Landgericht Bielefeld, Urteil vom 19.05.2022, Az. 4 KLs 46/21

4. große Jugendkammer als Jugendschutzkammer | REWIS RS 2022, 8126

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Tenor

Der Angeklagte wird wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen, sexuellen Missbrauchs eines Kindes sowie Besitzes kinderpornographischer Inhalte in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Inhalte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von

vier Jahren und drei Monaten

verurteilt.

Der Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen.

Angewandte Vorschriften: §§ 176 Abs. 1 (in der Fassung vom 01.01.2021 bis zum 30.06.2021), 176a Abs. 2 (in der Fassung vom 01.04.2004 bis zum 26.01.2015), 184b Abs. 3, 184c Abs. 3 (jeweils in der Fassung vom 01.01.2021 bis zum 30.06.2021), 21, 52, 53 StGB

Entscheidungsgründe

I.

Der Angeklagte ist am 00.00.0000 in A. (C.) als ältestes von 00 Kindern geboren. Einer der jüngeren Brüder ist bereits verstorben. Zu den Eltern und den noch lebenden Geschwistern besteht weiterhin Kontakt, der Angeklagte beschreibt das Verhältnis als in Ordnung. Sein Vater war als D. tätig, seine Mutter als E..

Der Angeklagte besuchte ab dem Alter von 00 Jahren die Schule in C. und erlangte das Äquivalent zu der Mittleren Reife. Er musste eine Klasse wiederholen, da er sich nicht genügend angestrengt hatte. Nach der Schule arbeitete er als D..

Im Jahr 0000 kam der Angeklagte mit seinen Eltern und den noch lebenden Geschwistern von C. nach Deutschland, bevor er seinen Wehrdienst ableisten musste.

In Deutschland arbeitete der Angeklagte zunächst bei einem F. und später bei einem Unternehmen für G.. Nach einer Umschulung zum H. arbeitete er für zwei Jahre in einem I.. Der Angeklagte erwarb den J. und arbeitete von 0000 bis 0000 in K. als L.. Er begab sich 0000 für einen Monat nach C. in den Urlaub und kehrte dann nach Deutschland zurück, um in M. zu wohnen. Dort war er von 0000 an erneut als L. tätig, bis sein Arbeitsvertrag im Jahr 0000 aufgrund seiner Inhaftierung gekündigt wurde.

Der Angeklagte ist ledig und kinderlos. Er würde aber gerne eine Familie gründen.

Strafrechtlich ist der Angeklagte wie folgt rechtskräftig in Erscheinung getreten:

Das Amtsgericht Papenburg verurteilte ihn am 05.12.2012 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, wobei es in vier Fällen beim Versuch blieb, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil ist seit dem 13.12.2012 rechtskräftig. Hintergrund der Verurteilung war, dass der Angeklagte im Jahr 2010 oder 2011 vier Jungen im Alter von zehn bis 13 Jahren Geld bot, damit diese mit seinem Handy jeweils ihren Penis fotografieren sollten sowie bei  vier weiteren Gelegenheiten den Penis von Jungen im Alter von zehn bis 13 Jahren berührte bzw. dieses versuchte. Mit Beschluss des Amtsgerichts Spaichingen vom 07.01.2016 wurde die Strafe erlassen.

Der Angeklagte befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bielefeld vom 15.09.2021 (Az. 9 Gs 4556/21) seit dem 16.09.2021 in Untersuchungshaft.

II.

Der Angeklagte war im Jahr 0000 ein Arbeitskollege der Zeugin N., der Mutter des am 00.00.0000 geborenen Nebenklägers O., und auch mit deren damaligen Ehemann befreundet. Er half ihnen beim Hausbau und übernahm teilweise die Betreuung des Nebenklägers. Er hat mit ihm und gelegentlich auch anderen Personen Ausflüge unternommen und ihm Geschenke gemacht, unter anderem eine Playstation.

