Bundesfinanzhof, Urteil vom 18.12.2019, Az. I R 29/17

1. Senat | REWIS RS 2019, 232

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

(§ 8b Abs. 4 KStG und § 9 Nr. 2a GewStG sind verfassungsgemäß)


Leitsatz

§ 8b Abs. 4 KStG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20.10.2011 in der Rechtssache C-284/09 vom 21.03.2013 (BGBl I 2013, 561, BStBl I 2013, 344) sowie § 9 Nr. 2a GewStG i.d.F. des UntStRefG 2008 vom 14.08.2007 (BGBl I 2007, 1912, BStBl I 2007, 630) sind mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar .

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 06.04.2017 - 1 K 87/15 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war seit 2006 an der [X.] (AG) mit zunächst ... von ... Aktien des Grundkapitals (9,6 %) und seit einer Kapitalerhöhung gemäß Beschluss vom 05.04.2013 mit ... von ... Aktien (8,4 %) beteiligt. Am 02.10.2013 erzielte die Klägerin aus dieser Beteiligung Dividenden in Höhe von ... €.

2

Mit [X.]n vom 30.03.2015 über Körperschaftssteuer für 2013 und über den [X.] für 2013 (Streitjahr) setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) die Körperschaftsteuer und den [X.] erklärungsgemäß auf der Grundlage eines zu versteuernden Einkommens bzw. eines Gewinns aus Gewerbebetrieb in Höhe von ... € unter voller Einbeziehung der Dividenden fest.

3

Die Klägerin erhob dagegen --mit fristgerechter Zustimmung des [X.]-- Sprungklage, mit der sie geltend machte, die von ihr erzielten [X.] seien gemäß § 8b Abs. 1, Abs. 5 des Körperschaftsteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung ([X.]) zu 95 % und damit in Höhe von ... € bei der Ermittlung des Einkommens für die Festsetzung der Körperschaftsteuer wie für die Festsetzung des [X.]s außer Ansatz zu lassen. Die gegenteilige Ansicht des [X.] sei rechtswidrig, weil § 8b Abs. 4 [X.], § 9 Nr. 2a des [X.] in der im Streitjahr geltenden Fassung (GewStG) gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verstießen.

4

Das Finanzgericht (FG) Hamburg hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 06.04.2017 - 1 K 87/15 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2017, 1117) als unbegründet abgewiesen.

5

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, welche diese weiterhin auf die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG stützt. Sie beantragt, unter Aufhebung des [X.] des [X.] vom 06.04.2017 - 1 K 87/15 die [X.] vom 30.03.2015 über Körperschaftsteuer für 2013 und über den [X.] für 2013 dahingehend zu ändern, dass der für die Besteuerung maßgebliche Gesamtbetrag um ... € niedriger angesetzt wird.

6

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

7

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass weder § 8b Abs. 4 [X.] noch § 9 Nr. 2a [X.] gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.

8

1. Die Klägerin hat ihre Steuererklärungen --trotz der von ihr vorgebrachten verfassungsrechtlichen [X.] in Übereinstimmung mit §§ 8b Abs. 4 [X.] und 9 Nr. 2a [X.] eingereicht und das [X.] hat sie mit den angefochtenen Bescheiden vom 30.03.2015 entsprechend den einfachgesetzlichen Vorgaben veranlagt.

9

a) Gemäß § 8b Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 [X.] i.d.[X.] zur Umsetzung des [X.] vom 20.10.2011 in der Rechtssache [X.]/09 vom 21.03.2013 ([X.], 561, BStBl I 2013, 344) sind Bezüge [X.] des Abs. 1 der Vorschrift abweichend von Abs. 1 Satz 1 bei der Ermittlung des Einkommens zu berücksichtigen, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10 % des Grund- oder Stammkapitals betragen hat. Nach § 34 Abs. 7a Satz 2 [X.] in der vorgenannten Fassung ist § 8b Abs. 4 [X.] erstmals für Bezüge [X.] des § 8b Abs. 1 [X.] anzuwenden, die nach dem 28.02.2013 zufließen. Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit, dass die der Klägerin seitens der [X.] zugeflossenen Dividenden in Höhe von ... €, welche unzweifelhaft Bezüge [X.] des § 8b Abs. 1 Satz 1 [X.] darstellen, gemäß Abs. 4 der Vorschrift i.d.F. des vorgenannten Gesetzes bei der Ermittlung ihres Einkommens in voller Höhe zu berücksichtigen waren, da die Klägerin zu Beginn des Streitjahres zu weniger als 10 % an der AG beteiligt war.

