Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.11.2012, Az. 10 C 5/12

10. Senat | REWIS RS 2012, 866

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Tatbestand

1

Der Kläger, ein [X.] Staatsangehöriger, begehrt ein Visum für den Familiennachzug zu seinem in [X.] lebenden Vater.

2

Der am 20. Dezember 1994 geborene Kläger stellte im Juli 2009 einen Antrag auf Erteilung eines Visums zum Zweck des Kindernachzugs zu seinem Vater. Dieser, ebenfalls ein [X.] Staatsangehöriger, lebt seit 1995 im [X.] und erhielt 2000 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Mit Urteil des Familiengerichts [X.] ([X.]) vom 8. April 2008 wurde ihm das alleinige Sorgerecht für den Kläger übertragen.

3

Das Generalkonsulat der Bundesrepublik [X.] in [X.] lehnte den Visumantrag zuletzt mit Remonstrationsbescheid vom 4. Dezember 2009 ab. Der Vater des [X.] sei nicht allein personensorgeberechtigt, da die [X.] Sorgerechtsübertragung wegen Verstoßes gegen den ordre public nicht anzuerkennen sei.

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Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte verpflichtet, dem Kläger ein Visum zum Familiennachzug zu erteilen. Das [X.] hat mit Urteil vom 25. Oktober 2011 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass dem Vater des [X.] das alleinige Sorgerecht zustehe. Der [X.] stehe der Anerkennung der [X.]n [X.] nicht entgegen. Dabei könne dahinstehen, ob sich die Voraussetzungen für die Anerkennung vorrangig nach Art. 7 und Art. 16 des [X.] Minderjährigenschutzabkommens ([X.]) oder nach Art. 7 und Art. 10 des [X.] ([X.]) richteten, da die Regelungen hier zu identischen Ergebnissen führten. Aus beiden Übereinkommen ergebe sich, dass ausländische [X.]en im [X.] grundsätzlich anerkannt werden müssten und die [X.] des ordre public nur ausnahmsweise zum Tragen komme. Dieser Vorbehalt schließe es grundsätzlich aus, ausländische Entscheidungen auf ihre materielle Richtigkeit zu überprüfen. Ein ordre public-Verstoß liege erst vor, wenn das Entscheidungsergebnis nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheine oder die Entscheidung in einem Verfahren zustande gekommen sei, das grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genüge. Das Urteil des [X.]n Familiengerichts entspreche sowohl in verfahrensrechtlicher wie materiellrechtlicher Hinsicht den Anerkennungsvoraussetzungen. Der Kläger sei vom Familiengericht persönlich angehört worden. Der Verzicht auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung führe in Fällen, in denen - wie hier - beide Elternteile und das Kind die beantragte [X.] wünschten, weil sie sich hiervon eine bessere Förderung des Kindes versprächen, nicht zu einer verfahrensrechtlichen Verletzung des ordre public. Ein materiellrechtlicher Verstoß gegen den ordre public liege ebenfalls nicht vor. Unerheblich sei, ob das [X.] Recht eine Sorgerechtsübertragung auf den mit der Kindesmutter nicht verheirateten Vater vorsehe, denn eine Überprüfung am Maßstab [X.]n Rechts sei [X.] Gerichten verwehrt. Die die Übersiedlung zum Vater ermöglichende [X.] sei im Hinblick auf eine bessere Förderung der Erziehung und Ausbildung des [X.] getroffen und im Ergebnis nicht offensichtlich und in nicht hinnehmbarer Weise mit dem Kindeswohl unvereinbar. Auch die weiteren Voraussetzungen für die Erteilung eines Visums lägen vor, insbesondere sei sowohl bei Vollendung des 16. Lebensjahres als auch im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung der Lebensunterhalt der aus dem Kläger und seinem Vater bestehenden Bedarfsgemeinschaft gesichert.

5

Die Beklagte rügt mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, dass der in [X.] lebende Elternteil nicht allein sorgeberechtigt sei. Die [X.] [X.] widerspreche dem [X.]n Recht und sei in [X.] wegen Verstoßes gegen den ordre public nicht anzuerkennen. Die Entscheidung sei verfahrensrechtlich ohne jede von Amts wegen betriebene Sachverhaltsaufklärung ergangen. Mit zentralen Elementen des Kindeswohls habe sich das Gericht nicht befasst.

6

Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil.

7

Die Beigeladene schließt sich inhaltlich den Ausführungen der Beklagten an.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der [X.]eklagten hat Erfolg. Das [X.]erufungsurteil beruht auf der Verletzung von [X.]undesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Klage ist zulässig (1.). Das [X.]erufungsgericht hat einen Anspruch des [X.] auf Erteilung eines Visums zum Zwecke des Familiennachzugs aber mit einer [X.]egründung bejaht, die revisionsgerichtlicher Prüfung nicht standhält: Der Kläger erfüllt zwar die besonderen Erteilungsvoraussetzungen des § 32 Abs. 3 [X.] für einen Anspruch auf [X.]. Insbesondere ist sein Vater allein sorgeberechtigt, da das [X.] Sorgerechtsurteil nicht gegen den ordre public verstößt (2.). Die Feststellungen des [X.]erufungsgerichts tragen aber nicht seine Annahme, dass der Lebensunterhalt des [X.] gesichert sei und damit auch die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] vorliege (3.). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im [X.]erufungsurteil kann der Senat in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur weiteren Aufklärung an das [X.]erufungsgericht zurückzuverweisen ist (4.).