Tat 1 (Tat 1 aus der Anklage vom 11.11.2021)

An einem nicht näher bestimmbaren Tag im Winter 2011/2012 fand eine Feier im Haushalt der Familie des Nebenklägers statt, an der auch der Angeklagte teilnahm und Alkohol konsumierte. Der Nebenkläger kam von einem Hallenfußballturnier zurück und spielte zunächst an der Playstation in seinem Zimmer. Der Angeklagte fragte den Nebenkläger, dessen Alter ihm bekannt war, ob er mit ihm in seinem Bett schlafen dürfe. Der Nebenkläger bejahte dies, da er aufgrund des angetrunkenen Zustands des Angeklagten erkannte, dass dieser nicht zu sich nach Hause fahren könne. Nachdem der Nebenkläger das Spielen mit der Playstation beendet hatte, begab er sich mit dem Angeklagten zu dem nahe gelegenen Haus der Großmutter. Der Nebenkläger legte sich auf eine Ausziehcouch, wobei er nur mit einer kurzen Hose bekleidet war. Der Angeklagte legte sich dazu, wobei er nur eine Unterhose trug. Die beiden unterhielten sich zunächst, der Angeklagte fragte dann den Nebenkläger, ob dieser einen Wunsch habe, woraufhin dieser Fußballschuhe, Trikots, ein Playstation-Spiel und andere Gegenstände nannte. Der Angeklagte erwiderte, er würde alles kaufen, wenn der Nebenkläger ihm einen Gefallen tue. Der Angeklagte steckte seine Hand in die Hose des Nebenklägers und versuchte, diese herunterzuziehen. Obwohl der Nebenkläger seine Hose festhielt, konnte der Angeklagte diese herunterziehen. Der Angeklagte manipulierte zunächst mit seiner Hand an dem Penis des Nebenklägers. Dann nahm er den Penis in den Mund und manipulierte daran bis zum Samenerguss.

Tat 2 (Tat 2 aus der Anklage vom 11.11.2021)

An einem weiteren nicht näher bestimmbaren Tag im Winter 2011/2012, etwa zwei bis drei Wochen nach der ersten Tat, besuchte der Angeklagte die Familie des Nebenklägers erneut. Dieser legte sich abends in seinem Bett schlafen, wobei er nur mit einer kurzen Hose bekleidet war. Der Angeklagte begab sich in das Zimmer des Nebenklägers und legte sich zu ihm ins Bett. Er zog sich bis auf die Unterhose aus und fasste dem Nebenkläger an den Bauch und führte seine Hand dann in Richtung des Intimbereichs des Nebenklägers. Oberhalb der Bekleidung massierte er den Penis des Nebenklägers. Im Anschluss nahm er dessen rechte Hand und versuchte, diese in seine eigene Unterhose zu schieben. Der Nebenkläger zog seine Hand jedoch weg. Der Angeklagte zog dann die Hose des Nebenklägers herunter und nahm den Penis des Nebenklägers in den Mund. Er manipulierte daran bis zum Samenerguss.

Der Nebenkläger traute sich zunächst nicht, sich jemandem anzuvertrauen. Er hatte die Sorge, dass andere Personen ihn dafür als „schwul“ (Zitat des Nebenklägers aus der Hauptverhandlung) ansehen würden. Das Verhältnis zu seiner Mutter litt unter diesen Taten. Der Nebenkläger konnte sich auch ihr nicht offenbaren. Seine Stimmung schwankte. In einem Wutanfall zerstörte er die ihm vom Angeklagten geschenkte Spielkonsole, weil dieses Geschenk für ihn mit den Taten verbunden war. Er war auch wegen dieser Taten bei verschiedenen Psychotherapeuten, fühlte sich dort jedoch nicht wohl und konnte sich nicht öffnen. Diese Termine fanden mit Abstand einiger Jahre statt. Später hatte er auch Probleme im Rahmen von Beziehungen zu Frauen. Er sah ständig die Bilder der Taten in seinem Kopf und konnte die Beziehungen so nicht ausleben. Nach wie vor ist es ihm nicht möglich, bestimmte sexuelle Praktiken auszuüben. Erst vor etwa einem Jahr vertraute er sich seinem besten Freund an. Dazu musste er sich allerdings erheblichen „Mut antrinken“. Danach offenbarte er sich auch seiner Mutter, seinem Stiefvater und seiner Großmutter und erstattete in der Folgezeit Anzeige wegen der Taten.

