Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.12.2014, Az. 5 StR 422/14

5. Strafsenat | REWIS RS 2014, 616

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Nachschlagewerk: ja
[X.]St : ja
Veröffentlichung : ja

StGB § 176a Abs. 5
StGB § 177 Abs. 4 Nr. 2
Buchst. a

Schmerzhafte anale Penetrationshandlungen gegenüber Kin-
dern können eine körperlich schwere Misshandlung (§ 176a
Abs. 5, §
177 Abs. 4 Nr. 2
Buchst. [X.]) darstellen.

[X.], Urteil vom 9. Dezember 2014

5 [X.]14

-
LG Berlin -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

5 [X.]14

vom
9. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen

wegen besonders
schweren
sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
-
2
-

Der 5. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 9. Dezem-ber
2014,
an der teilgenommen haben:

[X.]in Dr. [X.]
als Vorsitzende,

und die [X.] am [X.]
Dölp,
Prof. Dr.
[X.],
Dr. Berger,
Bellay

als beisitzende [X.],

Oberst[X.]tsanwältin beim [X.]

als Vertreterin
der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwältin B.

als Verteidigerin,

Rechtsanwältin E.

als Nebenklägervertreterin,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
-
3
-

für Recht erkannt:

1.
Auf die Revision des Ange-klagten wird das Urteil des [X.] vom 7. Mai 2014 im Schuldspruch dahin abgeändert
und klargestellt, dass der Angeklagte des besonders schweren sexuellen Miss-brauchs
eines Kindes in Tateinheit mit besonders schwerer
Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch einer Schutzbefoh-lenen, der schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit versuch-ter Nötigung, des schweren sexuellen Missbrauchs eines [X.] in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbe-fohlenen in drei Fällen
und des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutz-befohlenen in drei Fällen
schuldig ist.
2.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
3.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellem 1
-
4
-

Missbrauch eines Kindes und sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohle-nen (Fall 4) und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit versuchter Nöti-gung (Fall 8), wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in vier Fällen (Fälle 1, 2, 3 und 5) und wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in zwei Fäl-len (Fälle 6 und 7) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verur-teilt; im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten führt im Fall 3 zu einer Schuldspruchänderung zu seinen Gunsten; im Übrigen bleibt sein Rechtsmittel ohne Erfolg. Im
Fall
4 verschärft der [X.] den Schuldspruch zu Lasten des Angeklagten.
1. Nach den Feststellungen des [X.]s missbrauchte der An-geklagte die am 22. Oktober 1999 geborene Nebenklägerin, für die er [X.] übernommen hatte, ab ihrem
11. Lebensjahr in acht Fällen, davon in einem Fall nach Vollendung ihres 14. Lebensjahres. Fall
3 liegt zugrunde, dass er an der unbedeckten Scheide der Nebenklä-gerin leckte
(Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten we-gen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit
sexu-ellem
Missbrauch einer Schutzbefohlenen). Im Fall
4 ergriff er die Neben-klägerin an den Unterarmen, warf sie aufs Bett und hielt sie fest. Er rieb ihren After mit einem Gel ein und vollzog gewaltsam den Analverkehr bis zum Samenerguss, obwohl die Nebenklägerin vor Schmerzen schrie. Um ein
Kissen (Ein-zelfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen Vergewalti-gung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Missbrauch eines Kindes und sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen).
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5
-

2. Die Schuldsprüche begegnen in den genannten Fällen durchgrei-fenden Bedenken.
a) Das [X.] hat den Angeklagten im Fall 3 zu Unrecht auch wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilt. Denn es ist nicht festgestellt, dass er beim Oralverkehr
in den Körper der Neben-klägerin eindrang. Mithin ist ein Fall des nicht qualifizierten sexuellen Missbrauchs eines Kindes nach §
176 Abs.
1 StGB in Tateinheit mit sexu-ellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen gegeben.
Der [X.] ändert den Schuldspruch zugunsten des Angeklagten entsprechend ab.
Die Schuldspruchänderung führt entgegen dem Antrag des [X.] nicht zur Herabsetzung der insoweit
verhängten Einzel-strafe (§
354 Abs.
1 StPO). Denn der [X.] kann ein Beruhen des Einzel-strafausspruchs auf dem aufgezeigten Rechtsfehler ausschließen. Das [X.] hat in den Urteilsgründen ausgeführt, dass ihm ein Tenorie-rungsversehen unterlaufen sei ([X.]) und dass es die [X.] dem Strafrahmen des
§
176 Abs.
1 StGB entnommen
habe
(UA S.
42). Hieran zu zweifeln besteht kein Anlass. Die Begründung, mit der
die [X.] die Tat trotz des milderen
Strafrahmens im Verhältnis zu zwei Fällen des durch die
Nebenklägerin am Angeklagten ausgeführten Oralverkehrs als gleichgewichtig angesehen hat, ist frei von Rechtsfehlern.
b) Der [X.] hat beantragt, die Einzelfreiheitsstrafe in Fall 4 auf das in §
176a Abs.
2, §
177 Abs.
2 Satz
1 StGB vorgesehene Mindestmaß von zwei Jahren Freiheitsstrafe festzusetzen (§
354 Abs.
1 StPO), weil das [X.] rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen des 3
4
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6
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6
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§
177 Abs.
3 Nr.
2 StGB als verwirklicht angesehen habe. Dem folgt der [X.] nicht.

