingung für die Prüfung eines Ausgesetztseins in erhebli[X.]h höherem Grade ist eine Konkretisierung der Einwirkungen hinsi[X.]htli[X.]h ihrer Ausgestaltung oder Art sowie ihres Ausmaßes.

Dass S[X.]hüler im Rahmen eines S[X.]hulbesu[X.]hs Einwirkungen ausgesetzt sind, die von denen der übrigen Bevölkerung abwei[X.]hen, liegt auf der Hand. Der Kläger meint jedo[X.]h, dass ni[X.]ht auf die allgemeinen Einwirkungen abzustellen sei, sondern auf die speziellen Einwirkungen, die eine "Standard-Bes[X.]hulung" ohne Berü[X.]ksi[X.]htigung der Teilleistungsstörungen Legasthenie und Dyskalkulie auf entspre[X.]hend behinderte S[X.]hüler habe, wenn keine adäquate Förderung erfolge. Derartige spezifis[X.]he Einwirkungen hat das [X.] aber ni[X.]ht festgestellt. Es hat vielmehr ausgeführt, Legastheniker würden im [X.] S[X.]hulsystem ni[X.]ht anders bes[X.]hult wie Ni[X.]ht-Legastheniker. Sie seien daher keinen anderen Einwirkungen im S[X.]hulsystem ausgesetzt wie ni[X.]ht-legasthene S[X.]hüler.

Selbst wenn aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung und entspre[X.]hend dem Vortrag des [X.] von vielfältigen Interaktionen zwis[X.]hen Lehrern und S[X.]hülern sowie der S[X.]hüler untereinander im Rahmen eines S[X.]hulbesu[X.]hes ausgegangen wird und dem vom [X.] festgestellten Mangel an spezieller individueller Förderung von Legasthenikern an [X.] S[X.]hulen, so ersetzt dies ni[X.]ht die Voraussetzung "Einwirkungen". Ein Ni[X.]hts oder ein bloßer Mangel sind keine Einwirkungen und sei es au[X.]h nur in psy[X.]his[X.]her Form auf den Körper eines Mens[X.]hen bzw bei der vorliegenden Prüfung des zweiten Tatbestandsmerkmals auf eine Gruppe.

Der Senat übersieht, insbesondere in Würdigung des Vortrags des [X.] zu seinem persönli[X.]hen S[X.]hi[X.]ksal, ni[X.]ht, dass derartige Einwirkungen auf S[X.]hüler, die an bestimmten Teilleistungsstörungen leiden, mögli[X.]h sind. Es mangelt jedo[X.]h an Feststellungen des [X.] zu derartigen spezifis[X.]hen Einwirkungen auf die Gruppe der an Legasthenie und Dyskalkulie leidenden S[X.]hülern in den [X.] S[X.]hulen. Der Kläger hat insofern keine Aufklärungsrügen erhoben. Er hat zwar auf sein S[X.]hi[X.]ksal hingewiesen, als er angeführt hat, dass "viele Legastheniker/Dyskalkuliker" aufgrund einer seelis[X.]hen Behinderung Leistungen na[X.]h § 35a [X.]I vom Jugendamt erhielten. Dies alles ersetzt jedo[X.]h ni[X.]ht entspre[X.]hende Feststellungen dur[X.]h das [X.] hinsi[X.]htli[X.]h der erforderli[X.]hen Einwirkungen bzw beim Fehlen sol[X.]her Feststellungen die für ein erfolgrei[X.]hes Revisionsverfahren notwendigen [X.] seitens des [X.] (vgl § 163 Abs 2 Satz 3 Sozialgeri[X.]htsgesetz <[X.]>).

Aus Art 3 Abs 3 Satz 2 GG, der lautet: "Niemand darf wegen seiner Behinderung bena[X.]hteiligt werden.", der vom Kläger angeführten Ents[X.]heidung des [X.] vom 8. Oktober 1997 ([X.]E 96, 288 ff) zum Verbot der Bena[X.]hteiligung Behinderter sowie dem Übereinkommen der [X.] vom 13. Dezember 2006 über die Re[X.]hte von Mens[X.]hen mit Behinderungen (zustimmendes deuts[X.]hes Gesetz vom 21. Dezember 2008, [X.] 1419) folgt ni[X.]hts anderes. Na[X.]h dem Bena[X.]hteiligungsverbot darf niemand wegen seiner Behinderung bena[X.]hteiligt werden und eine sol[X.]he Bena[X.]hteiligung liegt ni[X.]ht nur bei Regelungen und Maßnahmen vor, die die Situation des Behinderten wegen seiner Behinderung vers[X.]hle[X.]htern, vielmehr kann eine Bena[X.]hteiligung au[X.]h bei einem Auss[X.]hluss von Entfaltungs- und Betätigungsmögli[X.]hkeiten dur[X.]h die öffentli[X.]he Gewalt gegeben sein, wenn dieser ni[X.]ht dur[X.]h eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme hinlängli[X.]h kompensiert wird, und dies gilt insbesondere im Berei[X.]h der S[X.]hulen ([X.]E aaO, Rd[X.] 69 ff).

