Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.05.2017, Az. VI ZR 439/16

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 10287

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[X.]:DE:[X.]:2017:300517BVIZR439.16.0

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI [X.]
vom

30. Mai
2017

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO § 397, § 402
a)
Für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläu-terung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, kommt es nicht [X.] an, ob das Gericht noch [X.] sieht oder ob ein solcher von einer [X.] nachvollziehbar dargetan worden ist. Jede [X.] hat einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vor-legen kann (§§
397, 402 ZPO).
b)
Hat das Erstgericht einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gutach-tens nicht entsprochen, so muss das Berufungsgericht dem im zweiten Rechtszug wiederholten Antrag stattgeben.
[X.], Beschluss vom 30. Mai 2017 -
VI [X.] -
OLG [X.]

[X.]

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Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat am 30. Mai 2017
durch den [X.] [X.], [X.], die Richterinnen Dr. [X.] und [X.] und [X.] Klein
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird der Be-schluss des 5. Zivilsenats des [X.] vom 19. August 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als ein Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen eines Fehlers bei der Behandlung vom 16. Januar 2013 verneint worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückver-wiesen.

Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf materiellen und immateriellen Scha-densersatz nach ärztlicher Behandlung in Anspruch.
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Die Klägerin litt unter einer sog. [X.] am linken Fuß. Die Fehlstellung wurde am 16.
Januar 2013 im Krankenhaus der [X.] durch eine Endgelenksarthrodese (Versteifung des Zehs) mittels eines Smart Toe-Implantats operativ versorgt. Da das Implantat in der Folge ausbrach, [X.] es am 3. April 2013 im Hause der [X.] operativ entfernt und stattdes-sen eine intramedulläre Doppelgewindeschraube eingebracht. Die Schraube musste wegen Überstands im Rahmen einer (weiteren) Revisionsoperation vom 11. Juni 2013 entfernt werden. Die Klägerin machte
Behandlungsfehler im Rahmen der Operationen vom 16. Januar und 3. April 2013 sowie im Rahmen der Nachversorgung geltend und führt hierauf ihre Kniebeschwerden
zurück.
Das [X.] hat die Klage auf der Grundlage eines schriftlichen or-thopädisch-unfallchirurgischen [X.] samt Ergänzungsgutachten ab-gewiesen. Von einer mündlichen Anhörung des Sachverständigen hat das [X.] trotz entsprechenden
Antrags der Klägerin abgesehen. Die Beru-fung der Klägerin hat das [X.] zurückgewiesen. Eine Anhörung des Sachverständigen sei nicht erforderlich. Anhaltspunkte für eine Verwechs-lung der bei den Akten befindlichen intraoperativen Röntgenbilder
vom 16. Ja-nuar 2013 oder für deren unzureichende Aussagekraft wegen Fehlens [X.] bestünden entgegen der Auffassung der Klägerin nicht. Im Übrigen fehle es an einer haftungsbegründenden Kausalität, weil die Kniebeschwerden der Klägerin nicht auf die behaupteten Behandlungsfehler, sondern auf eine unabhängig hiervon vorliegende Fehlstellung und auf Verschleiß zurückzufüh-ren seien.
Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, die sie der Sache nach auf Ansprüche aus der ärztlichen Behandlung vom 16. Ja-nuar 2013 beschränkt hat.
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II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 544 ZPO; § 26 Nr. 8 EGZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und [X.] an das Berufungsgericht. Die Nichtzulassungsbe-schwerde macht zu Recht geltend, dass die Klägerin durch die Zurückweisung ihres Antrags auf mündliche Anhörung des Sachverständigen in ihrem verfas-sungsrechtlich geschützten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art.
103 Abs. 1 GG) verletzt wurde.