9

1. Die auf Erteilung eines Visums zum [X.] gerichtete Klage ist zulässig. Der im [X.]punkt der [X.] noch nicht volljährige Kläger ist gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 1 [X.] partiell handlungs- und infolgedessen im vorliegenden Verfahren prozessfähig. Nach § 80 Abs. 1 [X.] ist fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen nach diesem Gesetz ein Ausländer, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, sofern er nicht nach Maßgabe des [X.]ürgerlichen Gesetzbuchs geschäftsunfähig oder im Falle seiner Volljährigkeit in dieser Angelegenheit zu betreuen und einem Einwilligungsvorbehalt zu unterstellen wäre. Den gegen diese Regelung geäußerten, aus dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes - UN-Kinderrechtskonvention ([X.]) vom 20. November 1989 ([X.], 990) - abgeleiteten völkerrechtlichen [X.]edenken folgt der Senat jedenfalls für das Aufenthaltsrecht nicht. Insoweit wird zur weiteren [X.]egründung auf die Entscheidung des Senats vom heutigen Tag im Verfahren [X.]VerwG 10 [X.] verwiesen (zur [X.] in der Entscheidungssammlung [X.]VerwGE vorgesehen Rn. 9 f.).

2. Der Kläger erfüllt die besonderen Voraussetzungen des § 32 Abs. 3 [X.] für einen Anspruch auf [X.]. Nach § 32 Abs. 3 [X.] ist dem minderjährigen Kind eines Ausländers, welches das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, eine Aufenthaltserlaubnis - und vor der Ausreise gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 und 2 [X.] ein Visum - zu erteilen, wenn beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil eine Aufenthaltserlaubnis, eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-[X.] besitzen.

2.1 Maßgebend für die [X.]eurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei [X.] auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der [X.]punkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (st[X.]pr, Urteil vom 7. April 2009 - [X.]VerwG 1 [X.] 17.08 - [X.]VerwGE 133, 329 Rn. 10). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind vom Revisionsgericht allerdings zu berücksichtigen, wenn das [X.]erufungsgericht - entschiede es nunmehr anstelle des [X.] - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 1. November 2005 - [X.]VerwG 1 [X.] 21.04 - [X.]VerwGE 124, 276 <279>). Daher ist der Nachzugsanspruch des [X.] an dem [X.] in der Fassung der [X.]ekanntmachung vom 25. Februar 2008 ([X.]) zu messen, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Hochqualifizierten-Richtlinie der [X.] vom 1. Juni 2012 ([X.]). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier einschlägigen [X.]estimmungen aber nicht geändert.

Sind aufenthaltsrechtliche Ansprüche an eine Höchstaltersgrenze geknüpft - wie hier beim [X.] die Vollendung des 16. Lebensjahres -, ist für die Einhaltung der Altersgrenze ausnahmsweise auf den [X.]punkt der Antragstellung abzustellen (vgl. Urteil vom 7. April 2009 a.a.[X.]). Wird die Altersgrenze im Laufe des Verfahrens überschritten, folgt daraus, dass die übrigen Anspruchsvoraussetzungen spätestens auch im [X.]punkt des Erreichens der Altersgrenze vorgelegen haben müssen. Danach eingetretene Sachverhaltsänderungen zugunsten des [X.]etroffenen können grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Insoweit bedarf es mithin bei Anspruchsgrundlagen mit einer Höchstaltersgrenze, die der [X.]etroffene - wie hier - im maßgeblichen [X.]punkt der gerichtlichen Verhandlung oder Entscheidung überschritten hat, einer auf zwei unterschiedliche [X.]punkte bezogenen Doppelprüfung (Urteil vom 7. April 2009 a.a.[X.]).

Das [X.]erufungsgericht hat das Nachzugsbegehren des [X.] zutreffend an § 32 Abs. 3 [X.] und nicht nach der Vorgängerregelung des § 20 Abs. 3 Satz 1 Ausländergesetz 1990 ([X.]) geprüft. Der Vater des [X.] hat sich vor dem 1. Januar 2005 rechtmäßig in [X.] aufgehalten und der Kläger ist vor diesem [X.]punkt geboren. Damit gilt nach § 104 Abs. 3 [X.] hinsichtlich der personen- und familienbezogenen Nachzugsvoraussetzungen weiterhin § 20 [X.], es sei denn das [X.] gewährt eine günstigere Rechtsposition. Dies ist hier der Fall, da § 32 Abs. 3 [X.] bei Vorliegen der Tatbestandvoraussetzungen einen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis vermittelt, während § 20 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 [X.] den Nachzug zu einem allein sorgeberechtigten Elternteil in das Ermessen der Ausländerbehörde stellt (Urteil vom 26. August 2008 - [X.]VerwG 1 [X.] 32.07 - [X.]VerwGE 131, 370 Rn. 4 f.).

2.2 Zu Recht ist das [X.]erufungsgericht weiter davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 32 Abs. 3 [X.] vorliegen. Die gesetzliche Höchstaltersgrenze ist eingehalten, denn zum [X.]punkt der Antragstellung im Juli 2009 hatte der Kläger das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet. Der Vater des [X.] erhielt 2000 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die nach § 101 Abs. 1 [X.] als Niederlassungserlaubnis fortgilt. Nach der Sorgerechtsentscheidung im Urteil des Familiengerichts [X.] vom 8. April 2008 ist er für den Kläger auch allein personensorgeberechtigt. Diese Entscheidung ist im vorliegenden Verfahren jedenfalls nach dem [X.] Übereinkommen über die Zuständigkeit der [X.]ehörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. Oktober 1961 ([X.], 1150) - [X.] ([X.]) - anzuerkennen.

