Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.09.2011, Az. V ZB 173/11

V. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 2807

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V [X.]

vom

29. September 2011

in der Abschiebungshaftsache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 72 Abs. 4 Satz 1
Fehlen in einem zulässigen Haftantrag die objektiv erforderlichen Angaben zu dem Einvernehmen der Strafverfolgungsbehörden mit der Abschiebung, kann die [X.] rechtswidrige Haft durch die spätere Erteilung des Einvernehmens erst dann rechtmäßig werden, wenn dem Betroffenen insoweit rechtliches Gehör gewährt wird.

[X.], Beschluss vom 29. September 2011 -
V [X.] -
LG [X.] (Oder)

AG [X.] (Oder)

-
2
-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. September 2011 durch [X.] [X.], die Richterin Dr.
Stresemann, [X.]
Czub und die Richterinnen Dr.
[X.] und Weinland

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.]s [X.]/Oder vom 7. April 2011 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen geän-dert. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts [X.]/Oder vom 8. März 2011 den Betroffenen in seinen Rech-ten verletzt hat und seine Inhaftierung in Abschiebungshaft in der [X.] vom 8. März 2011 bis zum 7.
April 2011 rechtswidrig war.
Die dem Betroffenen in allen Instanzen entstandenen zur [X.] Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen werden zu 40 % dem [X.]auferlegt. Im Übrigen findet eine Auslagenerstattung nicht statt. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 3000

-

3

-
Gründe:

I.
Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste nach ei-genen Angaben am 1. November 2008 in die [X.] ein und war nach einem erfolglosen Asylverfahren
ausreisepflichtig. Am 8. März 2011 wurde er von [X.] nach [X.] rücküberstellt. Mit Beschluss vom gleichen Tage hat das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde bis längstens 8. Juni 2011 die Haft zur Sicherung seiner Abschiebung angeordnet. Die Beschwerde des Betroffenen hat das [X.] nach seiner Anhörung am 7.
April 2011 mit Beschluss vom gleichen Tag zurückgewiesen. Der [X.] hat den Antrag des Betroffenen auf Aussetzung des Vollzugs der [X.] der einstweiligen Anordnung zurückgewiesen (Beschluss vom 3.
Mai 2011 -
V [X.] 10/11, juris). Mit der Rechtsbeschwerde begehrt er nach seiner Abschiebung am 16. Mai 2011 die Feststellung der Rechtswidrigkeit sei-ner Inhaftierung.
II.
Das Beschwerdegericht nimmt die Haftgründe des §
62 Abs.
2 Satz
1 Nr.
2 und 5 [X.] an und meint, wegen des inzwischen erteilten [X.] der ermittelnden Strafverfolgungsbehörden sei ein Verstoß gegen §
72 Abs. 4 Satz 1 [X.] nicht gegeben.
III.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist nur teilweise begründet. Das Be-schwerdegericht hat die Beschwerde insoweit zu Unrecht zurückgewiesen, als die Haftanordnung und die auf ihr beruhende Inhaftierung bis zu seiner Ent-scheidung rechtswidrig waren.
1
2
3
-

4

-
1. Ein Ausländer, gegen den öffentliche Klage erhoben oder ein straf-rechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, darf gemäß § 72 Abs. 4 Satz 1 [X.] nur im Einvernehmen mit der zuständigen Staatsanwaltschaft [X.] werden. Fehlen in dem Haftantrag
was von Amts wegen zu prüfen ist
Ausführungen zu dem Einvernehmen, obwohl sich aus ihm selbst oder aus den ihm beigefügten Unterlagen ohne weiteres ergibt, dass die öffentliche Kla-ge oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist, ist der Antrag unzulässig (st. Rspr., vgl. nur [X.],
Beschluss vom 20. Januar 2011 -
V [X.], [X.] 2011, 144 Rn.
9; Beschluss vom 3. Februar 2011 -
V [X.], [X.] 2011, 148 Rn.
8
ff.). Im Übrigen ist die Verletzung von §
72 Abs.
4 Satz
1 [X.] im Rechtsbeschwerdeverfahren nur auf entsprechende
Rüge zu berücksichtigen. Dabei ist es für die Verletzung der genannten Rechtsnorm unerheblich, ob schon der Haftrichter Anhaltspunkte für eine dies-bezügliche Prüfung hatte und ob es die den Antrag stellende Behörde [X.] unterlassen hat, in dem Haftantrag auf das schwebende Ermittlungsver-fahren hinzuweisen und
was in einem solchen Fall ebenfalls erforderlich ge-wesen wäre
die Erteilung des Einvernehmens in dem Antrag darzulegen. Da das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft eine essentielle Haftvoraussetzung darstellt, kommt es insoweit allein auf die objektive Rechtslage an ([X.], [X.] vom 12. Mai 2011 -
V [X.], [X.] 2011, 202 Rn. 5). Wird das Einvernehmen erst nach der Haftanordnung erteilt, muss dem Betroffenen auch zu dieser Haftvoraussetzung gemäß Art. 103 Abs. 1 GG rechtliches Gehör ge-währt werden. Aus diesem Grund kann die zunächst rechtswidrige Haft nicht bereits von der objektiven Erteilung des Einvernehmens an rechtmäßig werden, sondern erst dann, wenn der Betroffene dazu Stellung nehmen kann.
2. Gemessen daran, war der Haftantrag
was der [X.] in der Entschei-dung über die einstweilige Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungshaft noch offen gelassen hat
zulässig. Weder aus ihm noch aus den beigefügten 4
5
-

