8. Strafkammer | REWIS RS 2021, 9866
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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"
Der Angeklagte wird wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 144 Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 19.03.2018 (26b Ls 39 Js 168/13 – 7/18) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Die vom Angeklagten auf die Bewährungsauflage aus dem Beschluss des Amtsgerichts Recklinghausen vom 20.09.2019 gezahlten 125 Euro werden mit 10 Tagen auf diese Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet.
Der Angeklagte wird darüber hinaus wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 19 Fällen, sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen in 301 rechtlich zusammentreffenden Fällen, sexuellen Übergriffs, gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, Drittbesitzverschaffung jugendpornografischer Schriften in zwei Fällen, hier jeweils in Tateinheit mit Besitz jugendpornografischer Schriften, und wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.
Im Übrigen wird der Angeklagte freigesprochen.
Die Sicherungsverwahrung wird angeordnet.
Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Nebenklägers, soweit er verurteilt worden ist. Im Übrigen fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen des Angeklagten der Landeskasse zur Last.
Angewendete Vorschriften:
§ 176 Abs. 1 a. F., 176a Abs. 2 Nr. 1 a. F., 177 Abs. 2 Nr. 1, 182 Abs. 1, 184b Abs. 3 a. F., 184c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 a. F., 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 52, 53, 55, 66 StGB
I.
1.
Der heute 46 Jahre alte Angeklagte I wurde am 00.00.0000 in S als zweiter Sohn seiner Eltern geboren. Sein Bruder I1 ist zwei Jahre älter als der Angeklagte. Der Vater der beiden, der I2, ist gelernter Stahlbauschlosser, die Mutter war Hausfrau und nahm Gelegenheitsjobs als Putzfrau an.
Die Eltern des Angeklagten ließen sich scheiden, als der Angeklagte noch ein Kleinkind war. Er verblieb zunächst gemeinsam mit seinem älteren Bruder bei der Mutter in S. Da diese bereits kurze Zeit darauf von der Rolle als Alleinerziehende überfordert war, verbrachten die Kinder ein Jahr in einem Kinderheim. Auch nachdem sie in den Haushalt der Mutter zurückgekehrt waren, bestand zum Vater nur sporadischer Kontakt, der sich nach kurzer Zeit auf Weihnachts- und Silvesterbesuche beschränkte und nach wenigen Jahren ganz abbrach. Das Verhältnis des Angeklagten zu seiner Mutter war von Konflikten geprägt. Die Mutter war launisch und schlug den Angeklagten, teils ohne für ihn ersichtlichen Grund. Der Angeklagte fühlte sich gegenüber seinem älteren Bruder häufig zurückgesetzt.
Der Angeklagte besuchte einen Kindergarten in S. Im Kindergartenalter wurde er i. R. eines schweren Verkehrsunfalls von einem Bus angefahren und erlitt eine Schädel-Basis-Fraktur und wurde mehrere Wochen stationär behandelt.
Nach Abschluss des Kindergartens wurde der Angeklagte altersgemäß in eine Grundschule in S eingeschult, die er ohne größere Probleme durchlief.
Die Mutter des Angeklagten fand in dieser Zeit einen neuen Lebenspartner und zog daher gemeinsam mit den beiden Kindern nach P. Das Verhältnis des Angeklagten zu dem alkoholkranken Lebensgefährten war durchgehend ebenso angespannt wie das Verhältnis zu seiner Mutter. Aufgrund des Umzugs wechselte der Angeklagte, nachdem er die Grundschule durchlaufen hatte, auf die T-Hauptschule in P. Dort fiel er durch Lernprobleme insbes. im sprachlichen Bereich auf, so dass er die fünfte oder sechste Klasse der Hauptschule wiederholte. Zu dieser Zeit begann der Angeklagte, Zigaretten zu rauchen; der Konsum steigerte sich schnell auf ca. 20 Zigaretten täglich. Illegale Drogen konsumierte er nicht. Da sich seine schulischen Leistungen nicht verbesserten, wechselte der Angeklagte auf die G-G-Förderschule in P, wo er eine Klasse übersprang und fortan gute Leistungen erzielte. Er erreichte auf diese Weise den Hauptschulabschluss nach Klasse 10.
Im Anschluss an die Förderschulzeit begann der Angeklagte eine Lehre zum Maler und Lackierer. Er bestand die Zwischenprüfungen und die theoretische Abschlussprüfung, scheiterte jedoch an der praktischen Abschlussprüfung. In der Folgezeit übernahm er noch kleinere Maler- und Lackierarbeiten, bevor er arbeitslos wurde. Anstrengungen, die Ausbildung später doch noch abzuschließen, entfaltete der Angeklagte nicht.
Nach dem Tod der Großmutter mütterlicherseits in den 1990er Jahren begann die Mutter des Angeklagten, vermehrt Alkohol zu konsumieren und verstarb – wohl an den Folgen – Ende der 1990er Jahre. Mit ihrem Tod brach der ohnehin nur sporadische Kontakt des Angeklagten zu seinem älteren Bruder, der eine eigene Familie gründete, vollständig ab.
Der Angeklagte lebte auch nach dem Tod der Mutter weiter in der ehemals gemeinsamen Wohnung in P, bis er Anfang 0000 zur Bundeswehr eingezogen wurde. Er absolvierte die Grundausbildung in H und wurde im Anschluss in F in die Funkerabteilung eingeteilt. In dieser Zeit nahm der Angeklagte Kontakt zu seinem Vater auf. Nach Abschluss des 9-monatigen Grundwehrdienstes zog er zu ihm in eine Wohnung in die Cstraße in S. Der Angeklagte war zu dieser Zeit wieder arbeitslos und engagierte sich ehrenamtlich bei der SPD, wo er insbes. half, Info-Stände auf- und abzubauen. Er spielte Fußball und war in der Fangemeinde des BVB aktiv.
Das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und seinem Vater war konfliktträchtig, aber die Wohngemeinschaft für beide zweckmäßig. Der Vater bezog eine Rente i. H. v. ca. 1.000 Euro, von der die Wohnungsmiete und die Haushaltskosten bezahlt wurden. Der Angeklagte konnte finanziell nichts beitragen, seitdem er etwa im Jahre 2002 seinen Anspruch auf Hartz-IV-Hilfen verlor, da er die gebotene Mitwirkung unterlassen hatte. Der Angeklagte erledigte im Gegenzug die anfallende Hausarbeit, da der Vater dazu nur eingeschränkt im Stande war: Er leidet an einer medikamentös eingestellten – er erhält alle vier Wochen eine Depotspritze D und B – schizo-affektiven Psychose und steht deshalb seit dem Jahre 0000 unter gesetzlicher Betreuung in den Aufgabenkreisen Gesundheit, Vermögen, Aufenthalt und Wohnungsangelegenheiten. Seit 0000 wird die Betreuung durch die Berufsbetreuerin und Zeugin I3 ausgeübt. Bei den durch die Zeugin initiierten Arztbesuchen zeigte sich bei dem Vater bereits zu Anfang der Betreuungszeit zusätzlich eine demenzielle Erkrankung, die dazu führte, dass die Kommunikationsfähigkeit des Vaters immer weiter abnahm. Dies belastete die Beziehung zwischen ihm und dem Angeklagten stark. Regelmäßig schrie der Angeklagte seinen Vater aus nichtigem Anlass an, er solle mit ihm reden, worauf der Vater aber keine Reaktion zeigte. Einmal schubste der Angeklagte den Vater aus Frustration darüber.
Der Vater des Angeklagten litt unter seinem schlechten Gewissen, weil er sich in der Kindheit des Angeklagten nicht um ihn gekümmert hatte.
Im Jahre 0000 zogen der Angeklagte und sein Vater in eine ca. 60qm große 2-Zimmer-Wohnung in der IStraße in S. Der Vater lebte im Schlafzimmer und saß einen Großteil des Tages unbewegt und stumm am Küchentisch, der Angeklagte bewohnte das Wohnzimmer. Die Wohnung wurde vom Angeklagten und seinem Vater stark vernachlässigt, war unaufgeräumt und ungeputzt; der Müll wurde nicht regelmäßig entsorgt und es roch stark in der Wohnung, wozu neben einer Schlange zwei Katzen und an die 30 Ratten, die im Laufe der Zeit abgeschafft wurden, beitrugen. Seine Freizeit verbrachte der Angeklagte vorrangig damit, am PC oder an der Playstation zu spielen und fernzusehen.
2.
Der Angeklagte suchte, obwohl zu dieser Zeit bereits an die 30 Jahre alt, vorrangig die Nähe junger, vor allem männlicher Personen im Alter von 11-20 Jahren. Er fühlte sich zu ihnen – auch in erotischer Hinsicht – hingezogen und erhoffte sich auch sexuelle Kontakte.
So lernte er etwa im Jahre 0000 den damals 16-jährigen Zeugen M kennen, den er in seine Wohnung einlud, mit ihm fernsah, am PC oder an der Playstation spielte und ihm Zigaretten und Alkohol anbot. Der Zeuge kam diesen Einladungen oft und gerne nach. Für ihn war die Wohnung des Angeklagten eine Art Zufluchtsort, wo ihm keine Regeln oder Verbote auferlegt wurden. Zuhause musste er sich mit seinem jüngeren Bruder, dem Zeugen M1, ein Zimmer teilen und es kam häufig zu Konflikten zwischen den beiden. Die Eltern des Zeugen M waren dagegen, dass er sich so häufig beim Angeklagten aufhielt. Sie standen mehrfach vor der Haustür des Angeklagten und wollten den Zeugen M abholen; der Angeklagte tat dies als lächerlich ab. Der Angeklagte fühlte sich auch zu dem Zeugen M erotisch hingezogen; dass es tatsächlich zu einem sexuellen Kontakt kam, vermochte die Kammer nicht festzustellen.
3.
Etwa im Jahre 0000 schloss sich der Angeklagte – u. a. mit der Behauptung, Fußballtrainer zu sein – einer Hobbyfußballmannschaft von Kindern und Jugendlichen im Alter von etwa 11-16 Jahren an, die zumeist auf einem Sportplatz an der Istraße trainierten und zu denen etwa auch die Zeugen L1 (*00.00.0000) und M1 (*00.00.0000), der den Angeklagten bereits vorher über seinen älteren Bruder, den Zeugen M, kennen gelernt hatte, sowie die E (*00.00.0000) und die Zeugin X (*00.00.0000) gehörten. Der Angeklagte spielte mit ihnen Fußball, besorgte Getränke und lud die Mitspieler und deren Freunde zu sich nachhause ein, was diese bald so intensiv in Anspruch nahmen, dass in der Wohnung des Angeklagten kaum ein Tag ohne entsprechenden Besuch verging. Die Kinder und Jugendlichen schätzten es sehr, beim Angeklagten, der fast immer zuhause war, eine „Anlaufstelle“ zu haben. Sie bewunderten ihn dafür, dass er selbstbestimmt und ohne Verpflichtungen „in den Tag hinein lebte“; er wirkte wortgewandt und „schlau“ auf sie. Er erzählte von angeblichen Auslandseinsätzen im L und behauptete wahrheitswidrig, zwei Söhne zu haben. Der Angeklagte behandelte die Jugendlichen wie Gleichaltrige, hörte ihnen zu und machte ihnen keine Vorhaltungen, auch wenn sie etwa der Schule unentschuldigt fernblieben. Im Wohnzimmer und in der Küche herrschte Verbots- und Regellosigkeit: Sie durften am PC und an der Playstation spielen, wobei sie sich vorrangig an den Spielen mit einer Altersbeschränkung ab 18 Jahren bedienten. Sie durften Horror- und Kriegsfilme mit Altersbeschränkung ab 18 Jahren sehen und im Wohnzimmer liefen Filme mit pornografischen Inhalten, wobei der Angeklagte insofern nur solche mit ausschließlich erwachsenen Darstellern zeigte. Es waren zumeist heterosexuelle, teils auch homosexuelle Darstellungen, wobei sich der Angeklagte über homosexuelle Praktiken lustig machte. Der Angeklagte sorgte für ausreichend Zigaretten und Alkohol, den er zwar den jüngeren nicht direkt anbot, aber so bereitstellte, dass sie sich bedienen konnten. Die Jugendlichen hielten sich häufig – wie der Angeklagte selbst auch – mit nacktem Oberkörper dort auf. Der Angeklagte machte zahlreiche Fotos, insbes. vom Zeugen M1.
An zahlreichen Abenden wurde bis in die frühen Morgenstunden gefeiert, teils kam es dabei zu Schlägereien und Sachbeschädigungen und Quälereien der Ratten, die vom Angeklagten und seinen Gästen teils an den Schwänzen gepackt und gegen Wände und aus dem Fenster geschleudert wurden.
Der Angeklagte trank in dieser Zeit jedenfalls eine Flasche Weinbrand am Abend und war dadurch allenfalls „angetrunken“. Bei Partys trank der Angeklagte zumeist sogar mehrere Flaschen Weinbrand oder Rum und wurde dann entweder überschwänglich und gut gelaunt oder leicht reizbar, aggressiv und beleidigend.
a)
Der Zeuge M1, der zu dieser Zeit etwa 13 Jahre alt war, entwickelte zu dem Angeklagten ein besonders enges Verhältnis. Der Kontakt zu dem Zeugen M, der es nicht schätzte, seinen jüngeren Bruder beim Angeklagten zu sehen, wurde im Gegenzug weniger, wenn er auch nicht vollständig abbrach. Der Zeuge M1 war vom Angeklagten fasziniert und verbrachte bald jeden Tag bei ihm; dafür schwänzte er – auf eigene Initiative hin – auch die Schule; seine Schulleistungen fielen dementsprechend ab. Auch er genoss die Freiheiten, die er beim Angeklagten hatte – dieser versorgte ihn zudem mit Zigaretten, gab ihm teils Geld und schenkte ihm ein Handy; der Zeuge durfte beim Angeklagten auch Alkohol trinken. Der Angeklagte dekorierte das Wohnzimmer mit Fotos von Kindern, bei denen es sich teilweise um Kinderfotos des Zeugen M1 handelte, von denen die Kammer nicht aufzuklären vermochte, wie der Angeklagte in ihren Besitz gekommen war. Gegenüber verschiedenen Personen, etwa dem Zeugen L1, behauptete der Angeklagte, der Zeuge M1 sei sein Neffe. Gegenüber dem Zeugen G bezeichnete er M1 als seinen „Ziehsohn“.
Der Angeklagte pflegte den Kontakt zu dem Zeugen M1 insbesondere in der Hoffnung auf sexuelles Erleben mit dem Zeugen. Ob es dazu tatsächlich kam, vermochte die Kammer nicht zweifelsfrei festzustellen.
Bei einer Gelegenheit in der Wohnung des Angeklagten kam es dazu, dass sich die E, die in den Jahren 0000 bis 0000 phasenweise bei dem Angeklagten wohnte, und der Zeuge M1 gegenseitig – der Angeklagte schaute dabei zu – und beide gemeinsam dem Angeklagten Knutschflecken an Hals und Brust machten. Ob auch der Angeklagte dem Zeugen M1 oder der E Knutschflecken machte oder darüber hinaus sexuelle Kontakte zu ihr hatte, ließ sich nicht mehr zweifelsfrei feststellen.
Das Verhältnis des Zeugen M1 zu seinen Eltern litt während der Zeit des engen Kontaktes ihres Sohnes zu dem Angeklagten: Wieder standen sie vor dem Haus des Angeklagten, um einen ihrer Söhne, diesmal den Zeugen M1, abzuholen – wahrheitswidrig behauptete der Angeklagte, der M1 sei nicht da. Er wurde immer verschlossener und lehnte seine Eltern zunehmend ab. Seine Mutter, die Zeugin M2, durfte ihn nicht mehr in den Arm nehmen, er begann damit, sich zu ritzen, den Kopf gegen die Wand zu schlagen. Er nahm daher im Alter von 14 Jahren eine Psychotherapie in der LWL-Klinik N (Iklinik) – Tagesklinik S wieder auf. Dort war er bereits in den Jahren 0000 und 0000 für mehrere Monate tagesklinisch behandelt worden. Ihm wurde nun das Medikament S verordnet, das er jedoch wegen der Nebenwirkungen nach ca. sechs Monaten wieder absetzte. Nach der Klinikbehandlung nahm der Kontakt zum Angeklagten ab und brach schließlich vollends ab, als der Zeuge M1 eine Beziehung zu einem gleichaltrigen Mädchen einging. In dieser Zeit schrieb der Angeklagte dem Zeugen M1 einen Brief, den er allerdings nicht abschickte und in dem es auszugsweise heißt:
„Hallo M1 […] Ich möchte Dir so vieles sagen, aber ich weiß nicht wie ich das machen soll, da ja momentan kein Kontakt zwischen uns besteht. Ich hoffe ja nicht das es auf dauer so bleibt. […] Oder stimmt es das Du ziemlich oft bei der M3bist? […] Man sagt mir Du würdest da zum PC spielen hingehen. Genauso erzählt eine M3 in S rum das Du ihr Macker wärst. Ich kann das alles irgendwie nicht glauben. Ich hoffe ja das du mir bestätigst, daß es nicht so ist. […] Ich habe Angst Dich zu verlieren weil Du mir einfach zu viel bedeutest. […] Du wirst für mich immer wie mein eigener Sohn sein. Du brauchst jedenfalls keine Angst vor mir zu haben. […] Mag sich vielleicht blöde anhören, aber ich vermisse Dich sehr. Was kann ich machen, das es vielleicht wieder so wird wie es mal war. Kann es vielleicht sein das Du keinen Kontakt mehr mit mir haben willst. Ich habe schon mehrmalls versucht Dich telefonisch über Dein Handy zu erreichen, ich habe aber keine verbindung. […] Ich habe schon überlegt, ob ich hier wegziehe. […] Ich würde dann versuchen hier in der ecke wohnen zu bleiben, nur damit wir uns wiedersehen können. Sage mir doch mal ob dir noch was an mir liegt. […] Du hast mal vor einiger Zeit zu mir gesagt, daß Du nächstes Jahr wenn Deine Eltern in den Urlaub fahren zu Hause bleiben würdest, und dann nach mir kommen wolltest. Für zwei Wochen hattest Du da gesagt. Ich hätte mich so darauf gefreut wenn das so gekommen wäre. Genauso hattest Du mir mal gesagt, das Du, wenn Du 18 Jahre alt wärst zu mir ziehen wolltest. Ich habe mir darüber schon sehr lange Gedanken gemacht. Das wäre dann sowieso ein Grund gewesen hier wegzuziehen. Wo Du mir das gesagt hattest habe ich Dir das geglaubt, und habe immer daran gedacht wie schön die Zeit dann gewesen wäre. Ich weiß, daß Du mich nie anlügen würdest. […] Ich sitze hier jeden tag und denke an Dich. Ich schaue mir ziemlich oft die Bilder von Dir an und überlege wie ich Dir helfen kann. […] Problem an der Sache ist nur, daß ich keine möglichkeit habe zu helfen, weil ich nicht weiß was los ist. […] Du tust mir so Leid, daß kannst Du mir glauben. […] Könntest du mir einen gefallen tun und mir diesen brief irgendwie beantworten? Ich würde dann in der Pause zu Dir kommen und mir den Brief abholen […]. Wenn es möglich wäre könnten wir zwei uns auch mal treffen. […] Ich möchte einfach nicht das unsere Wege sich trennen. Mag sich dumm anhören, aber Du bist für mich mein bester Freund oder Kollege oder wie man das nennen will. Ich möchte nicht das unsere freundschaft sich trennt. Ich hoffe das, daß für dich genauso ist. […] Glaube mir ich habe dich wirklich sehr lieb. Aber das weist du ja. […]“
Als der Zeuge M1 den Angeklagten gemeinsam mit seiner Mutter nach einigen Jahren auf der Straße traf, reagierte er auf diesen aggressiv.
b)
Während der Kontakt des Angeklagten zum Zeugen M1 abnahm, festigte sich das Verhältnis des Angeklagten zu dem zu dieser Zeit 13- bis 14-jährigen Zeugen L1. Auch dieser suchte die Wohnung des Angeklagten über eine Dauer von ca. zwei Jahren nahezu täglich, teils bereits am frühen Morgen, auf. Er schwänzte dafür jedenfalls für ein halbes Jahr fast täglich die Schule, obwohl er vorher gern zur Schule gegangen war; diese Idee kam von ihm selbst und wurde ihm nicht etwa durch den Angeklagten nahe gelegt. Er übernachtete auch bei dem Angeklagten und behauptete seinen Eltern gegenüber wahrheitswidrig, er halte sich bei einem Freund auf. Dabei schliefen er und der Angeklagte nebeneinander auf einer Ausziehcouch im Wohnzimmer. Auch in Bezug auf den Zeugen L1 erhoffte sich der Angeklagte sexuelle Kontakte; ob es dazu kam, vermochte die Kammer nicht zweifelsfrei festzustellen.
Während dieser Zeit des intensiven Kontaktes zum Angeklagten stand die Mutter des Zeugen L1 mehrfach vor der Wohnung des Angeklagten und wollte ihren Sohn nachhause holen – sie wurde jedoch nicht vorgelassen und der Zeuge kam ihrem Bitten auch nicht nach. Der Zeuge hatte in dieser Zeit Probleme, sich zu konzentrieren und klar zu denken und wusste nichts mit sich anzufangen, wenn er nicht beim Angeklagten war. Schließlich begann er sogar daran zu zweifeln, dass er das leibliche Kind seiner Eltern sei, bis er schließlich – unzutreffenderweise – davon überzeugt war, er sei adoptiert. Worin die Ursachen für diese Zweifel lagen, ob etwa der Angeklagte dem Zeugen dies eingeredet hatte, ließ sich nicht mehr eruieren. Er wurde – als suizidgefährdet – in die Kinder- und Jugendpsychiatrie in der LWL-Klinik in N aufgenommen. Nach dem Aufenthalt in der Psychiatrie besuchte der Zeuge L1 den Angeklagten noch zweimal, dann brach er den Kontakt ab.
4.
Im Jahre 0000 erlitt der Angeklagte seinen ersten epileptischen Anfall, dem exzessiver Alkoholkonsum vorausgegangen war. Er stürzte auf die rechte Schulter, krampfte und biss sich auf die Zunge. Er wurde über die Notfallambulanz stationär im Knappschaftskrankenhaus S aufgenommen und verblieb dort für die Zeit vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000. Computertomographisch konnte eine Blutung oder Ischämie im Schädel ausgeschlossen werden. Es zeigte sich allerdings ein kleiner Substanzdefekt links frontal, der als wahrscheinliches Residuum nach dem Schädel-Hirn-Trauma in der Kindergartenzeit gewertet wurde. Zusammenfassend wurde dementsprechend ein symptomatischer, sekundär generalisierter epileptischer Anfall nach Alkoholexzess bei vorbestehender zerebraler Läsion diagnostiziert. Die weiteren Untersuchungen (neurologische Untersuchung, EKG, EEG und Labordiagnostik) waren weitgehend unauffällig. Der Angeklagte wurde unter einer Medikation von D entlassen, die er in einer Dosis von 3x täglich 200mg heute jedenfalls wieder einnimmt.
Im Jahre 0000 kam es zu einem weiteren epileptischen Anfall. Im Zuge dessen erlitt er eine rechtsseitige Orbitafraktur, Frakturen der rechten Kieferhöhle, sowie eine rechtsseitige Jochbogenfraktur, die operativ plattenosteosynthetisch versorgt wurden. I. R. einer CT-Untersuchung im F Krankenhaus S wurden eine Großhirnatrophie, eine leichte Kleinhirnatrophie sowie eine posttraumatische Defektzonenbildung im linken Frontallappen festgestellt. Der Befund wurde i. R. einer CT-Untersuchung im Jahre 0000 durch das F Krankenhaus S bestätigt. Jedenfalls seit dem Jahre 0000 ist der Angeklagte anfallsfrei.
Aufgrund der stationären Krankenhausaufenthalte wurde offenbar, dass der Angeklagte mit seinem Anspruch auf Hartz-IV-Zahlungen auch seinen Krankenversicherungsschutz verloren hatte. Im Jahre 0000 (mit Beschluss des Amtsgerichts Recklinghausen vom 00.00.0000) wurde daher für den Angeklagten eine gesetzliche Betreuung eingerichtet. Im Vorlauf wurde ein nervenärztliches Gutachten des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. T eingeholt. Dieser attestierte dem Angeklagten einen „hochgradigen Verdacht“ auf ein organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma (ICD 10: F07.2). Zum gesetzlichen Betreuer wurde der Berufsbetreuer und Zeuge H bestellt; seine Aufgabenkreise umfassten Gesundheitsfürsorge, Vermögensangelegenheiten und Vertretung bei Behörden und Ämtern. Er kümmerte sich neben dem Krankenversicherungsschutz insbesondere um die Rentenangelegenheiten des Angeklagten und begleitete ihn auf Behördengängen. Der Zeuge H traf sich mit dem Angeklagten regelmäßig zweimal im Monat und telefonierte mit ihm, dessen Wohnung mied er, da er sie als unaufgeräumt und schmutzig empfand.
