Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.04.2014, Az. X ARZ 172/14

10. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 6067

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Gegenstand

Verweisung an das Gericht eines anderen Rechtswegs: Bindungswirkung bei Unanfechtbarkeit des Beschlusses; Durchbrechung der Bindungswirkung bei objektiver Willkür


Tenor

[X.] ist das [X.].

Gründe

1

I. Die Gläubigerin hat beim [X.] die Festsetzung der Kosten für die anwaltliche Ankündigung der Zwangsvollstreckung aus einem Beschluss des [X.] vom 13. Mai 2013 ([X.] AL 3811/12) über die Festsetzung der der Gläubigerin zu erstattenden außergerichtlichen Kosten beantragt.

2

Das [X.] hat die Verfahrensbeteiligten auf seine Unzuständigkeit als Vollstreckungsgericht hingewiesen und - entsprechend der daraufhin ausgesprochenen Bitte der Gläubigerin um Weiterleitung an das zuständige Prozessgericht - den Kostenfestsetzungsantrag zur weiteren Veranlassung an das [X.] abgegeben.

3

Das [X.] hat, nachdem es den Verfahrensbeteiligten zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte, den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit durch unangefochten gebliebenen Beschluss an das [X.] verwiesen. Dieses hat sich mit Beschluss vom 14. März 2014 für sachlich unzuständig erklärt und das Verfahren nach § 36 ZPO dem [X.] zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Das Amtsgericht ist weiterhin der Auffassung, dass es für die Festsetzung der Kosten der Zwangsvollstreckung im Streitfall nicht zuständig sei, weil § 788 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts für die Festsetzung von Kosten der Zwangsvollstreckung nur für den Fall vorsehe, dass eine Vollstreckungshandlung entweder noch anhängig sei oder bereits stattgefunden habe. Im Streitfall gehe es dagegen ausschließlich um die Kosten für die anwaltliche Ankündigung einer - am Ende nicht vorgenommenen - Zwangsvollstreckung, für deren Festsetzung im Umkehrschluss das Prozessgericht zuständig sei. Das [X.] hat die Sache dem [X.] zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

4

II. [X.] ist in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen.

5

1. Bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend anwendbar. Obwohl ein nach § 17a [X.] ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine - regelmäßig deklaratorische - Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit dann geboten, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, dass der Rechtsstreit von diesem nicht prozessordnungsgemäß gefördert werden wird, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 [X.] vor ihm anhängig ist ([X.], Beschluss vom 14. Mai 2013 - [X.] 167/13, [X.], 1242 Rn. 4 mwN).

6

So liegt der Fall hier. Sowohl das Sozialgericht als auch das Amtsgericht haben eine inhaltliche Befassung mit der Sache abgelehnt.

7

2. Der [X.] ist für die Entscheidung zuständig. Sofern zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben, obliegt die Bestimmung des zuständigen Gerichts demjenigen obersten Gerichtshof des [X.], der zuerst darum angegangen wird ([X.], aaO Rn. 7 mwN).

8

3. Zuständiges Gericht ist das [X.]. Seine Zuständigkeit ergibt sich aus der Bindungswirkung des Beschlusses des [X.] nach § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.].

9

a) Ein nach § 17a [X.] ergangener Beschluss, mit dem ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Gericht eines anderen Rechtswegs verwiesen hat, ist einer weiteren Überprüfung entzogen, sobald er unanfechtbar geworden ist. Ist das zulässige Rechtsmittel nicht eingelegt worden oder ist es erfolglos geblieben oder zurückgenommen worden, ist die Verweisung für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 [X.] bindend ([X.], aaO Rn. 9).

b) Auf die Erwägungen des Amtsgerichts dazu, warum die Systematik der gesetzlichen Regelung eine Zuständigkeit des [X.] und daher die Ausführungen des [X.] in seinem Verweisungsbeschluss nicht geeignet seien, im Streitfall aus § 764 ZPO entgegen dem Wortlaut des § 788 Abs. 2 ZPO eine Zuständigkeit des Amtsgerichts als Vollstreckungsgericht abzuleiten, kommt es nicht an.