5

-
Unterlagen ergab sich, dass gegen den Betroffenen strafrechtliche Ermittlungs-verfahren anhängig waren. Allerdings hat das Amtsgericht den Betroffenen dem
Anhörungsprotokoll zufolge darüber belehrt, dass ein Aussageverweigerungs-recht nur Angaben umfasse, "die das gegen ihn anhängige Strafverfahren be-treffen". Daraus könnte möglicherweise zu folgern sein, dass das Amtsgericht auf anderem Wege Kenntnis von den strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Betroffenen erlangt hatte. Selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte, wurde dadurch aber nicht der in sich schlüssige Antrag der Beteiligten zu 2 unzuläs-sig, sondern das Amtsgericht hätte die Erteilung des Einvernehmens gemäß §
26 FamFG aufklären und den Antrag gegebenenfalls zurückweisen müssen. Insoweit rügt die Rechtsbeschwerde
zu Recht, dass das Einvernehmen mehre-rer Strafverfolgungsbehörden tatsächlich erforderlich war und entgegen §
72 Abs. 4 Satz 1 [X.] nicht vorlag. Die Staatsanwaltschaft [X.] und das Hauptzollamt [X.] haben ihr Einvernehmen erst nach der Inhaftierung am 11. März 2011 schriftlich erteilt. Von Seiten der Staatsanwaltschaft [X.] ist es den Angaben zufolge, die der Vertreter der Beteiligten zu 2 in der mündlichen Anhö-rung gemacht hat, am 15. März 2011 erteilt worden. Damit lagen die objektiven [X.] erst von diesem Tag an vor.
3. Die zunächst rechtswidrige Haft ist
in der Beschwerdeinstanz [X.] geworden, weil das Beschwerdegericht dem Betroffenen ausweislich des
Anhörungsprotokolls insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.
4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß §
74 Abs.
7 FamFG ab-gesehen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs.
2, §
430 FamFG, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der 6
7
8
-

6

-
Regelung in Art. 5 Abs. 5 [X.] entspricht es billigem Ermessen, den [X.], dem die beteiligte Behörde angehört, zur Erstattung eines Teils der notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten. Die Kostenquote entspricht dem Verhältnis des gesamten Haftzeitraums zu dem [X.]raum, für den das Rechtsmittel Erfolg hat. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.
Krüger

Stresemann

Czub

[X.]

Weinland

Vorinstanzen:
AG [X.] (Oder), Entscheidung vom 08.03.2011 -
4 [X.] 6/11 -

LG [X.] (Oder), Entscheidung vom 07.04.2011 -
15 T 28/11 -

Meta

V ZB 173/11

29.09.2011

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 29.09.2011, Az. V ZB 173/11 (REWIS RS 2011, 2807)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2807

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

V ZB 173/11 (Bundesgerichtshof)

Abschiebungshaft: Rechtmäßigwerden bei Erteilung des Einvernehmens der Strafverfolgungsbehörden erst nach der Haftanordnung


V ZB 320/10 (Bundesgerichtshof)

Rechtsbeschwerde im Abschiebungshaftverfahren: Haftverlängerung wegen Personalknappheit


V ZB 320/10 (Bundesgerichtshof)


V ZB 49/10 (Bundesgerichtshof)

Abschiebungshaft: Erforderlichkeit des Einvernehmens der zuständigen Staatsanwaltschaft


V ZB 189/10 (Bundesgerichtshof)

Abschiebungshaft: Erforderlichkeit des Einvernehmens der zuständigen Staatsanwaltsschaft bei schwebendem Ermittlungsverfahren


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

V ZB 173/11

V ZA 10/11

V ZB 226/10

V ZB 224/10

V ZB 189/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.