5.
Etwa ab dem Jahre 0000 baute der Angeklagte verstärkt Kontakt zu der Zeugin L2 und ihrem geistig behinderten, damals etwa 4-jährigen Sohn L3 auf. Er bemühte sich insbesondere um L3, kaufte ihm Süßigkeiten und schlug der Zeugin L2 mehrfach vor, er könne auch mal allein auf ihn aufpassen oder dieser könne gerne mal bei ihm übernachten. Dies lehnte die Zeugin jedoch aufgrund des Zustands der Wohnung ab, so dass es lediglich einmal dazu kam, dass der Angeklagte allein mit dem zu diesem Zeitpunkt 10-jährigen L3 einen Spaziergang zum Sportgeschäft „Teamsport Q“ machte. Auch das Ansinnen des Angeklagten, ihm ein großes Foto von L3 zu überlassen, lehnte sie ab, sendete ihm aber teils Fotos von L3 über WhatsApp. Der Angeklagte fühlte sich auch in sexueller Hinsicht zu L3 hingezogen. Die Kammer geht davon aus, dass der Angeklagte jedenfalls seine pädosexuellen Phantasien durch L3 anregen ließ.
Der Angeklagte behauptete der Zeugin L2 gegenüber durchgehend, zwei Söhne („M4“ und „G1“), zu Beginn im Alter von 13 und 15 Jahren zu haben, und behauptete anderen Personen gegenüber, L3 sei sein „Ziehsohn“.
Auch zu dieser Zeit trank der Angeklagte etwa eine Flasche Weinbrand am Abend.
6.
Etwa im Jahre 0000 lernte der Angeklagte den Zeugen X1 aus Q über eine WhatsApp-Gruppe der BVB-Fangemeinde kennen. Die beiden verstanden sich auf Anhieb und der Zeuge X1 besuchte den Angeklagten über einen Zeitraum von 2,5 bis 3 Jahren an jedem Wochenende. Er schlief auf einer Luftmatratze und der Angeklagte auf der danebenstehenden Couch. Der Zeuge schloss für den Angeklagten einen T-Vertrag ab, damit sie gemeinsam die Bundesligaspiele sehen konnten. Darüber hinaus waren die beiden durch ihre jeweiligen pädosexuellen Interessen verbunden. Bei einem der Besuche zeigte der Angeklagte dem Zeugen eine eingeschweißte Boxershorts, die von einem „Jungen“ stamme, zu dem er Kontakt gehabt habe. Der Zeuge X1 fühlte sich zu dem Angeklagten derart hingezogen, dass er plante, nach S zu ziehen. Er brachte deswegen seine pflegebedürftige Mutter, die X2, im Jahre 0000 in dem Seniorenheim am H, in dem der Angeklagte zu dieser Zeit arbeitete, unter. Ob sich der Angeklagte in gleicher Weise zu dem Zeugen X1 hingezogen fühlte blieb ebenso offen wie die Frage, ob die beiden auch sexuellen Kontakt hatten.
Der Kontakt wurde seitens des Angeklagten stark eingeschränkt, als der Nebenkläger zu ihm zog. Der Zeuge X1 fühlte sich zurückgesetzt, da der Angeklagte den Nebenkläger in seinen Augen wie ein „Heiligtum“ behandelte, und zog sich aus dem Leben des Angeklagten zurück.
7.
Spätestens im Jahre 0000 kam per WhatsApp-Messenger der Kontakt des Angeklagten zu einem Chatpartner zustande, den der Angeklagte als „C“ abspeicherte. Der Angeklagte nutzte als Endgerät das N XT 1032 Moto G. Er und der „C“ tauschten sich im Zeitraum vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000 über ihre sexuellen Phantasien aus, die sich vorrangig auf männliche Sexualpartner im Kindes- und Jugendalter bezogen, und sendeten sich gegenseitig zahlreiche kinder- und jugendpornografische Bilder und Videos.
Auszugsweise lautet der Chat wie folgt:
00.00.0000
C: „Hallo ja würde gerne videos oder pics über süße junge boys tauschen, hast du bestimmte vorlieben […]?“
Angeklagter: „Hallo mag Boys höchstens 25 Jahre. Mag soweit alles bis auf NS und KV und du“
C: „Das ist ok, N ist richtig geil um 18“
Angeklagter: „Hört sich gut an. Kannst was schicken? Bekommst dann auch was von mir.“
[…]
C: „[…] zwar noch zwei die sind aber u 12, die hatte ich mal auch in so einem tausch paket so jung wirst du nicht wollen“
Angeklagter: „Schick kann ich immer noch löschen. Auf welches alter stehst du“
C: „Ich mag es schon u 18 und du“
Angeklagter: „Bin so wie du cool“
[…]
C: „Ich bin C 49 aus C“
[…]
Angeklagter: „Bin aus S 40 […]“
[…]
C: „[…] meine Neigung spielt sich ja mehr in der phantasie ab, muss sie auch obwohl sich ein 14 jähriger mal richtig in mich verknallt takt […] Mit dem war ich fast drei Jahre zusammen […]“
Angeklagter: „Das ist cool sind beide gleich vom Geschmack her hast auch pics von jungen“
[…]
Angeklagter: „Bin der I“
[…]
C: „[…] in diesem schwulen wäldchen da sind süße knaben aus der Schule die sich ein bisschen taschengeld verdienen wollen, ansonsten ist das ja so schwer. War froh dass ich den 14-jährigen damals heute danach noch einmal eine nacht bei jungen der war 12 aber da blasen und lecken und einmal“
Angeklagter: „Ich glaube ich muss im Sommer mal zu dir kommen bringe auch genug TG mit für die kleinen“
[…]
C: „[…] melde mich morgen […] hoffe dass ich dann schon was geiles für unsere Neigungen habe [...]“
00.00.0000
Angeklagter: „Ja am liebsten hab ich rote Haare Sommersprossen und Zahnspange find ich voll geil und unten blank vorn und hunten […]
[…]
Angeklagter: „Wie findest du die beiden da mochte ich schlucken und das lo h lecken“
[…]
Angeklagter: „Jeder von uns einen auf dem heuboden und dann tauschen wir die kleinen und dann ein vierer“
[…]
Angeklagter: „Must was mit young boys schreiben mache ich auch“
[…]
Angeklagter: „Den finde ich geil schön steifblasen und dann ficken lassen von ihm“
[…]
Angeklagter: „Lieber er mit seinem Schwanz mein Loch das er vorher geleckt hat und gefingert“
00.00.0000
Angeklagter: „Wenn er so wichst wie auf dem Video möchte ich sein Loch dabei lecken“
[…]
Angeklagter: „Ich hatte mal einen boy hier bei mir über Nacht. Der war 16. Hab ihm dreimal nachts wo er schlief bis zum Schluss geblasen und einmal mit dee Hand gewichst war echt geil“
00.00.0000
Angeklagter: „Den hatte ich gern drin“
[…]
Angeklagter: „[…] und einen der mir dabei ein bläst ich schau dabei zu“
00.00.0000
C: „Also das video ist ja richtig geil ist das ein süßes Arsch löchchen schade dass er seinen schwanz nicht ganz reinschiebt würde so gerne den kleinen ficken, ganz langsam“
Angeklagter: „Ich auch glaub mir aber erst lecken“.
8.
In den Jahren 0000 und 0000 arbeitete der Angeklagte – durch den Zeugen H vermittelt – geringfügig beschäftigt als Haustechniker im Seniorenheim am H in S. Im Jahre 0000 zeigte er sich dort zuverlässig, erledigte Botengänge und arbeitete im technischen Dienst, so dass die Beschäftigung um ein Jahr verlängert wurde. Daneben bezog der Angeklagte Leistungen des Jobcenters (Hartz IV) und hatte ein monatliches Einkommen von ca. 380 bis 450 Euro. Als der Angeklagte ab dem Jahre 0000 zunehmend unmotiviert wurde, wurde das befristete Arbeitsverhältnis nicht verlängert. Danach ging der Angeklagte keiner Arbeitstätigkeit mehr nach. Er verfügte über ca. 300 Euro im Monat, die er mit seiner EC-Karte einmal im Monat abhob und die von dem Zeugen H nicht weiter eingeteilt wurden.
9.
Die Delinquenz des Angeklagten beginnt erst ab der Volljährigkeit. Er ist wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
Am 00.00.0000 verurteilte ihn das Amtsgericht S wegen Diebstahls geringwertiger Sachen (Tatzeit 00.00.0000) zu zehn Tagessätzen zu je 15 DM Geldstrafe (35 Cs 23 Js 1265/94 – 181/94, rechtskräftig seit dem 00.00.0000).
Ebenfalls wegen Diebstahls geringwertiger Sachen (Tatzeit 00.00.0000) verurteilte ihn das Amtsgericht S am 00.00.0000 zu 15 Tagessätzen zu je 25 DM Geldstrafe (28 Cs 55 Js 372/97 – 115/97, rechtskräftig seit dem 00.00.0000).
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 wurde er wegen Sachbeschädigung in zwei Fällen (Tatzeit 00.00. und 00.00.000) zu einer Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10 DM verurteilt (28 Cs 26 Js 139/00 – 131/00, rechtskräftig seit dem 00.00.0000). Zugrunde lag, dass der Angeklagte an zwei geparkten Autos die Heckscheibenwischer, einen Außenspiegel und eine Antenne abgebrochen hatte.
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 (28 Cs 56 Js 483/00 – 212/00, rechtskräftig seit dem 00.00.0000) wurde der Angeklagte wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu 30 Tagessätzen zu je 20 DM Geldstrafe verurteilt; die Verwaltungsbehörde wurde angewiesen, ihm vor Ablauf von zehn Monaten keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Zugrunde lag, dass er am 00.00.0000 im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit und ohne Fahrerlaubnis im Straßenverkehr ein Leichtkraftrad geführt hatte.
Die Einzelstrafen aus den Strafbefehlen vom 00.00.0000 und 00.00.0000 führte das Amtsgericht S durch Beschluss vom 00.00.0000 auf eine nachträgliche Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15 DM zurück; die Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis erhielt es aufrecht und ordnete insoweit eine Frist bis zum 00.00.0000 an (28 Cs 56 Js 483/00 – 212/00, rechtskräftig seit dem 00.00.0000).
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 (28 Cs 56 Js 1139/02 – 473/02, rechtskräftig seit dem 00.00.0000) wurde der Angeklagte wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu 40 Tagessätzen zu je 10 Euro Geldstrafe verurteilt; die Verwaltungsbehörde wurde angewiesen, ihm vor Ablauf von zwölf Monaten keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Zugrunde lag, dass er am 00.00.0000 ohne Fahrerlaubnis im Straßenverkehr ein Kleinkraftrad geführt hatte.
Am 00.00.0000 verurteilte ihn das Amtsgericht S wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz zu 20 Tagessätzen zu je 10 Euro Geldstrafe (28 Ds 12 Js 663/05 – 511/05, rechtskräftig seit dem 00.00.0000). Dem lag zugrunde, dass er ohne waffenrechtliche Erlaubnis ein Luftgewehr nebst Munition gekauft und damit am 00.00.0000 auf offener Straße geschossen hatte.
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 (28 Cs 56 Js 223/07 – 107/07, rechtskräftig seit dem 00.00.0000) wurde der Angeklagte wegen Diebstahls zu 50 Tagessätzen zu je 10 Euro Geldstrafe verurteilt. Zugrunde lag, dass er am 00.00.0000 mehrere Pakete Dünger gestohlen hatte.
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 (28 Cs 56 Js 1296/06 – 229/07, rechtskräftig seit dem 00.00.0000) wurde er der versuchten Nötigung schuldig gesprochen; gegen ihn wurde eine Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 10 Euro festgesetzt. Dem lag zugrunde, dass er am 00.00.0000 einem Anderen Prügel angedroht hatte, um ihn zur Rückgabe entliehener Kleidungsstücke zu veranlassen.
Die Geldstrafen aus den Strafbefehlen vom 00.00.0000 und 00.00.0000 führte das Amtsgericht S durch Beschluss vom 00.00.0000 auf eine nachträgliche Gesamtgeldstrafe von 65 Tagessätzen zu je 10 Euro zurück (28 Cs 56 Js 223/07 – 107/07, rechtskräftig seit dem 00.00.0000).
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 (28 Cs 12 Js 385/08 – 487/08, rechtskräftig seit dem 00.00.0000) wurde er wegen Unterschlagung zu 50 Tagessätzen zu je 10 Euro Geldstrafe verurteilt. Zugrunde lag, dass der Angeklagte in der Zeit ab dem 00.00.0000für E zwei Ziervögel und verschiedene Kleidungsstücke verwahrt und diese trotz mehrfacher Aufforderung nicht zurückgegeben hatte.
Am 00.00.0000 sprach das Amtsgericht S den Angeklagten der vorsätzlichen Körperverletzung in zwei Fällen schuldig und erkannte auf eine Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 10 Euro (28 Ds 25 Js 478/10 – 273/10, rechtskräftig seit dem 00.00.0000). Dem lag zugrunde, dass er am 00.00.0000 im Rahmen einer Feier bei E mit einem Gast in Streit geraten und daraufhin von ihr und mehreren Gästen, darunter M1, aus der Wohnung geworfen worden war. Gegen den Hinauswurf hatte der Angeklagte sich gewehrt. Dabei hatte er E gegen den Türrahmen gestoßen, wodurch sie an der Schulter leicht verletzt worden war. M1 hatte er mit der Hand am Hals getroffen, wodurch der Geschädigte eine Kehlkopfquetschung erlitten hatte.
Am 00.00.0000 verurteilte ihn das Amtsgericht S wegen Erschleichens von Leistungen (Tatzeit 00.00.0000) zu 20 Tagessätzen zu je 10 Euro Geldstrafe (28 Cs 842 Js 744/14 – 213/14, rechtskräftig seit dem 00.00.0000).
Durch Urteil vom 00.00.0000, rechtskräftig seit demselben Tag, sprach das Amtsgericht S den Angeklagten des Besitzes kinder- und jugendpornografischer Schriften schuldig; es verhängte eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten, deren Vollstreckung es auf Dauer von drei Jahren zur Bewährung aussetzte (26b Ls 39 Js 168/13 – 7/18). Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte am 00.00.0000 u. a. auf diversen Mobiltelefonen mehrere hundert kinder- und jugendpornografische Video- und Bilddateien gespeichert, die er von Bekannten erhalten oder die er sich in sonstiger Weise verschafft hatte. In zahlreichen Videos und auf vielen Fotos war Anal- und Oralverkehr mit Kindern zu sehen gewesen; hierbei war jeweils ein tatsächliches Geschehen wiedergegeben worden. Zugunsten des Angeklagten wurde berücksichtigt, dass er gestanden und Reue gezeigt hatte. Strafschärfend wertete das Amtsgericht neben den Vorstrafen die große Zahl der Video- und Bilddateien sowie den Umstand, dass die Aufnahmen in vielen Fällen den tatsächlich erfolgten schweren sexuellen Missbrauch von Kindern zeigten. Der Angeklagte wurde einem Bewährungshelfer unterstellt. Zudem gab ihm das Amtsgericht auf, innerhalb von neun Monaten 50 Sozialstunden abzuleisten.
Seinem Bewährungshelfer, dem Zeugen C1, gegenüber zeigte sich der Angeklagte zugeknöpft und wollte nicht über die Vorwürfe aus dem Urteil des Amtsgerichts S sprechen: Die Sache sei für ihn abgeschlossen, er habe keinen Hang zur Pädophilie. Dem Zeugen H gegenüber räumte der Angeklagte die Vorwürfe ein, Reue zeigte er nicht.
Die 50 Sozialstunden Bewährungsauflage erledigte der Angeklagte wegen gesundheitlicher Probleme nicht, so dass diese mit Beschluss vom 00.00.0000 in eine Geldauflage i. H. v. 400 Euro, zahlbar in Raten von 25 Euro umgewandelt wurden. Davon hat der Angeklagte 125 Euro gezahlt. Die Bewährungszeit ist seit dem 00.00.0000 abgelaufen, die Strafe wurde nicht erlassen.
In dem vorliegenden Verfahren wurde der Angeklagte am 00.00.0000 vorläufig festgenommen. Seit dem 00.00.0000 befindet er sich in Untersuchungshaft in der JVA C.
II.
A. Erster Tatkomplex: Anklage vom 00.00.0000 – 36 Js 646/19
1.
Der am 00.00.0000 geborene und heute 17 Jahre alte Nebenkläger und Zeuge L wuchs zunächst gemeinsam mit seiner jüngeren Schwester im Haushalt seiner Eltern in E auf. Als der Nebenkläger sechs Jahre alt war, verstarb sein Vater. Der Nebenkläger wurde danach auffällig aggressiv und impulsdurchbrüchig, insbes. gegenüber Mitschülern, seiner Mutter, der Zeugin C2, und seiner jüngeren Schwester. Er wurde deshalb zunächst ambulant von einer Kinder- und Jugendpsychologin betreut und wegen Verschlimmerung der Impulsdurchbrüche im Jahre 0000 für drei Monate in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in E-S untergebracht. Dort wurde die Diagnose „emotionale und soziale Störung“ gestellt und auch im weiteren Verlauf beibehalten. Im Alter von 9 Jahren, am 00.00.0000, wurde er erstmals in einer Wohngruppe („K“ in T) untergebracht. Im Jahre 0000 wurde er in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in W für drei Monate geschlossen untergebracht, zur Regulierung seiner Aggressionen wurde ihm 1mg S1 täglich verordnet. Er wechselte sodann in eine Wohngruppe in G, in der er bis zum 00.00.0000, also bis zu seinem 12. Lebensjahr verblieb. Er verbrachte sodann ein knappes Jahr zuhause bei seiner Mutter. In dieser Zeit kam es vermehrt zu Konflikten zwischen ihm und seiner Mutter. In der Schule zeigte sich der Nebenkläger wiederum unkontrolliert aggressiv, was schließlich zu einem Schulausschluss für ganz Nordrhein-Westfalen führte. Im Januar 0000 eskalierte die Situation zuhause, als er mit einem Messer auf seine Mutter losging. Er wurde daraufhin abermals in die Psychiatrie nach E-S verbracht und im Anschluss bis zum 00.00.0000 im Heim „K“ in E untergebracht. Am 00.00.0000 wechselte er in die Wohngruppe „G“ in P unter der Leitung des Zeugen I4. Es handelt sich dabei um eine sog. „offene Intensivwohngruppe“. Die Wohngruppe bestand aus sieben Jugendlichen und zwei Betreuern. Der Nebenkläger hatte die Zeugin L4 als sog. „Bezugsbetreuerin“. Sie führte mit ihm Hilfeplangespräche, tätigte Bekleidungseinkäufe und nahm mit ihm zusammen Arzttermine wahr. Die Jugendlichen bekamen ein monatliches Taschengeld i. H. v. 35 bis 40 Euro, das wöchentlich ausgezahlt wurde, und 45 Euro im Monat an Bekleidungsgeld. Der Nebenkläger, der großes Interesse an Markenkleidung zeigte und viel rauchte, hielt dies für nicht ausreichend. Er verhielt sich in der Wohngruppe i. Ü. weitgehend regelkonform, war absprachefähig und zuverlässig. Er war schulisch adäquat entwickelt. Er hatte zwar ein eigenes Zimmer, vermisste aber dennoch Privatsphäre, zumal er sich zeitweise einmal pro Stunde in der Wohngruppe zu melden hatte. Die Jugendlichen hatten regelmäßige Dienste zu versehen. Während die anderen Bewohner die Schule besuchten, verblieb der Nebenkläger in der Einrichtung und half etwa in der Küche aus.
Mit seiner Mutter hatte der Nebenkläger in dieser Zeit regelmäßigen Kontakt. Die anfänglichen Besuche am Wochenende bei seiner Mutter wurden jedoch auf deren Initiative abgebrochen, da sich der Nebenkläger weiterhin impulsdurchbrüchig zeigte. Während eines Besuchstermins rief die Zeugin C2 aus einer Überforderungssituation heraus die Zeugin L4 an und bat sie, den Nebenkläger abzuholen, da er wieder sehr aggressiv sei.
Der Nebenkläger litt in dieser Zeit stark unter Heimweh, was noch dadurch verstärkt wurde, dass er auf unabsehbare Zeit in der Gruppe untergebracht war. Es war geplant, den Nebenkläger stationär in der kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilung in E aufzunehmen, um ihn erneut auf eine Schultauglichkeit zu testen, ihn therapeutisch anzubinden und medikamentös neu einzustellen – er stand diesbezüglich auf einer Warteliste. Der Nebenkläger reagierte darauf panisch und widerwillig. I. R. des ersten Planungsgesprächs in der Psychiatrie kündigte der Nebenkläger an, er werde sich weigern, in der Psychiatrie zu verbleiben, woraufhin ihm von ärztlicher Seite eine geschlossene Unterbringung angedroht wurde.
Der Nebenkläger freundete sich während seines Aufenthaltes in der Wohngruppe mit dem Zeugen L5, einem älteren Jungen aus einer anderen Wohngruppe, an. Gemeinsam waren sie viel in der Innenstadt von P unterwegs, rauchten, schnorrten Zigaretten und sendeten sich gegenseitig Links zu Gruppen und Plattformen (u. a. Gamer-Plattformen, Links zu Gruppen für Homosexuelle und Gruppen mit Kinderpornografie), denen sie teils aus Spaß beitraten.
Der Nebenkläger und der Zeuge L5 wurden über G auf eine X-Gruppe aufmerksam, die ein „T1“ als Administrator betrieb. Die Gruppe bestand aus 10 bis 11 Teilnehmern, zu denen auch der Angeklagte gehörte. Es wurde in der Gruppe über sexuelle Vorlieben gechattet und es wurden Nacktfotos verschickt. Von Anfang an wurde deutlich, dass die erwachsenen Mitglieder homosexuell interessiert waren. Absprachegemäß traten der Nebenkläger und der Zeuge L5 Ende Mai 0000 zur etwa gleichen Uhrzeit der Gruppe bei. Als neue Mitglieder hatten die beiden einen sog. „Steckbrief“ mit Angabe des Namens, des Alters und des Wohnorts auszufüllen. Der Nebenkläger gab sein Alter wahrheitsgemäß mit zu diesem Zeitpunkt „13“ an. Er und der Zeuge L5 lasen die Chats aus sexueller Neugier, amüsierten sich über deren Inhalte und machten sich über die Mitglieder und die verschickten Nacktfotos lustig. Der Nebenkläger chattete jedenfalls auch mit dem Administrator „T1“ über sexuelle Inhalte. Der Zeuge L5 traf sich zwei- bis dreimal mit dem Angeklagten und erhielt von ihm Zigaretten. Dies erzählte er dem Nebenkläger. Davon, dass der Angeklagte eine Gegenleistung erwartet habe oder er – der Zeuge L5 – eine Gegenleistung erbracht habe, war keine Rede; die Kammer vermochte dies auch nicht festzustellen.
Sie ist jedoch davon überzeugt, dass sich der Angeklagte auch in Bezug auf den Zeugen L5 sexuelle Kontakte erhoffte.
2. Fall 1:
Als der Nebenkläger erfuhr, dass der Zeuge L5 von dem Angeklagten Zigaretten erhalten habe, kontaktierte auch er den Angeklagten per X und fragte ihn, was er machen müsse, um ebenfalls Zigaretten zu erhalten.
Der Nebenkläger und der Angeklagte verabredeten sich im Zuge dieser Kommunikation zu einem Treffen am Freizeitbad N in P, das am 00.00.0000 stattfand. Sie vereinbarten, dass der Angeklagte gegen Zahlung von 50 Euro den Oralverkehr an dem – zu diesem Zeitpunkt sexuell unerfahrenen – Nebenkläger ausüben dürfe. Von wem die Initiative im Hinblick auf den Oralverkehr ausging, vermochte die Kammer nicht mehr festzustellen. Jedenfalls die Summe von 50 Euro ging auf den Vorschlag des Nebenklägers zurück, dem der Angeklagte zustimmte. Der Nebenkläger machte dabei bewusst Druck im Hinblick auf ein zeitnahes Treffen und dem Angeklagten Hoffnung, da er die 50 Euro möglichst bald haben wollte. Der Angeklagte wusste, dass der Nebenkläger zu diesem Zeitpunkt 13 Jahre alt war.
Die dahingehende Kommunikation durch Austausch von Sprachnachrichten lautete auszugsweise wie folgt:
PTT-20170530-WA0025.mp3 – 30.05.2017 17:54 h
Nebenkläger:
Aber eine Frage, bekomme ich dann die 50 Euro, oder wie viel?