Tat 3 (Tat 3 aus der Anklage vom 11.11.2021)

Im Sommer 2020 suchte der Angeklagte an seiner Wohnstraße Kontakt zu Jungen, die dort auf dem Fußball- oder Spielplatz spielten. Diese Kontakte führte er auch in der Form durch, dass er mit den Kindern per WhatsApp chattete und versuchte, sich mit ihnen zu verabreden. So versuchte er u.a., diese in einem Café zu treffen. Ablehnungen kommentierte er mit Bemerkungen wie „Ich dachte, wir wären Freunde!“ Anfang Februar 2021 lud der Angeklagte den am 00.00.0000 geborenen P. zu sich nach Hause ein, wobei er vorgab, für ihn Fußballsachen bestellen zu wollen. P. begab sich daraufhin an einem nicht näher bestimmbaren Tag im Februar in die Wohnung des Angeklagten, dem das Alter des P. bekannt war. Der Angeklagte gab vor, den P. für die Bestellung eines Fußballanzuges vermessen zu müssen. Daraufhin zog er ihm die Hose und Unterhose herunter und streichelte ihn im Intimbereich und am Penis.

Tat 4 (Tat 4 aus der Anklage vom 11.11.2021)

Bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten am 01.04.2021 konnten unter anderem zwei Laptops der Marken Lenovo und Toshiba sowie ein Mobiltelefon Samsung Galaxy S9+ sichergestellt werden. Auf diesen befanden sich insgesamt 8.369 kinderpornographische Bilddateien, 1.143 kinderpornographische Videodateien, 2.786 jugendpornographische Bilddateien und 365 jugendpornographische Videodateien.

Auf den Bildern und Videos sind neben den in den Mittelpunkt gestellten Genitalien von Kindern und Jugendlichen auch Geschlechtsakte zu sehen.

Auf einem Bild ist dabei zu sehen, wie ein ca. sieben Jahre alter Junge an einem liegenden Jungen den Oralverkehr durchführt. Beide Personen sind unbekleidet und liegen auf einem Bett.

Auf einem weiteren Bild ist zu sehen, wie ein ca. acht Jahre alter Junge, der unbekleidet ist, sich seitlich nach hinten abstützt. Der rechte Fuß steht auf dem Boden und das Knie ist nach oben gerichtet. Das linke Bein liegt seitlich auf dem Boden. Die Beine sind auseinandergespreizt. Das entblößte Genital ist zu sehen.

Auf einem Video ist zu sehen, wie ein etwa fünfzehn Jahre alter Junge nackt rücklings auf einem Bett liegt. Er manipuliert mit seiner rechten Hand an seinem erigierten Glied und hat in der linken Hand einen hautfarbenen Dildo, den er an seinen Mund führt.

Auf einem Video ist zu sehen, wie eine Frau einem kleinen Jungen die Hose herunterzieht und mit den Händen an seinem Penis manipuliert. Das Video hat eine Länge von zwölf Sekunden.

Auf einem Bild ist zu sehen, wie ein etwa acht Jahre komplett entkleideter Junge sich rücklings auf den Ellenbogen abstützt. Der Penis ist erigiert. Der rechte Zeigefinger einer unbekannten Person befindet sich am Penisschaft. Der Fokus der Bilddatei liegt im Intimbereich und dem Oberkörper bzw. Kopf des Jungen.

Auf einer weiteren Bilddatei ist zu sehen, dass ein etwa sechs Jahre alter blonder Junge rücklings auf einer weißen Bettdecke liegt. Er trägt ein dunkles T -Shirt mit weißem Aufdruck, welches bis zu den Brustwarzen nach oben geschoben ist. Der Unterkörper des Jungen ist komplett entkleidet und sein Penis ist erigiert.

Eine weitere Bilddatei zeigt zwei Jungen im Alter von etwa zehn Jahren, die sich in einem Gebäude befinden. Ein Junge ist in einer stehenden Position und der andere in einer sitzenden Position zu sehen. Der stehende Junge ist komplett entkleidet. An diesem wird durch den sitzenden Jungen der Oralverkehr durchgeführt.

Eine andere Bilddatei zeigt, wie ein Junge im Alter von etwa sieben Jahren rücklings auf einem weißen Sofa liegt. Sein T -Shirt ist bis zu den Brustwarzen hochgezogen. Der Junge hat rötliche Haare mit einem Pilzhaarschnitt An dem liegenden Jungen führt ein anderer Junge im Alter von etwa neun Jahren den Oralverkehr durch.