Vorliegend ist jedo[X.]h ni[X.]ht die Gewährung von speziellen Fördermaßnahmen für eine bestimmte Gruppe behinderter Mens[X.]hen umstritten. Au[X.]h verneint der Senat ni[X.]ht, dass es [X.]en aufgrund von psy[X.]his[X.]hen Einwirkungen geben kann. Ents[X.]heidend ist vorliegend vielmehr auf [X.], dass es keine Feststellungen des [X.] bzw [X.] des [X.] zum Unterlassen sol[X.]her Feststellungen dur[X.]h das [X.] hinsi[X.]htli[X.]h spezifis[X.]her Einwirkungen gibt, denen S[X.]hüler, die an Legasthenie und Dyskalkulie leiden, in [X.] S[X.]hulen ausgesetzt sind. Als vorliegend zu berü[X.]ksi[X.]htigende und der Ents[X.]heidung des Revisionsgeri[X.]hts zu Grunde zu legende Einwirkungen kommen daher nur die allgemeinen Einwirkungen des S[X.]hulbesu[X.]hs auf S[X.]hüler in Betra[X.]ht.

[X.]) Die Zure[X.]hnung dieser Einwirkungen, denen alle S[X.]hüler ausgesetzt sind, zur versi[X.]herten Tätigkeit als S[X.]hüler wirft keine Fragen auf.

d) Als Krankheit, die der [X.]-Bezei[X.]hnung iS des § 9 Abs 1 [X.] zu Grunde zu legen wäre, kommt ausgehend von der vom Kläger geltend gema[X.]hten und vom [X.] bei ihm festgestellten Erkrankung eine sekundäre Neurotisierung oder allgemeiner eine psy[X.]his[X.]he Erkrankung in Betra[X.]ht, au[X.]h wenn es insofern an der vom Senat gerade für die Ursa[X.]henbeurteilung bei psy[X.]his[X.]hen Erkrankungen geforderten Einordnung der Erkrankung in ein international anerkanntes Diagnosesystem wie das [X.] oder [X.] mangelt (vgl BSG vom 9. Mai 2006 - [X.] U 1/05 R - [X.], 196 = [X.] 4-2700 § 8 [X.] 17, jeweils Rd[X.] 22).

e) Der Ursa[X.]henzusammenhang zwis[X.]hen den Einwirkungen, denen alle S[X.]hüler ausgesetzt sind (siehe oben b), und dieser Erkrankung kann jedo[X.]h na[X.]h den Feststellungen des [X.] ni[X.]ht bejaht werden.

Der generelle Ursa[X.]henzusammenhang zwis[X.]hen den Einwirkungen und der Krankheit bei der Prüfung der Voraussetzungen einer [X.]-Bezei[X.]hnung unters[X.]heidet si[X.]h aufgrund der allgemeinen und abstrakten Prüfungsebene von dem Ursa[X.]henzusammenhang bei der Prüfung der haftungsbegründenden Kausalität beim einzelnen Arbeitsunfall oder der Listen-[X.] im Einzelfall (vgl dazu BSG vom 9. Mai 2006 - [X.] U 1/05 R - aaO; BSG vom 2. April 2009 - [X.] U 9/08 R - aaO). Denno[X.]h gilt au[X.]h insofern die Theorie der wesentli[X.]hen Bedingung (vgl zusammenfassend zu dieser: BSG vom 9. Mai 2006 aaO).

Dieser generelle Ursa[X.]henzusammenhang zwis[X.]hen den Einwirkungen, denen S[X.]hüler im Rahmen ihres Besu[X.]hs von allgemeinbildenden S[X.]hulen in [X.] ausgesetzt sind, und psy[X.]his[X.]hen Erkrankungen ist na[X.]h den Feststellungen des [X.] zu verneinen. Denn es hat ausgeführt, wissens[X.]haftli[X.]he Erkenntnisse, na[X.]h denen die Ausgestaltung des S[X.]hulunterri[X.]hts in [X.]s allgemeinbildenden S[X.]hulen ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöhtes Risiko der S[X.]hüler zur Folge habe, psy[X.]his[X.]h zu erkranken, habe der Kläger ni[X.]ht behauptet und seien au[X.]h ni[X.]ht erkennbar.

Der Kläger hat insofern keine Verfahrensrüge erhoben, sondern nur im Rahmen seiner Revisionsbegründung ausgeführt, dass "die Tatsa[X.]he, dass S[X.]hule krankma[X.]hen kann", seit Längerem allgemein bekannt sei. Damit hat er jedo[X.]h keine Verfahrensrüge iS der § 163, § 164 Abs 2, Satz 3 [X.] vorgebra[X.]ht, weil dieses Vorbringen im Ergebnis (nur) eine Rüge der Beweiswürdigung des [X.] darstellt. Eine Rüge der na[X.]h § 128 Abs 1 Satz 1 [X.] freien Beweiswürdigung des [X.] ist zwar im Revisionsverfahren zulässig, das Revisionsgeri[X.]ht kann jedo[X.]h nur prüfen, ob das Tatsa[X.]hengeri[X.]ht bei der Beweiswürdigung gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen hat, und ob es das Gesamtergebnis des Verfahrens ausrei[X.]hend und umfassend berü[X.]ksi[X.]htigt hat (stRspr vgl nur BSG vom 31. Mai 2005 - [X.] U 12/04 R - [X.] 4-5671 Anl 1 [X.] 2108 [X.] 2 Rd[X.] 18, [X.], [X.], 9. Aufl 2008, § 128 Rd[X.] 10 mwN). Zu diesen Voraussetzungen ist dem Vorbringen des [X.] ni[X.]hts zu entnehmen.

Die Kostenents[X.]heidung folgt aus §§ 183, 193 [X.].

Meta

B 2 U 13/09 R

27.04.2010

Bundessozialgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: U

vorgehend SG Lüneburg, 17. Mai 2006, Az: S 2 U 124/05, Gerichtsbescheid

§ 9 Abs 2 SGB 7, § 9 Abs 1 S 2 SGB 7

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 27.04.2010, Az. B 2 U 13/09 R (REWIS RS 2010, 7226)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 7226

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