1-23268.opus (XSM 1) = PTT-20170530-WA0026.mp3 – 30.05.2017 17:56 h
Angeklagter:
„Die kriegst du dann auf jeden Fall, hab ich doch gesagt, da brauchst dir keine Panik machen, dat gib ich dir schon“
PTT-20170530-WA0027.mp3 – 30.05.2017 18:06 h
Nebenkläger:
„… und was ist mit Donnerstag, hast du da Zeit?“
1-23270.opus (XSM 2) = PTT-20170530-WA0028.mp3 – 30.05.2017 18:07 h
Angeklagter:
„Du, dat kann ich dir auch nicht sagen, weil mit Donnerstag dat is davon abhängig, ob wir dat dann morgen alles fertig kriegen, dat kann ich dir so gar nicht sagen. Tut mir leid, echt.“
PTT-20170530-WA0029.mp3 – 30.05.2017 18:07 h
Nebenkläger:
„Egal, ist nicht schlimm. Am Freitag hab ich ja morgens Zeit, wenn du da auch Zeit hast, wie heute, weil dann ähm … da hab ich Zeit, weil ich fahr erst mittags zu meiner Mutter, deswegen.“
1-23273.opus (XSM 3) = PTT-20170530-WA0031.mp3 – 30.05.2017 18:12 h
Angeklagter:
„Ja, ich frag, vielleicht hat man dann auch ein bisschen länger Zeit, deshalb frag ich, weißt du?“
PTT-20170531-WA0009.mp3 – 31.05.2017 14:12 h
Nebenkläger:
„Also bekomm ich dann morgen die 50 Euro, oder? Und, äh…aber ich hab dann nur ne halbe Stunde Zeit. Ist das schlimm?“
PTT-20170531-WA0010.mp3 – 31.05.2017 14:14 h
Nebenkläger:
„Oder hast du heute noch Zeit, so 15, 16 Uhr?“
PTT-20170531-WA0011.mp3 – 31.05.2017 14:22 h
Nebenkläger:
„Ich freue mich mega. Auf das Geld und auf dich natürlich.“
PTT-20170531-WA0012.mp3 – 31.05.2017 14:34 h
Nebenkläger:
„Also heute geht gar nicht mehr… (Störgeräusch) Aber ich würd das gerne heute machen, irgendwie hab ich voll Lust grade da drauf.“
1-23301.opus (XSM 4) = PTT-20170531-WA0013.mp3 – 31.05.2017 14:39 h
Angeklagter:
„Ja, sorry, aber heute dat krieg ich nich mehr hin, dat schaff ich frühestens morgen. Ich muss jetzt gleich noch woanders hin.“
1-23319.opus (XSM 5) = PTT-20170531-WA0043.mp3 – 31.05.2017 21:26 h Angeklagter:
„Ich fahr morgen um 07:18 Uhr hier mit dem Bus los. Und die Fahrt bis C- Platz dauert so 35, 40 Minuten und dann halt noch mit‘m 31er bis N.“
PTT-20170601-WA0000.mp3 – 01.06.2017 08:38 h
Nebenkläger:
„Eine Frage: Dürfte ich die Schachtel dann gleich schon haben, weil ich wollt mir dann eine rauchen, weil ich hab heute noch keine geraucht, und ja, ich hab voll Schmacht.“
1-23326.opus (XSM 6) = PTT-20170601-WA0001.mp3 – 01.06.2017 08:41 h
Angeklagter:
„Klar, kannste haben.“
Absprachegemäß trafen sich der Nebenkläger und der Angeklagte an der Bushaltestelle am N. Als der Nebenkläger die Bushaltestelle erreichte, saß der auf ihn ungepflegt wirkende Angeklagte, der mit dem Bus gekommen war, schon dort. Sie rauchten zunächst jeweils eine Zigarette des Angeklagten. Sodann gingen sie – einem Vorschlag des Nebenklägers entsprechend – gemeinsam über einen Waldweg zu einer geschützten Stelle hinter einem Gebüsch. Spätestens auf dem Weg händigte der Angeklagte dem Nebenkläger die vereinbarten 50 Euro aus. In dem Gebüsch zog der Angeklagte dem Nebenkläger Hose und Unterhose herunter, kniete sich vor ihn und übte für ca. 2-4 Minuten den Oralverkehr aus, wobei er dessen Glied in den Mund nahm. Dem Nebenkläger war dies unangenehm; bei ihm kam es zu keiner Erektion. Nur in Anbetracht der 50 Euro ließ der Nebenkläger den Oralverkehr über sich ergehen, behauptete dann aber nach 2-4 Minuten wahrheitswidrig, dass er nun gehen müsse, da er einen Termin habe. Der Angeklagte äußerte daraufhin Bedauern. Über ein weiteres Treffen wurde bei dieser Gelegenheit nicht gesprochen.
Der Nebenkläger fuhr im Anschluss mit dem Bus nach S in das Einkaufszentrum „Q“ und kaufte sich von den 50 Euro eine Bauchtasche von B, die er schon lange haben wollte, zum Preis von 20 Euro und Zigaretten. Dem Zeugen L5 erzählte er, dass er die Zigaretten von dem Angeklagten erhalten habe – was er dafür getan hatte, verschwieg er. Er stellte sich vor, er könne sich durch wiederholte Treffen mit dem Angeklagten eine durchaus lukrative Einnahmequelle verschaffen.
3. Fall 2:
Am nächsten Tag kontaktierte der Nebenkläger den Angeklagten erneut per X und erkundigte sich, ob sie sich ein weiteres Mal am N treffen wollten. Der Angeklagte bejahte. Der Nebenkläger gab vor, sich auf das Treffen mit dem Angeklagten zu freuen und ihn deshalb so schnell wie möglich treffen zu wollen – tatsächlich kam es ihm darauf an, möglichst schnell die versprochenen 20 Euro und Zigaretten bzw. E-Shisha zu bekommen.
Die dahingehende Kommunikation, die wiederum durch Sprachnachrichten erfolgte, lautete auszugsweise wie folgt:
1-23360.opus (XSM 7) = PTT-20170602-WA0015.mp3 – 02.06.2017 12:15 h
Angeklagter:
„Wat meinst du denn jetzt damit, ich gib dir das Geld, dat versteh ich jetzt grade nicht, dat is irgendwie äh… grade ganz viele Dinger, die noch nicht beantwortet sind, und kommt immer wieder wat Neues.“
1-23362.opus (XSM 8) = PTT-20170602-WA0016.mp3 – 02.06.2017 12:16 h
Angeklagter:
„Dat is jetz nich böse gemeint oder so, ne, nich, dass de dat denkst.“
PTT-20170602-WA0025.mp3 – 02.06.2017 12:58 h
Nebenkläger:
„Hast du heute Abend dann nich so um sieben, sechs, sieben oder so Zeit?“
1-23368.opus (XSM 9) = PTT-20170602-WA0026.mp3 – 02.06.2017 13:01 h
Angeklagter:
„Ja, du hast doch gefragt, ob ich gegen sechs oder sieben Uhr Zeit hab. Oder hast du die Nachricht falsch gesendet? Kam hier auf jeden Fall an, deshalb hab ich das geschrieben.“
PTT-20170602-WA0027.mp3 – 02.06.2017 13:01 h
Nebenkläger:
„Hast du heute gar keine Zeit mehr, ich bin traurig… Boah.“
1-23370.opus (XSM 10) = PTT-20170602-WA0028.mp3 – 02.06.2017 13:03 h
Angeklagter:
„Ne… Du ich weiß nich, wie ich dat hinkriegen soll, ich muss noch den PC hier fertig machen, dat dauert noch. Dann muss ich dieses komische Gedönszeug da noch besorgen für die … E-Moped da. Boah ne … dat schaff ich heut nich mehr.“
PTT-20170603-WA0000.mp3 – 03.06.2017 07:57 h
Nebenkläger:
„Du kannst mir heute die ganzen Sachen geben, beim nächsten Mal hab ich dann mehr Zeit oder so. Dann musst du mir da nix weiter geben.“
Es kam auch bei diesem Treffen am 00.00.0000 ausschließlich dazu, dass der Angeklagte bei dem Nebenkläger Oralverkehr ausübte, wobei er wiederum dessen Glied in den Mund nahm. Eine Erektion hatte der Nebenkläger auch dieses Mal nicht und war auch nicht erregt. Das Treffen dauerte ca. 20 Minuten, dann gab der Nebenkläger – wiederum wahrheitswidrig – vor, weg zu müssen. Er erhielt von dem Angeklagten 20 Euro und eine E-Shisha, die dieser extra für den Nebenkläger besorgt hatte.
Im Nachgang kam es zu folgender Kommunikation, abermals durch Austausch von Sprachnachrichten:
PTT-20170603-WA0007.mp3 – 03.06.2017 13:25 h
Nebenkläger:
„Boah, die E-Shisha ist voll geil, ja.“
1-23388.opus (XSM 11) = PTT-20170603-WA0009.mp3 – 03.06.2017 13:29 h
Angeklagter:
„Ja, wie gesagt, und wenn du dat Liquidzeug da weg hast, dann musste Bescheid sagen, dann. Ich weiß ja jetz, wo ich dat krieg.“
4. Fall 3:
Wenige Tage später kontaktierte der Nebenkläger den Angeklagten wiederum über X und fragte ihn nach 20 Euro und einer Schachtel Zigaretten. Da der Angeklagte angab, kein Geld mehr zur Verfügung zu haben, einigten sie sich darauf, dass der Nebenkläger zum Angeklagten kommen und Zigaretten erhalten solle.
Die dahingehenden Sprachnachrichten lauteten auszugsweise wie folgt:
1-23455.opus (XSM 12) = PTT-20170606-WA0017.mp3 – 06.06.2017 15:59 h
Angeklagter:
„L, ich hab doch grade gesagt: Ich hab grade mal noch 12 Euro in der Tasche. Der Rest ist beim Einkaufen draufgegangen. So, wenn ich jetzt eine Schachtel M hole wie soll ich dann nach P kommen? Verlangt man von mir, dass ich zu Fuß komme? Nein, das tue ich nicht. Ich muss hinkommen, ich muss zurückkommen.“
1-23457.opus (XSM 13) = PTT-20170606-WA0019.mp3 – 06.06.2017 16:01 h
Angeklagter:
„Ich hab dat jetzt aber geplant, Donnerstag nach P zu fahren. Und vorher hab ich auch keine Zeit hier für Besuch. Ich hab auch noch wat anderes zu tun.“
PTT-20170606-WA0024.mp3 – 06.06.2017 19:54 h
Nebenkläger:
„Ist das so OK, wie ich den Bus dann Donnerstag nehm?“
1-23463.opus (XSM 14) = PTT-20170606-WA0026.mp3 – 06.06.2017 19:56 h
Angeklagter:
„Moment, dat war zu leise. Dann bist du um 09:25 Uhr anne Cstraße. Is überhaupt kein Problem, ich steh dann da.“
1-23464.opus (XSM 15) = PTT-20170606-WA0027.mp3 – 06.06.2017 20:14 h
Angeklagter:
„Das mein ich so, dass ich diese M dingsbums Dinger da kauf und ich ja dann eigentlich Donnerstag mit dem Bus zu dir gekommen wäre. Das hätte mich ja, weiß ich nicht, knapp zwölf Euro gekostet. Dann ziehen wir die Zigaretten vonne zwölf Euro ab und dat wat dann über bleibt kriegst du trotzdem, weil dat hätt ich ja eh am Bus ausgegeben. Dat kannste dann so haben.“
PTT-20170607-WA0003.mp3 – 07.06.2017 14:49 h
Nebenkläger:
„Ja, wenn ich die schnell fertig hab, dann kann ich auch länger bei dir bleiben.“
1-23478.opus (XSM 16) = PTT-20170607-WA0005.mp3 – 07.06.2017 14:52 h
Angeklagter:
„Ja, dat sag ich weil, du has ja gesagt, du bist um 09:25 Uhr hier. Und deshalb blick ich jetzt mit der ganzen Sache nicht mehr so richtig durch. Weil äh… 09:25 Uhr hier, dann sagst du, du hast bis 15:00 Uhr Zeit. Und jetzt, ja wenn ich alles schnell erledigt hab, dann hab ich länger Zeit. Ja, hallo, wie soll ich da durchblicken?“
1-23481.opus (XSM 17) = PTT-20170607-WA0008.mp3 – 07.06.2017 15:04 h
Angeklagter:
„Hömma, dat ist ja jetzt nicht böse gemeint oder so, ne, aber ich hab auch erst morgen mit dir gerechnet. Ich hab mir morgen den ganzen Tag frei genommen. Ich mach heute wat, wat ich eigentlich morgen machen wollte.“
Er fuhr daraufhin am 00.00.0000 mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu der Wohnung des Angeklagten in S. Dort übte der Angeklagte am Nebenkläger wiederum den Oralverkehr aus, auch hier nahm er dessen Glied in den Mund. Der Nebenkläger erhielt absprachegemäß Zigaretten.
5.
Der Nebenkläger sah sich in der Wohngruppe zahlreichen Fragen ausgesetzt, woher er das Geld und die Zigaretten habe. Er erklärte bewusst wahrheitswidrig, er habe beides von zwei Bekannten. Diese seien Vater und Sohn, einer heiße „J“ – ob dieser Name frei erfunden war oder einer Bekanntschaft des Nebenklägers und des Zeugen L5 vom C Platz in P entlehnt war, ließ sich nicht aufklären. Die Betreuer nahmen dem Nebenkläger die Zigaretten und das Geld ab und forderten ihn auf, den „J“ vorzustellen. Sie versuchten, ihn dafür zu sensibilisieren, dass es bedenklich sei, von Fremden Geld anzunehmen, die dafür ggf. eine Gegenleistung erwarteten. Der Nebenkläger tat dies ab. Auch die Zeugin C2 machte sich Sorgen um den Nebenkläger und versuchte beharrlich, aber erfolglos, die Identität des „J“ aufzuklären.
Der Nebenkläger fand dieses Verhalten der Betreuer und seiner Mutter übergriffig und fragte daher den Angeklagten per X, ob er die nächsten zwei Wochen bei ihm wohnen dürfe. Der Angeklagte erklärte sich sofort einverstanden. Dabei waren sie sich zumindest stillschweigend darüber einig, dass der Angeklagte den Nebenkläger nicht ohne Gegenleistung bei sich einquartieren sollte, sondern dafür dessen sexuelles Entgegenkommen in Form der Duldung von Oralverkehr erwarten durfte.
6.
Der Nebenkläger fuhr daraufhin am 00.00.0000 mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Wohnung des Angeklagten in der Absicht, dort zwei Wochen zu bleiben. Auf dessen Rat entfernte er, nachdem er der Zeugin L4 noch eine Nachricht geschrieben hatte, während der Busfahrt die SIM-Karte aus seinem Smartphone T, um nicht geortet zu werden. Abends erstattete die Wohngruppe eine Vermisstenanzeige, der Nebenkläger wurde daraufhin polizeilich gesucht.
Der Nebenkläger erhielt im Wohnzimmer auf der Couch einen Schlafplatz; der Angeklagte schlief daneben auf einer Luftmatratze. Der Nebenkläger durfte sich an den Lebensmitteln des Angeklagten, die dieser für sich, seinen Vater und den Nebenkläger zubereitete, und den Zigaretten, die dieser für den Nebenkläger drehte, bedienen. Er durfte sich in der Wohnung frei bewegen und seinen Tagesablauf mit Medienkonsum (Fernsehen und Spielen am PC und an der Playstation) ebenso frei gestalten wie seinen Wach- und Schlafrhythmus.
Der Angeklagte verfügte in dieser Zeit über ein internetfähiges Tablet, das auch der Nebenkläger nutzen durfte. Zum Ende der zwei Wochen zeigte der Angeklagte dem Nebenkläger auf seinem Tablet eine ihm geltende Vermisstenanzeige bei G. Der Nebenkläger hatte daraufhin Angst, in die Wohngruppe zurückzukehren, da er die Konsequenzen fürchtete: Er befürchtete, sollte er gefunden werden oder sich selbständig zurückmelden, dass er wahrscheinlich nie wieder zu seiner Familie zurückdürfe und in eine geschlossene Wohngruppe oder Psychiatrie komme. Diese Befürchtungen vertraute er dem Angeklagten dieses eine Mal (danach nicht mehr, obwohl er ca. ein- bis zweimal pro Woche daran dachte) an und es kam die Idee auf, dass der Nebenkläger bis zu seinem 18. Geburtstag bei dem Angeklagten bleiben solle. Wer die Idee aufbrachte, konnte nicht mehr geklärt werden – jedenfalls waren beide sofort einverstanden. Erneut waren sie sich jedenfalls stillschweigend darüber einig, dass der Nebenkläger auch in Zukunft – so wie er es schon zuvor getan hatte – als Gegenleistung für Unterkunft und Verpflegung den Oralverkehr zulassen würde. Der Angeklagte hoffte, den Nebenkläger durch die weitere Gewährung von Unterschlupf zunehmend an sich zu binden. Er erkannte, dass sich der Nebenkläger durch den Entschluss, aus Angst vor den Konsequenzen einer Rückkehr in die Wohngruppe bis zu seinem 18. Geburtstag bei ihm zu bleiben, von ihm abhängig gemacht hatte. Das hieraus resultierende Machtgefälle würde, so das Kalkül des Angeklagten, mit der Zeit noch größer werden: Je länger der Nebenkläger sich bei ihm verborgen hielte, umso weniger gäbe es für ihn ein Zurück in die Wohngruppe. Die Entscheidung, der Nebenkläger solle bis zu seinem 18. Geburtstag bei dem Angeklagten bleiben, wurde während des gesamten Aufenthaltes von keiner Seite mehr in Frage gestellt. Lediglich der Vater des Angeklagten äußerte wiederholt sein Missfallen darüber, dass der Nebenkläger nunmehr bei ihnen wohnte. Der Angeklagte verteidigte ihn gegenüber dem Vater damit, dieser habe doch sonst niemanden, der sich um ihn kümmere. Als der Vater dem Nebenkläger vorwarf, der Angeklagte müsse ihn „mit durchziehen“, schüttete der Nebenkläger ihm ein Glas Wasser ins Gesicht.
7.
Der Nebenkläger und der Angeklagte lernten sich in der weiteren Zeit zunehmend näher kennen. Für den Angeklagten trug das Verhältnis Züge einer Liebesbeziehung; mehrfach bat er den Nebenkläger, für immer bei ihm zu bleiben. Der Nebenkläger erwiderte die Gefühle des Angeklagten nicht. Er fühlte sich ihm aber „verbunden“. Der Angeklagte stellte über längere Zeit seinen einzigen sozialen Kontakt dar und verkörperte für ihn die Chance, aus seinem bisherigen Leben auszubrechen: Er wollte dem Leben in einer Einrichtung, die für ihn Fremdbestimmung und Regelhaftigkeit bedeutete, entkommen. Er wollte den avisierten Aufenthalt auf einer geschlossenen psychiatrischen Abteilung vermeiden.
Der Nebenkläger vertraute dem Angeklagten seine Lebensgeschichte an; der Angeklagte hörte ihm zu und der Nebenkläger fühlte sich von ihm verstanden. Auch im Übrigen konnten sich der Angeklagte und der Nebenkläger anfangs gut, auch für beide humorvoll, unterhalten. Sie machten Späße und lachten gemeinsam – teils nahmen sie kleine Episoden – etwa wie der Nebenkläger mit Geldscheinen um sich wirft – auch mit dem Handy auf. Sie spielten gemeinsam am PC oder an der Playstation und sahen fern. Der Angeklagte erzählte dem Nebenkläger, er habe zwei Söhne („M4“ und „G1“), zu denen er aber wegen Schwierigkeiten mit der Kindesmutter keinen Kontakt mehr habe.
Auch weiterhin erhielt der Nebenkläger Lebensmittel und Zigaretten vom Angeklagten. Er durfte sich frei an den Lebensmitteln im Kühlschrank bedienen, wurde vom Angeklagten bekocht und lebte – wie der Angeklagte – regel- und vorschriftslos mit exzessivem Medienkonsum in den Tag hinein. Der Nebenkläger schlief zunächst weiterhin auf der Couch und der Angeklagte auf einer Luftmatratze. Bereits nach kurzer Zeit entsorgte der Angeklagte sowohl die Luftmatratze, die inzwischen defekt war, als auch die Couch, da er verhindern wollte, dass sich sein Vater, der gern auf der Couch saß, im Wohnzimmer aufhielt. Vorher hatten der Angeklagte und der Nebenkläger darüber gescherzt, ein Bein der Couch anzusägen, damit diese zusammenbreche, sobald sich der Vater setze. Ab diesem Zeitpunkt schliefen der Angeklagte und der Nebenkläger nebeneinander auf Decken auf dem Boden. Der Angeklagte ging zumeist gegen 3:00 Uhr schlafen und stand gegen 10:00 bis 11:00 Uhr auf, wenn er nicht – dies betraf die Anfangszeit – wegen seiner Tätigkeit im Altenheim am H bis zum Ende der Befristung 0000 die Wohnung an einigen Tagen für die Zeit von 7:00 bis 11:00 Uhr verließ. Der Nebenkläger ging i. d. R. gegen 6:00 Uhr schlafen und schlief bis in den Nachmittag hinein; er verfügte zu dieser Zeit über einen tiefen Schlaf. Der verschobene Tagesrhythmus gründete auch darauf, dass sich die beiden beim Playstation-Spielen abwechseln wollten.
Der Angeklagte stellte dem Nebenkläger als Bekleidung Fußball-Trikotsätze in Kinder- und Jugendgröße zur Verfügung, die er ohnehin besaß. Nachdem der Nebenkläger aus diesen herausgewachsen war bzw. diese verschlissen waren, trug er in der Wohnung des Angeklagten nur noch eine kurze Sporthose und lief – wie auch der Angeklagte – zumeist mit freiem Oberkörper herum. Zum Ende des Aufenthalts kaufte der Angeklagte dem Nebenkläger einen Herrenpullover zum Anziehen. Die Haare schnitt der Angeklagte dem Nebenkläger mit einer Haarschneidemaschine selbst. Hygieneartikel stellte er ihm zur Verfügung. Der Nebenkläger badete anfangs jeden oder jeden zweiten Tag, der Angeklagte saß daneben und trocknete ihn anschließend ab. Der Nebenkläger war lediglich einmal in der Zeit seines Aufenthaltes bei dem Angeklagten krank. Der Angeklagte besorgte ihm Medikamente gegen Fieber und Husten.
Mit der Zeit verlor sich die Begeisterung des Nebenklägers über die Vorzüge, die das Leben bei dem Angeklagten gegenüber dem Aufenthalt in der Jugendhilfeeinrichtung hatte (insbesondere freier Medien- und Tabakkonsum) und an denen er schnell Gefallen gefunden hatte. In dem freien Medien- und Tabakkonsum sah er von da an vor allem die Möglichkeit, sich von der Eintönigkeit des Alltags abzulenken. Auch wurde das Verhältnis zum Angeklagten mit der Zeit angespannter, Unterhaltungen wurden weniger (auch, weil beide zunehmend mehr Zeit allein vor dem PC oder der Playstation verbrachten), Streitigkeiten und Provokationen, die jeweils von beiden Seiten ausgingen, nahmen zu. In einem Fall schaltete der Nebenkläger sein Handy an und nahm einen Streit zwischen ihm und dem Angeklagten auf: Es ist zu hören, wie sich der Angeklagte und der Nebenkläger über alltägliche Dinge, wie die Aufteilung von Lebensmitteln, streiten, Sticheleien und Provokationen gehen von beiden Seiten aus und steigern sich, bis der Angeklagte am Ende des Videos ausfallend und laut wird, dem Nebenkläger gegen dessen Willen sein Mobiltelefon abnimmt und die Aufnahme, die er erst zu diesem Zeitpunkt bemerkt, abbricht.
Je mehr Zeit verstrich, desto weniger Möglichkeiten sahen der Angeklagte und der Nebenkläger, ihr Zusammenleben zu beenden. Der Angeklagte befürchtete, die sexuellen Handlungen, die er an dem Nebenkläger vornahm, könnten ans Licht kommen: Mehrfach wies der Angeklagte den Nebenkläger darauf hin, dass er nichts aussagen dürfe, wenn er gefunden werde oder weggehe, da er – der Angeklagte – ansonsten ins Gefängnis müsse. Der Nebenkläger empfand die Lage spätestens seit seinem 14. Geburtstag als ausweglos. Eine Rückkehr in die Wohngruppe hielt er nunmehr für ausgeschlossen. Die von ihm gefürchteten Konsequenzen – endgültige Trennung von seiner Familie, geschlossene Unterbringung in einem Heim oder in der Psychiatrie – erschienen ihm nicht länger bloß wahrscheinlich. Er sah sie jetzt als gewiss an: Zur Zeit seines 14. Geburtstages war er bereits mehr als ein dreiviertel Jahr untergetaucht. Auf Nachsicht für sein Fehlverhalten, so glaubte er, könne er deshalb nicht mehr hoffen; vielmehr würde er fortan als besonders problematischer „Ausreißer“ gelten, der keine Lockerungen verdiene. Eine Möglichkeit, anderweitig Unterschlupf zu finden, sah er nicht.
