Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.11.2017, Az. 3 StR 460/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2017, 2246

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:161117B3STR460.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 460/17
vom
16. November 2017
in der Strafsache
gegen

1.

2.

wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern
u.a.

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung der Beschwerde-führer und des [X.] -
zu 2. auf dessen Antrag -
am 16.
No-vember 2017 gemäß §
349 Abs. 2 und 4 [X.] einstimmig beschlossen:

1.
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 17.
März 2017 aufgehoben,
a)
soweit es den Angeklagten S.

betrifft, vollumfänglich mit den Feststellungen,
b)
soweit es die Angeklagte [X.]

betrifft, in den Aussprüchen über die in den Fällen II.
2., 3. und
4. der Urteilsgründe ver-hängten Einzelstrafen und über die Gesamtstrafe; jedoch
bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der jeweiligen Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere [X.] des [X.]s zurückverwiesen.
2.
Die weitergehende Revision der Angeklagten [X.]

wird [X.].

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten S.

wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen und sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten sowie die Angeklagte [X.]

wegen schweren sexuellen Missbrauchs von [X.]
-
3
-
dern in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von [X.], sexuellen Missbrauchs von Kindern und unterlassener
Hilfeleistung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es die Angeklagten freigesprochen. Mit ihren Revisionen rügen diese die Verletzung materiellen Rechts; der Angeklagte S.

beanstandet darüber hinaus das Verfahren. Sein Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Dasjenige der Angeklagten [X.]

hat mit der Sachbeschwerde den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des §
349 Abs. 2 [X.].
1. Die Revision des Angeklagten S.

beanstandet mit einer Verfah-rensrüge zutreffend, dass die [X.] zwei Beweisanträge mit rechtsfeh-lerhafter Begründung abgelehnt hat.
a) Dem liegt zugrunde:
Nach den Feststellungen lebten die Angeklagte [X.]

und ihre [X.] Tochter, die Nebenklägerin, von August bis zum 6.
Oktober 2014 [X.] mit dem Angeklagten S.

in dessen Wohnung. In diesem [X.]raum nahm der Angeklagte dort in fünf Fällen sexuelle Handlungen an der Nebenklä-gerin vor, wobei er in einem Fall mit einem Vibrator in die Scheide der [X.] eindrang und in einem weiteren Fall mit den Fingern zwischen ihren Schamlippen manipulierte.
Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung unter anderem die Anträge gestellt, zwei die Nebenklägerin behandelnde Ärzte, darunter eine Frauenärztin,
als Zeugen zu den Behauptungen zu vernehmen, die Angeklagte [X.]

habe auf sein Drängen bzw. seine Veranlassung jeweils einen Untersuchungstermin für ihre Tochter vereinbart, während des Termins bei der Frauenärztin habe er vor der Praxis gewartet, während des anderen [X.] sei er zugegen ge-2
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wesen. Diese [X.] seien für die tatrichterliche Überzeugungsbil-dung hinsichtlich der ihm angelasteten sexuellen Übergriffe von Bedeutung; denn,
würden die Vorwürfe zutreffen, hätte er "mit Sicherheit nicht entspre-chende ärztliche Untersuchungen veranlasst, die ... dazu hätten führen können, dass ... [X.] aufgedeckt worden wäre".
Das [X.] hat diese Anträge nach §
244 Abs.
3 Satz 1 [X.] abge-lehnt, weil ein Beweismittelverbot bestünde. Gemäß §
53 Abs.
1 Nr.
3 [X.] unterlägen die zwei Zeugen hinsichtlich ihrer ärztlichen Tätigkeiten gegenüber der Nebenklägerin einer Pflicht zur Verschwiegenheit. Die Nebenklägerin habe durch die Nebenklagevertreterin erklären lassen, sie entbinde die beiden [X.] Ärzte nicht von dieser Verpflichtung.
b) [X.] wegen Unzulässigkeit der begehr-ten Beweiserhebungen erweist sich als rechtsfehlerhaft.
aa) Bei den gegenständlichen Beweisbegehren handelt es sich um Be-weisanträge, nicht nur um [X.]. Entgegen der Auffassung des [X.] fehlt es nicht an einem erkennbaren [X.] den bezeichneten Beweismitteln und den behaupteten [X.]. Ungeachtet der Frage, ob und in welchen Grenzen das Kriterium der Konnexi-tät anzuerkennen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 8.
Juli 2014 -
3
StR 240/14, [X.]R [X.] §
244 Abs.
3 Konnexität
2; krit. [X.]/[X.], [X.], 26. Aufl., §
244 Rn.
113
f.; [X.], [X.], 7.
Aufl., §
244 Rn.
83
f.), ist hier ohne weiteres er-kennbar, weshalb die benannten Zeugen etwas zu dem Beweisthema bekun-den können sollten. Denn nach dem Vorbringen im Beweisantrag war der An-geklagte S.