2.2.1 Der [X.]egriff der alleinigen Personensorgeberechtigung ist mit [X.]lick auf Art. 4 Abs. 1 [X.]uchst. c der Richtlinie 2003/86/[X.] vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung ([X.] 251 S. 12 vom 3. Oktober 2003) - sog. [X.] - unionsrechtlich auszulegen. Im Sinne dieser [X.]estimmung besitzt ein Elternteil das Sorgerecht nur, wenn er "allein" sorgeberechtigt ist, dem anderen Elternteil also bei der Ausübung des Sorgerechts keine substantiellen Mitentscheidungsrechte und -pflichten zustehen, etwa in [X.]ezug auf Aufenthalt, Schule und Ausbildung oder Heilbehandlung des Kindes (Urteil vom 7. April 2009 a.a.[X.] Rn. 16).

2.2.2 Wem das Sorgerecht für ein Kind zusteht, beurteilt sich in Fällen mit Auslandsbezug anhand der Regelungen des Internationalen Privatrechts nach dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 21 [X.][X.]G[X.]). Diese Kollisionsnorm, die die Auswahl des materiellrechtlichen [X.] bei einer anstehenden Sorgerechtsentscheidung steuert, tritt zurück, wenn bereits eine Sorgerechtsentscheidung einer ausländischen Stelle vorliegt und sich die verfahrensrechtliche Frage nach deren Anerkennung stellt.

Das [X.]erufungsgericht hat festgestellt, dass das [X.] Sorgerechtsurteil dem Vater des [X.] das alleinige Sorgerecht verschafft hat. Diese Würdigung ist revisionsrechtlich gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 293 ZPO wie eine Tatsachenfeststellung zu behandeln (vgl. Urteile vom 7. April 2009 a.a.[X.] Rn. 17 und vom 19. Juli 2012 - [X.]VerwG 10 [X.] 2.12 - NJW 2012, 3461 Rn. 16); § 545 Abs. 1 ZPO findet keine Anwendung. An diese Feststellung des [X.]erufungsgerichts zum Inhalt und den Rechtswirkungen des ausländischen Urteils ist der Senat deshalb gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, da die Revision keine Verfahrensrüge erhoben hat und ihre Angriffe gegen die inhaltliche Richtigkeit der Sorgerechtsentscheidung daher ins Leere gehen.

Die Anerkennung ausländischer Urteile richtet sich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 328 ZPO. Für die Anerkennung ausländischer [X.] enthält § 108 Abs. 1 i.V.m. § 109 FamFG allerdings eine Sonderregelung, die die Grundnorm des § 328 ZPO auch im Verwaltungsprozess verdrängt. Gemäß § 108 Abs. 1 FamFG ist für die Anerkennung von [X.] ausländischer Gerichte kein besonderes Verfahren vor [X.] Gerichten oder [X.]ehörden vorgesehen, sondern es gilt der Grundsatz der [X.] ([X.], [X.]eschluss vom 9. April 2010 - 4 UF 56/10 - NJW-RR 2010, 1225 <1226>). Nach § 97 Abs. 1 FamFG gehen allerdings Regelungen in völkerrechtlichen Vereinbarungen, soweit sie unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Vorschriften des FamFG vor.

Das Übereinkommen über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern vom 19. Oktober 1996 ([X.]) - [X.] Kinderschutzübereinkommen ([X.]) - ist mangels Ratifizierung des Übereinkommens durch die [X.] hier nicht anwendbar. Daher kommen im vorliegenden Fall als gemäß § 97 Abs. 1 FamFG vorrangig anzuwendende völkerrechtliche Vereinbarungen nur das [X.] [X.] und das [X.] über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen über das Sorgerecht für Kinder und die Wiederherstellung des [X.] vom 20. Mai 1980 ([X.]) - [X.]s Sorgerechtsübereinkommen ([X.]) - in [X.]etracht. Es spricht einiges dafür, dass sich die Anerkennung einer ausländischen Sorgerechtsentscheidung als Vorfrage für den [X.] vorrangig nach dem auf jeden Fall anwendbaren [X.] [X.] bestimmt. Denn dieses Vertragswerk regelt die behördliche Zuständigkeit und das anzuwendende Recht zum Schutz von Minderjährigen ganz allgemein, während das [X.] Sorgerechtsübereinkommen spezifische, zwischenstaatlich koordinierte [X.] bei gestörten Sorgerechtsverhältnissen enthält. Das bedarf hier aber keiner Entscheidung. Denn keines der beiden Übereinkommen enthält eine abschließende Regelung für die Anerkennung ausländischer [X.]; insbesondere schließt Art. 19 [X.] die Anwendung anderer internationaler Übereinkünfte nicht aus, um die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung zu erwirken. Da im vorliegenden Verfahren die Voraussetzungen für eine Anerkennung nach dem [X.] [X.] vorliegen, kann dahinstehen, ob die Entscheidung auch nach dem [X.]n Sorgerechtsabkommen anzuerkennen wäre.

