Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.09.2012, Az. VIII ZR 330/11

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 2782

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[X.]UNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

VERSÄUMNISURTEIL
VIII ZR 330/11
Verkündet am:

26. September 2012

Ring,

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.]G[X.] § 573 Abs. 1
Satz 1
Auch wenn der Vermieter, der eine andere Wohnung in demselben Haus bewohnt, die vermietete Wohnung nicht nur überwiegend, sondern ausschließlich für seine berufliche Tätigkeit nutzen will, ist das hierdurch begründete Interesse gemäß §
573 Abs.
1 Satz
1 [X.]G[X.] an der [X.]eendigung des Mietverhältnisses den in § 573 Abs. 2 [X.]G[X.] beispielhaft aufgeführten gesetzlichen Kündigungsgründen gleichwertig (Fort-führung von [X.], [X.]eschluss vom 5. Oktober 2005 -
VIII
ZR 127/05, [X.], 943).

[X.], Versäumnisurteil vom
26. September 2012 -
VIII ZR 330/11 -
LG [X.]erlin

AG [X.]erlin-Charlottenburg

-
2
-
Der VIII.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 26. September 2012
durch den Vorsitzenden [X.], [X.]
Frellesen, die Richterin
Dr.
[X.] sowie [X.]
[X.] und Dr.
Schneider
für Recht erkannt:
Auf die Revision des [X.] wird das Urteil
der
Zivilkammer 65 des Landgerichts [X.]erlin
vom 8.
November 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das [X.]erufungsge-richt zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die [X.]eklagten sind seit dem [X.] Mieter der streitgegenständlichen Wohnung in [X.].

. Der Kläger trat durch Erwerb des [X.] in den Mietvertrag ein.
Mit Schreiben vom 2.
November 2009 kündigte der Kläger das Mietver-hältnis zum 30.
April 2010 wegen Eigenbedarfs für seine Ehefrau, die beabsich-1
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tige, ihre Anwaltskanzlei nach [X.].

in die Wohnung der [X.]eklagten zu verlegen. Die [X.]eklagten widersprachen der Kündigung und machen Härtegründe geltend.
Das Amtsgericht hat die Räumungsklage des [X.] abgewiesen. Die hiergegen gerichtete [X.]erufung des [X.]
hat das
Landgericht zurückgewie-sen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klage-begehren weiter.

Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.

Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu [X.], da die [X.]eklagten in der mündlichen Revisionsverhandlung trotz ord-nungsgemäßer Ladung nicht anwaltlich vertreten waren. Inhaltlich beruht das Urteil indessen nicht auf der Säumnis der [X.]eklagten, sondern auf einer Sach-prüfung (vgl. [X.], Urteil vom 4.
April 1962 -
V
ZR 110/60, [X.]Z 37, 79, 81
f.).
I.
Das [X.]erufungsgericht hat zur [X.]egründung seiner Entscheidung im [X.] ausgeführt:
Der Kläger habe gegen die [X.]eklagten keinen Anspruch auf Räumung der von ihnen innegehaltenen Wohnung aus §
546 Abs.
1 [X.]G[X.]. Das Mietverhältnis der Parteien
sei durch die Kündigung vom 2.
November 2009 nicht beendet worden. Die Voraussetzungen von §
573 Abs.
2 Nr.
2, §
573 Abs.
1 Satz
1 [X.]G[X.] seien nicht gegeben.

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-
Der Anwendungsbereich des §
573 Abs.
2 Nr.
2 [X.]G[X.] sei schon deshalb nicht eröffnet, weil der vom Kläger geltend gemachte [X.]edarf nicht auf die [X.] teilweise Nutzung der Wohnung zu Wohnzwecken, sondern auf die ausschließliche Nutzung zu beruflichen Zwecken gerichtet sei. Auch eine ent-sprechende Anwendung der Vorschrift komme mangels Regelungslücke nicht in [X.]etracht.
Zwar könne sich die Wirksamkeit einer Kündigung des Vermieters wegen der beabsichtigten Nutzung der Wohnung zu beruflichen Zwecken naher [X.] aus §
573 Abs.
1 Satz
1 [X.]G[X.] ergeben. Die Kündigung habe hier jedoch keinen Erfolg, weil der Kläger ein das [X.]estandsinteresse der [X.]eklagten als Mie-ter überwiegendes berechtigtes Interesse des [X.] an der [X.]eendigung des Mietverhältnisses nicht hinreichend dargelegt habe.
Zugunsten des Kläger
könne
als zutreffend unterstellt werde, dass der (Haupt-)Wohnsitz des [X.] und seiner Ehefrau nach [X.].