Es existierte eine weitere Bilddatei, auf welcher zu sehen ist, wie ein etwa zehn Jahre alter Junge in kniender Position den Oralverkehr an einen mutmaßlich erwachsenen Mann durchführt. Der Mann trägt eine Jeanshose und ein gelbes T-Shirt. Lediglich der Penis des unbekannten Mannes wurde aus der Hose herausgeholt.

Der Angeklagte handelte bei diesen Taten rechtswidrig und schuldhaft. Während der Begehung der Tat zu 1) befand sich der Angeklagte aufgrund des genossenen Alkohols nicht ausschließbar in einem Zustand erheblich eingeschränkter Steuerungsfähigkeit.

III.

1.

Die Feststellungen zur Person beruhen auf den Angaben des Angeklagten, denen die Kammer gefolgt ist. Darüber hinaus ist der Bundeszentralregisterauszug sowie auszugsweise die schriftlichen Urteilsgründe des Urteils des Amtsgerichts Papenburg vom 05.12.2012 verlesen worden. Einen besonders auffälligen häufigeren Alkoholkonsum konnte die Kammer nicht feststellen. Insoweit war auch der Familie des Nebenklägers, zu welcher der Angeklagte im Tatzeitraum bezüglich der Taten 1 und 2 sehr engen Kontakt hatte, nichts aufgefallen.

2.

Der Angeklagte hat sich entsprechend den getroffenen Feststellungen zur Sache geständig eingelassen. Zu Beginn der Hauptverhandlung hat der Angeklagte die unter den Ziffern 3 und 4 geschilderten Taten eingeräumt. Nachdem er im Rahmen eines Hauptverhandlungstermins den Nebenkläger gesehen hatte, hat er im nächsten Termin auch die Taten zum Nachteil des Nebenklägers eingeräumt.

Die Kammer hatte keinen Zweifel an der Einlassung des Angeklagten. Sie steht im Einklang mit den Angaben des Nebenklägers und der Zeugin N. sowie des Zeugen Tiemann, der den Nebenkläger polizeilich vernommen hat, des Zeugen Q., dem sich der Nebenkläger gegenüber zuerst anvertraut hat, und der Zeugin R., die den P. polizeilich vernommen hat. Weiter deckt sie sich mit dem „Auswertebericht Digitale Spuren“ und den in Augenschein genommenen Videos und Bildern.

3.

Die Feststellungen zur Schuldfähigkeit beruhen auf dem Gutachten des Sachverständigen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S., an dessen Sachkunde und forensischer Erfahrung die Kammer keinerlei Zweifel hat. Der Sachverständige hat bei dem Angeklagten eine Nebenstrompädophilie (ICD-10: F65.4) als recht wahrscheinlich angesehen. Eine Kernpädophilie, also eine primär sexuelle Ausrichtung auf Kinder dahingehend, dass ein Betroffener nur über sexuelle Handlungen an oder mit Kindern sexuelle Befriedigung erfahren kann, sei nicht ausschließbar, aber auch nicht sicher feststellbar. Dies zeige sich daran, dass es Hinweise auf Beziehungen des Angeklagten mit Frauen gebe und dieser als Lebensziel auch die Gründung einer Familie angegeben habe. Auch gebe es keine Hinweise auf Auffälligkeiten im Alltag des Angeklagten, die für eine Kernpädophilie sprächen.

Die bei dem Angeklagten festgestellte Nebenstrompädophilie, also eine primär sexuelle Ausrichtung auf Erwachsene, wobei es im Laufe des Lebens durch unterschiedliche mögliche Einflüsse zu einer Ausweitung des sexuellen Interesses auch auf Kinder kommt, sei aufgrund der bei dem Angeklagten gefundenen kinder- und jugendpornographischen Inhalte, der vorherigen Verurteilung durch das Amtsgericht Papenburg und die eingeräumten Taten gegeben. Die Nebenstrompädophilie erreiche jedoch nicht das Ausmaß einer schweren anderen seelischen Störung.