b) Gemäß § 7 [X.] ist der Gewerbeertrag der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder des Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, vermehrt und vermindert um die in den §§ 8 und 9 [X.] bezeichneten Beträge. Gemäß § 9 Nr. 2a [X.] i.d.[X.] 2008 (UntStRefG 2008) vom 14.08.2007 ([X.], 1912, BStBl I 2007, 630) ist eine Kürzung um die Gewinne aus Anteilen an einer nicht steuerbefreiten inländischen Kapitalgesellschaft vorzunehmen, wenn die Beteiligung zu Beginn des Erhebungszeitraums mindestens 15 % des Grund- oder Stammkapitals beträgt. Bei der vorliegenden Beteiligung der Klägerin an der AG in Höhe von weniger als 10 % ist mithin eine Kürzung ausgeschlossen. Der Senat sieht dazu von weiteren Ausführungen ab.

2. Das [X.] ist davon ausgegangen, dass § 8b Abs. 4 [X.] nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Der Senat teilt diese Ansicht; er kann dabei offen lassen, ob sich § 8b [X.] als finanz- und wirtschaftspolitische Lenkungsnorm (in diese Richtung Beschluss des [X.] vom 12.10.2010 - 1 BvL 12/07, [X.] 127, 224, Rz 61) oder aber als Fiskalzwecknorm darstellt, denn jedenfalls sind die an Letztere zu stellenden strengeren verfassungsrechtlichen Anforderungen erfüllt.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] hat der Gesetzgeber im Bereich des Steuerrechts bei der Auswahl des [X.] und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 21.06.2006 - 2 BvL 2/99, [X.] 116, 164; vom 09.12.2008 - 2 BvL 1/07, [X.] 122, 210; vom 04.02.2009 - 1 BvL 8/05, [X.] 123, 1; in [X.] 127, 224). Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern ([X.]-Beschlüsse in [X.] 116, 164; in [X.] 122, 210). Die für die Lastengleichheit im Einkommensteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit bemisst der einfache Gesetzgeber nach dem objektiven und dem subjektiven Nettoprinzip ([X.]-Beschluss in [X.] 122, 210). Die Grundsätze der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und damit das objektive Nettoprinzip gelten gleichermaßen im Bereich der Körperschaftsteuer ([X.]-Beschluss in [X.] 127, 224). Bei der Ausgestaltung des [X.] muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes ([X.]-Beschlüsse in [X.] 116, 164; in [X.] 123, 1). Als besondere sachliche Gründe für Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen erkennt das [X.] in ständiger Rechtsprechung neben außerfiskalischen Förderungs- und Lenkungszwecken auch Typisierungs- und Vereinfachungserfordernisse an (vgl. [X.]-Beschlüsse in [X.] 123, 1; in [X.] 122, 210). Außerdem steht dem Gesetzgeber die Möglichkeit offen, neue Regelungen im Rahmen eines Prinzipien- oder Systemwechsels einzuführen ([X.]-Beschluss in [X.] 122, 210). Der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung ist zwar nicht als besonderer sachlicher Grund in diesem Sinne anzuerkennen (vgl. [X.]-Beschlüsse in [X.] 116, 164; in [X.] 122, 210; vom 29.03.2017 - 2 BvL 6/11, [X.] 145, 106), allerdings ist ein qualifizierter Fiskalzweck, bei dem neben die Einnahmeerzielung etwa das Ziel der Verstetigung der Staatseinnahmen durch Dämpfung der Steuerauswirkungen konjunktureller Schwankungen tritt, als besonderer sachlicher Rechtfertigungsgrund anzuerkennen (vgl. Senatsbeschluss vom 14.10.2015 - I R 20/15, [X.], 44, BStBl II 2017, 1240, m.w.N.).

