Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.10.2015, Az. 2 AZR 381/14

2. Senat | REWIS RS 2015, 3519

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Gegenstand

(Außerordentliche Kündigung - Strafhaft - Zustimmungsfiktion des § 91 Abs 3 S 2 SGB 9)


Leitsatz

1. Die langjährige Arbeitsverhinderung aufgrund einer Strafhaft kann einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist darstellen.

2. Die Zustimmungsfiktion des § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX greift auch bei einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist ein.

Tenor

1. Auf die Revision des beklagten [X.] wird das Urteil des [X.]arbeitsgerichts Köln vom 29. Januar 2014 - 3 [X.] 866/13 - aufgehoben.

2. Auf die Berufung des beklagten [X.] wird das Urteil des [X.] vom 27. August 2013 - 4 [X.]/13 - teilweise abgeändert:

Die Klage wird insgesamt abgewiesen.

3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

2

Der 1960 geborene, einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Kläger war seit 1989 als Verwaltungsfachwirt beim [X.]betrieb Straßenbau des beklagten [X.] beschäftigt. Sein Arbeitsverhältnis war nach § 34 TV-L ordentlich unkündbar.

3

Mit rechtskräftigem Urteil des [X.] aus dem Juli 2011 wurde der Kläger wegen schweren sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung in jeweils mehreren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seit dem 18. Februar 2013 befindet er sich in Strafhaft.

4

Mit Schreiben vom 26. Februar 2013 bat das beklagte Land den Gesamtpersonalrat des [X.]betriebs Straßenbau um Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist. Der Gesamtpersonalrat stimmte der beabsichtigten Maßnahme am 28. Februar 2013 zu.

5

Unter dem 1. März 2013 beantragte das beklagte Land beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer solchen Kündigung. Mit einem Schreiben vom 18. März 2013, dem eine Widerspruchsbelehrung beigefügt war, „bestätigte“ das Integrationsamt, dass die Zustimmung gemäß § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX als erteilt gelte.

6

Mit Schreiben vom 19. März 2013 kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich mit Auslauffrist zum 30. September 2013.

7

Hiergegen hat der Kläger sich rechtzeitig mit der vorliegenden Klage gewandt. Er hat gemeint, die Kündigung sei unwirksam. Es liege weder eine Zustimmung des [X.] noch ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung vor. Er sei zu Unrecht verurteilt worden und rechne mit der Wiederaufnahme des Strafverfahrens. In der Justizvollzugsanstalt müsse ein Telearbeitsplatz für ihn eingerichtet werden. Jedenfalls könne er durch einen Arbeitnehmer aus dem „[X.]“ des beklagten [X.] vertreten werden. Ein abwesenheitsbedingter Erfahrungsverlust sei auch über mehrere Jahre nicht zu besorgen.

8

Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung des beklagten [X.] vom 19. März 2013 nicht aufgelöst worden ist.

9

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Kündigung als wirksam verteidigt. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liege vor. Die Zustimmung des [X.] sei gemäß § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX als erteilt anzusehen. Die Vorschrift gelte auch für außerordentliche Kündigungen mit Auslauffrist. Jedenfalls sei der Eintritt der Fiktion durch bestandskräftigen Verwaltungsakt des [X.] vom 18. März 2013 festgestellt worden.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit seiner Revision verfolgt das beklagte Land das Ziel weiter, die Klage abzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Unrecht stattgegeben. Sie ist unbegründet.

A. [X.] des beklagten [X.] vom 19. März 2013 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf der korrekt bemessenen Auslauffrist am 30. September 2013 aufgelöst. Sie ist wirksam.

I. Es besteht ein wichtiger Grund iSv. § 34 Abs. 2 TV-L iVm. § 626 Abs. 1 [X.]G[X.] für eine außerordentliche Kündigung mit - notwendiger - Auslauffrist.