Der Nebenkläger verließ in der gesamten Zeit die Wohnung des Angeklagten nur zweimal am späten Abend, weil er Angst hatte, entdeckt zu werden. Beim zweiten Mal nahm der Nebenkläger an, ein Polizeifahrzeug zu sehen, und entschied, die Wohnung nicht mehr zu verlassen, um nicht gefunden zu werden.
Der Angeklagte kaufte für sich und den Nebenkläger Mitte 0000, nachdem er eine Nachzahlung der Hartz IV Leistungen i. H. v. etwa 1.000 Euro erhalten hatte und 0000 W-LAN in der Wohnung eingerichtet worden war, eine neue Playstation. In der folgenden Zeit erhielt der Nebenkläger wiederholt Guthabenkarten für die Playstation (teils bis zu 100 Euro). Auf den Wunsch des Nebenklägers hin besorgte der Angeklagte auch etwa das als sog. „F“ ausgestaltete Kriegs-PC-Spiel „D“, das er anfangs auch mitspielte. Gegen Ende des Jahres 0000 überredete der Nebenkläger den Angeklagten, ihm ein J1 zu schenken, das der Angeklagte eigentlich für sich selbst kaufen wollte. Zwei vom Nebenkläger im Schrank gefundene Armbänder (eines mit der Aufschrift „Ich liebe dich“ und eines mit der Aufschrift „BVB“) durfte er auf seine Bitte hin tragen.
Der Angeklagte trank während der 2,5 Jahre weiterhin jedenfalls an den Wochentagen Montag bis Donnerstag jeden Abend eine 0,7 l-Flasche Weinbrand mit Cola, die er sich von dem Geld kaufte, das er montags bekam. Wenn das Geld reichte, trank er ebenso an den Wochentagen Freitag bis Sonntag. Er begann mit dem Trinken, wenn er sich an die Playstation setzte, dies war spätestens um 22:00 Uhr. Ganz überwiegend handelte es sich dabei um Weinbrand der Marke „N“ oder eine preiswerte Eigenmarke des Discounters B. In wenigen Einzelfällen leistete sich der Angeklagte eine Flasche Rum, z. B. „D“, oder eine Flasche Whiskey, etwa „K“. Der Angeklagte war nach dem Trinken nicht erkennbar beeinträchtigt: Er lallte und schwankte nicht und war auch im Denken nicht wesentlich eingeschränkt. Durch den Genuss von Alkohol wurde er zumeist fröhlich-extrovertiert, teils aber auch nachdenklich oder aggressiv. Entzugserscheinungen zeigte er, auch wenn er freitags bis sonntags nichts trank, nicht. Etwa zwischen 2:00 Uhr und 3:00 Uhr hatte er die Flasche regelmäßig ausgetrunken. Der Nebenkläger trank bei einem der Besuche des Zeugen M ein Glas Alkohol und probierte einmal den Weinbrand. Im Übrigen konsumierte er keinen Alkohol.
8. Fälle 4 bis 163:
Nachdem dieser am 00.00.0000 zu ihm gezogen war, übte der Angeklagte an dem Nebenkläger regelmäßig den Oralverkehr aus, wobei er dessen Glied in den Mund nahm. In der Zeit bis zum 14. Geburtstag des Nebenklägers am 00.00.0000 kam es in der Wohnung des Angeklagten auf diese Weise – rechnerisch an jedem zweiten Tag – zu mindestens 160 Taten (Fälle 4 bis 163): 141 Taten verübte der Angeklagte vor dem Urteil des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 (Fälle 4 bis 144), 19 Taten beging er danach (Fälle 145 bis 163).
Zu den Taten kam es i. d. R. gegen 2:00 bis 3:00 Uhr nachts, bevor sich der Angeklagte schlafen legte. Der Nebenkläger, der erst gegen 6:00 bis 7:00 Uhr schlafen ging, war zu diesem Zeitpunkt noch wach und schaute Z-Videos, mit denen er sich auch während des Oralverkehrs ablenkte. Er ließ den Oralverkehr über sich ergehen, um beim Angeklagten verbleiben zu können und von ihm versorgt zu werden. Auch hatte er zunehmend gelernt, die sexuellen Übergriffe zu ertragen. Dass ihm die Taten unangenehm waren, behielt der Nebenkläger für sich. Der Angeklagte redete sich ein, dass der Oralverkehr dem Nebenkläger ebenfalls gefalle, zumal es bei diesem im Laufe des Aufenthaltes beim Oralverkehr auch zu Erektionen und i. d. R. dann auch zu einem Samenerguss kam. Allerdings hielt der Angeklagte es zumindest für möglich, dass sein Eindruck nur Wunschdenken war und der Nebenkläger den Oralverkehr allein als Gegenleistung für die Gewährung von Unterschlupf und Verpflegung sowie aus Angst vor den Konsequenzen einer Rückkehr in die Wohngruppe zuließ.
Der Angeklagte forderte den Nebenkläger mehrfach auf, auch bei ihm den Oralverkehr auszuüben, der Nebenkläger weigerte sich jedoch, weil ihm bereits die Vorstellung, das Glied des Angeklagten in den Mund zu nehmen, zuwider war. Er erklärte auch gegenüber dem Angeklagten, dass er das eklig fände. Daraufhin zeigte sich der Angeklagte beleidigt oder wütend und führte an diesen Abenden auch beim Nebenkläger keinen Oralverkehr aus. Der Nebenkläger hatte dabei den Eindruck, der Angeklagte wollte ihn auf diese Weise „bestrafen“.
Der Angeklagte stand bei Begehung der Taten unter Alkoholeinfluss. Seine Tatzeitblutalkoholkonzentration betrug maximal 2,08 ‰.
9. Fall 164:
Auch nachdem der Nebenkläger 14 Jahre alt geworden war übte der Angeklagte an ihm in der Wohnung regelmäßig den Oralverkehr aus, wobei er dessen Glied in den Mund nahm. In der Zeit vom 00.00.0000 bis zum Tag vor der Wohnungsdurchsuchung am 00.00.0000 kam es auf diese Weise – wiederum rechnerisch an jedem zweiten Tag – zu mindestens 301 Taten.
Das Tatbild war äußerlich dasselbe wie in den Fällen 4 bis 163. Zu den Taten kam es i. d. R. gegen 2:00 bis 3:00 Uhr nachts, bevor sich der Angeklagte schlafen legte. Der Nebenkläger lenkte sich dabei mit Z-Videos ab.
Wenigstens zweimal kam es hierbei überdies zu analen Penetrationen. Jedenfalls bei einem der Fälle drang der Angeklagte mit seinem nicht vollständig erigierten Glied, das er mit einem Kondom versehen hatte, für wenige Sekunden in den Anus des Nebenklägers ein. Ob der Angeklagte ihn bei diesem Mal davor oder danach zudem mit dem Finger anal penetrierte, vermochte die Kammer ebenso wenig festzustellen wie die Modalitäten im zweiten Fall – anale Penetration mit dem zuvor angefeuchteten Finger und/oder dem mit Kondom oder Gleitgel versehenen Glied. Davon, dass jedenfalls einer der Fälle vor dem 14. Geburtstag des Nebenklägers lag, ist die Kammer nicht überzeugt; zu Gunsten des Angeklagten geht sie davon aus, dass es zu den analen Penetrationen erst nach dem 00.00.0000 kam.
Der Nebenkläger ließ den Oral- und Analverkehr als Gegenleistung für die Gewährung von Unterschlupf und Verpflegung sowie deshalb über sich ergehen, weil er seine Lage spätestens jetzt als ausweglos empfand (s. oben 7.). Dass ihm die Taten unangenehm waren, behielt er abermals für sich. Nur einmal – dies war nicht in den o. g. mindestens zwei Fällen, sondern bei einer weiteren Gelegenheit – hielt der Nebenkläger, als er das Ansinnen des Angeklagten erkannte, seine Hand vor den Anus, um seine Ablehnung zu zeigen. Daraufhin reagierte der Angeklagte beleidigt, machte das Licht an und setzte sich vor die Playstation, versuchte an diesem Abend aber nicht erneut, den Finger oder das Glied anal einzuführen.
Der Angeklagte hielt die Beweggründe des Nebenklägers zumindest für möglich, das insbesondere aus dessen Lage resultierende Machtgefälle wollte er zur Begehung der Taten ausnutzen. Zugleich redete er sich wiederum ein, dass wenigstens der Oralverkehr dem Nebenkläger ebenfalls gefalle. Dass er ihn vor die Tür setzen werde, wenn er sich den sexuellen Wünschen des Angeklagten verweigere, äußerte er nie. Vielmehr kündigte er dem Nebenkläger mehrfach an, dass er dann kein Essen und keine Zigaretten mehr bekomme; wahr gemacht hat der Angeklagte diese Drohungen jedoch nicht. Kam der Nebenkläger den auch in dieser Zeit erfolgten Aufforderungen des Angeklagten, auch bei ihm den Oralverkehr auszuüben, nicht nach, war die Reaktion dieselbe wie in den Fällen 4 bis 163: Der Angeklagte gab sich beleidigt oder wütend und führte an diesen Abenden auch beim Nebenkläger keinen Oralverkehr aus.
Der Angeklagte stand bei Begehung der Taten unter Alkoholeinfluss. Seine Tatzeitblutalkoholkonzentration betrug maximal 2,08 ‰.
10. Fall 165:
Jedenfalls einmal versuchte der Angeklagte, den Penis des schlafenden Nebenklägers anal bei sich einzuführen.
Dabei erwachte der Nebenkläger. Der Nebenkläger lag in dem Moment auf dem Rücken, der Angeklagte saß im Hüftbereich mit Blick zum Gesicht des Nebenklägers rittlings auf ihm. Den Penis hatte er mit einer Hand umfasst. Als der Nebenkläger wach wurde, versuchte er, sich umzudrehen, woraufhin der Angeklagte entweder unabsichtlich seitlich von ihm herunterrutschte oder bewusst von dem Nebenkläger abließ. Der Nebenkläger begann daraufhin – wohl vorrangig aus Unsicherheit – zu lachen, was den Angeklagten wütend machte. Ob die Tat vor oder nach dem 14. Geburtstag des Nebenklägers verübt wurde, war nicht festzustellen. Die Kammer schließt aber aus, dass sie bereits kurze Zeit nach dem Einzug des Nebenklägers bei dem Angeklagten geschah. Eine nähere zeitliche Eingrenzung der Tat war der Kammer nicht möglich.
Der Angeklagte stand bei Begehung der Tat unter Alkoholeinfluss. Seine Tatzeitblutalkoholkonzentration betrug maximal 2,08 ‰.
11. Fall 166:
Im Sommer oder Herbst des Jahres 0000 warf der Angeklagte im Streit erst eine Tasse, dann eine Kanne mit heißem Kaffee, den der Nebenkläger unmittelbar zuvor gekocht hatte, in dessen Richtung, da er sich über ihn geärgert hatte. Ob dies darauf beruhte, dass der Nebenkläger zu laut war, obwohl der Angeklagte schlafen wollte, oder ob er sich dem Ansinnen, bei dem Angeklagten Oralverkehr auszuüben, widersetzte, ließ sich nicht mehr zweifelsfrei feststellen. Bei der Kaffeekanne handelte es sich um die zur Kaffeemaschine gehörende Thermoskanne, welche bis auf die ausgeschenkte Tasse voll war. Die Kanne verfehlte den mit unbekleidetem Oberkörper an der Wand sitzenden Nebenkläger und traf die hinter ihm liegende Wand, wodurch ihm der heiße Kaffee über die Schulter lief und ihn schmerzhaft verbrühte. Auch diesen Geschehensablauf hatte der Angeklagte bei seinem Wurf jedenfalls billigend in Kauf genommen. Danach lief der Angeklagte zu seinem Vater ins Schlafzimmer, beschuldigte ihn grundlos, es sei dessen Schuld, und begann – nach dem Eindruck des Nebenklägers jedenfalls auch aus Reue – zu weinen.
Der Angeklagte stand bei Begehung der Tat, die sich wie die Sexualstraftaten in den Fällen 4 bis 164 gegen 2:00 bis 3:00 Uhr nachts ereignete, unter Alkoholeinfluss. Seine Tatzeitblutalkoholkonzentration betrug maximal 2,08 ‰.
12. Fall 167:
Gegen Ende des Aufenthaltes des Nebenklägers bei dem Angeklagten warf dieser eine leere Whiskeyflasche aus Glas nach diesem. Der Nebenkläger lag zu dem Zeitpunkt auf der Schlafstätte auf dem Boden im Wohnzimmer. Vorausgegangen war ein Streit, wobei auch hier weder zweifelsfrei festgestellt noch ausgeschlossen werden konnte, dass dem eine Weigerung des Nebenklägers, an dem Angeklagten Oralverkehr auszuüben zugrunde lag. Im Zuge des Streits hatte der Angeklagte das Licht besonders hell angeschaltet, daraufhin hatte sich der Nebenkläger die Bettdecke über den Kopf gezogen. Die Flasche, die hierbei nicht zerbrach, traf den Nebenkläger an der Wange, was der Angeklagte bei dem Wurf jedenfalls billigend in Kauf genommen hatte. Es entwickelte sich zwar kein Hämatom, die Wange war aber gerötet und schmerzhaft.
Der Angeklagte stand bei Begehung der Tat, die sich wie die Sexualstraftaten in den Fällen 4 bis 164 gegen 2:00 bis 3:00 Uhr nachts ereignete, unter Alkoholeinfluss. Seine Tatzeitblutalkoholkonzentration betrug maximal 2,08 ‰.
13.
Der Angeklagte fertigte außerdem Lichtbilder und Videos des Nebenklägers, während dieser schlief. Sie zeigen die Genitalien des Nebenklägers sowie teils auch sexuelle Handlungen, die der Angeklagte am Nebenkläger vornahm (Manipulation mit der Hand an den Genitalien, Oralverkehr sowie ein – jedenfalls versuchtes – anales Eindringen beim Nebenkläger). In der Anfangszeit erwachte der Nebenkläger in einer Nacht und wunderte sich, dass er keine Hose mehr trug. Im weiteren Verlauf gewöhnte er sich an, zum Schlafen von vornherein keine Hose mehr zu tragen, da der Angeklagte darauf ungehalten reagierte.
14.
Der Angeklagte unterhielt in diesen 2,5 Jahren Kontakt nur zu wenigen Personen. Besuch erhielt er nur von den Zeugen X1 und M.
a)
Der Zeuge X1 wusste, dass sich der als vermisst geltende Nebenkläger bei dem Angeklagten aufhielt und wie alt er war; ihm gegenüber bezeichnete der Angeklagte den Nebenkläger als sein „Eigentum“. Als er im Juli 0000 einen Besuch ankündigte, verabredeten der Angeklagte und der Nebenkläger, den X1 „bloßzustellen“: Der Nebenkläger sollte vorgeben, dass er allein in der Wohnung und an Geschlechtsverkehr mit dem Zeugen X1 interessiert sei. Sobald der X1 sich ihm sexuell nähere, würde der Angeklagte, der sich im Schlafzimmer verstecken sollte, unangekündigt ins Zimmer kommen. Der Zeuge X1 ging aber entgegen dem Plan auf das Ansinnen des Nebenklägers gar nicht erst ein.
Nach dem Besuch des Zeugen schickten der Angeklagte und der Nebenkläger dem Zeugen X1 noch per Handy eine Nachricht mit einer Bilddatei, auf der Geld und Hände abgebildet waren und die mit einem Text, der jedenfalls „Das ist mein Stundenlohn“ enthielt, versehen war. Der Beweggrund für das Versenden der Nachricht blieb unklar. Dieses Foto leitete der Zeuge X1 auch der Zeugin N1, einer Bekannten von ihm, die den Angeklagten ebenfalls über die BVB-X-Gruppe kannte, weiter. Er äußerte sich ihr gegenüber dahingehend, der Angeklagte habe jetzt „einen L für seine neuen sexuellen Spielereien“.
b)
Der Zeuge M war während des Aufenthaltes des Nebenklägers drei- bis viermal zu Besuch in der Wohnung des Angeklagten und traf dort auch auf den Nebenkläger. Bei mindestens einem der Besuche brachte der Zeuge M sog. „Softair-Waffen“ mit, mit denen er, der Angeklagte und der Nebenkläger auch schossen. Bei einem weiteren Besuch brachte er eine Flasche Rum mit, von dem der Angeklagte dem Nebenkläger ein Glas als „Eistee“ anbot, das dieser jedoch aufgrund des Geschmacks nicht trank. Dem Zeugen M erschien der Nebenkläger als „zappelig“, hyperaktiv, fahrig und unkonzentriert.
c)
Etwa im Frühjahr 0000 lernte der Angeklagte den Zeugen I5 aus E kennen. Der Kontakt kam über einen Chatroom für „gays“ von S zustande und wurde von beiden dann über den X-Messenger-Dienst und per SMS – bald nahezu täglich – fortgeführt. Der Zeuge I5 handelte dabei unter dem Namen „MSV“ über ein Smartphone N und wurde vom Angeklagten gegenüber dem Nebenkläger als „der E“ bezeichnet. Der Angeklagte und der Zeuge I5 teilten ein großes Interesse an Fußball, sprachen über alltägliche Themen (der Angeklagte thematisierte dabei insbes. seine Probleme mit seinem Vater) und ihre pädophil gefärbten sexuellen Neigungen und Phantasien bez. männlicher Kinder und Jugendlicher und tauschten im Zuge dessen auch kinder- und jugendpornografische Bilder und Videos aus.
Der Angeklagte und der Zeuge I5 trafen sich ab Juni/Juli 0000 jedenfalls dreimal in S und zweimal in E. Die Wohnung des Angeklagten betrat der Zeuge I5 nicht und traf dementsprechend auch nie persönlich auf den Nebenkläger; er und der Angeklagte suchten bewusst das Einkaufszentrum „Q“ in S auf, da dort – so der Angeklagte gegenüber dem Zeugen I5 – bei dem Elektronikfachgeschäft N „Jungs im richtigen Alter“ an den Konsolen sitzen und spielen würden und die beiden deren Nähe suchten. Im Anschluss gingen sie gemeinsam essen und sahen sich dabei kinder- und jugendpornografische Bilder und Videos auf dem Handy des Angeklagten an. Außerdem zeigte der Angeklagte dem Zeugen I5 seine Kontaktliste auf seinem Smartphone – zahlreiche Einträge waren mit Altersangaben im Kindes- und Jugendalter versehen.
Der Angeklagte gab damit an, er sei Fußballtrainer und habe unter der Dusche Sex mit den Jungen – er habe auch einen eigenen Schlüssel zu der Umkleide; außerdem habe er am Kanal in S Sex mit einem Kind gehabt. Zudem habe er regelmäßigen Kontakt zu zwei männlichen Geschwistern im Alter von 12 und 14 Jahren, deren Eltern einen Baustoffhandel betrieben und ein großes Haus mit Sauna besäßen. Dort habe er – der Angeklagte – mit den beiden Jungen und einem weiteren 12-jährigen Analsex gehabt – ihm habe noch am nächsten Tag „der Hintern wehgetan“. Die Kammer vermochte nicht festzustellen, dass diese Erzählungen des Angeklagten – und sei es nur ansatzweise – erlebnisbasiert waren.
Der Angeklagte erzählte dem Zeugen I5 von dem Nebenkläger, behauptete aber wahrheitswidrig, dieser sei ein 14-jähriger Junge namens „M4“ und lebe seit zwei Jahren bei ihm. Dessen Eltern seien damit einverstanden, er gehe in die Schule und habe einen eigenen Bereich in der Wohnung. Er liebe den Jungen „abgöttisch“ und würde ihn am liebsten adoptieren. Der Angeklagte äußerte sich zudem begeistert über die Penisgröße des Nebenklägers, und behauptete, damit habe der Nebenkläger ihn auch bereits anal penetriert. Der Angeklagte beklagte sich dem Zeugen I5 gegenüber aber auch über Phasen ab August/September 0000, in denen der Nebenkläger jeglichen sexuellen Kontakt ablehnte. Er mache – so behauptete er – den Nebenkläger dann mit Geschenken wieder gefügig – das halte aber immer kürzer an.
Der Zeuge I5 zeigte sich interessiert an den Erzählungen über den Nebenkläger, da er auch seinen sexuellen Interessen entsprach und seine sexuellen Phantasien anregte. Der Angeklagte schenkte dem Zeugen daher eine getragene Jungenunterhose und eine Haarsträhne – angeblich vom Nebenkläger – und sendete ihm Nacktbilder und Nacktvideos des Nebenklägers, die aufgenommen worden waren, während dieser geschlafen hatte. Die Videos sind Gegenstand der Fälle 168 und 169; eine Ausnahme bildet das Video VID-20190511-WA0001.mp4, das ebenso wenig Gegenstand der Anklagen ist wie der darin dokumentierte sexuelle Übergriff. Das Video zeigt, wie der Angeklagte den Nebenkläger, während dieser schläft, anal penetriert oder das zumindest versucht.
Im Einzelnen:
Das insgesamt vier Minuten und 57 Sekunden lange Video VID-20190511-WA0001.mp4 fokussiert – nachdem die Kamera offenbar von der Unterlage aufgenommen wird – auf den Analbereich des auf seiner linken Seite liegenden, reglosen und im Bildausschnitt unbekleideten Nebenklägers. Sodann ist der weitgehend erigierte Penis des hinter ihm liegenden Angeklagten zu sehen, den dieser mit seiner rechten Hand zumindest an den Anus des Nebenklägers heranführt. Ob der Angeklagte mit seinem Penis in den Anus des Nebenklägers eindringt oder diesen lediglich zwischen den Pobacken des Nebenklägers reibt, ist auf dem Video nicht eindeutig zu erkennen. Sodann führt der Angeklagte leichte Stoßbewegungen aus, während schweres Atmen zu hören ist. Der Fokus der Aufnahme liegt dabei auf dem weitgehend zwischen den Pobacken des Nebenklägers befindlichen Penis des Angeklagten. Ob sich dieser nur zwischen den Pobacken oder im Anus befindet, ist auch hier nicht zu erkennen. Bei 00:55 zieht der Angeklagte seinen Penis augenscheinlich teilweise wieder heraus und verändert mit der Hand dessen Position. Die Hand des Angeklagten verschwindet dann aus dem Bild. Bei 01:56 zieht der Angeklagte seinen Penis mit der rechten Hand augenscheinlich wieder teilweise heraus. Die Eichel ist hier kurzzeitig im Bild sichtbar, bis der Penis wieder zwischen den Pobacken des Nebenklägers verschwindet, wobei eine anale Penetration weiterhin nicht unmittelbar zu sehen ist. Bei 02:52 passt der Angeklagte die Position seines Penis‘ augenscheinlich erneut mit der rechten Hand an. Die Hand verbleibt zunächst am Penisansatz. Bei 03:20 nimmt die Kamera den weiter zwischen den Pobacken des Nebenklägers befindlichen Penis des Angeklagten bildfüllend in eine Nahaufnahme. Es sind durchgehend leichte Stoßbewegungen erkennbar. Bei 04:03 zieht der Angeklagte seinen Penis unter Zuhilfenahme der rechten Hand erneut heraus. Die Kamera wackelt, das Bild wird kurz unscharf, bei 04:06 ist das Gesicht des Angeklagten von unten zu erkennen. Bei 04:10 nimmt die Kamera wieder den erigierten Penis des Angeklagten, zwar unscharf aber mit sichtbar entblößter Eichel, ins Bild. Dann (04:14 bis 04:28) verschwindet dieser wieder unter Einsatz der rechten Hand des Angeklagten zwischen den Pobacken des Nebenklägers, bis der Angeklagte ihn herauszieht. Es folgt eine Nahaufnahme des Anus des Nebenklägers, wobei der Angeklagte mit seiner linken Hand die Pobacken auseinanderzieht. Auf eine Berührung durch den Zeigefinger des Angeklagten ist eine kurze Kontraktion des Schließmuskels erkennbar. Der Analbereich des Nebenklägers ist sichtbar gerötet. Bewegungen des im von der Kamera erfassten Bereich unbekleideten Nebenklägers sind nicht zu sehen. Es sind während der Aufnahme lediglich Atemgeräusche sowie raschelnde Geräusche zu hören, gesprochen wird nicht.
