Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.09.2018, Az. 4 StR 325/18

4. Strafsenat | REWIS RS 2018, 3473

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Gegenstand

Strafzumessung beim Totschlag


Tenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 5. April 2018 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen Totschlags in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s tötete die Angeklagte, Mutter von zwei Kindern, nach zwei weiteren ungewollten Schwangerschaften Anfang April 2004 und Mitte 2008 das jeweils lebensfähig zur Welt gekommene Neugeborene unmittelbar nach der Geburt durch Versperrung der Atemwege. In beiden Fällen befürchtete sie die ablehnende Reaktion ihres Lebensgefährten, des Kindsvaters, und ihrer Mutter auf eine (weitere) Schwangerschaft sowie die mit dem Familienzuwachs einhergehenden finanziellen Belastungen. Beide Taten wurden erst im Januar 2018 entdeckt, da die Angeklagte die Leichen der Neugeborenen in einem Gefrierschrank versteckt hatte.

II.

3

1. Im Rahmen der Strafzumessung hat das [X.] sowohl bei der [X.] als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne zu Lasten der Angeklagten erwogen, dass es ihr möglich gewesen wäre, Alternativen zu den Taten zu finden und die Kinder nicht zu töten, sondern sie beispielsweise zur Adoption freizugeben. Ihre Befürchtung, man werde ihr bei Bekanntwerden der Schwangerschaften im Familienkreis vorwerfen, sie sei nicht in der Lage, ihr Leben ordentlich zu führen und weitere Schwangerschaften durch Verhütung zu vermeiden, stelle keinen nachvollziehbaren Grund für eine Kindstötung dar.

4

2. Diese Strafzumessungserwägungen begegnen mit Blick auf § 46 Abs. 3 StGB durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

5

a) Zwar hat sich die revisionsgerichtliche Überprüfung der Strafzumessung am sachlichen Gehalt der Ausführungen des Tatrichters zu orientieren und nicht an dessen möglicherweise missverständlichen Formulierungen ([X.], Beschluss vom 10. April 1987 - [X.], [X.]St 34, 345, 349 f.). Das [X.] hat aber im vorliegenden Fall im Ergebnis darauf abgestellt, dass die Angeklagte von den Taten hätte absehen können und müssen, weil sie keinen nachvollziehbaren Anlass zur Tatbegehung hatte. Dies stellt eine strafschärfende Verwertung des Umstandes dar, dass die Tat überhaupt begangen wurde. Nachvollziehbare, verständliche Motive für eine Tatbegehung können sich strafmildernd auswirken; ihr Fehlen berechtigt nicht dazu, diesen Umstand zu Lasten des [X.] zu berücksichtigen ([X.], Beschluss vom 9. November 2010 - 4 StR 532/10, [X.], 224 f.; Urteil vom 9. Oktober 2013 - 2 StR 119/13, [X.], 512 ff.).

6

b) Die für sich genommen nicht schuldunangemessenen Einzelstrafen können daher ebenso wenig bestehen bleiben wie der Ausspruch über die Gesamtstrafe. Die [X.] hat sowohl die Festsetzung der Einzelstrafen als auch die Bemessung der Gesamtstrafe auf die rechtsfehlerhafte Strafzumessungserwägung gestützt; im Fall III. 1 der Urteilsgründe hat sie diese als einzigen Gesichtspunkt zu Lasten der Angeklagten herangezogen. Der [X.] kann daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass das [X.] bei rechtsfehlerfreier Strafzumessung zu einer niedrigeren Strafe gelangt wäre.

Sost-Scheible     

        

Roggenbuck     

        

Franke

        

Bender     

        

Quentin     

        

Meta

4 StR 325/18

25.09.2018

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Halle (Saale), 5. April 2018, Az: 1 Ks 1/18

§ 46 StGB, § 212 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.09.2018, Az. 4 StR 325/18 (REWIS RS 2018, 3473)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 3473

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