1. Ein personenbedingter Grund für eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses liegt grundsätzlich - unbeschadet einer abschließenden Interessenabwägung - zumindest dann vor, wenn der Arbeitnehmer im Kündigungszeitpunkt noch eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren zu verbüßen hat und eine vorherige Entlassung nicht sicher zu erwarten steht. In einem solchen Fall kann dem Arbeitgeber regelmäßig nicht zugemutet werden, lediglich Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und auf eine dauerhafte Neubesetzung des Arbeitsplatzes zu verzichten. Dabei ist ua. bedeutsam, dass bei zunehmender Haftdauer die Verwirklichung des Vertragszwecks in Frage gestellt wird. Eine mehrjährige Abwesenheit des Arbeitnehmers geht typischerweise mit einer Lockerung seiner [X.]indungen an den [X.]etrieb und die [X.]elegschaft sowie dem Verlust von Erfahrungswissen einher, das aus der täglichen Routine resultiert. Dementsprechend muss der Arbeitgeber bei der Rückkehr eines langjährig inhaftierten Arbeitnehmers mit [X.] rechnen (vgl. [X.] 23. Mai 2013 - 2 [X.] - Rn. 20 ff., insbes. Rn. 37; 24. März 2011 - 2 [X.] - Rn. 12 ff., insbes. Rn. 23; 25. November 2010 - 2 [X.] - Rn. 11 ff., insbes. Rn. 25, [X.]E 136, 213).

2. [X.]ei einer haftbedingten Arbeitsverhinderung kommt auch eine außerordentliche Kündigung eines tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers mit einer der - fiktiven - ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist in [X.]etracht. Ein „an sich“ wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 [X.]G[X.] für eine solche Kündigung besteht jedenfalls dann, wenn die vorübergehende Unmöglichkeit der Arbeitsleistung iSv. § 275 Abs. 1 [X.]G[X.] mit einer „endgültigen“ Unmöglichkeit gleichzusetzen ist. Ein zeitweiliges Erfüllungshindernis kommt einem dauernden gleich, wenn die Erreichung des Vertragszwecks durch die vorübergehende Unmöglichkeit in Frage gestellt wird und deshalb dem Vertragspartner nach dem Grundsatz von [X.] und Glauben unter Abwägung der [X.]elange beider Vertragsteile die Einhaltung des Vertrags nicht zugemutet werden kann ([X.] - Rn. 23, [X.]GHZ 201, 148; siehe auch [X.] 2012, 40, 45). Das ist bei einem Dauerschuldverhältnis wie dem Arbeitsverhältnis wenigstens dann der Fall, wenn die vom Arbeitnehmer selbst zu vertretende Arbeitsverhinderung zu einer kompletten Entfremdung von [X.]etrieb, [X.]elegschaft und Arbeitsaufgaben führt und sich deshalb die „Wiederaufnahme“ der Tätigkeit lediglich formal als Fortsetzung ein und desselben Arbeitsverhältnisses darstellt. So liegt es regelmäßig dann, wenn die Dauer von zwei Jahren Freiheitsstrafe, die dem Arbeitgeber die Vornahme von Überbrückungsmaßnahmen zur Vermeidung einer ordentlichen Kündigung in jedem Fall unzumutbar macht, um ein Mehrfaches überschritten wird.

3. Danach sind die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 [X.]G[X.] für eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist erfüllt.

a) Es besteht ein „an sich“ wichtiger Grund.

aa) Der Kläger ist rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Er hatte die Haft erst knapp einen Monat vor Zugang der Kündigung angetreten. Auf die zu verbüßende Strafe ist kein bereits erlittener Freiheitsentzug in nennenswertem Umfang anzurechnen (§ 51 Abs. 1 Satz 1 StG[X.]). Der Kläger hatte sich nur in der [X.] vom 1. Juli bis zum 25. August 2011 in Untersuchungshaft befunden.

bb) Im Streitfall liegen keine [X.]esonderheiten vor, die zu einer abweichenden [X.]eurteilung Anlass gäben.