2.2.3 Das [X.] findet auf den Kläger als Minderjährigen, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der [X.] hat, Anwendung (vgl. Art. 12, 13 [X.]). Gemäß Art. 7 Satz 1 [X.] sind die Maßnahmen, welche die nach den vorstehenden Artikeln zuständigen [X.]ehörden getroffen haben, in allen Vertragsstaaten anzuerkennen; Maßnahmen in diesem Sinne sind auch gerichtliche [X.] ([X.], [X.]eschlüsse vom 25. Oktober 1976 - [X.]/76 - [X.]Z 67, 255 <260> und 28. Mai 1986 - [X.] - NJW-RR 1986, 1130; Urteil vom 11. April 1979 - [X.] - FamRZ 1979, 577). Ein förmliches Anerkennungsverfahren sieht das Abkommen nicht vor. Als Grenze der gegenseitigen Anerkennung enthält Art. 16 [X.] nur den Vorbehalt, dass die [X.]estimmungen dieses Übereinkommens in den Vertragsstaaten unbeachtet bleiben dürfen, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar ist (ordre public).

Abzustellen ist dabei nicht auf Art. 6 [X.][X.]G[X.], sondern auf den anerkennungsrechtlichen ordre public international (vgl. nur [X.], Urteile vom 18. Oktober 1967 - [X.] - [X.]Z 48, 327 und vom 21. April 1998 - [X.] - [X.]Z 138, 331 <334>). Mit diesem ist eine ausländische Entscheidung nicht schon dann unvereinbar, wenn [X.] - hätte er die zur Anerkennung stehende Entscheidung getroffen - aufgrund zwingenden [X.] Rechts zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Ergebnis der ausländischen Entscheidung zu den Grundgedanken der [X.] Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach [X.]r Vorstellung untragbar erscheint. Prüfungsmaßstab sind dabei vor allem die Grundrechte. Die ausländische Entscheidung ist nicht auf ihre Rechtmäßigkeit am Maßstab des ausländischen Rechts zu überprüfen (Verbot der [X.]). [X.]ei der Anerkennung ausländischer [X.] liegt in materieller Hinsicht ein Verstoß gegen den ordre public erst dann vor, wenn die Hinnahme der Entscheidung wegen ihres Inhalts im Ergebnis mit wesentlichen Grundsätzen des [X.] Familien- und Kindschaftsrechts offensichtlich unvereinbar ist (materiellrechtlicher ordre public). Dabei steht das Wohl des Kindes im Mittelpunkt der Prüfung. Jede Regelung des Sorgerechts wirkt sich auf das Wohl des Kindes aus und muss daher das Kind in seiner Individualität als Grundrechtsträger berücksichtigen. Ein Verstoß gegen den ordre public kann sich auch aus dem der anzuerkennenden Entscheidung vorangegangenen Verfahren ergeben, also der Art und Weise ihres Zustandekommens. Dies ist der Fall, wenn die ausländische Entscheidung aufgrund eines Verfahrens ergangen ist, das von den Grundprinzipien des [X.] Verfahrensrechts in einem solchen Maße abweicht, dass sie nach der [X.] Rechtsordnung nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann (verfahrensrechtlicher ordre public). Eine am Kindeswohl orientierte Sorgerechtsentscheidung erfordert daher auch eine Verfahrensgestaltung, die eine hinreichende [X.]erücksichtigung der grundrechtlichen Stellung des betroffenen Kindes garantiert (siehe etwa Art. 12 Abs. 2 [X.]; vgl. auch [X.], [X.]eschlüsse vom 5. November 1980 - 1 [X.]vR 349/80 - [X.]E 55, 171 <182> und vom 14. Juli 2010 - 1 [X.]vR 3189/09 - [X.]K 17, 407 Rn. 19). Das Sorgerechtsverfahren ist unter [X.]erücksichtigung des Alters des Kindes, seines Entwicklungsstandes und seiner seelischen Verfassung so zu gestalten, dass der Entscheidungsträger möglichst zuverlässig die Grundlagen einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung erkennen kann. Das erfordert jedenfalls bei [X.] grundsätzlich eine persönliche Anhörung und bei jüngeren Kindern zumindest ein funktionales Äquivalent, durch das ihnen Gelegenheit gegeben wird, ihre Interessen auf altersgerechte Weise zu formulieren und in das Verfahren einzubringen.

Nach diesen Maßstäben steht der ordre public der Anerkennung des Urteils des Familiengerichts [X.] vom 8. April 2008 nicht entgegen. Das [X.]erufungsgericht hat festgestellt, dass der - seinerzeit 13 Jahre alte - Kläger vom Gericht persönlich angehört worden ist und mit der Übertragung des Sorgerechts einverstanden war. Auch seine Mutter hat der Sorgerechtsübertragung zugestimmt. Mit [X.]lick auf diese Verfahrenshandhabung und das Vorliegen einer einvernehmlichen Sorgerechtsentscheidung überspannt die [X.]eklagte mit ihrer Rüge, das [X.] Gericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt, die Anforderungen des verfahrensrechtlichen ordre public. Die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf den Vater des [X.] lässt auch materiell kein Ergebnis erkennen, das mit [X.]lick auf das Kindeswohl mit den Grundwerten des [X.] Familien- und Kindschaftsrechts offensichtlich nicht zu vereinbaren ist. Auch das [X.] Familienrecht kennt das alleinige Sorgerecht des nichtehelichen [X.] (§ 1672 Abs. 1 [X.]G[X.]). Der Vorhalt der Revision, im konkreten Fall sei die Sorgerechtsentscheidung im Wesentlichen ausländerrechtlich motiviert bzw. von ökonomischen Interessen getragen, geht von der Fehlvorstellung aus, diese Kriterien stünden notwendigerweise im Gegensatz zum Kindeswohl. Das ist schon wegen des Förderprinzips als Ausfluss des Kindeswohls nicht der Fall. Der Sache nach greift die Revision im Gewande der Rüge eines Verstoßes gegen den ordre public die ihrer Auffassung nach falsche Abwägung des [X.]n Familiengerichts an, das den absehbaren Integrationsproblemen des Kindes nicht das für sein Wohl gebotene Gewicht beigemessen habe; mit dieser eigenen [X.]ewertung des Kindeswohls muss sie indes erfolglos bleiben.