Hinsichtlich der zu Tat 1) festgestellten verminderten Schuldfähigkeit beruht dies auf dem Gutachten des Sachverständigen Dr. S.. Der Nebenkläger hat in seiner Vernehmung eine Alkoholisierung des Angeklagten bei dieser Tat geschildert, hat aber jedoch auch ein zielgerichtetes Vorgehen schildern. Auch gab es keine Ausfallerscheinungen wie Lallen oder Torkeln. Der Sachverständige hat insoweit aufgrund der Alkoholintoxikation des Angeklagten im Anschluss an die Feier die Voraussetzungen einer verminderten Steuerungsfähigkeit als möglich angesehen. Er hat weiter ausgeführt, dass der Angeklagte die Situation geplant hergestellt hat und zielstrebig vorgegangen ist, weshalb ein Ausschluss der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht gegeben gewesen sei. Diesen nachvollziehbaren Ausführungen hat die Kammer sich angeschlossen. Insbesondere die Tatsache, dass der Angeklagte den Nebenkläger vor dem Tatgeschehen nach dessen Wünschen gefragt und ihm die Erfüllung derselben versprochen hatte, spricht gegen eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit.

4.

Die Feststellungen zu den Folgen bei dem Nebenkläger beruhen auf dessen glaubhafter und nachvollziehbarer Aussage. Darüber hinaus hat der Zeuge Q., der beste Freund des Nebenklägers, die Geschehnisse während der Offenbarung der Taten ihm gegenüber, entsprechend geschildert.

IV.

Der Angeklagte hat sich hinsichtlich der Taten 1) und 2) wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 (in der Fassung vom 01.04.2004 bis zum 26.01.2015),

hinsichtlich der Tat 3) wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB (in der Fassung vom 01.01.2021 bis zum 30.06.2021),

hinsichtlich der Tat 4) wegen Besitzes von kinderpornographischen Inhalten in Tateinheit mit Besitzes von jugendpornographischen Inhalten gemäß §§ 184b Abs. 3, 184c Abs. 3 (in der Fassung vom 01.01.2021 bis zum 30.06.2021), 52 StGB

strafbar gemacht.

Der Angeklagte handelte bei Begehung der Taten rechtswidrig und schuldhaft.

V.

Im Rahmen der Strafzumessung ist die Kammer

für die Taten 1 und 2 von dem Strafrahmen des § 176a Abs. 2 Nr. 1 in der Fassung vom 01.04.2004 bis zum 26.01.2015

für die Tat 3 von dem Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB in der Fassung vom 01.01.2021 bis zum 30.06.2021

und für die Tat 4 von dem Strafrahmen des § 184b Abs. 3 in der Fassung vom 01.01.2021 bis zum 30.06.2021

ausgegangen.

Ein minder schwerer Fall, wie er in § 176a Abs. 4 StGB in der Fassung vom 01.04.2004 bis zum 26.01.2015 vorgesehen war, ist nicht gegeben. Unter Berücksichtigung und Abwägung aller Umstände, die für die Wertung von Tat und Täter in Betracht kommen, auch solcher, die den einzelnen Taten vorausgingen und nachfolgten, weichen die Taten nicht in einem solchen Maß von dem Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle ab, dass die Anwendung des milderen Strafrahmens geboten erscheint. Die vorgenommene Gesamtbetrachtung führt in keinem der Fälle zu einem beträchtlichen Überwiegen der – im Einzelnen noch auszuführenden – strafmildernden Faktoren. Auch unter Berücksichtigung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 21 StGB kam für die Tat 1 die Annahme eines minder schweren Falles nicht in Betracht.

Im Hinblick auf die Tat 1 hat die Kammer den Strafrahmen aber gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert.

Im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne hat die Kammer zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er sich in der Hauptverhandlung geständig eingelassen hat. Dieses Geständnis hat dem Nebenkläger die Vernehmung zu den einzelnen Taten im Rahmen der Beweisaufnahme erspart. Dem P. hat er die Aussage insgesamt erspart. Darüber hinaus besteht für den Nebenkläger nun nicht mehr die Gefahr, als Lügner dargestellt zu werden. Auch ist zu beachten, dass es bei den Taten zu 1 und 2 nicht zu einem Eindringen in den Körper des Nebenklägers gekommen ist. Die Kammer wertet das Geständnis auch als Anzeichen von Reue. Im Hinblick auf die Art der von ihm begangenen Taten ist er als besonders haftempfindlich anzusehen. Zudem liegen die Taten zu 1 und 2 schon geraume Zeit zurück.