(1) Der Kläger hat die haftbedingte Arbeitsverhinderung selbst zu vertreten. Seine Auseinandersetzung mit der [X.]eweiswürdigung im Strafurteil ist rudimentär. Seine punktuellen Angriffe sind nicht geeignet, deren Richtigkeit in Frage zu stellen. Erst recht stellt es eine subjektive, tatsächlich durch nichts belegte Einschätzung des [X.] dar, wenn er meint, es sei mit einer Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu rechnen. Ein Wiederaufnahmegrund iSv. § 359 StPO ist nicht ersichtlich. Durch das bloße Anbringen eines entsprechenden Antrags würde die Vollstreckung des Strafurteils nicht gehemmt (§ 360 StPO).

(2) Im Kündigungszeitpunkt stand nicht etwa aufgrund konkreter Angaben in einem Vollzugsplan iSv. § 7 [X.], § 10 [X.] [X.] sicher zu erwarten, dass der Kläger den „Freigängerstatus“ erlangen (§ 11 [X.], §§ 12, 53 ff. [X.] [X.]) oder vorzeitig aus der Haft entlassen würde (§ 57 StG[X.]). Ebenso wenig kann das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen schon für Jahre im Voraus abgeschätzt werden (vgl. [X.] 24. März 2011 - 2 [X.] - Rn. 18; 25. November 2010 - 2 [X.] - Rn. 17).

(3) Eine möglicherweise vom beklagten Land vorgehaltene [X.] diente jedenfalls nicht dem Zweck, haftbedingte Ausfälle zu überbrücken (vgl. [X.] 24. März 2011 - 2 [X.] - Rn. 22; zustimmend [X.] 2012, 40, 45). Deshalb spielt es keine Rolle, dass der Kläger während der Dauer einer Arbeitsunfähigkeit, die der Strafhaft vorausgegangen war, aus einem solchen „Pool“ vertreten worden sein will.

(4) Es ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger auf einem Telearbeitsplatz in der Justizvollzugsanstalt beschäftigt werden könnte. Der von ihm in [X.]ezug genommene § 149 [X.], § 94 [X.] [X.] befasst sich mit sog. Arbeitsbetrieben, dh. mit in den Anstalten unterhaltenen Einrichtungen privater Unternehmen, die der Umsetzung der Arbeitspflicht der Gefangenen gemäß § 41 [X.], § 29 [X.] [X.] dienen. Im Übrigen wären die [X.]eschränkungen von Außenkontakten nach §§ 23 ff. [X.], §§ 18 ff. [X.] [X.] zu beachten. Insofern hätte der Kläger allenfalls einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung. Er hat aber weder vorgetragen, dass er einen Antrag auf Einrichtung eines „sicheren“ Telearbeitsplatzes gestellt habe, noch ist ersichtlich, aufgrund welcher Umstände eine Ablehnung durch die Anstaltsleitung ermessensfehlerhaft sein müsste.