b) Nach der Überzeugung des erkennenden Senats genügt § 8b Abs. 4 [X.] den vorgenannten Maßstäben.

aa) Der [X.] ([X.]) hatte durch Urteil Kommission/ [X.] vom 20.10.2011 - [X.]/09 ([X.]:C:2011:670, Slg. 2011, [X.]) entschieden, dass die Bundesrepublik [X.] ([X.]) gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 56 Abs. 1 des [X.] [X.] i.d.F. des [X.] zur Änderung des [X.] [X.], der Verträge zur Gründung der [X.]en sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte --EG-- (Amtsblatt der [X.]en --[X.]-- 2002, Nr. [X.], 1), jetzt Art. 63 des [X.] Arbeitsweise der [X.] i.d.[X.] zur Änderung des [X.] [X.] und des [X.] [X.] (Amtsblatt der [X.] --ABl[X.]-- 2008, Nr. [X.], 47) verstoßen hat, indem sie für den Fall, dass die in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der [X.] (Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23.07.1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, [X.] 1990, Nr. L 225, 6, Nr. L 266, 20, 1997 Nr. L 16, 98, zuletzt geändert durch die Richtlinie 2011/96/[X.] des Rates vom 30.11.2011, ABl[X.] 2011, Nr. L 345, 8) vorgesehene Mindestbeteiligung der Muttergesellschaft am Kapital der Tochtergesellschaft nicht erreicht ist, Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten ausgeschüttet werden, wirtschaftlich einer höheren Besteuerung unterwarf als Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in [X.] ausgeschüttet wurden. Zugleich hatte der [X.] auf einen Verstoß gegen Art. 40 des Abkommens über den [X.] (EWR-Abkommen vom 02.05.1992, [X.] 1994, Nr. L 1, 3) erkannt, soweit Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in [X.] oder in [X.] ausgeschüttet werden, wirtschaftlich einer höheren Besteuerung unterworfen werden als Dividenden, die an Gesellschaften mit Sitz in [X.] ausgeschüttet werden.

bb) Der [X.] Gesetzgeber hat auf dieses Urteil wie folgt reagiert:

aaa) Während der ursprüngliche Gesetzesentwurf der Bundesregierung (BTDrucks 17/11314, S. 3) lediglich eine Änderung des § 32 [X.] durch Anfügung eines Abs. 5 vorsah, wonach die vom angesprochenen [X.]-Urteil betroffenen gebietsfremden [X.]-/EWR-Körperschaften bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen vollständig von der Kapitalertragsteuer entlastet werden sollten, nahm der Bundesrat ([X.] 736/1/12, S. 2) dazu in der Weise Stellung, dass die vom [X.] gerügte Ungleichbehandlung zwar dadurch beseitigt werden könne, dass nunmehr auch [X.] von der Körperschaftsteuer freigestellt würden. [X.]-rechtlich zulässig sei aber ebenso die --vom Bundesrat bereits in seiner Stellungnahme zum Jahressteuergesetz 2013 --[X.] 2013-- ([X.] 302/1/12, S. 76 f.) angeregte-- steueraufkommensschonende Aufhebung der Steuerbefreiung für Streubesitzdividenden (Beteiligungen von weniger als 10 %), die von inländischen Körperschaften und ausländischen Körperschaften mit einer inländischen Betriebsstätte bezogen würden, sowie für entsprechende Veräußerungsgewinne.

bbb) In seiner Stellungnahme zum [X.] 2013 hat der Bundesrat hierzu erläutert, dass angesichts der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung für die öffentlichen Haushalte nur die 2. Alternative sinnvoll sei. Dadurch entstünden keine Nachteile für die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischen Investoren. Denn durch die Gewährung der Steuerfreiheit auch für ausländische Gesellschaften würden nicht die Unternehmen bzw. die ausländischen Investoren begünstigt, sondern in erster Linie die ausländischen Fisci, die zukünftig die in [X.] einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht mehr als Quellensteuer anrechnen müssten. Weiterhin hat der Bundesrat ausgeführt, dass mit der Einführung einer Steuerpflicht für die Streubesitzdividenden und Veräußerungsgewinne sich [X.] im Übrigen den internationalen Gepflogenheiten annähere. Nahezu alle [X.] in [X.] gewährten die Steuerfreiheit für Dividenden und Veräußerungsgewinne nur bei Überschreiten einer Mindestbeteiligungsquote. Viele [X.] würden zusätzlich Mindesthaltefristen für die Beteiligungen kennen. Mit der beabsichtigten Änderung führe [X.] somit seine überaus großzügige [X.]sregel auf das international übliche Maß zurück ([X.] 302/1/12, S. 76 f.).

