Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.05.2023, Az. 6 StR 42/23

6. Strafsenat | REWIS RS 2023, 2596

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Gegenstand

Revision: Absehen von der Erstattung der Kosten des zwischenzeitlich verstorbenen Angeklagten im Zusammenhang mit der Verfahrenseinstellung


Tenor

Das Verfahren wird eingestellt.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens. Es wird davon abgesehen, ihr die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten am 28. Juni 2022 wegen Beihilfe zum Mord in Tateinheit mit Beihilfe zum versuchten Mord zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen hat sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision gewandt. Das Verfahren ist am 13. Februar 2023 beim [X.] eingegangen. Am 11. April 2023 ist der Angeklagte verstorben.

2

1. Der [X.] stellt das Verfahren nach § 206a Abs. 1 [X.] ein, weil durch den Tod des Angeklagten ein Verfahrenshindernis eingetreten ist. Das angefochtene Urteil ist damit gegenstandslos (vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. August 2020 – 6 [X.]; vom 12. Mai 2020 – 5 StR 13/20; vom 8. Juni 1999 – 4 StR 595/97, [X.]St 45, 108).

3

2. Die Kosten des Verfahrens fallen der Staatskasse zur Last (§ 467 Abs. 1 [X.]). Der [X.] sieht jedoch nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 [X.] davon ab, ihr die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind gegeben. Im Revisionsverfahren ist dafür maßgeblich, ob das Rechtsmittel des Angeklagten – ohne das Verfahrenshindernis – erfolglos geblieben wäre (vgl. [X.], Beschlüsse vom 17. September 2020 – 1 StR 576/18; vom 24. Mai 2018 – 4 StR 51/17, NStZ-RR 2018, 294; [X.]/[X.], [X.], 65. Aufl., § 467 Rn. 16a). Dies ist hier der Fall, weil der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen wäre (vgl. [X.], Beschlüsse vom 17. September 2020 – 1 StR 576/18; vom 19. September 2019 – 3 [X.]; vom 13. Februar 2014 – 1 [X.], [X.], 160).

4

a) Der Angeklagte, der vom 20. Januar 1942 bis zum 18. Februar 1945 als Wachmann im [X.] eingesetzt war, wird nur deshalb nicht rechtskräftig verurteilt, weil mit seinem Tod ein Verfahrenshindernis eingetreten ist. Nach den vom [X.] entwickelten Grundsätzen zur rechtlichen Bewertung der durch das [X.] [X.] in Konzentrationslagern begangenen Mordtaten unter dem Gesichtspunkt der Beihilfe (vgl. [X.], Beschluss vom 20. September 2016 – 3 StR 49/16, [X.]St 61, 252 mwN) hätte zumindest die Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord (§§ 211, 27 Abs. 1 StGB) revisionsgerichtlicher Überprüfung standgehalten. Das gilt jedenfalls hinsichtlich der dem Angeklagten insoweit vom [X.] zugerechneten Tötung von mindestens 300 [X.] Kriegsgefangenen im Rahmen der von Juli bis September 1942 durchgeführten „[X.]“ und der Tötung von mindestens 2.600 Lagerinsassen bei der „[X.]“ in der ersten Februarhälfte des Jahres 1945 unmittelbar vor der Räumung des Konzentrationslagers.

5

b) Abweichend von § 467 Abs. 1 [X.] eröffnet § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 [X.] die Möglichkeit, nach billigem Ermessen von der Erstattung der notwendigen Auslagen abzusehen. Bei der Entscheidung ist dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung zu tragen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 26. Mai 2017 – 2 BvR 1821/16, [X.], 2459; vom 29. Oktober 2015 – 2 BvR 388/13, [X.], 159). Besondere Bedeutung hat dabei der Umstand, ob das Verfahrenshindernis bereits vor Anklage bestand oder erst – wie hier – im Laufe des Verfahrens eingetreten ist (vgl. [X.] aaO; KG, [X.] 1991, 479; KK-[X.]/[X.], 9. Aufl., § 467 Rn. 10b). Während in der erstgenannten Konstellation eine Freistellung der Staatskasse in aller Regel ausscheidet, kommt dies anderenfalls etwa dann in Betracht, wenn der Angeklagte das Verfahrenshindernis selbst vorwerfbar herbeigeführt oder aber verschwiegen hat (vgl. MüKo-[X.]/Grommes, § 467 Rn. 24; KK-[X.]/[X.], aaO; [X.]/[X.], aaO Rn. 18). Jedoch ist der Anwendungsbereich der Norm nicht darauf beschränkt. Dies ergibt sich nicht nur aus ihrem weiter gefassten Wortlaut, sondern auch aus ihrer Entstehungsgeschichte. Die Nummer 2 des § 467 Abs. 3 Satz 2 [X.] ist erst auf Betreiben des [X.] nach Einigung im Vermittlungsausschuss eingefügt worden (vgl. dazu ausführlich [X.], [X.], 26. Aufl., § 467 Entstehungsgeschichte und Rn. 50). Dabei war insbesondere auf [X.] hingewiesen worden (vgl. MüKo-[X.]/Grommes, aaO Rn. 19). In den Gesetzesmaterialien wird betont, dass es unbillig sei, wenn vor allem in derartigen Fällen „der Staat einem Verbrecher, der nur aus rein formellen Gründen nicht verurteilt werden kann, auch noch die Anwälte bezahlt“ (vgl. [X.] 05/173 S. 9250).

6

So verhält es sich hier. Das Rechtsmittel des Angeklagten wäre – allenfalls mit Ausnahme einer geringfügigen Korrektur des Schuldspruchs im Hinblick auf das tateinheitlich abgeurteilte Delikt – erfolglos geblieben. Diese Feststellung ist dem [X.] im Revisionsverfahren, zumal nach Ablauf sämtlicher Stellungnahmefristen, ohne Verstoß gegen die Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 [X.] möglich (vgl. [X.]/[X.], aaO Rn. 16a; MüKo-[X.]/Grommes, aaO Rn. 20). Gerade mit Blick auf das [X.] würde es auf Unverständnis stoßen, den Angeklagten von seinen notwendigen Auslagen freizustellen. Angesichts dieses Ergebnisses erübrigt sich die sonst gebotene kritische Auseinandersetzung mit den rechtlichen Ausführungen im Urteil des [X.]s vom 20. Februar 1969 – 2 StR 280/67 (NJW 1969, 2056).

7

3. Die Nebenkläger tragen ihre notwendigen Auslagen selbst. Dies folgt aus § 472 Abs. 1 und 2 [X.], der die Überbürdung der Kosten auf den Angeklagten nur bei seiner Verurteilung oder einer Einstellung nach den §§ 153 ff. [X.] erlaubt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 24. September 2019 – 5 [X.]; vom 23. August 2012 – 4 StR 252/12, [X.], 359).

Sander     

  

Feilcke     

  

Tiemann

  

von Schmettau     

  

Arnoldi     

  

Meta

6 StR 42/23

03.05.2023

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Neuruppin, 28. Juni 2022, Az: 11 Ks 4/21

§ 467 Abs 3 S 2 Nr 2 StPO, § 27 Abs 1 StGB, § 211 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 03.05.2023, Az. 6 StR 42/23 (REWIS RS 2023, 2596)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2596

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 Ws 133/19 (Oberlandesgericht Hamm)


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Zitiert

4 StR 252/12

2 BvR 388/13

2 BvR 1821/16

3 StR 49/16

1 StR 631/13

4 StR 51/17

1 StR 576/18

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