bei beiden Untersuchungsterminen vor Ort; bei einem Termin war er sogar unmittelbar anwesend. Situationen, in denen der jeweilige Zeuge die unter Beweis gestellten Wahrnehmungen hätte machen können, sind damit 6
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plausibel gemacht. Nicht erforderlich ist dagegen, dass der Antragsteller sicher weiß, dass das Beweismittel die Beweisbehauptung belegt; vielmehr genügt es, wenn er dies auf Grund von tatsächlichen Anhaltspunkten für möglich hält oder vermutet (vgl. [X.], Urteil vom 15.
Dezember 2005 -
3
StR 201/05, [X.], 585, 586; Beschluss vom
8.
Juli 2014 -
3
StR 240/14, aaO; ferner [X.]/[X.] aaO, Rn.
103, 112; [X.] aaO, Rn.
72, 83, jeweils mwN).
bb) Die [X.] hat zu Unrecht den Ablehnungsgrund des §
244 Abs.
3 Satz 1 [X.] angenommen; denn die begehrten Beweiserhebungen wa-ren nicht
ohne weiteres unzulässig.
Steht einem Arzt nach §
53 Abs.
1 Nr.
3 [X.] ein [X.] zu, so obliegt es ausschließlich seiner freien Entscheidung, ob er sich nach Abwägung der widerstreitenden Interessen zu einer Zeugenaussage entschließt. Lehnt der Patient es ab, den Arzt von der Schweigepflicht zu ent-binden, oder widerruft er eine frühere Entbindungserklärung, so hat er keinen strafprozessualen Anspruch darauf, dass der Arzt die Aussage verweigert (vgl. [X.], Urteile vom 20.
November 1962 -
5
[X.], [X.]St 18, 146, 147; vom 7.
März 1996 -
4
StR 737/95, [X.]St 42, 73, 76). Das gilt auch dann, wenn sich dieser durch seine Angaben nach §
203 Abs.
1 Nr.
1 StGB strafbar macht (vgl. [X.], Urteile vom 28.
Oktober 1960 -
4
StR 375/60, [X.]St 15,
200, 202; vom 20.
November 1962 -
5 [X.], aaO, S. 147 f.). Auch dann bleibt die Aussage grundsätzlich verwertbar (vgl. [X.], Urteile vom 12.
Dezember 1995
-
1
StR 571/95, [X.]R [X.] §
53 Schweigepflicht
1; vom 7.
April 2005 -
1
StR 326/04,
[X.]St 50, 64, 79 mwN; [X.], [X.], 7.
Aufl., §
53 Rn.
9;
einschränkend -
allerdings ohne Auswirkung auf den vorliegenden Fall -
[X.]/[X.]/[X.], [X.], 27.
Aufl., §
53 Rn.
12
f.). Für das Tatgericht kommt es somit nicht darauf an, ob der Berufsgeheimnisträger befugt oder unbefugt handelt, sondern nur darauf, ob er sein Zeugnis verweigert oder nicht
9
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-
6
-
(vgl. [X.], Urteil vom 28.
Oktober 1960 -
4
StR 375/60, aaO; [X.]/[X.], [X.], 60.
Aufl., §
53 Rn.
45; [X.] aaO, Rn.
7).
Hiernach durfte die [X.] nicht allein wegen der von der Neben-klägerin verweigerten Schweigepflichtsentbindung von einem Beweismittelver-bot und damit von der Unzulässigkeit der begehrten Zeugenvernehmungen ausgehen. Vielmehr war die [X.] -
falls sie die Beweisanträge nicht rechtsfehlerfrei gemäß §
244 Abs.
3 Satz 2 [X.] behandelt hätte -
gehalten, die beiden Ärzte zu laden und ihre Entscheidung über das [X.] herbeizuführen; gegebenenfalls hätte die Aussagebereitschaft auch freibeweislich geklärt werden können.
c) Die Verurteilung des Angeklagten S.

beruht auf dem dargelegten Verfahrensfehler (§
337 Abs.
1 [X.]). Entgegen der Auffassung des [X.] ist nicht auszuschließen, dass die behandelnden Ärzte von
ihrem Zeugnisverweigerungsrecht keinen Gebrauch gemacht hätten.
2. Die Revision der Angeklagten [X.]

führt mit der Sachrüge zur Auf-hebung der Aussprüche über die in den Fällen II.
2. bis
4. verhängten Einzel-strafen und über die Gesamtstrafe.
a) Die Nachprüfung des Urteils hat hinsichtlich des Schuldspruchs kei-nen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten [X.]

ergeben.
b) Der Strafausspruch kann keinen Bestand haben, da eine Strafmilde-rung nach §
46b Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 StGB in Betracht kam und die [X.] diese Möglichkeit nicht erkennbar erwogen hat. Das betrifft die Fälle II.
2. bis
4., in denen das angewendete Strafgesetz eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht (§
176 Abs.
4, §
176a Abs.
2 StGB), dagegen nicht den 11
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-
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-
Fall II.
5 (§
323c StGB). Hinsichtlich der für diesen Fall festgesetzten Einzelstra-fe hält die Strafzumessung auch im Übrigen sachlichrechtlicher Prüfung stand.
aa) Nach den Feststellungen erstattete die Angeklagte [X.]