Die Chats zwischen dem Zeugen I5 und dem Angeklagten, die nach Überzeugung der Kammer den Nebenkläger betreffen, wenn von „M4“ die Rede ist, lauten auszugsweise wie folgt:
Chat ab dem 00.00.0000:
I5: „Du hast ha wieder Zeiten mit M4 wie früher. Als wenn nie was gewesen wäre“
Angeklagter: „Ja das stimmt“
[…]
I5: „[…] Hast du eine wunderschöne geile Nacht gehabt“
Angeklagter: „Ja die nacht war super. Hab seinen lollu sehr tief in mir gespürt bis er kam“
[…]
Angeklagter: „Moin. Ja die nacht war super. Hab heut auch schon geschluckt“
[…]
I5: „M4‘s Haarprobe habe ich in einem kleinen Tütchen mit zu dem blauen Höschen gepackt“
Chat vom 00.00.-00.00.0000:
I5: „Tröste dich doch mit M4“
Angeklagter: „Später vielleicht“
I5: „Nicht so zurückhaltend…“
Angeklagter: „Vorm schlafen gehen“
I5: „Hoffentlich macht M4 mit“
[…]
I5: „So, fahre jetzt zu meiner Mum. Das war wirklich ein sehr schöner Nachmittag mit vielen hübschen Knaben. Vielen Dank dafür und für das sehr leckere Essen und das Bier. Grüße an deinen Kurzen. […]“
Chat vom 00.00.0000:
Angeklagter: „[…] Der hat mich wieder nur wegen essen angesprochen […]“
[…]
Angeklagter: „ […] Bin seit 33 Stunden nue noch luft“
I5: „Wieder Stress mit deinem Vater?“
Chat vom 00.00.0000:
I5: „Ich hab schon mal überlegt am Gymnasium auf den kleinen X3 zu warten. Vielleicht kommt er eher aus dem Gebäude als die Olle Schwester. Andererseits ihn da anzusprechen wär glaube ich auch nicht so gut, da kommen je laufend Schüler raus“
Angeklagter: „An schulen is das gefährlich. Die rufen schnell die Polizei“
I5: „Denk ich auch und das brauche ich garantiert nicht“
Chat vom 00.00.0000:
I5: „Die kriegen doch alle automatisch einen steifen wenn die im Bett liegen und sich was vorstellen“
Angeklagter: „Mal schauen was hier passiert. Gestern durfte ich ja“ […]
I5: „Nee echt, nach Wochen der Enthaltsamkeit durftest du wieder, wie geil ist das denn“
[…]
I5: „Das ist weil M4 Entzugserscheinungen hat :))“
Angeklagter: „Glaub ich auch“
Angeklagter: „Blos bei mir macht er nix“
I5: „Bring deinen Schatz mal wieder auf Spur damit er wieder scharf wird“
Angeklagter: „Nicht so einfach“
I5: „Du hast doch genügend Erfahrungen bei deinen anderen Jungens gesammelt :)) Das schaffst du“
Angeklagter: „Jeder junge is anders“
Ende Oktober 0000 wurde die Wohnung des Zeugen I5 durchsucht und das Handy N mitsamt 235 kinder- und 55 jugendpornografischen Bildern und Videos beschlagnahmt; darunter befanden sich auch die Videos und Lichtbilder, die den Nebenkläger zeigen und die der Angeklagte dem Zeugen I5 gesendet hatte. Im weiteren Verlauf wurde der Zeuge I5 vom Amtsgericht E wegen Verbreitung, Erwerbs und Besitzes kinder- und jugendpornografischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
d)
Außerdem hielt der Angeklagte Kontakt zur Zeugin L2 und deren geistig behindertem Sohn L3. Sie schrieben sich X-Nachrichten, SMS oder telefonierten. In der Zeit, in der der Nebenkläger beim Angeklagten wohnte, besuchten sie den Angeklagten aber nicht in dessen Wohnung. Als die Zeugin L2 den Nebenkläger im Hintergrund eines Telefongesprächs reden hörte, behauptete der Angeklagte, dies sei sein Neffe, der ihm gerade beim Kochen helfe.
e)
Der Angeklagte versuchte soweit wie möglich, sonstige Personen von seiner Wohnung fern zu halten.
So scheiterten etwa mehrere Versuche des Zeugen D, der als Bruder des Vermieters seit 0000 mit in der Immobilie wohnte und dort Hausmeistertätigkeiten verrichtete, Handwerker in die Wohnung des Angeklagten zu schicken, etwa wegen eines Wasserschadens und Schimmelbefalls der Wohnung im Jahre 0000. Die beauftragten Installateure kamen ca. 4-5x vergeblich, da sie nicht eingelassen wurden. Der Zeuge D selbst wurde nur wenige Male in die Wohnung gelassen; als er bei einem Besuch auf den Nebenkläger traf, behauptete der Angeklagte, dieser sei sein Sohn. Der Zeuge D ging daher dazu über, dem Angeklagten Zettel mit Ankündigungen zu schreiben – dann wurden die Handwerker jedenfalls kurz in die Wohnung gelassen, nachdem der Angeklagte den Nebenkläger angewiesen hatte, sich im Schlafzimmerschrank zu verstecken. Genauso wurde verfahren, als Reinigungskräfte – die Wohnung wurde im Jahre 0000 einmal auf Veranlassung der Betreuer gereinigt – oder Möbelspediteure – 0000 wurden ein neues Bett für den Vater und ein neuer Herd geliefert – die Wohnung betraten. Der Angeklagte betonte jeweils, dass er ins Gefängnis gehen würde, wenn der Nebenkläger bei ihm gefunden würde. Mehrere Versuche des Zeugen H und der Zeugin I3, den Angeklagten und dessen Vater zu einem Umzug zu bewegen, scheiterten.
15.
Als die Polizei die Wohnung des Angeklagten am 00.00.0000 aufsuchte und klingelte, schlief der Nebenkläger – wenige Stunden zuvor hatte der Angeklagte noch Oralsex an ihm vorgenommen (die Tat ist nicht Gegenstand der Anklage). Als er von dem Angeklagten daraufhin geweckt wurde, schlug er – der Nebenkläger – dem Angeklagten vor, dieser solle die Tür öffnen, während er sich im Schrank verstecke. Dort wurde er kurz darauf von der Zeugin KOK’in Q gefunden. Der Nebenkläger erschrak, als die Tür geöffnet wurde und die Zeugin anfing, vor Schreck zu schreien. Der Nebenkläger war in schlechter körperlicher Verfassung: Er war übergewichtig, kraftlos, roch stark, hatte fahle Haut, ungepflegte Nägel, verfilzte Haare, eine stark zerkratzte Brille, er trug eine ungewaschene kurze Hose mit Brandlöchern, einen Herrenpulli und hatte keine Schuhe in seiner Größe. Er verhielt sich abweisend und fragte die Zeugin, ob sie denn „unbedingt“ in den Schrank habe gucken müssen. Er empfand aber auch Erleichterung darüber, dass der Aufenthalt beim Angeklagten nunmehr beendet würde und er – so hoffte er – zu seiner Familie zurückkehren könne. Gleichzeitig machte er sich aber auch Sorgen darüber, dass der Angeklagte ins Gefängnis müsste. Als die Zeugin ihn nach seinem Namen fragte, wollte er ihn zunächst nicht nennen; bei weiteren Fragen lachte er unpassend auf, wirkte überfordert, angespannt und unruhig. Bevor der Nebenkläger der Zeugin Q auf Socken aus der Wohnung folgte, legte er die beiden Armbänder auf dem Bett ab. Er wollte weder etwas mitnehmen noch zeigte er das Bedürfnis, sich vom Angeklagten zu verabschieden. Er hatte Probleme beim Gehen, da er in den letzten 2,5 Jahren nur wenig in der Wohnung herumgelaufen war.
Im Polizeiwagen entspannte sich der Nebenkläger etwas.
16.
a)
Der Nebenkläger wurde direkt nach seinem Auffinden am 00.00.0000 polizeilich durch die Zeugin KHK’in C3 vernommen. Der Nebenkläger lehnte Essen und Trinken ab. Die Vernehmung gestaltete sich zäh, der Nebenkläger saß im Schneidersitz, mit hängenden Schultern und ohne Körperspannung da. In dieser Vernehmung sagte er zu den Fällen 1 bis 165 nichts. Er gab an, freiwillig in der Wohnung des Angeklagten gewesen zu sein; sollte es dort zu sexuellen Handlungen des Angeklagten an ihm gekommen sein, müsse er (der Nebenkläger) dabei geschlafen haben.
b)
Der Nebenkläger wurde nach seinem Auffinden für sieben Wochen stationär in der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Datteln aufgenommen. Dies wurde insbesondere auch deswegen nötig, weil sich seine Mutter, die Zeugin C2, außer Stande sah, ihn sofort bei sich aufzunehmen. Der Nebenkläger verblieb auf freiwilliger Basis auf der geschlossenen Station. Die ersten Tage verbrachte der Nebenkläger nur im Bett, weinte und schlief. Einen Tag nach seinem Auffinden besuchte ihn seine Mutter in der Psychiatrie. Der Nebenkläger erzählte weder ihr noch den Polizeibeamten, als diese ihn vor der zweiten förmlichen Vernehmung in der Psychiatrie aufsuchten, von den sexuellen Übergriffen.
c)
Vor der zweiten förmlichen polizeilichen Vernehmung bat die Mutter des Nebenklägers ihn, alles auszusagen; er solle das „für die Familie“ tun.
Bei der zweiten förmlichen Vernehmung des Nebenklägers am 00.00.0000 durch die Zeugin KHK’in C3 war der Nebenkläger gepflegt und im Redefluss – auch in Bezug auf die sexuellen Handlungen, die der Angeklagte an ihm vorgenommen habe und derer sich der Nebenkläger schämte – kaum zu stoppen. Er tat dies nach eigenem Bekunden für seine Mutter und um zu verhindern, dass der Angeklagte sich an weiteren Jungen vergehe. Ein schlechtes Gewissen gegenüber dem Angeklagten hatte er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Als er hörte, dass der Angeklagte in Untersuchungshaft sei, wirkte der Nebenkläger erleichtert.
d)
Der Nebenkläger wurde sodann in das Programm einer sog. „Reisemaßnahme“ aufgenommen, die jedoch wegen der Corona-Pandemie vorzeitig abgebrochen werden musste. Die Mutter holte ihn daher Ende März 0000 aus C zu sich nachhause.
Der Nebenkläger wohnt seit dem 00.00.0000 mit seiner jüngeren Schwester bei ihrer Mutter in einer Wohnung in E. Er verfügt dort über ein eigenes Zimmer, das als Durchgangszimmer ausgestaltet ist.
Er besucht an zwei Tagen in der Woche die Schule, um einen Haupt- oder Realschulabschluss zu erreichen. Danach strebt er eine Ausbildung im IT-Bereich an. An drei Tagen in der Woche arbeitet er in der Strukturwerkstatt T e. V. in E. Er kommt i. d. R. nachmittags nachhause und verbringt seine Freizeit vor dem Fernseher oder dem PC. Er verlässt die Wohnung nur, um zur Schule oder zur Werkstatt zu gehen, sonstige soziale Kontakte hat er nicht. Er ist dementsprechend viel allein, nach eigenem Bekunden aber nicht etwa durchgehend traurig, auch wenn das von außen so aussehen möge. An die Zeit bei dem Angeklagten denkt er regelmäßig, aber immer weniger. Häufig spielt dabei die Situation eine Rolle, als der Angeklagte ihn weckte, als die Polizei vor der Tür stand. Er leidet unter leichtem und unruhigem Schlaf. Alpträume, die die Zeit bei dem Angeklagten betreffen, hat er nicht. Der Gedanke an Sexualität mit einer Frau fällt ihm nicht schwer.
Der Nebenkläger strebt eine Psychotherapie in einer Tagesklinik an; er steht bereits auf einer Warteliste.
17.
Der Nebenkläger erhob in der Verhandlung vom 00.00.0000 eine Adhäsionsklage, mit der er die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes von mindestens 50.000,00 Euro verlangte. In der Verhandlung vom 00.00.0000 schlossen der Angeklagte und der Nebenkläger daraufhin einen – zwischen einem Verteidiger und der Nebenklageanwältin in einer Sitzungspause ausgehandelten – Vergleich, in dem der Angeklagte sich zur Zahlung von 35.000,00 Euro an den Nebenkläger verpflichtete. Dem Angeklagten wurde eingeräumt, den Betrag in Raten von monatlich 20,00 Euro zu zahlen. Die Rate erhöht sich nach dem Vergleich auf monatlich 40,00 Euro, wenn der Angeklagte eine Arbeitstätigkeit aufnimmt. Ob der Nebenkläger den Vergleich als friedensstiftenden Ausgleich ansieht, ließ sich nicht feststellen. Der Vergleich selbst verhält sich dazu nicht. Der Nebenkläger und seine gesetzliche Vertreterin waren weder am Tag des Zustandekommens des Vergleichs, an dem auch die Beweisaufnahme geschlossen und das erste Plädoyer gehalten wurde, noch an den folgenden Verhandlungstagen zugegen. Die gesetzliche Vertreterin nahm an der Hauptverhandlung erst wieder teil, als das Urteil gesprochen wurde. Der Nebenkläger selbst hat an der Hauptverhandlung seit dem Abschluss seiner Zeugenaussage im Januar 0000 gar nicht mehr teilgenommen. Die Nebenklageanwältin hat dazu, wie der Nebenkläger sich zu dem Vergleich stellt, nichts ausgeführt.
18.
Der Vater des Angeklagten kam nach dessen Inhaftierung zunächst ins Krankenhaus und ist inzwischen in einem Pflegeheim untergebracht.
B. Zweiter Tatkomplex: Anklage vom 00.00.0000 – 39 Js 39/20
1. Fall 168:
Der Angeklagte schickte dem Zeugen I5 am 00.00.0000 über das Internet zwei Dateien mit Videos, die er selbst angefertigt hatte und die die Genitalien des schlafenden, nackten Nebenklägers zeigen, an denen der Angeklagte manipuliert (Video VID-20190404-WA0001.mp4 und VID-20190404-WA0002.mp4); die hier dokumentierten sexuellen Übergriffe selbst sind nicht Gegenstand der Anklagen. Die Videos waren ohne Kenntnis des Nebenklägers aufgenommen worden; die Kammer ist davon überzeugt, dass sie nach seinem 14. Geburtstag entstanden waren. Die Dateien befanden sich im Besitz des Angeklagten, seit er die Videos aufgenommen hatte. Noch am Tag der Durchsuchung seiner Wohnung hatte er sie im Datenbestand; sie waren auf einem seiner beiden Mobiltelefone I unter den Dateinamen VID-20190404-WA0061.mp4 (entspricht VID-20190404-WA0001.mp4) und VID-20190404-WA0062.mp4 (entspricht VID-20190404-WA0002.mp4) gespeichert.
Im Einzelnen:
a) Video VID-20190404-WA0001.mp4
In dem Video VID-20190404-WA0001.mp4, das insgesamt eine Minute und 29 Sekunden umfasst, wird zunächst (00:01) die Hand des Angeklagten im Bild erkennbar. Bei 00:03 schwenkt die Kamera auf den im gesamten Bildausschnitt nackten Unterkörper des Nebenklägers, der sich unbeweglich, offenbar schlafend, in seitlich liegender Position befindet und dessen teilweise erigierter Penis ab 00:06 in Nahaufnahme zu sehen ist. Der Angeklagte manipuliert ab 00:09 mit seiner rechten Hand den Penis des Nebenklägers – zunächst am Schaft, dann auch im Bereich der Penisspitze – mit langsamen, reibenden Bewegungen. Sodann (00:53) fokussiert die Kamera auf die durch die Vorhaut bedeckte Eichel, die der Angeklagte mit seinen Fingern teilweise freilegt und sodann mit dem Zeigefinger stimuliert. Anschließend (01:01) lässt der Angeklagte den Penis des Nebenklägers kurzzeitig los. Gegenüber dem Beginn des Videos ist eine Steigerung der Erektion zu erkennen. Der Angeklagte manipuliert den Penis des Nebenklägers (01:03 bis 01:10) erneut mit der rechten Hand im Bereich des Penisschafts. Die Kamera schwenkt dann über die Leistengegend des Nebenklägers, auf den nackten, teilweise erigierten Penis des Angeklagten, der bei 01:17 den Bildmittelpunkt bildet, sodann bei 01:21 wieder zurück auf den Penis des Nebenklägers. Dabei hat der Penis des Angeklagten, der sich rechts seitlich bzw. hinter dem Nebenkläger in liegender Position befindet, an dessen Oberschenkelrückseite unmittelbaren Kontakt mit dem Körper des Nebenklägers. Es wird erneut die rechte Hand des Angeklagten sichtbar, mit der er den Nebenkläger im Bereich des Skrotums streichelt (01:23-01:29), wobei er einmal die Hoden mit den Fingern nach oben drückt, sodass deren Umrisse deutlich erkennbar werden. Sämtliche im Video sichtbaren Körperteile sind unbekleidet. Bewegungen des Nebenklägers sind während der gesamten Aufnahme nicht zu sehen. Es sind lediglich Atemgeräusche sowie Rascheln zu hören, gesprochen wird nicht.
b) Video VID-20190404-WA0002.mp4
Das insgesamt drei Minuten und 37 Sekunden lange Video VID-20190404-WA0002.mp4 beginnt mit einer Nahaufnahme des teilweise erigierten Penis des im auf den Genitalbereich fokussierten Bildausschnitt unbekleideten, reglos auf dem Rücken liegenden Nebenklägers, der am Penisschaft durch den Angeklagten mit der rechten Hand in reibenden Bewegungen manipuliert wird. Zwischenzeitlich (00:31 bis 00:35; 01:17 bis 01:29) neigt der Angeklagte den von ihm in einer aufrechten Position gehaltenen Penis des Nebenklägers mit der durch die Vorhaut bedeckten Eichel in Richtung der Kamera, wobei er die Vorhaut etwas zurückzieht. Sodann (00:41 bis 00:43) wechselt der Fokus auf den Bereich des Penisansatzes, der nunmehr in Nahaufnahme zu sehen ist, während die Hand des Angeklagten am oberen Bildrand am Penisschaft manipuliert. Anschließend ist wieder der gesamte Penis des Nebenklägers, den der Angeklagte fortwährend, zuerst nur mit den Fingerkuppen, im Verlauf des Videos auch den Penis mit der ganzen Hand ringförmig umfassend, stimuliert, in Nahaufnahme zu sehen. Bei 01:33 legt der Angeklagte den nunmehr stärker erigierten Penis des Nebenklägers ab und streichelt mit der ganzen Hand dessen Skrotum. Ab 01:44 manipuliert er erneut in der bereits beschriebenen Weise am Penisschaft, wobei der Penis wiederholt so zur Kamera geneigt wird, dass die durch die Handbewegungen des Angeklagten über die Eichel gleitende Vorhaut deutlich zu sehen ist. Bei 03:08 legt der Angeklagte den Penis des Nebenklägers wieder auf dessen Bauch ab und manipuliert mit der ganzen Hand zuerst am Skrotum, dann wieder am unteren Penisschaft. Bei 03:20 hört der Angeklagte auf, den Penis des Nebenklägers zu stimulieren. Die Kamera bewegt sich in jeweils den Bildausschnitt füllender Nahaufnahme vom Skrotum bis zu Eichel des auf dessen Bauch abgelegten Penis des Nebenklägers. Zum Schluss ist der gesamte Penis des Nebenklägers zu sehen. Bewegungen des Nebenklägers sind während der gesamten Aufnahme nicht zu sehen. Es sind lediglich raschelnde Geräusche zu hören, gesprochen wird nicht.
Der Zeuge I5 erkannte zutreffend, dass es sich stets um den gleichen männlichen Jugendlichen handelte, obwohl nie dessen Gesicht abgebildet war. Zu sehen waren aber die auffälligen Wachstumsstreifen, von denen der Angeklagte behauptete, sie rührten daher, dass er und „M4“ sich gegenseitig nach dem Baden nass rasieren würden. Die Videodateien VID-20190404-WA0001.mp4 und VID-20190404-WA0002.mp4 wurden i. R. einer Wohnungsdurchsuchung beim Zeugen I5 auf dessen Mobiltelefon N aufgefunden und gesichert.
2. Fall 169:
Der Angeklagte schickte dem Zeugen I5 am 00.00.0000 über das Internet weitere fünf Dateien mit Videos, die er ebenfalls selbst angefertigt hatte und die wiederum die Genitalien des schlafenden, nackten Nebenklägers zeigen (VID-20190408-WA0001.mp4, VID-20190408-WA0002.mp4, VID-20190408-WA0003.mp4, VID-20190408-WA0004.mp4 und VID-20190408-WA0005.mp4). In drei Videos sieht man, wie der Angeklagte an den Genitalien des Nebenklägers manipuliert (VID-20190408-WA0001.mp4, VID-20190408-WA0003.mp4, VID-20190408-WA0005.mp4) und in einem Fall zusätzlich den Oralverkehr vollzieht (VID-20190408-WA0005.mp4); die hier dokumentierten sexuellen Übergriffe selbst sind nicht Gegenstand der Anklagen. Zwei Videos zeigen keine sexuellen Handlungen, jedoch hatte der Angeklagte zuvor den Penis des Nebenklägers für die Aufnahmen stimuliert sowie in der Position auf dem Bauch des Nebenklägers aufliegend arrangiert (VID-20190408-WA0002.mp4 und VID-20190408-WA0004.mp4); auch diese sexuellen Übergriffe sind nicht Gegenstand der Anklagen. Die Videos waren ohne Kenntnis des Nebenklägers aufgenommen worden; die Kammer ist davon überzeugt, dass sie nach seinem 14. Geburtstag entstanden waren. Die Dateien befanden sich im Besitz des Angeklagten, seit er die Videos aufgenommen hatte. Ob er sie auch über den 00.00.0000 hinaus im Datenbestand hatte, ist unklar; bei der Durchsuchung seiner Wohnung wurden sie jedenfalls nicht gefunden.
Im Einzelnen:
a) Video VID-20190408-WA0001.mp4
Das insgesamt eine Minute und 48 Sekunden lange Video VID-20190408-WA0001.mp4 beginnt mit einer aus einer Kameraperspektive zwischen den Oberschenkeln des Nebenklägers aufgenommenen Nahaufnahme von dessen teilweise erigiertem Penis, den der Angeklagte mit den Fingern der linken Hand am Penisschaft stimuliert. Sodann wird die Kamera offenbar von der Unterlage angehoben, die Blickrichtung bleibt dieselbe. Der Nebenkläger ist in dem auf seinen Genitalbereich fokussierten Bildausschnitt unbekleidet und liegt reglos auf dem Rücken. Bei 00:35 beginnt der Angeklagte, das Skrotum zu manipulieren, auch indem er die Hoden mit den Fingern verschiebt. Dabei zieht er die Haut so weit zusammen, dass sich die Form der Hoden deutlich abzeichnet. Bei 01:04 verlagert sich die Aktivität wieder auf den Penis, den der Angeklagte nunmehr manipuliert, indem er ihn ringförmig mit der linken Hand umschließt und reibende Bewegungen ausführt. Die Kamera erfasst den in der Mitte des Bildausschnitts befindlichen Penis nunmehr von der Eichel aus gesehen. Bei 01:39 lässt der Angeklagte den Penis des Nebenklägers los. Bei 01:40 schwenkt die Kamera offenbar auf die Unterlage, die Aufnahme ist unscharf, ab 01:45 ist das Bild schwarz. Bewegungen des Nebenklägers sind während der gesamten Aufnahme nicht zu sehen. Es sind lediglich raschelnde Geräusche zu hören, gesprochen wird nicht.
b) Video VID-20190408-WA0002.mp4
Zu Beginn des insgesamt eine Minute und 15 Sekunden langen Videos VID-20190408-WA0002.mp4 sind der Bauch, der Genitalbereich sowie die links teilweise durch eine Decke bedeckten Oberschenkel des in Rückenlage befindlichen Nebenklägers zu sehen. Zentral im Bild ist dessen teilweise erigierter, in Richtung des Bauches zeigender Penis. Die Kamera nähert sich zunächst dem linken Oberschenkel, dann dem Bauch des Nebenklägers, bis bei 00:22 bis 00:25 dessen Penis, bei 00:26 bis 01:09 im Wesentlichen das Skrotum – mit zwischenzeitlichen Verlagerungen des Bildausschnitts in Richtung des rechten Oberschenkels und zwischen die Oberschenkel mit Blick auf das auf der Unterlage, offenbar einer Matratze oder ähnlichem, aufliegende Gesäß – bildfüllend zu sehen sind. Ab 01:10 bis zum Ende der Aufnahme füllt der von oben aufgenommene, in Richtung des Bauchs zeigende Penis den Bildausschnitt. Bewegungen des Nebenklägers sind während der gesamten Aufnahme nicht zu sehen. Es sind lediglich raschelnde Geräusche zu hören, gesprochen wird nicht.