3. Die angefochtene Entscheidung beruht aber hinsichtlich der weiteren Nachzugsvoraussetzungen auf der Verletzung von [X.]undesrecht. Der Kläger erfüllt nach den Feststellungen im [X.]erufungsurteil zwar die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 [X.] (Passpflicht) und das Erfordernis ausreichenden Wohnraums (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 [X.]). Das [X.]erufungsgericht ist jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Lebensunterhalt des [X.] gesichert ist und damit auch die allgemeine Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] vorliegt.

3.1 Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist. Dies ist nach § 2 Abs. 3 [X.] der Fall, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 [X.] aufgeführten öffentlichen Mittel außer [X.]etracht. Erforderlich ist mithin die positive Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den nachhaltig zur Verfügung stehenden Mitteln. Dabei richten sich sowohl die Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens als auch der Unterhaltsbedarf bei erwerbsfähigen Ausländern und Personen, die mit ihnen in einer [X.]edarfsgemeinschaft leben, seit dem 1. Januar 2005 grundsätzlich nach den entsprechenden [X.]estimmungen des Sozialgesetzbuchs ([X.]) [X.] - [X.] II. Unerheblich ist dabei, ob Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden; nach dem gesetzlichen [X.] kommt es nur auf das [X.]estehen eines entsprechenden Anspruchs an (grundlegend Urteil vom 26. August 2008 - [X.]VerwG 1 [X.] 32.07 - [X.]VerwGE 131, 370 Rn. 19 ff.).

3.1.1 Demzufolge ist der Einkommens- und [X.]edarfsberechnung grundsätzlich der Personenkreis zugrunde zu legen, der sich aus den Regeln über die [X.]edarfsgemeinschaft gemäß § 9 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 bis 3a [X.] II ergibt (Urteil vom 16. November 2010 - [X.]VerwG 1 [X.] 21.09 - [X.]VerwGE 138, 148 Rn. 14 ff.), unabhängig davon, inwieweit zwischen diesen Personen unterhaltsrechtliche [X.]eziehungen bestehen. Ob mit [X.]lick auf § 2 Abs. 3 [X.] auch volljährige Kinder in die [X.]edarfsgemeinschaft ihres leiblichen Elternteils und dessen nicht verheirateten Partners einzubeziehen sind, braucht hier nicht entschieden zu werden. Innerhalb einer [X.]edarfsgemeinschaft, deren gesamter [X.]edarf nicht aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt wird, gilt jede Person im Verhältnis des eigenen [X.]edarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig (§ 9 Abs. 2 Satz 3 [X.] II) und hat im Regelfall einen Leistungsanspruch in Höhe dieses Anteils. Das führt regelmäßig dazu, dass der Lebensunterhalt des Ausländers dann nicht gesichert ist, wenn der Gesamtbedarf der [X.]edarfsgemeinschaft, deren Mitglied er ist, nicht durch eigene Mittel bestritten werden kann.

Für die [X.]erechnung des zur Verfügung stehenden Einkommens sind von dem gemäß § 11 Abs. 1 [X.] II zu ermittelnden [X.]ruttoeinkommen die in § 11b [X.] II genannten [X.]eträge abzuziehen. Dazu zählen grundsätzlich auch die freiwillig geleisteten Altersvorsorgebeiträge (§ 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 4 [X.] II), hinsichtlich derer eine gewisse Vermutung dafür spricht, dass sie auch zukünftig in gleicher Höhe gezahlt werden. [X.] sind ferner der Freibetrag für Erwerbstätige gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 3 [X.] II sowie die Pauschale von 100 €, die nach § 11b Abs. 2 Satz 1 [X.] II an die Stelle der [X.]eträge nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 tritt. Allerdings sind gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen abweichend von § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 [X.] II unabhängig von einer Titulierung einkommensmindernd zu berücksichtigen (Urteil vom 7. April 2009 - [X.]VerwG 1 [X.] 17.08 - [X.]VerwGE 133, 329 Rn. 33). Dies gilt allerdings nur in der Höhe, in der eine Titulierung auch unter [X.]erücksichtigung des Ranges der Unterhaltsgläubiger rechtlich möglich wäre, und auch nur solange, wie die Erbringung bzw. Geltendmachung von Unterhaltsleistungen tatsächlich zu erwarten ist. Wurden Unterhaltsleistungen über einen längeren [X.]raum weder erbracht noch geltend gemacht, ist regelmäßig davon auszugehen, dass dies auch in der Zukunft der Fall sein wird.

Die [X.]edarfsberechnung bestimmt sich grundsätzlich nach § 19 Abs. 1 Satz 3 [X.] II; danach umfassen die Leistungen des [X.] den Regelbedarf, die Mehrbedarfe sowie den [X.]edarf für Unterkunft und Heizung. [X.] nicht anzusetzen sind jedoch die in § 28 [X.] II enthaltenen [X.]edarfe für [X.]ildung und Teilhabe. Denn würde man sie als aufenthaltsschädlich berücksichtigen, liefe das dem Grundanliegen des Gesetzgebers zuwider, gerade die Integration ausländischer Kinder systematisch zu fördern, um u.a. Defizite in der sprachlichen Verständigung abzubauen, die den tatsächlichen Zugang zum Arbeitsmarkt beschränken und damit oft zu entsprechenden [X.] Folgelasten führen (vgl. [X.]TDrucks 15/420 S. 61, 68).