1. Für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, kommt es nicht darauf an, ob das Gericht noch [X.] sieht oder ob ein solcher von einer [X.] nachvollziehbar dargetan worden ist. Nach ständiger Recht-sprechung des Senats hat die [X.] zur Gewährleistung des rechtlichen [X.] nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachver-ständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorlegen kann (vgl. u.a. Senat, Urteile vom 17. De-zember 1996
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VI ZR 50/96, [X.], 509; vom 7. Oktober 1997 -
VI [X.], [X.], 342, 343; vom 22. Mai 2001 -
VI [X.], VersR
2002, 120, 121 f.; Beschluss vom 21. Februar 2017 -
VI [X.], juris Rn. 3). [X.] besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (st. Rspr., vgl. Se-natsbeschluss vom 25. September 2007 -
VI [X.], [X.], 1697 Rn.
3 mwN). Hat das Erstgericht einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gut-achtens nicht entsprochen, so muss das Berufungsgericht dem im zweiten Rechtszug wiederholten Antrag stattgeben (Senat, Urteil vom 24. Oktober 1995 5
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VI ZR 13/95, [X.], 211; Beschluss vom 10. Mai 2005 -
VI [X.], [X.], 1555).
2. Nach dieser Maßgabe reicht die Begründung des Berufungsgerichts, die schriftlichen Ausführungen des Gutachters ließen eine klare Beurteilung zu, für eine Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen nicht aus. Die Klägerin hat bereits im ersten Rechtszug die Anhörung des Sachverständigen beantragt. Darauf hat sie in ihrer Berufungs-begründung hingewiesen und den Antrag auf Anhörung des Sachverständigen wiederholt. Sie hat dabei und der Sache nach auch in ihrer Stellungnahme auf den Hinweis des Berufungsgerichts nach § 522 Abs.
2 Satz 2 ZPO konkrete Gegenstände der Anhörung, insbesondere die Möglichkeit einer Verwechslung der intraoperativen Röntgenaufnahmen vom 16.
Januar 2013 sowie die Frage von deren Geeignetheit trotz Fehlens [X.] benannt. Unter die-sen Umständen hätte das Berufungsgericht den Sachverständigen anhören müssen, um dem Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs zu genügen.
3. Die Gehörsverletzung ist auch erheblich. Es kann nicht ausgeschlos-sen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Anhörung zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre.
a) Zwar mag die von der Klägerin behauptete Verwechslung der intra-operativen Röntgenaufnahmen vom 16. Januar 2013 wenig wahrscheinlich sein. Doch wurde der Sachverständige mit der Frage einer möglichen Ver-wechslung nicht konfrontiert, so dass er keinen Anlass hatte, in Frage zu [X.], ob es sich bei dem Fuß auf dem ihm vorliegenden Röntgenbild auch wirk-lich um den Fuß der Klägerin
handelt. Unabhängig hiervon hatte die Klägerin 7
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Klärungsbedarf angemeldet hinsichtlich der fehlenden Bildgebung in zwei Ebe-nen.
b) An der Entscheidungserheblichkeit des Gehörsverstoßes fehlt es auch nicht im Hinblick auf die nach den schriftlichen Ausführungen des [X.] nicht anzunehmende Kausalität zwischen den behaupteten Behandlungs-fehlern und den geltend gemachten Kniebeschwerden. Zum einen macht die Klägerin bezüglich der [X.] einen groben Behand-lungsfehler geltend, wonach hinsichtlich der Kausalität unter bestimmten Vo-raussetzungen (vgl. [X.]/[X.], [X.], 7. Aufl., Rn. [X.], 263 mwN) eine Beweislastumkehr in Frage käme. Zum anderen stützt die Klägerin ihren Schmerzensgeldanspruch nicht nur auf die Kniebeschwerden, sondern auch auf die Schmerzen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem ausgebro-chenen Implantat. Jedenfalls insoweit lässt sich eine Klageabweisung allein mit der im Hinblick auf die Knieschmerzen fehlenden Kausalität nicht begründen.
Galke
[X.]
[X.]

Roloff
Klein

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 22.12.2015 -
5 [X.]/14 -

OLG [X.], Entscheidung vom 19.08.2016 -
5 U 19/16 -

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Meta

VI ZR 439/16

30.05.2017

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 30.05.2017, Az. VI ZR 439/16 (REWIS RS 2017, 10287)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 10287

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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