c) Video VID-20190408-WA0003.mp4
Zu Beginn des eine Minute und 55 Sekunden langen Videos VID-20190408-WA0003.mp4 ist der unbekleidete rechte Oberschenkel des Nebenklägers, der regungslos auf dem Rücken liegt, zu sehen. Die Kamera wird sodann in Richtung des Bauchs des Nebenklägers geführt und nimmt schließlich (00:09) dessen Genitalbereich in den Fokus. Am linken Bildrand ist – wie auch wiederholt während der weiteren Aufnahme – die auf dessen Bauch abgelegte linke Hand des Nebenklägers zu sehen, die zunächst völlig reglos bleibt. Bei 00:10 taucht die linke Hand des Angeklagten im Bild auf. Der Angeklagte beginnt, den teilweise erigierten, in Richtung des Bauchs zeigenden Penis, der den Fokus der Aufnahme bildet, sowie das Skrotum des Nebenklägers mit den Fingern der linken Hand in knetenden Bewegungen zu stimulieren (00:24 bis 00:51). Sodann (00:56) umfasst er den Penis des Nebenklägers ringförmig mit der linken Hand, im weiteren Verlauf auch nur mit den Fingern, und manipuliert daran mit reibenden Bewegungen. Die Kamera ist von oben auf den Penis, den der Angeklagte in aufgerichteter Stellung hält, gerichtet. Zentral im Bild ist die durch die Vorhaut bedeckte Eichel zu sehen. Zwischenzeitlich (01:38 bis 01:40) verlagert sich der Bildausschnitt auf das Skrotum. Bei 01:46 legt der Angeklagte den Penis des Nebenklägers auf dessen Bauch ab und hält diesen mit der Hand umfasst. Bei 01:53 verschwindet die zuvor deutlich sichtbar gewesene linke Hand des Nebenklägers – offenbar durch eine Bewegung des Nebenklägers – aus dem Bild. Unmittelbar darauf schwenkt die Kamera auf die Unterlage, das Bild wird unscharf, es folgt die Schwarzblende am Ende. Abgesehen von der Handbewegung bei 01:53 sind keine Bewegungen des Nebenklägers zu sehen. Es sind lediglich raschelnde Geräusche zu hören, gesprochen wird nicht.
d) Video VID-20190408-WA0004.mp4
Das 53 Sekunden dauernde Video VID-20190408-WA0004.mp4 zeigt zunächst das Skrotum des regungslos auf dem Rücken liegenden Nebenklägers, wobei die Kamera zuerst von seitlich, sodann von schräg oben darauf gerichtet ist. Ab 00:15 bewegt sich der Bildausschnitt, weiter in Nahaufnahme, nach oben zum auf dessen Bauch liegenden, teilweise erigierten Penis des Nebenklägers. Anschließend vergrößert sich der Bildausschnitt, sodass auch der Bauch des Nebenklägers und sodann – nach einem zu Unschärfen der Aufnahme führenden Schwenk der Kamera auf den Oberschenkel und dann erneut den Penis des Nebenklägers – dessen Brustkorb, auf dem seine linke Hand abgelegt ist, zu sehen sind. Zum Ende der Aufnahme nimmt die Kamera erneut den Penis in den Fokus. Im weitesten Bildausschnitt ist der Nebenkläger von den Oberschenkeln knapp oberhalb des Knies bis zum Brustkorb oberhalb der Brustwarzen zu sehen. Sein linker Oberschenkel ist teilweise durch eine Decke verdeckt, ansonsten ist er im Bildausschnitt unbekleidet. Bewegungen des Nebenklägers sind nicht zu sehen. Es sind lediglich raschelnde Geräusche zu hören, gesprochen wird nicht.
e) Video VID-20190408-WA0005.mp4
Zu Beginn des insgesamt acht Minuten und elf Sekunden langen Videos VID-20190408-WA0005.mp4 ist die Kamera auf den nackten rechten Fuß des regungslos auf dem Rücken liegenden Nebenklägers gerichtet. Entlang des rechten Beins schwenkt die Kamera dann nach oben, bis der Brustkorb, auf dem knapp unterhalb der Brustwarzen die linke Hand des Nebenklägers liegt, und der ab 00:18 in den Fokus genommene Genitalbereich des Nebenklägers mit teilweise erigiertem Penis zu sehen sind. Bei 00:24 ergreift der Angeklagte mit seiner linken Hand den zuvor auf dessen Bauch aufliegenden Penis des Nebenklägers und beginnt, diesen zu stimulieren (00:26 bis 01:22; 01:28 bis 05:04). Zwischendurch (01:23 bis 01:27) manipuliert der Angeklagte auch am Skrotum des Nebenklägers, wobei er die Haut so weit nach oben zieht, dass sich die Hoden deutlich abzeichnen. Bei 03:26 nimmt die Kamera die Penisspitze, die der Angeklagte in die Kamera hält, in den Fokus. Der Angeklagte legt die Eichel teilweise frei (03:53) und manipuliert diese mit dem Daumen. Schließlich dringt er mit dem Daumen unter die Vorhaut ein und stimuliert die Eichel mit kreisenden Bewegungen (03:54 bis 04:06). Nach einem sichtbaren Wackeln der Kamera taucht bei 05:08 im linken oberen Bereich des Bildausschnitts das Gesicht des Angeklagten im Profil auf. Während er mit den Fingern der linken Hand den nunmehr stärker erigierten Penis des Nebenklägers aufrecht hält, nimmt er die Penisspitze in den Mund und vollzieht den Oralverkehr an dem weiterhin regungslosen Nebenkläger (bis 05:16). Anschließend stimuliert er dessen Penis weiter mit der Hand, um bei 05:37 den unmittelbar zuvor auf dessen Bauch abgelegten Penis des Nebenklägers von dort mit dem Mund aufzunehmen und erneut (bis 05:46) den Oralverkehr an diesem zu vollziehen. Ab 05:50 manipuliert der Angeklagte wieder mit der linken Hand am Penis des Nebenklägers, dessen ersichtlich gesteigerte Erektion mit sich abzeichnenden Adern er zwischenzeitlich präsentiert, indem er den Penis – während er die Stimulation kurz unterbricht – in die Kamera hält. Bei 07:14 ergreift der Angeklagte mit der linken Hand das Skrotum des Nebenklägers und manipuliert daran mit knetenden Bewegungen, wobei erneut beide Hoden deutlich sichtbar werden. Anschließend (07:39 bis 08:11) stimuliert er weiter den Penis des Nebenklägers mit der linken Hand. Bewegungen des im von der Kamera erfassten Bereich unbekleideten Nebenklägers sind nicht zu sehen. Es sind lediglich Atemgeräusche sowie raschelnde Geräusche zu hören, gesprochen wird nicht.
Der Zeuge I5 erkannte auch in diesem Fall zutreffend, dass es sich stets um den gleichen männlichen Jugendlichen handelte, obwohl nie dessen Gesicht abgebildet war. Die Videodateien wurden ebenfalls i. R. der Wohnungsdurchsuchung beim Zeugen I5 auf dessen Mobiltelefon N aufgefunden und gesichert.
3. Fall 170:
I. R. d. Wohnungsdurchsuchung am 00.00.0000 wurde neben den o. g. Mobiltelefonen I und anderen Speichermedien das im Besitz des Angeklagten befindliche Mobiltelefon N1 sichergestellt. Auf diesem und einem der Mobiltelefone I befanden sich, wie der Angeklagte wusste, u. a. folgende Videos:
a) I
aa) Video VID-20191124-WA0133.mp4
Auf der 29 Sekunden umfassenden Aufnahme VID-20191124-WA0133.mp4 ist vor dem Hintergrund einer weißen Kassettentür ein nackter Junge im Kindesalter zu sehen, der sich selbst mit einem in der linken Hand gehaltenen Mobiltelefon im Spiegel filmt. Dabei dreht er sich, sodass sowohl Gesäß als auch Penis zu sehen sind. In der zweiten Hälfte des Videos manipuliert der Junge mit der rechten Hand an seinem Penis.
Dieses Video hatte der Angeklagte seit dem 24.11.2019 in seinem Datenbestand.
bb) Video VID-20191124-WA0138.mp4
Das Video VID-20191124-WA0138.mp4 mit einer Gesamtdauer von elf Minuten und 43 Sekunden zeigt zunächst zwei Jungen im Kindesalter, von denen einer mit einer kurzen Hose, der andere mit einer kurzen Hose und einem T-Shirt bekleidet ist. Anschließend entkleiden sich die Jungen und stimulieren sich wechselseitig am Penis. Sodann fesselt einer der Jungen den anderen, der auf einem Sessel mit orangefarbenem Bezug oder Überwurf sitzt, mit den Händen an diesen Sessel. Der gefesselte Junge führt an dem anderen den Oralverkehr durch, wobei auch der andere Junge am Penis des gefesselten manipuliert. Im letzten Viertel des Videos, in dem die Fesselung aufgehoben ist, vollzieht einer der Jungen am anderen den Analverkehr.
Dieses Video hatte der Angeklagte seit dem 24.11.2019 in seinem Datenbestand.
cc) Video VID-20191124-WA0141.mp4
Auf dem 47 Sekunden langen Video VID-20191124-WA0141.mp4 sind zwei Jungen im Kindesalter mit unbekleidetem Oberkörper zu sehen. Vor ihnen steht ein erwachsener Mann, von dem lediglich der Unterbauch sowie die Genitalregion mit erigiertem Penis und heruntergelassener Jeans im Bildausschnitt zu sehen sind. Zuerst führt der eine, dann der andere der beiden Jungen bei dem Mann den Oralverkehr durch.
Dieses Video hatte der Angeklagte seit dem 00.00.0000 in seinem Datenbestand.
dd) Video VID-20191218-WA0051.mp4
Das eine Minute und eine Sekunde lange Video VID-20191218-WA0051.mp4 zeigt einen Jungen im Kindesalter, der nackt mit hinter dem Kopf verschränkten Armen und gespreizten Beinen mit aufgestellten Knien auf dem Rücken liegt. Ein erwachsener Mann oder männlicher Jugendlicher manipuliert zunächst mit der rechten Hand am Penis des Kindes und führt sodann, während er sich auf der Unterlage, einem Bett o.ä., mit der Hand abstützt, den Oralverkehr an dem Jungen durch.
Dieses Video hatte der Angeklagte seit dem 00.00.0000 in seinem Datenbestand.
ee) Video VID-20191210-WA0000.mp4
Auf dem neun Minuten und 19 Sekunden langen Video VID-20191210-WA0000.mp4 ist ein auf einem Stuhl vor der Kamera sitzender Junge im Kindesalter, bekleidet mit einer grauen Jogginghose, zu sehen, die er später herunterschiebt. Der Junge masturbiert, indem er mit der rechten Hand seinen Penis stimuliert.
Dieses Video hatte der Angeklagte seit dem 00.00.0000 in seinem Datenbestand.
b) N1
aa) Video VID-20150502-WA008.3gp
Auf dem Video VID-20150502-WA008.3gp ist ein nackter, auf dem Rücken liegender Junge im Kindesalter zu sehen, der zunächst an einer männlichen Person den Oralverkehr durchführt, während er von einer weiteren männlichen Person anal penetriert wird. Sodann ist lediglich der Analverkehr mit dem Kind, dessen teilweise erigierter Penis ebenfalls im Bild zu sehen ist, zu sehen.
Dieses Video hatte der Angeklagte seit dem 00.00.0000 in seinem Datenbestand.
bb) Video VID-20150425-WA0051.mp4
Das Video VID-20150425-WA0051.mp4 zeigt ein Mädchen im Kindesalter, das mit über die Armlehnen gespreizten Beinen auf einem gepolsterten Stuhl sitzt und zunächst noch mit einem hellen Slip bekleidet ist. Hinter dem Stuhl steht eine bekleidete, erwachsene, männliche Person und berührt es mit der rechten Hand über dem Slip im Genitalbereich. Sodann wird das nunmehr vollständig unbekleidete Mädchen von der männlichen Person mit dem Finger jedenfalls im Bereich der Klitoris oberhalb des Scheidenvorhofs berührt. Anschließend führt das Mädchen an einer unbekleideten, erwachsenen, männlichen Person mit vollständig erigiertem Penis, die rechts von ihm steht, den Oralverkehr durch, während es weiter mit weit gespreizten Beinen auf dem Stuhl sitzt. Die Vulva des Mädchens ist dabei deutlich zu sehen. Schließlich führt das Mädchen den Zeigefinger seiner rechten Hand in seine Vagina ein.
Dieses Video hatte der Angeklagte seit dem 00.00.0000 in seinem Datenbestand.
III.
Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den Angaben des Angeklagten, soweit ihnen die Kammer zu folgen vermochte; im Übrigen auf den ausweislich der Sitzungsniederschrift in der Hauptverhandlung erhobenen Beweisen.
A.
1.
Der Angeklagte hat sich über eine knappe, durch einen Verteidiger verlesene und von ihm selbst pauschal bestätigte Erklärung zu seinem Lebenslauf und seinen persönlichen Verhältnissen eingelassen. Er hat seinen Werdegang wie festgestellt bekundet. Im Übrigen ließ er sich weder zu zwischenmenschlichen Kontakten noch sexuellen Vorlieben ein. Bez. seines Alkoholkonsums gab er an, nach dem Tod seiner Mutter mit dem Trinken begonnen zu haben – er wäre zu dieser Zeit „fast Alkoholiker“ geworden. Bevor er zur Bundeswehr gegangen sei, habe er ganz aufgehört, Alkohol zu trinken. Beim Bund habe sich der Konsum wieder gesteigert, bis er im Jahre 0000 wieder aufgehört habe zu trinken (höchstens mal ein Bier beim Fußballschauen). Erst 0000 habe er wieder begonnen.
2.
Da sich die Einlassung des Angeklagten nicht zu den Kontakten, die er vorrangig in Gruppen von Kindern und Jugendlichen suchte, sowie zu seinem Verhalten und seiner Rolle in diesen Gruppen verhält, stützt die Kammer ihre Überzeugung auf die jedenfalls insoweit glaubhaften Aussagen der Zeugen M, M1, L1, G und der Zeugin X. Diese schilderten die Kontaktaufnahme des Angeklagten und sein Verhalten innerhalb der Gruppe sowohl im Kern als auch in Randbereichen weitgehend übereinstimmend, obwohl der Angeklagte sehr unterschiedliche Emotionen in ihnen weckte.
Hinsichtlich des Verhältnisses des Angeklagten zum Zeugen M folgt die Kammer namentlich den Aussagen des Zeugen selbst sowie seiner Mutter, der Zeugin M2. M hat den Kontakt zum Angeklagten wie festgestellt geschildert.
Im Hinblick auf das Verhältnis des Angeklagten zu dem Zeugen M1 stützt die Kammer ihre Überzeugungen insbesondere auf die glaubhaften Aussagen der Zeugen M, D und der Zeuginnen X und M2, die jeweils das außergewöhnliche Näheverhältnis des Angeklagten zu dem Zeugen bekundeten, das durch den i. R. d. Wohnungsdurchsuchung aufgefundenen Brief gestützt wird, der – aufgrund der Ansprache des „M1“ und des Fundortes in der Wohnung des Angeklagten – nach Auffassung der Kammer vom Angeklagten an den Zeugen M1 gerichtet war und den sie aufgrund des Inhalts als „Liebesbrief“ einstuft. Die Zeugin M2 bekundete darüber hinaus in glaubhafter Weise die Veränderungen und Auffälligkeiten im Verhalten des Zeugen in der Zeit des Kontaktes zum Angeklagten.
Bez. des Verhältnisses des Angeklagten zum Zeugen L1 stützt die Kammer ihre Überzeugungen auf die Aussage des Zeugen selbst. Er hat i. R. seiner Vernehmung plastisch berichtet, wie er sich – vor allem in psychischer Hinsicht – durch den Kontakt zum Angeklagten verändert hat und wie intensiv sich der Kontakt gestaltete.
Vor dem Hintergrund dieser festgestellten Besonderheiten ist die Kammer davon überzeugt, dass der Angeklagte sexuelles Interesse sowohl an den Zeugen M und M1 als auch an dem Zeugen L1 hatte. Dass er deshalb auch sexuell übergriffig wurde, vermochte die Kammer indes nicht festzustellen. Die Zeugen selbst stellten dies in Abrede. Zwar hatte der Zeuge M1 noch i. R. der polizeilichen Vernehmung bekundet, der Angeklagte habe ihm und der E „Knutschflecken“ gemacht, i. R. d. Hauptverhandlung schloss er dies aber dann aus; er räumte lediglich ein, dass er dem Angeklagten bei einer Gelegenheit „Knutschflecken“ gemacht habe.
Zwar hält die Kammer die Aussage des Zeugen M1 aufgrund der zahlreichen Widersprüche und der nicht erklärbaren Lückenhaftigkeit für wenig verlässlich. Auch verkennt sie nicht die Anhaltspunkte, die für sexuelle Übergriffe durch den Angeklagten an dem Zeugen M1 sprechen. Dazu zählen – neben dem besonderen Näheverhältnis des Angeklagten zum Zeugen sowie seinen pädosexuellen Interessen – insbesondere die psychischen Auffälligkeiten des M1 während des Kontakts zum Angeklagten sowie sein Aussageverhalten im hiesigen Verfahren: Er zeigte sich i. R. der polizeilichen Vernehmungen nach Bekundungen der Zeugin KHK’in X4 stark auffällig, fast traumatisiert, er weinte bei einem Termin und gab noch zur Begründung seines in der Hauptverhandlung gestellten Antrags, unter Ausschluss der Öffentlichkeit sowie in Abwesenheit des Angeklagten auszusagen, u. a. an, dass er über peinliche, auch sexuelle, Dinge sprechen müsse.
I. R. seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung zog er sich sodann aber darauf zurück, er habe geweint, da er durch die polizeilichen Vernehmungsbeamten „gezwungen“ worden sei, sich kinderpornografische Bilder anzusehen und ihm sogar mit „Beugehaft“ gedroht worden sei, würde er dies nicht tun. Kinderpornografische Bilder würden stärkste Aggressionen in ihm hervorrufen, er habe schließlich selbst Kinder. Außerdem ertrage er die Vorstellung kaum, dass er evtl. – wie der Nebenkläger – auch das „Objekt der Begierde“ des Angeklagten gewesen sein könnte, obwohl es nie zu sexuellen Übergriffen gekommen sei. Irgendwann sei er in der Vernehmung einfach „fertig mit den Nerven“ gewesen, weil er immer wieder das Gleiche gefragt worden sei.
Die Kammer glaubt ihm in dieser Hinsicht nicht; ausreichende Sicherheit bez. sexueller Übergriffe durch den Angeklagten vermochte sie aber mangels ausreichender Beweise insofern auch nicht zu gewinnen. Gleiches gilt für die Zeugen M und L1. Auch insofern vermochte die Kammer sich nicht von sexuellen Übergriffen an den Zeugen durch den Angeklagten überzeugen.
Davon, dass der Angeklagte auch die Nähe des damals 4- bis 10-jährigen L3 suchte, ist die Kammer aufgrund der Aussage der Zeugin L2 überzeugt. Insofern geht die Kammer davon aus, dass der Angeklagte sexuelles Interesse an dem Jungen hatte, geht aber – wiederum – nicht von sexuellen Übergriffen aus.
Dass der Angeklagte Kontakt zu ebenfalls pädosexuell interessierten männlichen Erwachsenen hatte, ergibt sich aus den gesicherten Chatverläufen mit dem Zeugen I5 und dem „C“, die die Kammer im Wege der Selbstlesung in die Hauptverhandlung eingeführt hat, sowie den insofern glaubhaften Aussagen der Zeugen I5 und X1.
3.
Soweit der Angeklagte angibt, er habe, bevor der Nebenkläger bei ihm eingezogen sei, kaum Alkohol konsumiert und mit einem zunehmenden Alkoholkonsum erst aufgrund der ihn belastenden Situation begonnen, so nimmt ihm dies die Kammer nicht ab. Sie wertet dies als taktische Behauptung, um seine Schuldfähigkeit zum Zeitpunkt der Tathandlungen in Frage zu stellen.
Die Kammer geht vielmehr davon aus, dass ein massiver Alkoholkonsum jedenfalls ab dem Jahre 0000 bestand. Die Zeugen M, M1, L1, G, D und der Zeugin X bestätigten übereinstimmend den Konsum von einer Flasche Weinbrand pro Abend, seitdem sie den Angeklagten jeweils kennen. Eine nachfolgende bedeutsame Einschränkung des Konsums, wie der Angeklagte sie behauptet, vermochte die Kammer nicht festzustellen. Zwar wurde dem Angeklagten nach seinem ersten epileptischen Anfall im Jahre 0000, der auf „exzessiven Alkoholkonsum“ zurückgeführt wurde, ärztlicherseits angeraten, auf Alkohol zu verzichten. Dafür, dass dies geschehen ist, vermochte die Kammer aber keinerlei Anhaltspunkt festzustellen; insbesondere behauptet der Angeklagte selbst eine Einschränkung erst ab dem Jahre 0000. Dass der Angeklagte laut dem nervenärztlichen Gutachten des Dr. T i. R. seiner Betreuungsangelegenheit diesem gegenüber angegeben haben soll, „natürlich spucke [er] nicht ins Glas“, er trinke am Wochenende schon „mal ein Bierchen“, hält die Kammer für schambedingt untertrieben. Insbesondere konnten auch die Zeugen M und D, die den Zeitraum jedenfalls bis zum Einzug des Nebenklägers überblickten, eine Einschränkung des Konsums nicht bestätigen. Insbesondere die Zeugin L2, die ebenfalls den Konsum einer Flasche Weinbrand pro Abend angibt, hatte näheren Kontakt zum Angeklagten erst ab dem Jahre 0000, von dem der Angeklagte behauptet, er habe seinen Konsum fast vollständig eingestellt. Noch gegenüber der psychiatrischen Sachverständigen Dr. M5 hatte der Angeklagte darüber hinaus i. R. d. Explorationsgesprächs selbst angegeben, er trinke „seit ein paar Jahren regelmäßig Alkohol“, wenn auch nicht täglich, so aber doch jeden zweiten oder dritten Tag.
4.
Die Vorstrafen des Angeklagten ergeben sich aus dem Bundeszentralregisterauszug vom 00.00.0000. Die Feststellungen betreffend die den Vorstrafen zugrunde liegenden Sachverhalte beruhen auf den entsprechenden Urteilen (nebst einer in Bezug genommenen Anklageschrift) und Strafbefehlen. Soweit sich hinsichtlich des Urteils des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 (Az.: 28 Ds-25 Js 478/10-237/10) zum Schuldspruch ein Widerspruch zum Inhalt des Bundeszentralregisterauszugs ergibt, enthält das Bundeszentralregister fehlerhafte Angaben.
B. Erster Tatkomplex: Anklage vom 00.00.0000 – 36 Js 646/19
1.
Zur Sache hat sich der Angeklagte am 42. Verhandlungstag über eine von ihm selbst pauschal bestätigte schriftliche Erklärung, die ein Verteidiger verlesen hat und zu der Nachfragen ausdrücklich nicht zugelassen waren, eingelassen. Vorab hatte er bereits eingeräumt, Sprecher der o. g. Audiodateien mit dem Zusatz „Angeklagter“ zu sein.
Die Einlassung lautete im Wesentlichen wie folgt: Der Kontakt zum Nebenkläger sei über eine X-Gruppe zustande gekommen, die eine Person aus I als Administrator betrieben habe. Über diese Gruppe habe der Angeklagte auch den Zeugen L5 kennen gelernt, mit dem er sich zwei- bis dreimal getroffen habe, einmal sei er, der Angeklagte, dafür nach C gefahren; dabei sei es aber nie um sexuelle Handlungen gegangen. Der Nebenkläger habe ihn – den Angeklagten – direkt angeschrieben, nachdem er sich auf die Frage des Nebenklägers in der Gruppe, wer in der Nähe von P wohne, gemeldet habe.
Für das erste Treffen (Fall 1) hätten der Nebenkläger und er ausgemacht, dass der Nebenkläger Geld und Zigaretten von ihm bekomme. Er – der Angeklagte – sei ohne Hintergedanken zu dem Treffen gegangen, da von Sex nie die Rede gewesen sei; er habe dem Nebenkläger nur helfen wollen. Zu den sexuellen Handlungen sei es dann auf Aufforderung des Nebenklägers gekommen: Er habe ihn zu einem Gebüsch geführt und dann nach seinem – des Angeklagten – Glied gefasst. Dann habe der Nebenkläger seinen Penis aus der Hose geholt und ihn aufgefordert, sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen.
Der Nebenkläger habe ihm im Anschluss weiter über X geschrieben, auch, dass er „heiß“ auf ihn sei. So sei es dann zu einem zweiten und dritten Treffen gekommen (Fälle 2 und 3).
Dass der Nebenkläger bei ihm einziehe, sei dessen Idee gewesen. Zunächst sei er – der Angeklagte – davon ausgegangen, dass der Nebenkläger nur ein Wochenende bleiben wolle. Dann habe der Nebenkläger ihn gefragt, ob er zwei Wochen bleiben könne; schließlich sei es um einen Zeitraum bis zum 18. Geburtstag des Nebenklägers gegangen. Er erinnere sich, dass der Nebenkläger Angst gehabt habe, von der Jugendhilfeeinrichtung ins Ausland geschickt zu werden und deshalb nicht zurück gewollt habe. Der Nebenkläger habe aber auch immer gesagt, dass er gerne bei ihm sei und unbedingt bleiben wolle. Er – der Angeklagte – habe jeweils länger darüber nachdenken müssen, ob er den Nebenkläger so lange bei sich wohnen lassen wolle. Schließlich habe er aber zugestimmt, wobei er anfangs nicht geglaubt habe, dass es tatsächlich zu einem so langen Aufenthalt kommen würde. Die Zeit sei dann schneller vergangen als erwartet. Der Nebenkläger sei bei ihm richtiggehend „aufgeblüht“ und es sei immer „unmöglicher“ für ihn – den Angeklagten – geworden, den Nebenkläger zurückzuschicken.