ccc) Auch der Finanzausschuss empfahl dem Bundesrat die Anrufung des Vermittlungsausschusses und führte aus ([X.] 632/1/12, S. 32 f.), die beanstandeten Sachverhalte beträfen Beteiligungen im Streubesitz ausländischer Körperschaften. Bei [X.] an [X.]-Körperschaften werde bereits nach der [X.] in vollem Umfang vom Kapitalertragsteuerabzug Abstand genommen. Auch soweit ein Doppelbesteuerungsabkommen eine Quellensteuerfreistellung oder –ermäßigung für [X.] vorsehe, werde die Kapitalertragsteuer auf Antrag (voll oder teilweise) durch das [X.] erstattet. Mit der Aufhebung der Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 1 [X.] für Streubesitzdividenden (Beteiligungen von weniger als 10 %), die von inländischen Körperschaften und ausländischen Körperschaften mit einer inländischen Betriebsstätte bezogen würden, werde die [X.] für inländische und ausländische Kapitalgesellschaften angeglichen. Die Besteuerung erfolge für inländische Kapitalgesellschaften und für ausländische Kapitalgesellschaften mit inländischer Betriebsstätte im Rahmen der Veranlagung und für ausländische Kapitalgesellschaften ohne inländische Betriebsstätte durch den abgeltenden Steuerabzug. Die unterschiedliche Behandlung der Erträge von Beteiligungen, an denen der Anteilseigner zu mindestens 10 % und denen, an denen er zu weniger als 10 % beteiligt sei, sei dadurch gerechtfertigt, dass bei einer Streubesitzbeteiligung die Beteiligung als Kapitalanlage angesehen werde und häufig auch keine dauerhafte Beteiligung an der Unternehmung angestrebt sei. Der Anteilseigner könne aufgrund der Höhe seiner Beteiligung keinen unternehmerischen Einfluss auf die Entscheidungen bei der Kapitalgesellschaft ausüben. Bei einer Beteiligung von mindestens 10 % könne hingegen regelmäßig ein betriebliches Engagement des [X.] unterstellt werden.

ddd) Entsprechend den vorstehenden Erwägungen zum [X.] 2013 lehnte der Bundesrat den Gesetzesentwurf der Bundesregierung in BTDrucks 17/11314, S. 3 ab ([X.] 736/12). Bei den Beratungen des Vermittlungsausschusses (BTDrucks 17/12465) ist sodann eine "Kompromisslösung” (vgl. [X.], [X.] --[X.]-- 2013, 529, 531; [X.], Internationales Steuerrecht 2013, 235, 236; Wiese/[X.], [X.] --GmbHR-- 2013, 404, 406) gefunden worden, nach der [X.] die jetzige Fassung des § 8b Abs. 4 [X.] n.F.-- Streubesitzdividenden aus der Steuerbefreiung des § 8b Abs. 1 [X.] ausgenommen werden, während Veräußerungsgewinne weiter steuerfrei bleiben. Die zunächst im Rahmen der Protokollerklärung zum Vermittlungsverfahren ([X.] 17/225, 28160C) erwogene Ausdehnung des § 8b Abs. 4 Satz 1 [X.] auf Veräußerungsgewinne, die später dann in einen Entwurf des [X.] zu einem Investmentsteuerreformgesetz mündete (dazu Ritzer/[X.], [X.] --DStR-- 2015, 2203 ff.), wurde nicht umgesetzt.