, die in drei der Fälle an sexuellen Handlungen des Angeklagten S.

an der Nebenklä-gerin beteiligt war und in einem Fall trotz kurzzeitiger Anwesenheit untätig blieb, einige [X.] nach der Beendigung der Lebensgemeinschaft auf Aufforderung einer Nachbarin, der gegenüber die Nebenklägerin Angaben zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten S.

gemacht hatte, Strafanzeige gegen die-sen. Bei der Polizei machte die Angeklagte [X.]

konkrete Angaben zu den drei Taten, an denen sie beteiligt war, und der weiteren Tat, auf die sie [X.] wurde. Sie wurde nach der [X.] zumindest zweimal polizeilich einvernommen und belastete dabei den Angeklagten S.

. Die [X.] hat ihre Überzeugung von dessen Täterschaft entscheidend auf die Angaben der Angeklagten [X.]

in der Hauptverhandlung gestützt, die sie im Verhältnis zu den Aussagen im Ermittlungsverfahren als im Wesentlichen konstant bewertet hat.
Im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne hat die [X.]
-
"innerhalb der maßgeblichen Strafrahmen aus §
176 Abs.
4 StGB, §
176a Abs.
2 StGB und §
323c StGB" -
zugunsten der Angeklagten [X.]

berücksich-tigt, sie habe "durch ihre Anzeige ... das hiesige Verfahren angestoßen und damit im erheblichen Maße zu einer Aufdeckung der abgeurteilten Taten beige-tragen"; sie habe schon im Ermittlungsverfahren "detaillierte Angaben zu den Umständen und Hintergründen der ihr bekannten Taten gemacht".
bb) Die [X.] hätte sich mit einer Strafmilderung gemäß §
46b Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 StGB befassen müssen, die in ihrem pflichtgemäßen Er-messen stand (vgl. §
46b Abs.
2 StGB). Denn nach den Urteilsgründen sind die 16
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-
8
-
tatbestandlichen Voraussetzungen in den Fällen [X.] bis 4. erfüllt; [X.] sind die drei Taten des schweren sexuellen Missbrauchs, wegen derer der Angeklagte S.

verurteilt worden
ist, vom Straftatenkatalog des §
100a Abs.
2 [X.] erfasst (vgl. Nr.
1 Buchst.
f).
Soweit die [X.] die Angeklagte [X.]

wegen schweren sexuel-len Missbrauchs nach §
176a Abs.
2 Nr.
2 StGB verurteilt hat (Fälle II.
3. und
4.), hat sie minder schwere Fälle gemäß §
176a Abs.
4 StGB verneint, oh-ne den [X.] des §
46b StGB erkennbar in ihre Wür-digung mit einzubeziehen. Dies ist ebenso rechtsfehlerhaft wie die [X.] Prüfung einer Strafrahmenverschiebung nach §
46b Abs.
1 Satz
1 Nr.
1, §
49 Abs.
1 StGB, die -
auch -
die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß §
176 Abs.
4 Nr.
1 StGB (Fall II.
2.) betrifft (zu den [X.], falls ein vertypter Strafmilderungsgrund vorliegt und das Gesetz einen unbenannten minder schweren Fall vorsieht, s. [X.], Beschlüsse vom 4.
April 2017 -
3
StR 516/16, [X.], 524; vom 17.
Oktober 2017 -
3
StR 423/17, juris Rn.
5 mwN).
cc) Es ist nicht auszuschließen, dass sich der §
46b StGB betreffende Erörterungsmangel bei der Bemessung der in den Fällen [X.] bis 4. verhängten Einzelstrafen zum Nachteil der Angeklagten [X.]

ausgewirkt hat (§
337 Abs.
1 [X.]). Diese können keinen Bestand haben, was auch die Aufhebung der Gesamtstrafe bedingt. Die zugehörigen Feststellungen sind von dem

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-
9
-
Rechtsfehler, der lediglich in einer rechtsfehlerhaften Wertung der festgestell-ten Tatsachen besteht, nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben (§
353 Abs.
2 [X.]).
[X.] Ri[X.] Gericke befindet sich

Spaniol

im Urlaub und ist daher ge-

hindert zu unterschreiben.

[X.]

Ri[X.] Dr. [X.] befindet Berg

sich im Urlaub und ist daher

gehindert zu unterschreiben.

[X.]

Meta

3 StR 460/17

16.11.2017

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.11.2017, Az. 3 StR 460/17 (REWIS RS 2017, 2246)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 2246

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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