Anfangs habe der Angeklagte versucht, dem Nebenkläger alle seine Wünsche zu erfüllen: So habe er ihm Handys und Guthabenkarten für die Playstation gekauft. Im Laufe der Zeit habe der Nebenkläger immer mehr „das Sagen übernommen“, er – der Angeklagte – habe nur noch das gemacht, was der Nebenkläger gesagt habe, da er sich nicht mehr habe durchsetzen können. Der Nebenkläger habe etwa auch sein Handy kontrolliert. Er habe den Nebenkläger des Öfteren aufgefordert, wieder nach Hause zu gehen und die Schule zu besuchen. Er habe darauf verwiesen, es sei riskant, wenn er bei dem Angeklagten bliebe, da er – der Angeklagte – Ärger bekomme, wenn das rauskomme. Darauf sei der Nebenkläger aber nicht eingegangen. Fast nie habe der Nebenkläger die Wohnung verlassen wollen, da er Angst gehabt habe, entdeckt zu werden und dann wieder zurück zu müssen.
Im letzten Jahr hätten sie kaum mehr miteinander gesprochen. Er – der Angeklagte – habe sich zum Schluss aufgegeben, er habe lange geschlafen, weder geputzt noch aufgeräumt. Er habe aus Verzweiflung oft geweint. Er habe keinen Ausweg gesehen und der Nebenkläger habe ihm leid getan.
Da ihn die Situation immer mehr belastet habe, habe er auch immer mehr Alkohol getrunken – bevor der Nebenkläger bei ihm eingezogen sei, habe er kaum Alkohol konsumiert. An viele Abende habe er keine Erinnerung mehr, weil er so betrunken gewesen sei. Er habe hauptsächlich Weinbrand mit Cola getrunken. Sein Konsum habe sich immer weiter gesteigert, sodass er zum Schluss jeden Abend eine Flasche Weinbrand (0,7 l) mit Cola getrunken habe. Er habe i. d. R. um 22:00 Uhr angefangen zu trinken; gegen 2:00 bis 3:00 Uhr sei die Flasche leer gewesen. Eine Zeit lang habe er jeden Abend zusätzlich ein Glas Whiskey getrunken. Die Wirkung des Alkohols sei nach seinem Eindruck durch seine Medikamente noch verstärkt worden.
Der Nebenkläger habe von Anfang an nackt geschlafen. Zunächst habe er auf der Couch geschlafen, während er – der Angeklagte – daneben auf einer Luftmatratze gelegen habe. Nach ca. 2-3 Monaten hätten sie dann auf Wunsch des Nebenklägers nebeneinander auf dem Boden geschlafen. Der Nebenkläger sei i. d. R. nachts wach gewesen und habe tagsüber geschlafen.
Der Oralverkehr in den Fällen 4 bis 164 sei auf die Initiative des Nebenklägers zurückgegangen. Er – der Angeklagte – habe den Oralverkehr nur dann vorgenommen, wenn der Nebenkläger ihn ausdrücklich dazu aufgefordert habe; nicht ein einziges Mal habe er Handlungen vorgenommen, wenn dieser nicht ausdrücklich darauf bestanden habe. Der Nebenkläger habe in der Regel abends zu ihm gesagt, er – der Angeklagte – müsse noch „zwischen [seine] Beine“. Darauf habe der Nebenkläger selbst dann beharrt, wenn er – der Angeklagte – zunächst abgelehnt habe, da er abends häufig nur noch seine Ruhe gewollt habe (der Haushalt für drei Personen habe ihn erschöpft und überfordert). Er habe sich dann gegen den Nebenkläger nicht durchsetzen können und habe deshalb dessen Wünschen entsprochen.
Er selbst habe den Nebenkläger hingegen nie dazu aufgefordert, sexuelle Handlungen an ihm vorzunehmen. Auch habe er nie versucht, das Glied des Nebenklägers bei sich einzuführen (Fall 165).
Die Kaffeekanne habe er aus Reflex nach dem Nebenkläger geworfen; er habe ihn aber nicht treffen wollen (Fall 166). Dazu sei es gekommen, weil der Nebenkläger ihn zum wiederholten Male die ganze Nacht wachgehalten und überdies versucht habe, ihm eine Tasse Kaffee ins Gesicht zu schütten.
Den Zeugen X1 hätten sie – er und der Nebenkläger – mit dem an ihn gesandten Foto „veräppeln“ wollen. Sie hätten gewusst, dass der Zeuge X1 Sex mit dem Nebenkläger wolle, hätten aber nie die Absicht gehabt, dem zu entsprechen. Deshalb hätten sie ihm auch bei seinem Besuch „eine Falle“ gestellt. Mit dem Zeugen I5 habe er zeitweise häufig Kontakt gehabt. Vieles von dem, was er ihm geschrieben habe, sei aber frei erfunden; teils habe er es sich mit dem Nebenkläger gemeinsam ausgedacht.
Das Ganze tue ihm leid. Er wisse, dass es nicht richtig gewesen sei, dass er den Nebenkläger bei sich aufgenommen habe.
Keine Angaben hat der Angeklagte zum Fall 167 gemacht. Nicht ausdrücklich eingelassen hat er sich zur analen Penetration des Nebenklägers im Fall 164; explizit in Abrede gestellt hat er allerdings, einen Finger oder seinen Penis anal bei dem Nebenkläger eingeführt zu haben, als dieser geschlafen habe.
2.
In seiner Vernehmung am 00.00.0000 hat der Angeklagte sich gegenüber dem Zeugen KHK B zu den Taten zum Nachteil des Nebenklägers nicht im Einzelnen eingelassen. Angegeben hat er nur, sexuell sei „nichts gegen den Willen“ des Nebenklägers gewesen.
Ähnlich pauschal hat er sich im Termin zur Verkündung des Haftbefehls am 00.00.0000 geäußert. Hier hat er zu Standbildern aus einem Video, das ihn beim Oralverkehr an einer männlichen Person zeigt, deren Gesicht nicht zu sehen ist, angegeben, das sei wohl der Nebenkläger; Gewalt habe er (der Angeklagte) aber nicht angewendet.
Bei der Exploration durch die Sachverständige Dr. M5 am 00.00.0000 hat der Angeklagte erklärt, „der Kurze“ habe ihn jeden Abend mit Worten wie „Du musst da unten noch dran“, aufgefordert, an dessen Glied zu manipulieren. Wenn er sich geweigert habe, sei der Nebenkläger sauer geworden. Er selbst habe diesen nie zu sexuellen Handlungen aufgefordert. Er habe dem Nebenkläger, der sich in den letzten ca. sechs Monaten nur noch von ihm, dem Angeklagten, habe bedienen lassen, auch gesagt, wenn ihm irgendetwas nicht passen sollte, könne er jederzeit gehen. Im Nachhinein betrachtet hätte er ihn aus der Wohnung werfen sollen, dann wäre er, der Angeklagte, aber wohl in „derselben Misere wie jetzt“. Zu der Situation mit der Kaffeekanne sei es gekommen, weil der Nebenkläger ihm vorher eine Tasse Kaffee „ins Gesicht geballert“ und ihn wach gehalten habe, indem er ihn „vollgelabert“ und „Z-Filmchen“ angeschaut habe.
Bei der Exploration durch die psychologische Sachverständige Prof. Dr. O am 00.00. und 00.00.0000 hat sich der Angeklagte zu den Tatvorwürfen nicht geäußert und im Übrigen lediglich angegeben, er habe den Nebenkläger „aus Mitleid“ bei sich wohnen lassen, weil dieser ihm „Sachen über sein Leben“ erzählt habe. Der Nebenkläger sei bei ihm zunächst „aufgeblüht“. Später habe er nur noch dann etwas gesagt, wenn er angesprochen worden sei, und sich ansonsten mit „Playstation, O und H“ beschäftigt.
3.
Die Einlassung des Angeklagten ist, soweit sie im Widerspruch zu den Feststellungen steht, durch die Beweisaufnahme, insbes. durch die Aussage des Nebenklägers, widerlegt. Auch soweit sich der Angeklagte nicht zur Sache eingelassen hat, ist die Kammer von den getroffenen Feststellungen überzeugt.
a)
Die Kammer folgt dem Nebenkläger insbesondere bei seiner Darstellung im Hinblick auf das Zustandekommen des Kontakts mit dem Angeklagten, die Verabredung und den Ablauf der ersten drei Treffen, das Zusammenleben im Allgemeinen und im Besonderen bez. des Alkoholkonsums des Angeklagten, sexueller Handlungen und Körperverletzungshandlungen. Die dahingehende Aussage des Nebenklägers ist glaubhaft. Sie ist nach Einschätzung der Kammer plausibel, ausgewogen und realitätsbasiert.
aa)
Der Nebenkläger hat das Zustandekommen des Kontakts über die X-Gruppe des „T1“, die Verabredung und den Ablauf der ersten drei Treffen i. R. d. hiesigen Hauptverhandlung so wie festgestellt bekundet. Die Kammer folgt seiner Aussage; insbesondere nimmt sie dem Angeklagten nicht ab, er habe dem Nebenkläger jedenfalls bei dem ersten Treffen anfangs nur mit Geld und Zigaretten „helfen“ wollen.
(1)
Die Aussage des Nebenklägers insofern ist glaubhaft. Seine Aussage bez. der Kontaktanbahnung über die X-Gruppe stimmt mit der Einlassung des Angeklagten überein. Bedeutsam für die Bewertung der Aussage i. Ü. war für die Kammer insbesondere, dass der Nebenkläger in seiner Aussage nicht einseitig und ausschließlich den Angeklagten belastet, sondern auch einräumt, selbst auf die Geschehnisse Einfluss genommen zu haben, obwohl diese Einlassung für ihn deutlich schambehaftet war: So gibt der Nebenkläger etwa an, dass die Initiative für die ersten drei Treffen von ihm ausgegangen sei. Bez. des ersten Treffens sei es seine Idee gewesen, sich einen ruhigen Platz hinter einem Gebüsch zu suchen, und von ihm sei auch die Summe von 50 Euro vorgeschlagen worden. Er habe sich ausgemalt, dass er sich an dem Angeklagten „dumm und dämlich verdienen“ könne.
Die Kammer verkennt bei der Beweiswürdigung insofern nicht, dass die Aussage des Nebenklägers zu der Kontaktaufnahme und den ersten drei Treffen, die er i. R. d. Hauptverhandlung getätigt hat, von seiner Aussage i. R. seiner ersten polizeilichen Vernehmung am 00.00.0000 in nahezu allen Punkten abweicht: So behauptete er damals, der Kontakt zu dem Angeklagten sei über einen anderen Bewohner seiner Wohngruppe zustande gekommen, der ihm die Telefonnummer des Angeklagten gegeben hätte; er habe den Angeklagten dann per X kontaktiert. Der Nebenkläger verneinte zu diesem Zeitpunkt sowohl die beiden Treffen am N als auch den Besuch beim Angeklagten zuhause. Bereits i. R. seiner zweiten polizeilichen Vernehmung rückte der Nebenkläger aber von dieser Darstellung ab und schilderte sowohl die Kontaktaufnahme als auch die drei ersten Treffen ganz überwiegend deckungsgleich mit seiner Aussage i. R. d. hiesigen Hauptverhandlung.
Die Kammer geht davon aus, dass der Nebenkläger bei der ersten polizeilichen Vernehmung bewusst die Unwahrheit gesagt hat. Dies hat der Nebenkläger vor der Kammer selbst eingeräumt. Erklärt hat er seine anfängliche Falschaussage zum einen mit Scham. Es sei ihm schwergefallen, über das, was passiert sei, zu reden, zumal er homosexuelle Handlungen als „nicht normal“ betrachte und daher Bedenken gehabt habe, als homosexuell angesehen zu werden. Zum anderen habe er den Angeklagten schützen wollen. Dieser sei für 2,5 Jahre seine einzige Bezugsperson gewesen. In der Zeit habe sich eine „Vertrauensbasis“ entwickelt. Er habe geglaubt, der Angeklagte müsse ins Gefängnis, wenn er über die Sexualstraftaten aussage; das habe er nicht gewollt.
Diese Motive spielten schon i. R. d. zweiten polizeilichen Vernehmung keine Rolle mehr.
(2)
Die Darstellung des Nebenklägers zur Kontaktaufnahme, zur Anbahnung und zum Ablauf der ersten drei Treffen mit dem Angeklagten wird durch die aufgefundenen Audiodateien maßgeblich gestützt, die die Kammer i. R. der Hauptverhandlung in Augenschein genommen hat.
Die Kammer ist aufgrund der Einlassung des Nebenklägers davon überzeugt, dass er Sprecher der o. g. Audiodateien mit dem Zusatz „Nebenkläger“ ist. Er gab jeweils an, seine eigene Stimme zu erkennen, und konnte die gesprochenen Inhalte plausibel und lebensnah erklären. Seine jeweilige Einordnung wurde durch die Zeugin C2, die jeweils die Stimme ihres Sohnes erkannt hat, bestätigt.
Davon, dass der Angeklagte der Sprecher der o. g. Audiodateien mit dem Zusatz „Angeklagter“ ist, ist die Kammer aufgrund der geständigen Einlassung des Angeklagten überzeugt, die ihrerseits durch die Einschätzung der phonetischen Sachverständigen Prof. Dr. C4 sowie der Aussagen der Zeugen M, H und I5 gestützt wird.
(a)
Die Sachverständige Prof. Dr. C4, deren schriftliches Gutachten die Kammer vor der geständigen Einlassung des Angeklagten eingeholt hat, hat 19 Audiodateien im opus-Format (1-23268.opus (XSM 1), 1-23270.opus (XSM 2), 1-23273.opus (XSM 3), 1-23301.opus (XSM 4), 1-23319.opus (XSM 5), 1-23326.opus (XSM 6), 1-23360.opus (XSM 7), 1-23362.opus (XSM 8), 1-23368.opus (XSM 9), 1-23370.opus (XSM 10), 1-23388.opus (XSM 11), 1-23455.opus (XSM 12), 1-23457.opus (XSM 13), 1-23463.opus (XSM 14), 1-23464.opus (XSM 15), 1-23478.opus (XSM 16), 1-23481.opus (XSM 17), 1-24009.3gp (XSM 18), VID_20190508_052758.3gp (XSM 19)) unter den Aspekten Stimme, Sprache und Sprechweise untersucht.
Sie ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich bei dem in den Dateien XSM 5, XSM 7, XSM 8, XSM 9, XSM 10, XSM 12, XSM 15 und XSM 16 zu hörenden Sprecher mit hoher Wahrscheinlichkeit und bei den Audiodateien XSM 1, XSM 2, XSM 3, XSM 4, XSM 11, XSM 13, XSM 14, XSM 17 und XSM 19 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit um immer denselben Sprecher handelt. Eine Zuordnung zum Angeklagten konnte durch die Sachverständige nicht vorgenommen werden, da er zu diesem Zeitpunkt nicht bereit war, eine Stimmprobe abzugeben. Zu XSM 6 und XSM 18 vermochte die Sachverständige aufgrund der Kürze und einer wahrscheinlichen Intoxikation des Sprechers keine sichere Zuordnung vorzunehmen.
Die Kammer schließt sich der Einschätzung der Sachverständigen, die fundiert, plausibel und in allen Punkten nachvollziehbar ist, vollumfänglich an. Ihre Sachkunde ist nicht zweifelhaft: Sie ist Inhaberin eines Lehrstuhls der Universität U mit Forschungsschwerpunkt „Forensische Phonetik“.
(b)
Darüber hinaus haben die Zeugen M, H und I5 in dem Sprecher der Audiodateien ganz überwiegend sicher den Angeklagten erkannt. Die Kammer verkennt bei der Beweiswürdigung insofern nicht, dass ein Erkennen selbst vertrauter Stimmen durch Zeugen fehlerbehaftet ist und es maßgeblich darauf ankommt, ob vergleichbare Stimmsituationen kennen gelernt wurden, wie intensiv der Kontakt war und wie lange der letzte Kontakt zurückliegt. Darüber hinaus ist sich die Kammer bewusst, dass diese zeugenschaftliche Einschätzung nicht die Einschätzung eines Sachverständigen, der über eine Stimmprobe des angeblichen Sprechers verfügt, ersetzen kann. Vor dem Hintergrund der diesbezüglichen geständigen Einlassung des Angeklagten und der Einschätzungen der Sachverständigen Prof. Dr. C4 hat die Kammer dies aber für entbehrlich gehalten und ist aufgrund der Summe der erhobenen Beweise überzeugt davon, dass der Angeklagte jeweils Sprecher der fraglichen Audiodateien war.
(3)
Die Angabe des Angeklagten, er habe dem Nebenkläger bei dem ersten Treffen am N lediglich „helfen“ wollen, nimmt ihm die Kammer nicht ab. Sie geht vielmehr davon aus, dass der Angeklagte auf das Angebot der Nebenklägers, sich zu treffen, mit dem Ziel einging, sexuelle Handlungen bereits bei diesem Treffen vorzunehmen oder jedenfalls seine diesbezüglichen Chancen beim Nebenkläger zu eruieren. Das grundlegende, die Taten bedingende und vom Nebenkläger geschilderte pädosexuelle Interesse des Angeklagten wird insbesondere durch die bei ihm aufgefundenen zahlreichen kinder- und jugendpornografischen Bild- und Videodateien sowie die Inhalte der Chats über pädosexuelle Vorlieben und Phantasien mit dem Zeugen I5 und dem „C“ deutlich. Schon dies macht es wenig wahrscheinlich, dass er sich mit dem damals 13-jährigen Nebenkläger lediglich treffen wollte, um ihm zu helfen.
Darüber hinaus hatte der Angeklagte in dieser Zeit so wenig finanzielle Mittel zur Verfügung, dass es sehr unwahrscheinlich erscheint, er habe Geld an einen ihm bis dahin lediglich über X-Chats Bekannten „verschenken“ wollen: Er selbst verfügte über ein monatliches Einkommen von 380,00 bis 450,00 Euro. Selbst wenn man das Einkommen des Vaters des Angeklagten berücksichtigt – der Vater bezog eine Rente i. H. v. ca. 1.000 Euro – bleibt nach Abzug der Wohnungsmiete und der allgemeinen Haushaltskosten keine Summe, die es nahe legt, der Angeklagte habe nennenswerten finanziellen Spielraum gehabt. Dies belegen i. Ü. auch zwei bereits oben II.A.4. dargestellte Sprachnachrichten des Angeklagten an den Nebenkläger vom 00.00.0000, in denen der Angeklagte vorrechnet, wie er mit seinem Geld haushalten muss. Dort heißt es u.a.: „L, ich hab doch grade gesagt: Ich hab grade mal noch 12 Euro in der Tasche. Der Rest ist beim Einkaufen draufgegangen. So, wenn ich jetzt eine Schachtel M hole wie soll ich dann nach P kommen? Verlangt man von mir, dass ich zu Fuß komme? Nein, das tue ich nicht. Ich muss hinkommen, ich muss zurückkommen.“ und, nachdem der Nebenkläger eingewilligt hatte, zum Angeklagten zu kommen, „Das mein ich so, dass ich diese M dingsbums Dinger da kauf und ich ja dann eigentlich Donnerstag mit dem Bus zu dir gekommen wäre. Das hätte mich ja, weiß ich nicht, knapp zwölf Euro gekostet. Dann ziehen wir die Zigaretten vonne zwölf Euro ab und dat wat dann über bleibt kriegst du trotzdem, weil dat hätt ich ja eh am Bus ausgegeben. Dat kannste dann so haben.“.
bb)
Die Kammer folgt auch der Darstellung des Nebenklägers zum Zusammenleben mit dem Angeklagten allgemein, das er wie festgestellt beschrieben hat. Die Kammer nimmt dem Angeklagten insofern insbesondere nicht ab, dass der Nebenkläger ihm gegenüber eine bestimmende Position innehatte, die es dem Angeklagten unmöglich machte, sich gegen ihn durchzusetzen.
Auch insofern war für die Kammer bei der Bewertung der Aussage des Nebenklägers bedeutsam, dass er ausgewogen berichtete: So gibt der Nebenkläger etwa an, dass die Initiative auch für den folgenden zweiwöchigen Aufenthalt bei dem Angeklagten von ihm ausgegangen sei. Zwar vermag er nicht mehr mit Bestimmtheit zu sagen, von wem die Idee stammte, dass er bis zu seiner Volljährigkeit bei dem Angeklagten verbleiben würde, er schließt jedoch nicht aus, dass die Idee von ihm stammte. Darüber hinaus schilderte er die erste Zeit, die er bei dem Angeklagten verbrachte, durchaus auch positiv: Er habe die Freiheiten beim Angeklagten genossen, sie hätten sich gut verstanden und auch Spaß gehabt; der Angeklagte habe ihn gegenüber seinem Vater verteidigt. Er habe zudem das Gefühl gehabt, dass der Angeklagte ihn wirklich „geliebt“ habe. Soweit es zu Konflikten gekommen sei, seien Provokationen auch häufig von ihm – dem Nebenkläger – ausgegangen. Zu keinem Zeitpunkt sei er „physisch“ in der Wohnung des Angeklagten eingesperrt gewesen; die Tür sei nicht abgeschlossen gewesen und der Schlüssel habe auf dem Tisch gelegen. Der Angeklagte habe ihn auch nicht etwa überwacht, sondern habe Arztbesuche wahrgenommen und habe eingekauft.
Seine dahingehende Aussage wird etwa durch i. R. d. Hauptverhandlung in Augenschein genommene Videos gestützt. Diese bilden sowohl eine Streitszene (s. oben II.A.7.) als auch die humorvolle Seite des Zusammenlebens der beiden ab (s. oben II.A.7.).
cc)
Die Kammer ist nach der Aussage des Nebenklägers ferner davon überzeugt, dass der Angeklagte auch im gesamten Zeitraum des Aufenthalts des Nebenklägers in seinem Haushalt – wie festgestellt – regelmäßig in erheblichen Mengen Alkohol konsumierte.
Hinsichtlich des Tatzeitraums in den Fällen 4 bis 167 ist die Einlassung des Angeklagten, soweit sie in Widerspruch zu den Feststellungen steht, durch die auch insoweit glaubhafte Aussage des Nebenklägers, der dessen konstanten Alkoholkonsum wie festgestellt geschildert hat, widerlegt. Die Darstellung des Nebenklägers passt zu den Schilderungen der weiteren Zeugen, die zum Trinkverhalten des Angeklagten ausgesagt haben (s. oben III.A.3.) sowie den Angaben des Angeklagten außerhalb der Hauptverhandlung, insbesondere gegenüber der Sachverständigen Dr. M5. Sie wird ferner gestützt durch einen von ihm während seines Aufenthalts bei dem Angeklagten erstellten Text, der den Tagesablauf des Angeklagten und seines Vaters ähnlich einem Stundenplan darstellt. Darin ist mit Blick auf den Angeklagten für den Zeitraum 13.00 Uhr bis 3.00 Uhr morgens auch „Weinbrand“ neben „Kochen, Badewanne, Essen, Unterhalten, […], Zocken, TV, Bett fertig machen, schlafen“ enthalten. Die Kammer ist davon überzeugt, dass sich der geschilderte Tagesablauf jedenfalls noch auf das Jahr 0000 bezieht. Das folgert sie daraus, dass der Tagesablauf für den Angeklagten im Zeitfenster 06:30 Uhr bis 11.00 Uhr u.a. „Arbeiten gehen“ enthält und der Angeklagte lediglich bis zum Schluss des Jahres 0000 seiner geringfügigen Beschäftigung in dem Seniorenheim am H nachging. Es spricht nichts dafür, dass die dargestellten Abläufe nicht – schematisch – dem Alltag im Haushalt des Angeklagten entsprachen. Die Kammer sieht, dass der Text nicht mit dem Anspruch geschrieben wurde, den Tagesablauf exakt abzubilden. Dafür spricht schon die Wortwahl bei der Beschreibung des Tagesablaufs des Vaters des Angeklagten. Hier heißt es etwa „Vegetieren, Fressen, […] Und in seine Stinkbude sitzen“. Indes ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Nebenkläger den Punkt „Weinbrand“ mit dem Ziel, den Angeklagten später zu belasten, in den Text aufgenommen hätte. Der Nebenkläger hat den Text vielmehr für sich selbst geschrieben. Aus dem stundenplanartigen Aufbau des Textes schließt die Kammer zudem, dass der Nebenkläger „Weinbrand“ nicht erwähnt hätte, wenn dessen Konsum im Alltag des Angeklagten lediglich gelegentlich erfolgt wäre. Nach alldem geht die Kammer davon aus, dass der Angeklagte auch bereits zu Beginn des Aufenthalts des Nebenklägers in seinem Haushalt – wie in der vorangegangenen Zeit (s. oben III.A.3.) – massiv trank.
dd)
Die Kammer folgt auch bez. der Art der sexuellen Handlungen, die der Angeklagte an dem Nebenkläger vorgenommen hat, seiner Schilderung. Die Kammer geht insofern davon aus, dass es in dem Zeitraum, in welchem der Nebenkläger im Haushalt des Angeklagten lebte, durchschnittlich an jedem zweiten Tag zu Oralverkehr am Nebenkläger, jedenfalls in zwei Fällen überdies zu einer analen Penetration des Nebenklägers durch den Angeklagten sowie einem Versuch des Angeklagten, den Penis des Nebenklägers anal bei sich einzuführen, gekommen ist. Im Hinblick auf den Oralverkehr treffen sich die Angaben des Nebenklägers mit der Einlassung des Angeklagten: Auch der Angeklagte hat eingeräumt, dass es zu Oralverkehr gekommen sei, wenn auch – so seine weitere Einlassung, die die Kammer ihm nicht abnimmt – stets auf ausdrückliche Aufforderung des Nebenklägers.
