Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.05.2020, Az. 4 StR 115/20

4. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1421

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Gegenstand

Unterbringungsanordnung im Sicherungsverfahren: Mehrstufige Prüfung von Schuldausschließungs- und Schuldminderungsgründen vor einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Tenor

Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des [X.] vom 6. November 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dagegen wendet sich der Beschuldigte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen des [X.]s litt der 46 Jahre alte, arbeits- und zuletzt auch obdachlose Beschuldigte seit Jahrzehnten unter einer Alkoholabhängigkeit und erkrankte im Jahr 2011 an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis.

3

Zwischen Mitternacht und dem Morgen des [X.] griff der erheblich alkoholisierte Beschuldigte aus ungeklärtem Anlass das Tatopfer           [X.], mit dem er im Jahr 2017 eine intime Beziehung geführt und der ihn am Vortag in seiner Wohnung aufgenommen hatte, körperlich an. Dabei schlug und trat der Beschuldigte massiv auf das ebenfalls alkoholisierte Tatopfer ein, das infolge dieser Einwirkungen unter anderem [X.] sowie eine Leberverletzung erlitt, die schließlich zu seinem Tod führte. Dabei fehlte dem Beschuldigten aufgrund eines krankheitsbedingten aggressiven Impulsdurchbruchs die Fähigkeit, das Unrecht seines Tuns einzusehen.

II.

4

Die [X.] gemäß § 63 StGB hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

5

1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der [X.] aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Die Unterbringung erfordert darüber hinaus eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades, dass der Unterzubringende infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des [X.], seines [X.] und der von ihm begangenen [X.] zu entwickeln; sie muss sich auch darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist das Tatgericht auch verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte hierfür in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 5. Februar 2020 – 2 [X.], juris Rn. 5; vom 1. August 2018 – 5 StR 336/18, juris Rn. 7 mwN; vom 12. Oktober 2016 – 4 [X.], [X.], 74, 75 und vom 15. Januar 2015 – 4 [X.], [X.], 394, 395).

6

2. Diesen Darlegungsanforderungen wird das angefochtene Urteil bereits im Hinblick auf die Schuldfähigkeitsprüfung nicht gerecht.

7

a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Beschuldigten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (vgl. [X.], Beschlüsse vom 11. April 2018 – 4 StR 446/17, [X.], 232, 233; vom 14. Juli 2016 – 1 [X.], juris Rn. 7; und Urteil vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, [X.], 519, 520). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Beschuldigten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann ist der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die [X.] Anpassungsfähigkeit des [X.] zu untersuchen. Durch die psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des [X.] bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist das Gericht jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der aufgehobenen Unrechtseinsichtsfähigkeit oder der aufgehobenen oder erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation und damit auf seine Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. [X.], Beschlüsse vom 19. Dezember 2012 – 4 [X.], [X.], 145, 146; vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, [X.], 135).

8

b) Gemessen hieran ist die Feststellung, dass dem Beschuldigten infolge eines krankheitsbedingten aggressiven Impulsdurchbruchs die Einsicht in das Unrecht seines Tuns fehlte, nicht tragfähig belegt.

9

Das [X.] hat sich den Ausführungen des Sachverständigen Dr. R.           angeschlossen, wonach der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt unter einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis mit paranoiden Ideen litt, aufgrund derer „er sich auch massiven Bedrohungen gegen seine Person ausgesetzt gesehen“ habe. Dessen Ausführungen sind in den Urteilsgründen dahin wiedergegeben, dass der Beschuldigte anlässlich der Exploration zwei Tage nach der Tat noch massiv unter dem Einfluss paranoider Ideen mit ausgedehnten Wahnvorstellungen, erheblichem Beeinflussungsempfinden, Gedankenflüchtigkeit und Realitätsverkennung gestanden habe. Auf der Grundlage dieser knappen und allgemein gehaltenen Wendungen vermag der Senat nicht nachzuvollziehen, auf welcher Tatsachengrundlage das [X.] die sichere Überzeugung von einem zur Tatzeit bestehenden krankheitsbedingten aggressiven Bedrohungserleben als [X.] gewonnen hat. [X.] beweiswürdigender Erwägungen hierzu hätte es auch deshalb bedurft, weil diese Annahme nicht ohne Weiteres mit der landgerichtlichen Feststellung vereinbar ist, dass der Beschuldigte das Tatopfer „aus einem nicht näher aufklärbaren Anlass“ körperlich angriff.

3. Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, dass auch ein symptomatischer Zusammenhang zwischen [X.] und psychischer Störung nicht tragfähig belegt ist. Insoweit hätte sich das [X.] angesichts der Feststellungen zur Tatvorgeschichte, insbesondere der spezifischen Beziehung zwischen Täter und Opfer, sowie der erheblichen Alkoholisierung des Beschuldigten und des [X.] zu einer Erörterung veranlasst sehen müssen, ob die Tat auch normalpsychologisch motiviert gewesen sein könnte. Das lediglich zeitgleiche Vorliegen einer Erkrankung bei Begehung der Tat, reicht für die Begründung eines Symptomatischen Zusammenhangs nicht aus.

4. Das Urteil beruht auf diesem Rechtsfehler (§ 337 StPO). Die Sache bedarf deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Das [X.] wird angesichts der schwierigen Beweislage und naheliegend unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen mögliche – normalpsychologische – Tatmotive in den Blick zu nehmen haben. Darüber hinaus bedarf die im Rahmen der [X.] anzustellende Gefährlichkeitsprognose einer sorgfältigen Auseinandersetzung mit dem Vorleben des Beschuldigten, an der es in dem angegriffenen Urteil ebenfalls fehlt.

Sost-Scheible     

        

Rin[X.] Roggenbuck ist im Urlaub
und daher gehindert zu unterschreiben.

        

Quentin

                 

Sost-Scheible

                 
        

Bartel     

        

     Rommel     

        

Meta

4 StR 115/20

07.05.2020

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Dortmund, 6. November 2019, Az: 39 Ks 6/19

§ 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB, § 267 Abs 2 StPO, § 261 StPO, § 413 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 07.05.2020, Az. 4 StR 115/20 (REWIS RS 2020, 1421)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1421

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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