(in das [X.])
verlegt werde und seine Ehefrau beabsichtige, ihre An-waltstätigkeit in [X.].

auszuüben. Diese Gründe seien auch durchaus [X.] und vernünftig. Gleichwohl
ergebe sich daraus kein Nutzungsinte-resse von so hinreichendem Gewicht, dass es geeignet sei, den [X.]eklagten ge-genüber den Verlust der Wohnung und damit des Lebensmittelpunkts einer dreiköpfigen Familie zu rechtfertigen.
II.
Die [X.]eurteilung
des [X.]erufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Nachprü-fung nicht stand. Mit der vom [X.]erufungsgericht gegebenen [X.]egründung kann die Wirksamkeit der Kündigung vom 2.
November 2009 nicht verneint werden.
Entgegen der Auffassung des [X.]erufungsgerichts hat der
Kläger ein berechtigtes 8
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Interesse im Sinne von §
573 Abs.
1 Satz
1 [X.]G[X.] an der [X.]eendigung des [X.] über die von den [X.]eklagten gemietete Wohnung dargelegt.
1.
Die [X.]eantwortung der Frage, ob ein berechtigtes Interesse im Sinne von §
573 Abs.
1 Satz
1 [X.]G[X.] gegeben ist, erfordert eine umfassende Würdi-gung der Umstände des Einzelfalls. Sie obliegt in erster Linie dem Tatrichter und kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer rechtsfehlerfrei gewonnen Tatsachengrundlage beruht, alle maßgeblichen Ge-sichtspunkte berücksichtigt worden sind und der Tatrichter den zutreffenden rechtlichen Maßstab angewandt hat (Senatsurteile vom 9.
Mai 2012 -
VIII
ZR 238/11, [X.], 388 Rn.
10;
vom
23.
Mai 2007 -
VIII
ZR 122/06, NJW-RR 2007, 1460 Rn.
11 und VIII
ZR 113/06, [X.], 459 Rn.
11). Der Prüfung anhand dieses Maßstabs halten die Ausführungen des [X.]erufungsgerichts indes nicht stand.
Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der [X.]eendigung des [X.]
setzt zum einen voraus,
dass der Vermieter vernünftige Gründe für die Inanspruchnahme der Wohnung hat, die den [X.] nachvoll-ziehbar erscheinen lassen (vgl. Senatsurteil vom 23.
Mai 2007 -
VIII
ZR 122/06, aaO Rn.
12). Zum anderen ist zu beachten, dass der Kündigungstatbestand des §
573 Abs.
1 Satz
1 [X.]G[X.] den in §
573 Abs.
2 [X.]G[X.] genannten [X.] gleichgewichtig ist, da sonst der Schutzzweck des Gesetzes vereitelt würde (vgl. [X.]VerfGE 84, 366, 371
f.
zu §
564a [X.]G[X.] aF; Senatsurteil vom 9.
Mai 2012 -
VIII
ZR 238/11, aaO
Rn.
13 mwN; [X.]/[X.], [X.]G[X.], [X.]. 2011,
§
573 Rn.
176). Für die Frage, ob ein Interesse als berechtigt nach §
573 Abs.
1 Satz
1 [X.]G[X.] anzusehen ist, kommt es daher auch darauf an, ob es ebenso schwer wiegt wie die in §
573 Abs.
2 [X.]G[X.] beispielhaft aufgeführten Kündigungsgründe (Senatsurteil vom 9.
Mai 2012 -
VIII
ZR 238/11, aaO).
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2. [X.]eides
ist hier der Fall. Nach dem
vom [X.]erufungsgericht als wahr un-terstellten Vortrag des [X.], den das Revisionsgericht
seiner
[X.]eurteilung zugrunde zu legen hat, beabsichtigt
der Kläger, der mit seiner Ehefrau eine an-dere Wohnung desselben
Hauses bewohnt, die von den [X.]eklagten innegehal-tene Wohnung seiner Ehefrau
zur Ausübung ihrer
Tätigkeit als Rechtsanwältin
zu überlassen. Wie das [X.]erufungsgericht insoweit zutreffend beurteilt hat, ist
dieser [X.]
nachvollziehbar und vernünftig.
Das vom Kläger [X.] gemachte Interesse ist auch den in §
573 Abs.
2 [X.]G[X.] beispielhaft aufge-führten gesetzlichen Kündigungsgründen gleichwertig.
a) Zwar wird in Rechtsprechung und Schrifttum teilweise die Ansicht ver-treten, dass ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Kündigung
nicht vorliege, wenn die zu kündigende Wohnung ausschließlich zu geschäftlichen Zwecken genutzt werden solle ([X.], [X.], 710; [X.]/[X.], aaO Rn. 95; [X.]lank/[X.]örstinghaus, Miete, 3. Aufl., § 573 [X.]G[X.] Rn.
54). Aus dem Umkehrschluss aus §
573 Abs.
2 Nr.
2 [X.]G[X.], wonach der Vermieter die Räume "als Wohnung benötigen"
müsse,
folge, dass der Gesetzgeber ei-nen derartigen [X.]edarf des Vermieters
ausschließlich zu geschäftlichen [X.] gerade nicht anerkennen wolle. Dies könne nicht durch einen Rückgriff auf den Auffangtatbestand des §
573 Abs.
1 Satz
1 [X.]G[X.] umgangen werden.
b) Dem ist jedoch nicht zu folgen. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist, wenn der Vermieter die vermietete Wohnung überwiegend für eigene gewerbliche Zwecke und nur teilweise für eigene Wohnzwecke nutzen will, das hierdurch begründete Interesse an der [X.]eendigung des Mietverhältnisses nach § 573 Abs. 1
Satz 1
[X.]G[X.] auf Grund der verfassungsrechtlich geschützten
[X.]e-rufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) nicht geringer zu bewerten als der in § 573 Abs.
2 Nr. 2 [X.]G[X.] gesetzlich geregelte Eigenbedarf
des Vermieters zu Wohn-14
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zwecken
(Senatsbeschluss
vom 5.
Oktober 2005 -
VIII
ZR 127/05,
[X.], 943).
An dieser Wertung ändert sich nichts dadurch, dass der Vermieter die vermietete Wohnung ausschließlich für seine berufliche Tätigkeit
oder -
wie hier
-
für die berufliche Tätigkeit eines Familienangehörigen
nutzen will. Denn auch insofern ist ein dem Kündigungsgrund des Eigenbedarfs gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 [X.]G[X.] "artverwandtes"
Interesse vorhanden (vgl. Senatsurteil vom 9.
Mai 2012 -
VIII
ZR 238/11, aaO Rn. 14). Dies gilt umso mehr, wenn sich -
wie hier
nach dem Vortrag des [X.] zu unterstellen ist
-
die selbst genutzte Wohnung des Vermieters und die an die Mieter vermietete Wohnung in [X.] befinden. Die Entscheidung des Vermieters, ob die berufliche Tä-tigkeit innerhalb seiner
Wohnung oder in einer
von seiner Wohnung getrennten, in demselben Haus gelegenen
anderen
Wohnung ausgeübt werden soll, ist zu respektieren, sofern der [X.] nachvollziehbar und vernünftig [X.] ist.