cc) § 8b Abs. 4 [X.] durchbricht im Sinne einer nicht folgerichtigen Ausgestaltung die in § 8b Abs. 1 [X.] zum Ausdruck kommende Grundentscheidung des Gesetzgebers, im System des Halb- bzw. Teileinkünfteverfahrens erwirtschaftete Gewinne nur einmal bei der erwirtschaftenden Körperschaft mit Körperschaftsteuer und erst bei der Ausschüttung an natürliche Personen als Anteilseigner mit Einkommensteuer zu besteuern und deswegen zur Vermeidung von Kumulations- oder Kaskadeneffekten in [X.] Bezüge innerhalb gesellschaftlicher Beteiligungsstrukturen bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz zu lassen. Demgemäß wird seit der Einführung des Halbeinkünfteverfahrens durch das Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz) vom [X.] ([X.], 1433, BStBl I 2000, 1428) die Steuerbelastung der körperschaftlichen Gewinne durch die in § 8b Abs. 1 [X.] gewährte Steuerfreistellung typisierend gemindert. Dadurch soll --dem Sinn und Zweck des Halbeinkünfteverfahrens entsprechend-- sichergestellt werden, dass die Körperschaftsteuerbelastung auf [X.] der operativen Körperschaften beschränkt wird und Ausschüttungen nur bei nicht korporierten Gesellschaften nach Maßgabe der Milderungen in § 3 Nr. 40 EStG --und damit entsprechend einer am Leistungsfähigkeitsprinzip orientierten [X.] besteuert werden (vgl. [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 8b Rz 4, m.w.N.). Die in § 8b Abs. 1 [X.] verankerte Steuerfreistellung wird allerdings durch die Ausnahme des § 8b Abs. 4 [X.] für [X.] (Desens, DStR 2013, Beihefter zu Heft 4, S. 13; Wiese/[X.], GmbHR 2013, 404; Grefe, [X.] Steuer-Zeitung [X.], 573, 581; Förster/Lang, [X.] 2013/2014, 103, 110; Kotten/[X.], [X.], 1889, 1892; [X.]/Rengers, § 8b [X.] Rz 116: "systemfremd") eingeschränkt und damit das der Herstellung einer leistungsfähigkeitskonformen Gesamtbelastung dienende System der Steuerfreistellung von Dividenden durchbrochen ([X.]/Licht, [X.], 286, 287; [X.], [X.], 3. Aufl., § 8b Rz 287b; [X.] in [X.]/[X.], a.a.[X.], § 8b Rz 5).

dd) Indessen ist diese Durchbrechung nach der Überzeugung des Senats verfassungsrechtlich gerechtfertigt (ebenso Pung in [X.], Die Körperschaftsteuer, § 8b [X.] Rz 245; Neblung, E[X.] 2017, 1123; [X.]/[X.], Die Unternehmensbesteuerung --[X.]-- 2015, 132, 135; a.[X.], [X.] zum Wirtschaftsrecht --[X.]-- 2013, 353, 358; Anissimov/Stöber, [X.], 379, 381 f.; [X.] in [X.]/[X.], § 8b [X.] Rz 7; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., § 8b Rz 528b; offen gelassen bei [X.], [X.] 2013, 529, 533; [X.]/Licht, StB 2016, 286, 288; [X.], [X.] 2017, 671, 677).

aaa) Der Gesetzgeber hat durch die Einführung des § 8b Abs. 4 [X.] erkennbar keinen Prinzipien- bzw. Systemwechsel vorgenommen, der als solcher eine Ausnahme vom Folgerichtigkeitsgebot rechtfertigen würde. Zwar kann ein solcher Prinzipien- und Systemwechsel auch schrittweise implementiert werden, wenn sich dies an einem umzusetzenden Grundkonzept orientiert (vgl. [X.]-Beschluss in [X.] 122, 210). Eine derartige Absicht hat der Gesetzgeber aber nicht zum Ausdruck gebracht (Hey, [X.] 2013, 353, 357; [X.]/Licht, StB 2016, 286, 288; Karrenbrock/[X.], [X.] 2017, 3327). Die Ankündigung des Gesetzgebers, im Rahmen der anstehenden Investmentsteuerreform die Ausweitung der Steuerpflicht auf Veräußerungsgewinne aus Streubesitz nochmals "ergebnisoffen aufgreifen” zu wollen ([X.] 17/225, 28160C), lässt schon ihrer Formulierung nach nicht auf das Vorhandensein eines planvollen Grundkonzepts schließen, zumal die Ankündigung später nicht weiterverfolgt wurde (Hey, [X.] 2013, 353, 357 f.; [X.]/Licht, StB 2016, 286, 288).