b) Der Senat kann die Interessenabwägung an Stelle des [X.]arbeitsgerichts vornehmen, weil der maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. [X.] 27. Januar 2011 - 2 [X.] - Rn. 38, [X.]E 137, 54). Sie führt nicht zu einem Überwiegen der [X.]elange des [X.]. Zwar ist zu seinen Gunsten eine nahezu 24-jährige [X.]etriebszugehörigkeit zu berücksichtigen, deren beanstandungsfreier Verlauf unterstellt werden kann. Zudem mag auf seine Unterhaltspflichten, seine [X.]ehinderung und seine Arbeitsmarktchancen [X.]edacht genommen werden. Gleichwohl geht das [X.]eendigungsinteresse des beklagten [X.] vor. Der Kläger hat seinen außergewöhnlich langen Ausfall selbst verschuldet. Die Freiheitsstrafe, die er im Kündigungszeitpunkt gerade erst angetreten hatte, beläuft sich auf mehr als das [X.] des für eine ordentliche Kündigung regelmäßig ausreichenden Zweijahreszeitraums. Es kommt hinzu, dass das beklagte Land nach dem Urteil des [X.] vom Juli 2011 trotz des Ausfalls durch die Untersuchungshaft und die nachfolgende Arbeitsunfähigkeit noch über 20 Monate zugewartet und bereits dadurch in nicht unbedeutendem Umfang auf die [X.]elange des [X.] Rücksicht genommen hat. Im Rahmen der Interessenabwägung erhebliche, ihn entlastende besondere Umstände hat der Kläger demgegenüber nicht vorgetragen. Insbesondere kann mit [X.]lick auf die von ihm geschuldete Tätigkeit als Verwaltungsfachwirt nicht angenommen werden, dass nach einer Rückkehr aus der Haft keine beträchtliche „Wiedereinarbeitung“ erforderlich würde. Angesichts dessen kann von dem beklagten Land nicht verlangt werden, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.

II. [X.] des Arbeitsverhältnisses des einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten [X.] (§§ 2, 68 SG[X.] IX) ist nicht nach § 85 SG[X.] IX iVm. § 134 [X.]G[X.] nichtig.

1. Das beklagte Land hat die Zustimmung des [X.] innerhalb der Frist des § 91 Abs. 2 SG[X.] IX beantragt. Zum einen liegt der Kündigung ein [X.] zugrunde (vgl. [X.] 13. Mai 2004 - 2 [X.] - zu II 1 der Gründe). Zum anderen hat es den Antrag innerhalb von zwei Wochen nach Antritt der Strafhaft angebracht.

2. Die Zustimmung des [X.] galt als erteilt, bevor die Kündigung erklärt wurde.

a) Gemäß § 91 Abs. 3 Satz 1 SG[X.] IX trifft das Integrationsamt bei einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen vom Tag des Eingangs des Antrags an. Nach § 91 Abs. 3 Satz 2 SG[X.] IX gilt die Zustimmung als erteilt, wenn - wie hier - innerhalb dieser Frist eine Entscheidung nicht getroffen wird.

b) Im Streitfall kann offenbleiben, ob die Gerichte für Arbeitssachen schon deshalb davon auszugehen haben, dass die Zustimmung zu der beabsichtigten Kündigung fingiert wurde, weil das Integrationsamt mit seinem Schreiben vom 18. März 2012 einen entsprechenden feststellenden Verwaltungsakt erlassen hat, den der Kläger mit einem Widerspruch hätte angreifen können und müssen (zum Erfordernis einer schriftlichen, mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen „[X.]estätigung“ des [X.] vgl. [X.]VerwG 10. September 1992 - 5 [X.] 39.88 - [X.]VerwGE 91, 7).

c) Die Fiktion des § 91 Abs. 3 Satz 2 [X.] ist unabhängig von einer solchen Feststellung eingetreten. Richtigerweise greift sie auch bei Anträgen auf Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist ein.

(aa) Nach einer im Schrifttum vertretenen Ansicht findet § 91 Abs. 3 Satz 2 SG[X.] IX bei der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist keine Anwendung ([X.] jurisPR-ArbR 28/2013 [X.]. 4; [X.] in LPK-SG[X.] IX 4. Aufl. § 91 Rn. 11; FKS-SG[X.] IX/[X.] 3. Aufl. § 91 Rn. 4 ff.; [X.] NZA 2005, 494, 500; [X.] in [X.]/[X.] § 91 Rn. 4; [X.] in [X.] IX 3. Aufl. § 91 Rn. 12; [X.] Der Kündigungsschutz behinderter Arbeitnehmer Rn. 519; [X.] Schwerbehindertenarbeitsrecht 2. Aufl. Rn. 765). Es gebe bei solchen Kündigungen, denen regelmäßig Dauertatbestände zugrunde lägen, keinen Grund für eine Verfahrensbeschleunigung. Zudem dürfe ein tariflicher Sonderkündigungsschutz sich nicht gegen den Arbeitnehmer auswirken. Ob danach § 91 SG[X.] IX insgesamt unangewendet zu bleiben hat oder lediglich seine Absätze 3 und 4 [X.] nicht gelten können, wird unterschiedlich beurteilt (für eine „gesplittete“ Lösung: [X.] aaO; [X.] in [X.]/[X.] aaO; [X.] in [X.] IX aaO; [X.] aaO; für eine Geltung von § 88 SG[X.] IX: KDZ/Söhngen [X.] 9. Aufl. § 91 SG[X.] IX Rn. 2; unentschieden: [X.] in LPK-SG[X.] IX aaO; unklar: FKS-SG[X.] IX/[X.] aaO).