Das Gesetz misst zwar der Entscheidung des Rechtsstreits durch das Gericht des zulässigen Rechtswegs größere Bedeutung zu als der Entscheidung durch das örtlich oder sachlich zuständige Gericht. Das gesetzliche Mittel zur Sicherung einer Entscheidung durch das Gericht des zulässigen Rechtswegs ist aber allein die Eröffnung des Rechtsmittels gegen den Verweisungsbeschluss. Ist die örtliche oder sachliche Zuständigkeit zweifelhaft, ist die Verweisung nicht nur bindend (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO), sondern auch der Überprüfung im Rechtsmittelzug entzogen (§ 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Demgegenüber kann die Frage des Rechtswegs im Rechtsmittelzug - uneingeschränkt -überprüft werden, und insoweit muss gegebenenfalls das Interesse der nicht [X.] an einer zügigen Sachprüfung des Klagebegehrens zurücktreten. Damit hat es jedoch auch sein Bewenden: Nicht das Gericht des von dem verweisenden Gericht für zulässig erachteten Rechtswegs, sondern allein das Rechtsmittelgericht ist zu dieser Überprüfung berufen.

Für eine Durchbrechung der Bindungswirkung, wie sie im Anwendungsbereich des § 281 Abs. 1 ZPO insbesondere für objektiv willkürliche Entscheidungen anerkannt ist, ist deshalb jedenfalls grundsätzlich kein Raum. Nicht das Gericht, an das verwiesen wird, sondern die Parteien sollen vor willkürlichen oder sonst jeder gesetzlichen Grundlage entbehrenden Entscheidungen geschützt werden, mit der ihr Streitfall dem zuständigen Gericht und [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entzogen wird. Steht den Parteien aber ein Rechtsmittel zu Gebote und wird dieses nicht genutzt, besteht kein Anlass, dem Gericht des für zulässig erklärten Rechtswegs die Befugnis zuzubilligen, sich an die Stelle des Rechtsmittelgerichts zu setzen ([X.], aaO Rn. 12).

c) Der [X.] hat bislang offenlassen können, ob gleichwohl noch Ausnahmefälle denkbar sind, in denen die bindende Wirkung einer rechtskräftigen Verweisung verneint werden kann, und diese Frage kann auch im Streitfall offenbleiben. Jedenfalls kommt eine Durchbrechung der Bindungswirkung, wie es das [X.]verwaltungsgericht formuliert hat (BVerwG, Beschluss vom 8. November 1994 - 9 AV 1/94, NVwZ 1995, 372) allenfalls bei "extremen Verstößen" gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden [X.] und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht ([X.], Beschlüsse vom 13. November 2001 - [X.] 266/01, NJW-RR 2002, 713; vom 8. Juli 2003 - [X.] 138/03, NJW 2003, 2990, 2991; vom 9. Dezember 2010 - [X.], [X.], 253 Rn. 16; vom 18. Mai 2011 - [X.] 95/11, NJW-RR 2011, 1497 Rn. 9; vom 14. Mai 2013, aaO Rn. 13; s. auch [X.], Beschluss vom 12. Juli 2006 - 5 [X.], [X.], 2798 Rn. 5: nur bei "krassen Rechtsverletzungen"). Von einer solchen schwerwiegenden, nicht mehr hinnehmbaren Verletzung der Rechtswegordnung kann im Streitfall ersichtlich keine Rede sein, zumal auch das Amtsgericht, das zwar dargelegt hat, weshalb es sich für unzuständig hält, nichts aufgezeigt hat, woraus sich zwingend eine Zuständigkeit des [X.] ergeben soll.

[X.]                         Grabinski                                Hoffmann

                     Deichfuß                          Kober-Dehm

Meta

X ARZ 172/14

29.04.2014

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ARZ

vorgehend KG Berlin, 25. März 2014, Az: 18 AR 18/14

§ 36 Abs 1 Nr 6 ZPO, § 281 Abs 1 ZPO, § 17a Abs 2 S 3 GVG, Art 101 Abs 1 S 2 GG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.04.2014, Az. X ARZ 172/14 (REWIS RS 2014, 6067)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 6067

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