III.
Hiernach kann das Urteil des [X.]erufungsgerichts keinen [X.]estand haben; es ist daher aufzuheben (§
562 Abs.
2 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endent-scheidung reif, weil das [X.]erufungsgericht zu den für die [X.]eurteilung der Wirk-samkeit der Kündigung maßgeblichen Umständen keine Feststellungen getrof-fen hat. Zudem hat das [X.]erufungsgericht verkannt, dass die Interessen
des Mieters nicht im Rahmen der Wirksamkeit der Kündigung gegen die Interessen des Vermieters abzuwägen sind; vielmehr sind die [X.]elange des Mieters, wenn ein Erlangungsinteresse des Vermieters besteht,
im Rahmen der Prüfung des Widerspruchs des Mieters gegen die Kündigung zu berücksichtigen (§§
574, 574a [X.]G[X.] -
sogenannte Sozialklausel). Die Sache ist daher zur neuen Ver-17
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handlung und Entscheidung an das [X.]erufungsgericht zurückzuverweisen (§
563 Abs.
1 Satz
1 ZPO).
[X.]all
Dr. Frellesen
Dr. [X.]

Dr. [X.]
Dr. Schneider
Vorinstanzen:
AG [X.]erlin-Charlottenburg, Entscheidung vom [X.] -
212 [X.] -

LG [X.]erlin, Entscheidung vom 08.11.2011 -
65 [X.]/10 -

Meta

VIII ZR 330/11

26.09.2012

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.09.2012, Az. VIII ZR 330/11 (REWIS RS 2012, 2782)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2782

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VIII ZR 330/11

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