bb) Nach anderer Ansicht gilt der gesamte § 91 [X.] auch bei einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist ([X.] 12. Mai 2005 - 2 [X.] - zu [X.] der Gründe; [X.] 10. Juni 2013 - 13 K 6670/12 - Rn. 66; [X.] 7. Februar 2011 - 11 K 2352/10 -; [X.]/[X.] 15. Aufl. § 91 SG[X.] IX Rn. 2; [X.] SG[X.] IX 8. Aufl. § 91 Rn. 31 ff.; [X.] in [X.]/von der [X.]/[X.] SG[X.] IX 4. Aufl. § 91 Rn. 4; [X.]/[X.]/[X.] 10. Aufl. § 91 SG[X.] IX Rn. 2; wohl auch [X.] in [X.]/[X.]/Majerski-[X.] SG[X.] IX 12. Aufl. § 91 Rn. 2, 4; siehe zudem [X.] 12. August 1999 - 2 [X.] - zu [X.] V 3 der Gründe; [X.] 5. August 1996 - 7 [X.] - jeweils zu § 21 [X.]). Es entstehe bei der Anwendung von § 91 Abs. 3 Satz 2 SG[X.] IX auf einen Antrag auf Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist kein Wertungswiderspruch solchen Gewichts, dass er eine Abweichung von der eindeutigen gesetzlichen Regelung zu rechtfertigen vermöge.

cc) Diese Auffassung trifft zu. Der erstgenannten Ansicht könnte angesichts eines klaren Gesetzeswortlauts nur durch eine teleologische Reduktion des § 91 Abs. 3 Satz 2 SG[X.] IX Geltung verschafft werden. Deren Voraussetzungen liegen nicht vor.

(1) Die teleologische Reduktion ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die nach ihrem Wortlaut anzuwendende Vorschrift hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle für gleichwohl unanwendbar hält, weil Sinn und Zweck, Entstehungsgeschichte und Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelung gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen (vgl. [X.] Dezember 2014 - [X.] 2 U 18/13 R - Rn. 27 mwN). Sie setzt voraus, dass der [X.] erfasste, dh. der gesetzlich in bestimmter Weise geregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes nach einer anderen Entscheidung verlangt als die übrigen geregelten Fälle, um [X.] zu vermeiden (vgl. [X.] 21. Februar 2013 - 2 [X.] - Rn. 20 mwN). Eine Gesetzesanwendung, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortsinn einer Norm hintan stellt, ohne dass diese Voraussetzungen vorlägen, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (vgl. [X.]VerfG 19. Mai 2015 - 2 [X.]vR 1170/14 - Rn. 51).