Etwaige Ansprüche auf [X.]ewilligung von Wohngeld bleiben bei der [X.]erechnung der Sicherung des Lebensunterhalts grundsätzlich außen vor. Wohngeld gehört nicht zu den in § 2 Abs. 3 Satz 2 [X.] genannten privilegierten öffentlichen Leistungen und ist daher nicht geeignet, eine bestehende [X.] zu schließen (vgl. [X.]eschluss vom 4. November 1996 - [X.]VerwG 1 [X.] 189.96 - [X.]uchholz 402.240 § 17 [X.] 1990 Nr. 7). Auf der anderen Seite schadet der [X.]ezug von Wohngeld aber auch nicht, wenn der [X.]edarf aus eigenem Einkommen, Vermögen oder aufenthaltsrechtlich unschädlichen öffentlichen Leistungen bereits gedeckt ist.

Ist der nach den Regelungen des [X.] II bestehende [X.]edarf nicht vollständig gedeckt, ist zu prüfen, ob die verbleibende [X.] durch einen Kinderzuschlag gemäß § 6a [X.]KGG geschlossen werden kann. Denn der Kinderzuschlag gehört gemäß § 2 Abs. 3 [X.] zu den aufenthaltsrechtlich unschädlichen Sozialleistungen und soll verhindern, dass Eltern nur wegen der Unterhaltsbelastung für ihre Kinder Arbeitslosengeld II in Anspruch nehmen müssen ([X.]TDrucks 15/1516 S. 83).

3.1.2 Im Anwendungsbereich der [X.] (Richtlinie 2003/86/[X.]) - und damit auch im vorliegenden Fall - ist der [X.]egriff der Lebensunterhaltssicherung zu modifizieren. Denn in der Systematik dieser Richtlinie stellt der Anspruch auf Genehmigung der Familienzusammenführung gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie die Grundregel dar, so dass die den [X.] in Art. 7 Abs. 1 [X.]uchst. c der Richtlinie verliehene [X.]efugnis zur Regelung der Nachzugsvoraussetzungen eng auszulegen ist ([X.], Urteil vom 4. März 2010 - [X.]. [X.]-578/08, [X.] - Slg. 2010, [X.] = NVwZ 2010, 697 Rn. 43). Der in Art. 7 Abs. 1 [X.]uchst. c der Richtlinie eröffnete Handlungsspielraum darf von den Mitgliedstaaten nicht in einer Weise genutzt werden, dass das [X.] - die [X.]egünstigung der Familienzusammenführung - und die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigt werden ([X.], Urteil vom 4. März 2010 a.a.[X.] Rn. 43). Nach dieser Rechtsprechung bezieht sich der [X.]egriff der Sozialhilfe(leistungen) in Art. 7 Abs. 1 [X.]uchst. c der Richtlinie als autonomer [X.]egriff des Unionsrechts nur auf Unterstützungsleistungen, die einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften ausgleichen, nicht aber auf eine Hilfe, die es erlauben würde, außergewöhnliche oder unvorhergesehene [X.]edürfnisse zu befriedigen ([X.], Urteil vom 4. März 2010 a.a.[X.] Rn. 49). Die Sozialhilfe i.S.d. Art. 7 Abs. 1 [X.]uchst. c der Richtlinie 2003/86/[X.] erfasst daher nur Leistungen, die von öffentlichen [X.]ehörden zur Kompensation des Mangels an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften gewährt werden, um die allgemein notwendigen Kosten des Lebensunterhalts für den Ausländer und seine Familienangehörigen zu bestreiten; sie schließt nicht die besondere Sozialhilfe zur [X.]estreitung besonderer, individuell bestimmter notwendiger Kosten des Lebensunterhalts ein ([X.], Urteil vom 4. März 2010 a.a.[X.] Rn. 52).

Für die von der Richtlinie 2003/86/[X.] erfassten Fälle hat der 1. Senat des [X.] bereits entschieden, dass es der Anwendungsvorrang des Unionsrechts gebietet, bei der Einkommensberechnung den Freibetrag für Erwerbstätigkeit nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, Abs. 3 [X.] II nicht zulasten des nachzugswilligen Ausländers abzusetzen. Denn dieser Freibetrag wird in erster Linie aus arbeitsmarkt- bzw. beschäftigungspolitischen Gründen gewährt und soll eine Anreizfunktion zur Aufnahme bzw. [X.]eibehaltung einer Erwerbstätigkeit haben, nicht aber einen Mangel an ausreichenden festen und regelmäßigen Einkünften im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs ausgleichen (Urteil vom 16. November 2010 - [X.]VerwG 1 [X.] 20.09 - [X.]VerwGE 138, 135 Rn. 33). Hinsichtlich des in § 11b Abs. 2 Satz 1 [X.] II pauschaliert erfassten [X.] verlangt das Gebot der individualisierten Prüfung gemäß Art. 17 der Richtlinie 2003/86/[X.], den Nachweis geringerer Aufwendungen als die gesetzlich veranschlagten 100 € zuzulassen (Urteil vom 16. November 2010 a.a.[X.] Rn. 34).