Zwar vermochte die [X.]
in Abweichung von
den
Ankla-gevorwürfen
eine Fesselung der Nebenklägerin nicht festzustellen. Das Urteil weist jedoch zugleich einen Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklag-ten auf. Denn das [X.] hat nicht erwogen, dass die Qualifikations-tatbestände der schweren körperlichen Misshandlung nach §
176a Abs.
5 und §
177 Abs.
4 Nr.
2 Buchst. [X.] verwirklicht sind. Der [X.] kann deswegen offen lassen, ob der Angeklagte wegen Verwendung eines ge-fährliches Werkzeugs (auch) den Qualifikationstatbestand des §
177 Abs.
4 Nr.
1 StGB erfüllt hat, indem er den Kopf der Nebenklägerin in ein Kissen drückte, um deren Schreie zu unterbinden.
a) Nach gefestigter Rechtsprechung des [X.] ver-langt das Merkmal der schweren körperlichen Misshandlung einerseits nicht den Eintritt der in §
226 Abs.
1 StGB (schwere Körperverletzung)
[X.], Beschluss vom 14.
Dezember 1993

4
StR 717/93, bei [X.] NStZ 1994, 223). Erforderlich, aber auch ausreichend ist es, dass
die kör-perliche Integrität des Opfers in einer Weise verletzt wird, die mit erhebli-chen Schmerzen verbunden ist (vgl. [X.], Beschluss vom 27. Mai 1998

5 [X.], [X.], 461; [X.], Urteile vom 13. September 2000

3 StR 347/00, [X.]R StGB §
177 Abs.
4 Misshandlung 1; vom 13. [X.] 2007

1 StR 574/06; vom 15. September 2010

2
StR 395/10, 7
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7
-

NStZ-RR 2011, 337, 338; vgl. zu §
176a Abs.
3 Nr.
2 StGB aF [X.], Urteil vom 11. August 1993

3 [X.]). Dabei schadet es nicht, wenn die Misshandlung nicht gerade als Nötigungsmittel eingesetzt wird, sondern im Zuge der sexuellen Handlungen erfolgt (vgl. [X.], Beschluss vom 12.
Dezember 2000

4
StR 464/00, [X.]St 46, 225, 229).
b) Daran gemessen ist das Merkmal hier gegeben. Der Angeklagte erzwang an der zur Tatzeit allenfalls zwölfjährigen Nebenklägerin den (erstmaligen) Analverkehr bis zum Samenerguss. Hierdurch fügte er ihr derart gravierende Schmerzen zu, dass er sich veranlasst sah, ihre lauten Schreie (vgl. auch UA S.

zu ersticken, indem er ihren Kopf in ein Kissen drückte. Den Ausführungen der [X.] ist zu entnehmen, dass sich die Misshandlung über geraume Zeit erstreckte.
[X.]) Der [X.] verkennt nicht, dass namentlich anale Penetrationen bei
Kindern auf dieser Basis nicht selten den Qualifikationstatbestand des §
176a Abs.
5 StGB (§
177 Abs.
4 Nr.
2 Buchst.
[X.]) erfüllen werden. Er sieht jedoch keinen Grund, solche schwerwiegenden Taten nicht der verschärften Strafdrohung zu unterwerfen. Dem lässt sich nicht überzeu-gend entgegenhalten, dass mit dem Eindringen in den Körper von Kindern typischerweise Schmerzen verbunden sein werden, der Gesetzgeber für derartige Taten in §
176a Abs.
2 Nr.
1 StGB (§
177 Abs.
2 Satz
1, 2 Nr.
1 StGB) aber einen günstigeren
Strafrahmen vorgesehen hat (vgl. dazu
[X.], StGB, §
177 Rn. 33; LK-Hörnle, StGB, 12.
Aufl., §
176a Rn.
84; Kudlich, [X.] 2001, 378, 380). Denn es existieren

wie auch die Tatserie des Angeklagten erweist

Vorgänge des Eindringens, die nicht schmerzhaft sind oder insoweit jedenfalls nicht den erforderlichen Erheb-lichkeitsgrad erreichen. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass die 9
10
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8
-