(2) Der Wortsinn des § 91 SG[X.] IX ist eindeutig. Die Norm spricht ohne weitere Differenzierung von außerordentlichen Kündigungen. Das umschließt solche mit notwendiger Auslauffrist. Die Gesetzesfassung ist in [X.]ezug auf derartige Kündigungen auch nicht gleichheitswidrig überschießend. Der Gesetzgeber, dem die Rechtsprechung des Senats zur inhaltsgleichen Vorgängerregelung des § 21 [X.] bekannt gewesen sein muss (so der zutreffende Hinweis von [X.] 10. Juni 2013 - 13 K 6670/12 -), hat bei der Verabschiedung des SG[X.] IX im Jahr 2001 ([X.]G[X.]l. I S. 1046) die außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist aus guten Gründen nicht aus dem Anwendungsbereich des § 91 SG[X.] IX herausgenommen.

(a) Ausweislich seines Absatzes 4 möchte § 91 SG[X.] IX alle Kündigungen erfassen, für die ein wichtiger Grund gemäß § 626 Abs. 1 [X.]G[X.] erforderlich ist. Nach dieser Vorschrift soll das Integrationsamt die Zustimmung erteilen, wenn die Kündigung aus einem - „wichtigen“ - Grund erfolgt, der mit der [X.]ehinderung nicht im Zusammenhang steht. Auch eine außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist erfordert einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 [X.]G[X.]. Das gilt gerade auch im Hinblick auf einen Sachverhalt, der bei einem Arbeitnehmer ohne Sonderkündigungsschutz nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen könnte (vgl. [X.] 23. Januar 2014 - 2 [X.] - Rn. 28, [X.]E 147, 162).

(b) Soweit § 91 SG[X.] IX das [X.]eschleunigungsinteresse der Arbeitsvertragsparteien schützen möchte (vgl. [X.] 12. Mai 2005 - 2 [X.] - zu [X.] I 3 b bb der Gründe) und insofern an § 626 Abs. 2 [X.]G[X.] anknüpft, könnte allenfalls unterschieden werden zwischen Kündigungen, die auf einem einmaligen Vorfall beruhen, und solchen, denen ein [X.] zugrunde liegt. Es ist aber weder so, dass eine außerordentliche fristlose Kündigung nicht auch auf einen [X.] gestützt werden könnte, noch ist es ausgeschlossen, dass ein einmaliger Vorfall lediglich zu einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist berechtigt (vgl. [X.] 13. Mai 2015 - 2 [X.] - Rn. 45). Zudem wird dem [X.]eschleunigungsinteresse des Arbeitgebers nicht ausreichend Rechnung getragen, wenn allein die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 [X.]G[X.] in den [X.]lick genommen würde. Der Arbeitgeber wird - anders als im Streitfall - oftmals nicht von der Pflicht zur Zahlung des Entgelts befreit sein, obgleich ihm ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Seite steht. Sein berechtigtes Anliegen, die Kündigung zeitnah erklären zu können, würde erheblich geschwächt, wollte man § 88 Abs. 1 SG[X.] IX anstelle von § 91 Abs. 3 SG[X.] IX für einschlägig erachten. Nach § 88 Abs. 1 SG[X.] IX soll das Integrationsamt die Entscheidung innerhalb eines Monats treffen. Eine Fristüberschreitung hat keine gesetzlichen Konsequenzen. Gemäß § 91 Abs. 3 SG[X.] IX muss das Integrationsamt den Antrag innerhalb von zwei Wochen bescheiden, andernfalls wird seine Zustimmung fingiert. Die vergleichbare, allerdings eine „[X.]earbeitungsfrist“ von einem Monat vorsehende Regelung in § 88 Abs. 5 SG[X.] IX betrifft lediglich die Sonderfälle einer ordentlichen Kündigung gemäß § 89 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 SG[X.] IX ([X.]etriebseinstellung/-auflösung und „Insolvenzkündigungen“ unter bestimmten Voraussetzungen).