Demgegenüber musste die Kammer folgende strafschärfende Faktoren berücksichtigen: Hinsichtlich der Taten 1 und 2 ist zu berücksichtigen, dass diese in der Wohnung der Großmutter des Nebenklägers bzw. in seinem eigenen Kinderzimmer stattfanden, was für ein Kind regelmäßig einen besonders geschützten Bereich darstellt. Weiter waren die Folgen bei dem Nebenkläger zu beachten, die trotz des langen Zeitablaufs teilweise noch immer bei ihm vorliegen. Schließlich durfte auch der Vetrauensmissbrauch gegenüber dem Nebenkläger und dessen Familie nicht unberücksichtigt bleiben.

Hinsichtlich der Taten 3 und 4 war die einschlägige Vorstrafe des Angeklagten zu beachten. Vorliegend gibt es zwei Geschädigte, bei dem P. ist dabei auch zu berücksichtigen, dass er mit noch nicht einmal neun Jahren recht weit von der Schutzaltersgrenze entfernt war.

Die hohe kriminelle Energie des Angeklagten, der sich über einen längeren Zeitraum über eine Vortäuschung von Freundschaft gezielt den Geschädigten näherte, ist ebenfalls zu berücksichtigen.

Bei der Tat 4 war zu berücksichtigen, dass mehrere Tatbestände verwirklicht waren und eine sehr große Anzahl an Bildern und Videos im Besitz des Angeklagten waren.

Unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Strafzumessungserwägungen hat die Kammer

Für die Tat 2, der die Kammer das stärkste Gewicht zugemessen hat, eine Einzelstrafe von drei Jahren,

für die Tat 1 eine Einzelstrafe von zwei Jahren,

für die Tat 3 eine Einzelstrafe von zwei Jahren und

für die Tat 4 eine Einzelstrafe von einem Jahr und neun Monaten

für tat- und schuldangemessen erachtet.

Aus diesen Einzelstrafen hat die Kammer unter nochmaliger Würdigung der Person des Angeklagten und der für und gegen ihn sprechenden Umstände durch Erhöhung der Einsatzstrafe von drei Jahren eine Gesamtfreiheitsstrafe von

vier Jahren und drei Monaten

gebildet. Hierbei hat sie neben den bereits genannten Strafzumessungserwägungen zu Gunsten des Angeklagten den engen sachlichen Zusammenhang berücksichtigt, zu seinen Lasten dagegen den langen Tatzeitraum.

Die Kammer hat dem Angeklagten wegen der Verurteilung aus dem Jahr 2012 durch das Amtsgericht Papenburg, die bereits vollstreckt ist, keinen Härteausgleich zugestanden, da ohne den Wegfall der Zäsurwirkung eine gebrochene Gesamtstrafe zu bilden gewesen wäre, die den Angeklagten noch stärker belastet hätte.

VI.

Eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB kam nicht in Betracht. Zwar hat der Angeklagte die Tat 1 aufgrund seiner Alkoholisierung im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB begangen. Allerdings hat der Sachverständige zutreffend ausgeführt, dass Hinweise auf eine Abhängigkeitserkrankung, die auf einen Hang zum übermäßigen Genuss von alkoholischen Getränken schließen lassen, nicht ersichtlich sind. Vielmehr hält sich der Konsum alkoholischer Getränke bei dem Angeklagten noch im üblichen Maß, was sich auch daran zeigt, dass der Angeklagte bei seiner Arbeit als L. nicht im Zusammenhang mit Alkohol aufgefallen ist. Hinweise für andere berauschende Mittel sind bei dem Angeklagten nicht gegeben. Diesen zutreffenden Ausführungen hat sich die Kammer nach eigener Prüfung angeschlossen.

VII.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465 Abs. 1, 472 Abs. 1 StPO.

Meta

4 KLs 46/21

19.05.2022

Landgericht Bielefeld 4. große Jugendkammer als Jugendschutzkammer

Urteil

Sachgebiet: KLs

Zitier­vorschlag: Landgericht Bielefeld, Urteil vom 19.05.2022, Az. 4 KLs 46/21 (REWIS RS 2022, 8126)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8126


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 4 KLs 46/21

Landgericht Bielefeld, 4 KLs 46/21, 19.05.2022.


Az. 3 StR 361/22

Bundesgerichtshof, 3 StR 361/22, 05.04.2023.


Az. 4 StR 426/22

Bundesgerichtshof, 4 StR 426/22, 23.11.2022.


Az. 4 KLs 46/21

Landgericht Bielefeld, 4 KLs 46/21, 19.05.2022.


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