Der [X.]edarfsberechnung sind auch im Anwendungsbereich der [X.] neben dem [X.]edarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 [X.] II) grundsätzlich die in § 20 [X.] II vorgesehenen Regelbedarfssätze zugrunde zu legen (zur Nichtberücksichtigung der nach § 77 Abs. 4 [X.] II für eine Übergangszeit geltenden Werte vgl. Urteil des Senats vom heutigen Tag - [X.]VerwG 10 [X.] - a.a.[X.] Rn. 42 ff.). [X.]ei bereits im Entscheidungszeitpunkt nach Grund und Höhe absehbaren Mehrbedarfen ist anhand des unionsrechtlichen [X.]egriffs der Sozialhilfe in Art. 7 Abs. 1 [X.]uchst. c der Richtlinie 2003/86/[X.] wie folgt zu differenzieren:

- Die [X.] (§ 21 Abs. 3 [X.] II; vgl. Urteil vom 26. August 2008 - [X.]VerwG 1 [X.] 32.07 - [X.]VerwGE 131, 370 Rn. 25) sowie die Kosten der dezentralen Warmwassererzeugung (§ 21 Abs. 7 [X.] II) sind in die [X.]edarfsberechnung einzustellen. Denn sie decken allgemein notwendige Kosten des Lebensunterhalts der anspruchsberechtigten Personengruppen und dienen nicht der [X.]efriedigung außergewöhnlicher oder unvorhergesehener [X.]edürfnisse.

- Nicht zu berücksichtigen sind dagegen die Mehrbedarfe für werdende Mütter (§ 21 Abs. 2 [X.] II), für erwerbsfähige [X.]ehinderte (§ 21 Abs. 4 [X.] II), für eine aus medizinischen Gründen notwendige kostenaufwändige Ernährung (§ 21 Abs. 5 [X.] II), für einen im Einzelfall unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen [X.]edarf (§ 21 Abs. 6 [X.] II) und die Erstausstattungsbedarfe (§ 24 Abs. 3 [X.] II). Diese Leistungen betreffen besondere, individuell bestimmte notwendige Kosten außerhalb des allgemein notwendigen Lebensunterhalts und dienen der [X.]efriedigung außergewöhnlicher oder unvorhergesehener [X.]edürfnisse. Daher sind sie unionsrechtlich der von Art. 7 Abs. 1 [X.]uchst. c der Richtlinie 2003/86/[X.] nicht abgedeckten "besonderen Sozialhilfe" zuzurechnen, die nicht zulasten nachzugswilliger Ausländer berücksichtigt werden darf.

3.1.3 Ist der Lebensunterhalt - auch unter [X.]erücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben - nicht (vollständig) gesichert, ist weiter zu prüfen, ob in dem jeweiligen Einzelfall eine Ausnahme von § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] in [X.]etracht kommt. Verfassungs-, unions- oder völkerrechtliche Gewährleistungen sowie atypische Umstände des Einzelfalles, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen, können Ausnahmen vom Regelfall des § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] rechtfertigen (Urteile vom 26. August 2008 a.a.[X.] Rn. 27, vom 16. August 2010 - [X.]VerwG 1 [X.] 21.09 - [X.]VerwGE 138, 148 Rn. 18 und vom 22. Mai 2012 - [X.]VerwG 1 [X.] 6.11 - DV[X.]l 2012, 1167 Rn. 11). Dabei sind auch im Hinblick auf das unionsrechtliche Gebot der Einzelfallprüfung die in Art. 17 der Richtlinie 2003/86/[X.] genannten Aspekte zu berücksichtigen. Ob ein Ausnahmefall vorliegt, unterliegt in jedem Fall vollständiger gerichtlicher Überprüfung (Urteil vom 22. Mai 2012 a.a.[X.]).

3.2 An diesen Grundsätzen gemessen beruht das [X.]erufungsurteil auf einer Verletzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.]. Das [X.]erufungsgericht ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass auch diese Regelerteilungsvoraussetzung sowohl im [X.]punkt der mündlichen Verhandlung vor dem [X.]erufungsgericht (25. Oktober 2011) als auch im [X.]punkt der Vollendung des 16. Lebensjahres des [X.] (20. Dezember 2010) vorliegen muss. Des Weiteren hat es erkannt, dass bei der Frage, ob der Lebensunterhalt des [X.] ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert ist, auf die [X.]edarfsgemeinschaft abzustellen ist, die der Kläger nach einem Zuzug zusammen mit seinem Vater bildet (§ 7 Abs. 3 Nr. 1 und 4 [X.] II). Die auf diese [X.]edarfsgemeinschaft bezogene Einkommens- und [X.]edarfsprognose ist aber in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft.

3.2.1 Das [X.]erufungsgericht hat in seine Prognose - bezogen auf die beiden maßgeblichen Stichtage - die zu erwartenden Einkünfte des [X.] in vollem Umfang eingestellt, ohne mit [X.]lick auf die gebotene Nachhaltigkeit des Mittelzuflusses (vgl. Urteil vom 7. April 2009 - [X.]VerwG 1 [X.] 17.08 - [X.]VerwGE 133, 329 Rn. 33) zu prüfen, ob und ggf. in welchem Umfang der Vater des [X.] weiteren Familienangehörigen zum Unterhalt verpflichtet ist. Diese Prüfung hätte sich dem [X.]erufungsgericht hier schon deshalb aufdrängen müssen, weil der Vater des [X.] nach den Feststellungen des Familiengerichts in [X.] im Urteil vom 8. April 2008 nach Scheidung von seiner [X.] Ehefrau in der [X.] wieder geheiratet hat und Vater eines weiteren - 2006 geborenen - Kindes ist.