(c) Mit der gesetzlichen Fiktion wird auch dem Rechtschutzbedürfnis des Arbeitnehmers genügt. Der gemäß § 91 Abs. 3 Satz 2 SG[X.] IX fingierte Verwaltungsakt entfaltet alle Wirkungen einer erteilten Zustimmung. Die Fiktion hat [X.] (vgl. [X.]VerwG 12. Juli 2012 - 5 [X.] 16.11 - Rn. 12, [X.]VerwGE 143, 325; 10. September 1992 - 5 [X.] 39.88 - [X.]VerwGE 91, 7). Der Arbeitnehmer kann deshalb eine volle, zeitlich nicht limitierte materiell-rechtliche Überprüfung erreichen, indem er Widerspruch gegen den fingierten Verwaltungsakt einlegt (in diesem Sinne [X.] 7. Februar 2011 - 11 K 2353/10 -; [X.] SG[X.] IX 8. Aufl. § 91 Rn. 33). Im Widerspruchsverfahren geht es nicht mehr darum, ob die Zustimmung als erteilt gilt, sondern allein darum, ob sie hätte erteilt werden dürfen. Dabei besteht wie stets die Möglichkeit, dass der fingierte Verwaltungsakt aufgehoben wird.

3. Es kann dahinstehen, ob das beklagte Land die Kündigung unverzüglich nach „Erteilung“ der Zustimmung iSv. § 91 Abs. 5 SG[X.] IX erklärt hat. Die Vorschrift greift erst dann ein, wenn die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 [X.]G[X.] abgelaufen ist (vgl. [X.] 13. Mai 2004 - 2 [X.] - zu II 2 der Gründe). Dem war hier nicht so. Kündigungsgrund ist ein unveränderter [X.].

III. [X.] ist nicht gemäß § 74 Abs. 3 [X.] [X.] unwirksam. Das beklagte Land hat den nach § 1 Abs. 2, § 50 Abs. 1, § 52, § 78 Abs. 1 und Abs. 4 [X.] [X.] zuständigen Gesamtpersonalrat des [X.]betriebs Straßenbau vollständig iSv. § 66 Abs. 2 Satz 1 [X.] [X.] am 26. Februar 2013 unterrichtet und ihn unter [X.]ezugnahme auf § 74 Abs. 1 Satz 1 [X.] [X.] um Zustimmung zu der beabsichtigten Maßnahme gebeten. Diese hat der Gesamtpersonalrat mit Schreiben vom 28. Februar 2013 erteilt.

[X.]. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

        

    Kreft    

        

    Rachor    

        

    Niemann    

        

        

        

    Krichel    

        

    Jan Eulen    

                 

Meta

2 AZR 381/14

22.10.2015

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Aachen, 27. August 2013, Az: 4 Ca 1400/13, Urteil

§ 626 Abs 1 BGB, § 626 Abs 2 BGB, § 134 BGB, § 275 Abs 1 BGB, § 2 SGB 9, § 68 SGB 9, § 85 SGB 9, § 88 Abs 1 SGB 9, § 89 Abs 1 SGB 9, § 91 Abs 2 SGB 9, § 91 Abs 3 S 1 SGB 9, § 91 Abs 3 S 2 SGB 9, § 51 Abs 1 S 1 StGB, § 57 StGB, § 359 StPO, § 360 StPO, § 7 StVollzG, § 11 StVollzG, § 23 StVollzG, § 41 StVollzG, § 149 StVollzG, § 10 StVollzG NW, § 12 StVollzG NW, § 18 StVollzG NW, § 29 StVollzG NW, § 53 StVollzG NW, § 94 StVollzG NW, § 1 Abs 2 PersVG NW 1974, § 50 Abs 1 PersVG NW 1974, § 52 PersVG NW 1974, § 66 Abs 2 S 1 PersVG NW 1974, § 74 Abs 1 S 1 PersVG NW 1974, § 78 Abs 1 PersVG NW 1974, § 34 TV-L

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.10.2015, Az. 2 AZR 381/14 (REWIS RS 2015, 3519)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 3519

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Referenzen
Wird zitiert von

4 TaBVGa 16/17

4 TaBV 30/17

5 Sa 498/15

6 Sa 111/17

4 Sa 37/22

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