bbb) Auch die Erwägung des Gesetzgebers, die Belastungsentscheidung sei zur Haushaltskonsolidierung erforderlich, führt nach der Rechtsprechung des [X.] für sich genommen nicht zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des § 8b Abs. 4 [X.] (vgl. [X.], [X.] 2013, 529, 533; Hey, [X.] 2013, 353, 357; [X.]/Licht, StB 2016, 286, 288).

ccc) Indessen ist die Herstellung einer europarechtskonformen Rechtslage zur Abgrenzung der Besteuerungshoheiten der betroffenen Fisci als hinreichender Rechtfertigungsgrund im Sinne eines qualifizierten [X.] anzusehen, auch wenn im Gesetzgebungsverfahren die Frage der Haushaltskonsolidierung im Vordergrund gestanden haben mag (vgl. auch [X.] in [X.]/[X.], Aktuelle Steuerpolitik und Gesetzgebung 2012, S. 40). Der Gesetzgeber hat sich insoweit auf die Stellungnahme des Bundesrates zum [X.] 2013 gestützt, die Steuerbefreiung für Streubesitzdividenden auf das [X.]-rechtliche Minimum zu begrenzen. Eine vollständige Steuerfreistellung auch für Gesellschaften mit Sitz in anderen [X.]-/EWR-[X.] wäre über die Vorgaben der [X.] hinausgegangen. Die [X.] verlangt lediglich bei einer Mindestbeteiligung von 10 % eine [X.] vom Steuerabzug an der Quelle für von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschüttete Gewinne, auch wenn damit lediglich Mindestanforderungen formuliert sind, die die Möglichkeit offen lassen, auch bei einer niedrigeren Beteiligungsquote vom Steuerabzug an der Quelle abzusehen (vgl. [X.] in [X.]/Drüen, [X.]/[X.]/[X.], § 8b [X.] Rz 465). Das [X.] hat insoweit zutreffend darauf abgestellt, dass eine innerstaatliche Regelung mit einer vollständigen [X.] vom Steuerabzug unabhängig von der Beteiligungsquote bei ausländischen Beteiligten häufig nicht deren Steuerlast mindern, sondern lediglich dem Ansässigkeitsstaat dieser Beteiligten die Anrechnung der in [X.] einbehaltenen Kapitalertragsteuer auf die dortige Steuer ersparen und damit auch die Möglichkeit eines Quellensteuerabzugs entsprechend Art. 10 Abs. 2 des Musterabkommens der [X.] ([X.] --[X.]--) und entsprechender Doppelbesteuerungsabkommen ([X.]) obsolet machen würde. Der Gesetzgeber hätte zwar mit einer vollständigen Steuerfreistellung auch für Anteilseignerkörperschaften mit Sitz in anderen [X.]-/EWR-[X.] die zuvor in § 8b Abs. 1, Abs. 2 [X.] zum Ausdruck gekommene Grundentscheidung weiterführen und damit den Anforderungen des [X.] entsprechen können. Dies würde jedoch der Abgrenzung der Besteuerungsrechte sowohl nach Maßgabe der [X.] als auch der Art. 10 Abs. 2 [X.] entsprechenden Regelungen in den jeweils einschlägigen [X.] widerstreiten. Aus Sicht des Senats steht es dem Gesetzgeber in einer solchen Situation frei, den beschriebenen Zielkonflikt unter Einbeziehung von Streubesitzdividenden in die Steuerpflicht aufzulösen.

ddd) Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass eine systemkongruente Lösung auch die Einbeziehung von Veräußerungsgewinnen aus Streubesitzbeteiligungen in die Steuerpflicht erfordert hätte. Dass der Gesetzgeber darauf verzichtet hat, auch Veräußerungsgewinne [X.] von § 8b Abs. 2 [X.] einem vergleichbaren "Streubesitzvorbehalt" zu unterwerfen, mag als inkonsequent angesehen werden, doch muss es auch insoweit genügen, wenn der Gesetzgeber nur nach Maßgabe der unionsrechtlichen Anforderungen in das Regelungsgefüge des § 8b [X.] eingreift ([X.], a.a.[X.], § 8b Rz 287b).