3.2.2 Zudem beruhen die Feststellungen des [X.]erufungsgerichts zum voraussichtlichen Erwerbseinkommen des [X.] - bezogen auf den [X.]punkt der [X.]erufungsverhandlung - auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage. Zu diesem [X.]punkt war der Vater des [X.] arbeitslos und reichten die Einkünfte nach den Feststellungen des [X.]erufungsgerichts nicht zur [X.]edarfsdeckung. Das [X.]erufungsgericht unterstellt, dass der Lebensunterhalt dennoch gesichert ist. Dies begründet es vor allem mit einer vom früheren Arbeitgeber des [X.] erteilten Einstellungszusage. In diesem Zusammenhang fehlen jedoch Feststellungen zur Höhe der im Falle einer Wiedereinstellung realistischerweise zu erwartenden Einkünfte. Dessen hätte es mit [X.]lick auf die gebotene Nachhaltigkeit bedurft, denn das Einkommen des [X.] bei diesem Arbeitgeber unterlag in der Vergangenheit starken auftragsbedingten Schwankungen, und die schlechte Auftragslage hatte kurz zuvor sogar zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses geführt. [X.] spekulativ sind auch die Erwägungen des [X.]erufungsgerichts, dass es dem Vater des [X.] selbst im Fall einer erneuten Arbeitslosigkeit innerhalb kurzer [X.] gelingen würde, eine neue, den Lebensunterhalt sichernde Arbeit zu finden.

3.2.3 Schließlich hat das [X.]erufungsgericht beim Vater des [X.] nicht dessen Mehrbedarf für Alleinerziehende nach § 21 Abs. 3 Nr. 2 [X.] II in Höhe von 12 % der Regelleistung in Ansatz gebracht. Der sich danach ergebende [X.]etrag ist nach der Übergangsregelung in § 77 Abs. 5 [X.] II bis zum 31. Dezember 2011 mit der Maßgabe anzuwenden, dass [X.]eträge, die nicht volle Euro-[X.]eträge ergeben, bei einem [X.]etrag von unter 0,50 € abzurunden und von 0,50 € an aufzurunden sind. Dies ergibt zum Stichtag 20. Dezember 2010 einen Mehrbedarf in Höhe von 43 € (43,08 € abgerundet) und zum Stichtag 25. Oktober 2011 in Höhe von 44 € (43,68 € aufgerundet).

4. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im [X.]erufungsurteil kann der Senat in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden, so dass der Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das [X.]erufungsgericht gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zurückzuverweisen ist.

Das [X.]erufungsgericht wird in dem neuen [X.]erufungsverfahren zu prüfen haben, ob der Lebensunterhalt des [X.] - sowohl bezogen auf den [X.]punkt seiner erneuten Verhandlung oder Entscheidung als auch bezogen auf die Verhältnisse bei Vollendung des 16. Lebensjahrs im Dezember 2010 - als gesichert anzusehen ist. Dabei sind bei den Einkünften des [X.] etwaige Unterhaltsverpflichtungen gegenüber weiteren Familienangehörigen einkommensmindernd zu berücksichtigen. Für eine abschließende Entscheidung der Einkommenssituation - bezogen auf den Stichtag 20. Dezember 2010 - sind zudem die bislang fehlenden Einkommensnachweise des [X.] des [X.] für das 2. Halbjahr 2010 anzufordern. [X.]ei der Ermittlung des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs hat das [X.]erufungsgericht - zulasten des [X.] - den Mehrbedarf seines [X.] für Alleinerziehende zu berücksichtigen. Weiter hat es - zugunsten des [X.] - hinsichtlich der in Ansatz zu bringenden [X.] zu beachten, dass zum Stichtag 20. Dezember 2010 die Regelleistung für Alleinerziehende 359 € betrug (vgl. [X.]ekanntmachung über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 [X.] II für die [X.] ab 1. Juli 2010 <[X.]G[X.]l I S. 820>). Sie wurde erst durch Art. 2 des Gesetzes zur Ermittlung von [X.] und zur Änderung des [X.] II und [X.] vom 24. März 2011 ([X.]G[X.]l I S. 453) rückwirkend zum 1. Januar 2011 auf 364 € erhöht. Für sonstige erwerbsfähige Angehörige einer [X.]edarfsgemeinschaft, die - wie der Kläger - zwar bereits das 14. aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, galt nach den einschlägigen Fassungen des § 20 Abs. 2 Satz 2 [X.] II zum Stichtag 20. Dezember 2010 ein Regelsatz in Höhe von 80 % der Regelleistung für Alleinstehende und Alleinerziehende, also 287 €, so dass bezogen auf den Stichtag 20. Dezember 2010 nur von einem Regelbedarf der [X.]edarfsgemeinschaft in Höhe von 646 € (359 € + 287 €), anstelle des vom [X.]erufungsgericht in Ansatz gebrachten [X.]etrags in Höhe von 651 € auszugehen ist. Sollte das [X.]erufungsgericht nach weiteren Ermittlungen und erneuter [X.]erechnung zu dem Ergebnis kommen, dass der Lebensunterhalt des [X.] - bezogen auf einen der beiden Stichtage - nicht gesichert ist, wird es auch der Frage nachzugehen haben, ob - bezogen auf diesen [X.]punkt - ein Fall vorliegt, der eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 [X.] rechtfertigt.

Meta

10 C 5/12

29.11.2012

Bundesverwaltungsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 25. Oktober 2011, Az: 11 B 23.10, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.11.2012, Az. 10 C 5/12 (REWIS RS 2012, 866)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 866

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3 UF 429/99 (Oberlandesgericht Hamm)


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Wird zitiert von

AN 10 K 16.32482

Zitiert

1 BvR 3189/09

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