Verursachung beträchtlicher Schmerzen regelmäßige und damit vom [X.] des §
176a Abs.
2 Nr.
1
StGB (§
177 Abs.
2 Satz
1, 2 Nr.
1 StGB) abschließend umfasste Begleiterscheinung der darin bezeichneten [X.] ist. Dass eine Privilegierung schon für sich genommen äu-ßerst schmerzhafter Sexualhandlungen gegenüber sonstigen körperlichen Misshandlungen wie etwa heftigen und mit Schmerzen verbundenen Schlägen (vgl. [X.], Beschluss vom 27.
Mai 1998

5 [X.], [X.]O) vom Gesetzgeber intendiert gewesen sein könnte, liegt nicht nahe (vgl. auch [X.], Beschluss vom 12.
Dezember 2000

4
StR 464/00, [X.]O).
Genauso
wenig lässt sich aus dem in der Vorschrift weiter aufge-führten [X.] der Verursachung einer Todesgefahr ein plausibler
Grund für eine

e-

gewinnen
(sowohl [X.], 2.
Aufl., §
176a Rn.
34). Denn es handelt sich um qualitativ unterschiedliche Merkmale mit
divergierender Schutzrichtung.
bb) Allerdings bedarf es für die Annahme einer schweren körperli-chen Misshandlung
hinreichender Feststellungen zu Ausmaß und Dauer der Schmerzen. Anders als bei den weiteren ausgeurteilten Fällen (analer) Vergewaltigungen bzw. deren Versuch zum Nachteil der Nebenklägerin genügen die Urteilsgründe diesem Erfordernis im Fall 4.
cc) Der [X.] ändert daher den Schuldspruch zu Lasten des Ange-klagten ab; das Verschlechterungsgebot steht dem nicht entgegen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 22. August 2013

5 [X.] mwN; vom 22.
April 2014

5
StR 123/14, vom 6.
Mai 2014

5 StR 99/14).
Ferner ist §
265 StPO nicht verletzt,
weil
nicht ersichtlich
ist, dass der in der Haupt-11
12
13
-
9
-

verhandlung schweigende und im Ermittlungsverfahren bestreitende An-geklagte sich anders als geschehen hätte verteidigen können (vgl. [X.], Beschluss vom 22.
August 2013

5 [X.]).

3. Im Übrigen weist das Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
Die weitergehende Revision ist daher
aus den Gründen der Antragsschrift
des [X.]s offensichtlich unbegründet.
Es beschwert den Angeklagten nicht, dass das [X.] im Fall
6 unter Verkennung des Gewaltbegriffs in der Ausformung durch die Rechtsprechung
(vgl. [X.] in [X.]/[X.], StGB, 29.
Aufl., §
177 Rn.
5 mit zahlreichen Nachweisen)

Gegenwehr

des Opfers nicht auch eine sexuelle Nötigung nach §
177 Abs.
1 StGB angenommen hat. Entsprechendes gilt für den Umstand, dass sich die [X.] im Fall 8 hinsichtlich
der durch das verabreichte Potenzmittel hervorgeru-fenen Nebenwirkungen (Kopfschmerzen, Übelkeit
der Nebenklägerin) nicht von einem zumindest
bedingten Vorsatz des Angeklagten und damit
vom Vorliegen
einer gefährlichen Körperverletzung nach §
224 Abs.
1 Nr.
1 StGB zu überzeugen vermochte
(vgl. UA S.
19).
Jedoch stellt der [X.] die Urteilsformel mit Blick auf die bereits vom [X.] ange-nommene Verwirklichung des [X.] des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB
insoweit dahingehend klar, dass der Angeklagte in diesem Fall der schweren Vergewaltigung schuldig ist.
[X.]
Dölp
[X.]

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-

Berger
Bellay

Meta

5 StR 422/14

09.12.2014

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 09.12.2014, Az. 5 StR 422/14 (REWIS RS 2014, 616)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 616

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 StR 422/14

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