3. Die vorstehenden Erwägungen gelten entsprechend für § 9 Nr. 2a [X.], der ebenfalls mit den Vorgaben der Verfassung vereinbar ist.

a) Der Senat hat bereits durch Beschluss vom 30.05.2014 - I R 12/13 ([X.]NV 2014, 1402) dahin erkannt, dass die durch das UntStRefG 2008 von zuvor 10 % auf 15 % angehobene Mindestbeteiligungsquote mit den Vorgaben des Verfassungsrechts vereinbar ist. Zwar haben offenbar auch dieser Gesetzesänderung vor allem fiskalische und haushalterische Erwägungen zugrunde gelegen (BTDrucks 16/5491, S. 23 f.), gleichwohl vermag der Senat nicht zu erkennen, dass derartige Erwägungen den Gesetzgeber daran hindern könnten, wie geschehen zu verfahren.

b) Dem steht --wie der Senat in seinem Beschluss in [X.]NV 2014, 1402 durch Verweis auf das Urteil des Schleswig-Holsteinischen [X.] vom 31.01.2013 - 1 K 82/11 (E[X.] 2013, 538) klargestellt hat-- der Sinn und Zweck des § 9 Nr. 2a [X.] nicht entgegen. Zwar besteht dieser grundsätzlich darin, eine doppelte Besteuerung ausgeschütteter Gewinne mit Gewerbesteuer sowohl beim Anteilseigner als auch bei der Kapitalgesellschaft zu verhindern, er besteht hingegen nicht darin, die einmalige Erhebung von Gewerbesteuer auf [X.] zu vermeiden (Senatsbeschluss vom 24.01.2012 - I B 34/11, [X.]NV 2012, 1175). Zwar hätte es bei letzterer Zielsetzung möglicherweise nahe gelegen, die Kürzung um Gewinne aus Anteilen an Kapitalgesellschaften ohne Rücksicht auf die Höhe der Beteiligung zuzulassen (so etwa [X.] in [X.]/[X.], [X.], § 9 Nr. 2a Rz 11). Der Gesetzgeber hat sich aber anders entschieden und sich insoweit im Rahmen des weiten Gestaltungsspielraums bewegt, der ihm bei der Normierung eines [X.], wie ihn das [X.] darstellt, zusteht. Die Bedenken gegen die Konsequenz und Folgerichtigkeit erreichen jedenfalls nicht die Höhe der verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit (ebenso [X.]/[X.], § 9 [X.] Rz 168; [X.] in [X.]/[X.], a.a.[X.], § 9 Nr. 2a Rz 13a; Güroff in Glanegger/Güroff, [X.], 9. Aufl., § 9 Nr. 2a Rz 4; [X.] in [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.], § 9 Nr. 2a Rz 12 f.).

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

I R 29/17

18.12.2019

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend FG Hamburg, 6. April 2017, Az: 1 K 87/15, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, § 8b Abs 4 KStG 2002 vom 21.03.2013, § 9 Nr 2a GewStG 2002 vom 14.08.2007, KStG VZ 2013, GewStG VZ 2013, Art 56 Abs 1 EG, Art 63 AEUV, Art 3 Abs 1 Buchst a EWGRL 435/90

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 18.12.2019, Az. I R 29/17 (REWIS RS 2019, 232)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 232

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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(Steuerfreiheit des Gewinns aus der Veräußerung von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften - keine Betriebsausgabenfiktion gemäß …


6 K 145/16 (Niedersächsisches Finanzgericht)


I R 50/19 (Bundesfinanzhof)

Zur Berechnung der Beteiligungsschwelle für Streubesitzdividenden


I R 77/17 (Bundesfinanzhof)

Entlastung von Kapitalertragsteuer trotz Zwischenschaltung einer GbR


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