Lediglich bez. der Häufigkeit der jeweiligen sexuellen Handlungen und dem Zeitpunkt der ersten analen Penetration des Nebenklägers durch den Angeklagten folgt die Kammer den Angaben des Nebenklägers nicht in Gänze (s. u.).
(1)
Die Schilderung des Nebenklägers im Hinblick auf die Art der sexuellen Handlungen durch den Angeklagten war durchgehend glaubhaft.
(a)
Der Nebenkläger berichtete i. R. d. Hauptverhandlung auch insofern ausgewogen und ohne Belastungstendenzen: Er habe die sexuellen Handlungen zum größten Teil über sich ergehen lassen, ohne deutlichen Widerwillen zu zeigen. Auch habe er, als er bereits beim Angeklagten gewohnt habe, beim Oralverkehr regelmäßig eine Erektion gehabt und sei zum Samenerguss gekommen. Deswegen – und weil der Angeklagte ihn mit dem Entzug sexueller Handlungen seines Erachtens habe „bestrafen“ wollen – gehe er davon aus, dass der Angeklagte durchgehend geglaubt habe, der Oralverkehr würde auch ihm – dem Nebenkläger – gefallen. Als er – der Nebenkläger – einmal erkannt habe, dass der Angeklagte ihn anal penetrieren wolle, habe er seine Hand vor den Anus gehalten, um seine Ablehnung zu zeigen; der Angeklagte habe daraufhin von ihm abgelassen.
Die Kammer verkennt bei dieser Würdigung wiederum nicht, dass die Aussage des Nebenklägers auch insofern i. R. der Hauptverhandlung von seiner Aussage i. R. seiner ersten polizeilichen Vernehmung am 00.00.0000 entscheidend abweicht: Zu diesem Zeitpunkt hatte er noch behauptet, sofern der Angeklagte während der 2,5 Jahre sexuelle Handlungen an ihm vorgenommen haben sollte, habe er währenddessen geschlafen. Der Angeklagte habe auch nicht von ihm verlangt, dass er sexuelle Handlungen an ihm vornehme. Die Beziehung zwischen dem Angeklagten und ihm würde er als „gute Freunde“ bezeichnen. Eine vorsichtige Annäherung an die Inhalte seiner späteren Aussage sieht die Kammer darin, dass er bereits zu diesem Zeitpunkt einräumte, dass er auf dem Handy des Angeklagten kinderpornografische Bilder gefunden habe und dass er es dem Angeklagten zutrauen würde, dass er auch an ihm sexuelle Handlungen vorgenommen habe.
Die Kammer hält diese erste Aussage aus den oben (III.B.3.a)aa)(1)) genannten Gründen für bewusst unwahr. Sie führt das Aussageverhalten des Nebenklägers auch hier auf Scham und ein falsch verstandenes Gefühl der Verbundenheit dem Angeklagten gegenüber zurück.
I. R. seiner zweiten polizeilichen Vernehmung schilderte der Nebenkläger dann – wie i. R. der Hauptverhandlung auch – die regelmäßige, nämlich grundsätzlich tägliche, Vornahme von Oralverkehr an ihm durch den Angeklagten, im Wachzustand. Ein Vermeidungsverhalten im Hinblick auf aus Sicht des Nebenklägers besonders peinliche Umstände, etwa Erektionen und Samenergüsse beim Oralverkehr, die er i. R. der Hauptverhandlung geschildert hat, war zu diesem Zeitpunkt nachvollziehbar. Auch die Schilderung des Vorfalls, als der Angeklagte versuchte, den Penis des Nebenklägers bei sich einzuführen, ist seit der zweiten polizeilichen Vernehmung des Nebenklägers konstant. Die gilt insbes. im Hinblick auf die Körperstellungen des Angeklagten und des Nebenklägers sowie den Umstand, dass der Nebenkläger wach wird und versucht, sich umzudrehen, woraufhin der Angeklagte entweder unabsichtlich seitlich von ihm herunterrutscht oder bewusst von dem Nebenkläger ablässt. Lediglich den weiteren Fortgang, dass der Nebenkläger auflacht, als der Angeklagte von ihm herunterrutscht, hat er erst i. R. der Hauptverhandlung geschildert. Dies führt die Kammer darauf zurück, dass ihm seine eigene Reaktion unangenehm war, weil er sie für unpassend hielt und er befürchtete, sie nicht erklären zu können.
(b)
Die Aussage des Nebenklägers im Hinblick auf die abgeurteilten sexuellen Handlungen dem Grunde nach wird durch weitere Beweismittel gestützt:
(aa)
Auch insofern sind die o. g. Beweismittel, die für ein generelles pädosexuelles Interesse des Angeklagten sprechen, bedeutsam.
Dies gilt besonders für die bereits oben (I.7.) dargestellten Textnachrichten des Angeklagten an „C“, in denen er u.a. schreibt: „Den finde ich geil schön steifblasen und dann ficken lassen von ihm“ sowie „Ich hatte mal einen boy hier bei mir über Nacht. Der war 16. Hab ihm dreimal nachts wo er schlief bis zum Schluss geblasen und einmal mit dee Hand gewichst war echt geil“. Die Worte „dann ficken lassen von ihm“ deuten darauf hin, dass der Angeklagte es erregend findet, sich anal penetrieren zu lassen. Diese Sexualpraktik findet sich auch im Fall 165. Die Textnachricht stützt deshalb die Aussage des Nebenklägers zu diesem Fall. Der Satz „Hab ihm dreimal nachts wo er schlief bis zum Schluss geblasen und einmal mit dee Hand gewichst war echt geil“ spricht für ein Interesse des Angeklagten, sexuelle Handlungen auch an schlafenden Personen vorzunehmen. Auch dies findet sich im Fall 165 wieder. Auch diese Textnachricht stützt daher die Aussage des Nebenklägers zu diesem Fall.
(bb)
Dass der Angeklagte ein pädosexuelles Interesse gerade am Nebenkläger hatte und dieses auch ausübte, ergibt sich insbesondere aus den auf den Mobiltelefonen des Zeugen I5 und des Angeklagten aufgefundenen Videodateien, die den schlafenden, nackten Nebenkläger sowie überwiegend auch die Vornahme sexueller Handlungen an diesem durch den Angeklagten zeigen (s. u. α), den Ergebnissen des molekulargenetischen Gutachtens bezüglich des aufgefundenen Kondoms (s. u. β), sowie den Aussagen der Zeugen I5 und X1 sowie aus dem Chat zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen I5 (s. u. γ).
(α)
Die auf dem Mobiltelefon N des Zeugen I5 sowie teilweise (VID-20190404-WA0061.mp4 und VID-20190404-WA0062.mp4) auch auf dem Mobiltelefon I (Asservat MT 1.11) des Angeklagten aufgefundenen Videodateien, die Gegenstand der Fälle 168 und 169 sind, zeigen – wie oben unter II.B.1. und II.B.2. im Einzelnen dargestellt – die Genitalien des schlafenden, nackten Nebenklägers, an denen der Angeklagte – mit Ausnahme der Videos VID-20190408-WA0002.mp4 und VID-20190408-WA0004.mp4 – manipuliert und in einem Fall zusätzlich den Oralverkehr vollzieht (VID-20190408-WA0005.mp4). Das ebenfalls auf dem Mobiltelefon des Zeugen I5 gespeicherte Video VID-20190511-WA0001.mp4, welches nicht Gegenstand der Anklagen ist, zeigt u.a., wie der Angeklagte den Nebenkläger, während dieser schläft, anal penetriert oder das zumindest versucht (s. oben II.A.14.c).
Die Kammer ist aus den unten unter III.C.2.c) dargestellten Gründen davon überzeugt, dass es sich bei den in den vorgenannten Videosequenzen zu sehenden Personen um den Nebenkläger und – soweit eine weitere Person abgebildet ist – den Angeklagten handelt.
Die Inhalte der Videodateien bilden ein gewichtiges Indiz im Hinblick auf die Taten zum Nachteil des Nebenklägers in den Fällen 1 bis 165. Sie zeigen die aktive Umsetzung der pädosexuellen Interessen des Angeklagten an dem Nebenkläger, an der dieser durch die Aufnahme des Bildmaterials auch den Zeugen I5 teilhaben lässt.
(β)
Zu der Schilderung des Nebenklägers, wonach der Angeklagte jedenfalls bei einer analen Penetration mit dem Penis ein Kondom verwendet hat, passt, dass im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung im Schlafzimmer unter dem Bett des Vaters des Angeklagten ein Kondom mit entsprechenden DNA-Antragungen aufgefunden wurde. Zu den DNA-Antragungen verhält sich das molekulargenetische Sachverständigengutachten der Q1, M. Sc., Prof. Dr. Q2 und Prof. Dr. C5 (Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums F) vom 00.00.0000.
Bei der molekulargenetischen Spurenuntersuchung von Kranzfurchenabrieben des Angeklagten (LH1975) und seines Vaters (RH1942) wurden ausschließlich die jeweils eigenen DNA-Profile gefunden, die mittels Mundschleimhautabrieben festgestellt wurden. Diese lauten wie folgt:
LH1975 |
RH1942 |
|
Amelogenin |
XY |
XY |
D3S1358 |
16 |
15;16 |
TH01 |
6; 9 |
9; 9.3 |
D21S11 |
28; 29 |
29; 30 |
D18S51 |
15; 17 |
14; 15 |
D10S1248 |
15; 17 |
15; 17 |
D1S1656 |
12; 14 |
14; 17 |
D2S1338 |
23; 24 |
24; 25 |
D16S539 |
12; 14 |
12 |
D22S1045 |
15; 16 |
15; 16 |
VWA |
17; 18 |
16; 18 |
D8S1179 |
11; 14 |
11; 13 |
FGA |
21; 22 |
22; 24 |
D2S441 |
14 |
11; 14 |
D12S391 |
17; 20 |
17; 22 |
D19S443 |
14; 15 |
14; 15 |
SE33 |
23.2; 32.2 |
29.2; 32.2 |
Das DNA-Profil des Nebenklägers (MK 2004), das ebenfalls per Abrieb der Mundschleimhaut gesichert wurde, lautete wie folgt:
MK 2004 |
|
Amelogenin |
XY |
D3S1358 |
14; 16 |
TH01 |
9.3 |
D21S11 |
29; 30 |
D18S51 |
12; 14 |
D10S1248 |
13; 14 |
D1S1656 |
16.3; 18.3 |
D2S1338 |
18; 25 |
D16S539 |
11; 12 |
D22S1045 |
12; 15 |
VWA |
16 |
D8S1179 |
12; 15 |
FGA |
20; 21 |
D2S441 |
11; 14 |
D12S391 |
18; 21 |
D19S443 |
14; 15 |
SE33 |
30.2; 31.2 |
Im Hinblick auf die Abriebe der Außenseite des Kondoms (S20.6) wurde eine Mischspur festgestellt, die von mindestens drei Personen verursacht wurde und die für Vergleichszwecke geeignet war. Die molekulargenetische Untersuchung ergab folgende Ergebnisse:
S20.6 |
|
Amelogenin |
XY |
D3S1358 |
14; 15; 16 |
TH01 |
6; 9; 9.3 |
D21S11 |
28; 29; 30 |
D18S51 |
12; 14; 15; 17 |
D10S1248 |
13; 14; 15; 17 |
D1S1656 |
12; 14; 16.3; 17; 18.3 |
D2S1338 |
18; 23; 24; 25 |
D16S539 |
11; 12; 14 |
D22S1045 |
12; 15; 16 |
VWA |
16; 17; 18 |
D8S1179 |
11; 12; 13; 14; 15 |
FGA |
20; 21; 22; 24 |
D2S441 |
11; 14 |
D12S391 |
17; 18; 20; 21; 22 |
D19S443 |
14; 15 |
SE33 |
23.2; 29.2; 30.2; 31.2; 32.2 |
Laut dem molekulargenetischen Gutachten zeigt der Vergleich, dass sich alle Allele des Angeklagten, seines Vaters sowie des Nebenklägers finden, so dass diese drei Personen als Spurenleger von Teilkomponenten in Betracht kommen. Die Sachverständigen haben die festgestellte Übereinstimmung entsprechend den Empfehlungen der Spurenkommission zur Bewertung von DNA-Mischspuren auf der Grundlage von Merkmalshäufigkeiten biostatistisch bewertet. Dabei wurden die Häufigkeitsverteilungen (Allelfrequenzen) der gepoolten Populationsdaten aus der Datenbank STRBase entnommen. Die biostatistische Berechnung ergab, dass es 10,3 Milliarden (LH1975) bzw. 1,8 Milliarden (RH1942) bzw. 2,5 Milliarden (MK2004) mal wahrscheinlicher ist, dass die DNA-Antragungen von der genannten Person und zwei weiteren Personen verursacht wurden als dass sie von drei unbekannten, mit der genannten Person nicht verwandten Personen aus derselben Population verursacht wurden. Damit halten es die Sachverständigen für „praktisch erwiesen“ (LH 1975) bzw. „höchstwahrscheinlich“ (RH 1942 und MK 2004), dass die genannten Personen Spurenleger einer Teilkomponente der DNA-Antragungen an den Abrieben der Außenseite des Kondoms sind.
Auch im Hinblick auf die Abriebe der Innenseite des Kondoms (S20.7) wurde eine Mischspur festgestellt, die von mindestens drei Personen verursacht wurde und die für Vergleichszwecke geeignet war. Die molekulargenetische Untersuchung ergab insofern folgende Ergebnisse:
S20.7 |
|
Amelogenin |
XY |
D3S1358 |
14; 15; 16 |
TH01 |
6; 9; 9.3 |
D21S11 |
28; 29; 30 |
D18S51 |
12; 14; 15; 17 |
D10S1248 |
13; 14; 15; 17 |
D1S1656 |
12; 14; 16.3; 18.3 |
D2S1338 |
18; 23; 24; 25 |
D16S539 |
11; 12; 14 |
D22S1045 |
12; 15; 16 |
VWA |
16; 17; 18 |
D8S1179 |
11; 12; 13; 14; 15 |
FGA |
20; 21; 22; 24 |
D2S441 |
11; 14 |
D12S391 |
17; 18; 20; 21; 22 |
D19S443 |
14; 15 |
SE33 |
23.2; 30.2; 31.2; 32.2 |
Laut dem Gutachten finden sich insofern alle Allele des Angeklagten und des Nebenklägers, so dass diese als Spurenleger von Teilkomponenten in Betracht kommen. Darüber hinaus wurden die meisten Allele des Vaters des Angeklagten nachgewiesen, so dass dieser als Verursacher nicht ausgeschlossen werden kann. Die biostatistische Berechnung habe ergeben, dass es 23,8 Milliarden (LH 1975) bzw. 5,7 Milliarden (MK 2004) mal wahrscheinlicher sei, dass die DNA-Antragungen von der genannten Person und zwei weiteren Personen verursacht wurden als dass sie von drei unbekannten, mit der genannten Person nicht verwandten Personen aus derselben Population verursacht wurden. Damit ist es laut den Sachverständigen „praktisch erwiesen“ (LH 1975) bzw. „höchstwahrscheinlich“ (MK 2004), dass die genannten Personen Spurenleger einer Teilkomponente der DNA-Antragungen an den Abrieben der Innenseite des Kondoms sind.
Die Kammer schließt sich der Beurteilung der Sachverständigen an. Sie ist von der Richtigkeit des Gutachtens überzeugt. Die Sachkunde der Gutachter ist nicht zweifelhaft. Die Sachverständige Prof. Dr. Q2 leitet die Abteilung für Forensische Genetik am Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums F, der Sachverständige Prof. Dr. C5 ist Direktor des Instituts.
Die molekulargenetische Spurenuntersuchung erfolgte nach Standardmethoden. Das Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums F ist nach DIN EN ESO/IEC 17025:2005 akkreditiert und nimmt regelmäßig und erfolgreich an Ringversuchen teil. Die Auswertung wurde durch zwei Untersucher unabhängig voneinander beurteilt. Die biostatistische Berechnung erfolgte auf der Grundlage der Empfehlungen der Spurenkommission zur Bewertung von Mischspuren; die Ergebnisse liegen weit unter dem Seltenheitswert im Millionenbereich, der rechtlich bereits für die Überzeugung, dass DNA-Spuren von bestimmten Personen herrühren, ausreichen kann.
Auch die Grundlagen der Wahrscheinlichkeitsberechnung sind nicht zu beanstanden. Die nachgewiesenen DNA-Merkmale sind nach den Ausführungen der Sachverständigen unabhängig voneinander vererbbar. Dass die Wahrscheinlichkeitsaussagen einer Spurenverursachung („praktisch erwiesen“ bzw. „höchstwahrscheinlich“) lediglich auf einer statistischen Aussage beruhen, hat die Kammer ebenso bedacht wie die Tatsache, dass es sich hier um eine Mischspur handelt und der Angeklagte und sein Vater verwandt sind.
Die Ergebnisse des molekulargenetischen Gutachtens sind mit einer analen Penetration des Nebenklägers durch den Angeklagten ohne Weiteres vereinbar. Dafür sprechen insbesondere die DNA-Antragungen an der Innenseite des Kondoms, bei denen sich alle Allele des Angeklagten und des Nebenklägers finden. Bei der Vornahme von Geschlechtsverkehr ist nachvollziehbar, dass sich die genetischen Informationen sowohl des aktiven als auch des passiven Teils an der Innenseite des Kondoms finden. Dass darüber hinaus auch die meisten Allele des Vaters des Angeklagten an der Innenseite des Kondoms zu finden waren und er als Spurenverursacher insofern nach dem molekulargenetischen Gutachten nicht sicher ausgeschlossen werden kann, ist ohne Belang. Die Kammer erachtet es aus anderen Gründen für ausgeschlossen, dass (auch) der Vater des Angeklagten am Nebenkläger den Analverkehr vollzogen hat. Dies gilt bereits mit Blick auf dessen Alter und Gesundheitszustand. Es spricht auch im Übrigen nichts für eine solche Annahme. Als Erklärung für die Antragung von Allelen des Vaters des Angeklagten kommen verschiedene Ursachen in Betracht. So wurde das Kondom im Schlafzimmer unter dem Bett des Vaters – also in einem Bereich, in dem das Vorhandensein seiner DNA zu erwarten ist – gefunden. Zudem kann die DNA des Vaters im Wege einer Sekundärantragung durch den Angeklagten an das Kondom gelangt sein.
(γ)
Dass der Angeklagte darüber hinaus jedenfalls sexuelle Phantasien im Hinblick auf den Nebenkläger hatte, die sowohl Oralverkehr an diesem als auch anale Penetration durch ihn beinhalteten, ergibt sich für die Kammer auch aus den Aussagen der Zeugen I5 und X1 sowie dem Chat zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen I5.
Der Zeuge I5 bekundete i. R. der Hauptverhandlung, der Angeklagte habe sich „begeistert“ über die sexuellen Kontakte zu dem Nebenkläger gezeigt. Er schilderte dabei etwa, der Angeklagte habe von der Größe des Gliedes des Nebenklägers geschwärmt.
In eine ähnliche Richtung weist die Aussage des Zeugen X1, der angibt, ihm sei ein Foto vom Handy des Nebenklägers oder des Angeklagten geschickt worden, auf dem Hände und Geldscheine zu sehen seien, und das mit dem Kommentar „Das ist mein Stundenlohn“ unterschrieben gewesen sei. Auch insofern verkennt die Kammer nicht, dass die Aussage des Zeugen in weiten Teilen wenig glaubhaft war – in diesem Punkt wird sie aber durch (insofern glaubhafte) Aussage der Zeugin N1 gestützt, die darüber hinaus angab, der Zeuge X1 habe dies damit kommentiert, der Angeklagte habe nun einen „einen L für seine neuen sexuellen Spielereien“.
Besonders aussagekräftig ist der schon oben (II.A.14.c)) dargestellte Chat zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen I5, der sich nach dem Zusammenhang eindeutig auf den Nebenkläger bezieht, auch wenn dieser darin nicht ausdrücklich erwähnt wird. Hier heißt es u.a. „Ja die nacht war super. Hab seinen lollu sehr tief in mir gespürt bis er kam“. Die Kammer versteht dies so, dass der Angeklagte hier über eine anale Penetration durch den Nebenkläger spricht. Zwar kann nach dem Wortlaut auch eine orale Penetration gemeint sein. Gegen ein solches Verständnis spricht aber, dass der Angeklagte es als „super“ empfunden haben will, den „Lollu sehr tief“ in sich gespürt zu haben. Im Falle von Oralverkehr wäre eher zu erwarten, dass ein sehr tiefes Eindringen eines Penis‘ in die Mundhöhle als unangenehm bis hin zum Würgereiz empfunden wird. Dazu passt auch die weitere Nachricht des Angeklagten, in der es heißt: „Moin. Ja die nacht war super. Hab heut auch schon geschluckt“. Diese bezieht sich eindeutig auf Oralverkehr. Die andere Wortwahl („geschluckt“ anstelle von „lollu sehr tief in mir gespürt“) spricht dafür, dass der Angeklagte hier von verschiedenen Sexualpraktiken redet. Die Kammer verkennt nicht, dass die Angaben des Angeklagten wiederum nicht notwendigerweise realitätsbasiert waren, sie entnimmt den Nachrichten aber jedenfalls pädosexuelle Phantasien im Hinblick auf den Nebenkläger und hier wiederum insbesondere in Bezug auf eine anale Penetration durch diesen. Das stützt die Aussage des Nebenklägers zum Fall 165.
(2)
Die Kammer nimmt dem Angeklagten nicht ab, dass er vor jeder einzelnen sexuellen Handlung durch den Nebenkläger zu den sexuellen Handlungen aufgefordert wurde. Sie wertet dies als Schutzbehauptung.
Zwar bleibt der Angeklagte seit dem Explorationsgespräch mit der Sachverständigen Dr. M5 (s. oben III.B.2.) konstant bei dieser Behauptung.
Die Kammer ist aber davon überzeugt, dass die o. g. Videos die Vornahme von sexuellen Handlungen durch den Angeklagten am schlafenden Nebenkläger zeigen (s. unten III.C.2.b) u. c)). Dass der Nebenkläger den Angeklagten, jeweils bevor er sich schlafen gelegt hat, dazu aufgefordert hat, sexuelle Handlungen vorzunehmen, sobald er eingeschlafen ist, hält die Kammer für ausgeschlossen.
(3)
Bez. der Häufigkeit der sexuellen Handlungen und dem Zeitpunkt der ersten analen Penetration hält die Kammer die Aussage des Nebenklägers indes nicht in Gänze für ausreichend verlässlich.
(a)
Die Kammer erachtet die Angaben des Nebenklägers zur Häufigkeit der Ausübung des Oralverkehrs durch den Angeklagten im Ausgangspunkt für zuverlässig.
Nachdem der Nebenkläger im Rahmen seiner ersten polizeilichen Vernehmung u.a. durch die Zeugin KHK’in C3 am 00.00.0000 die Vornahme sexueller Handlungen durch den Angeklagten während er wach gewesen sei noch generell verneint hat, hat er in seiner zweiten polizeilichen Vernehmung am 00.00.0000 ebenso wie in der Hauptverhandlung angegeben, der Angeklagte habe in dem gesamten Zeitraum, in dem er in dessen Wohnung gelebt habe, jeden Abend den Oralverkehr an ihm ausgeführt. In der Hauptverhandlung hat er seine Aussage lediglich dahingehend eingeschränkt, dass es vielleicht insgesamt zehn „Aussetzer“ beim Oralverkehr gegeben habe. Diese seien dadurch veranlasst gewesen, dass der Angeklagte gewollt habe, dass er, der Nebenkläger, auch Oralverkehr an ihm ausübe. Als er sich geweigert und erklärt habe, er finde das eklig, habe der Angeklagte jeweils auch an ihm keinen Oralverkehr vorgenommen, wobei er den Eindruck gehabt habe, der Angeklagte wolle ihn dadurch „bestrafen“. Regelmäßig sei es dann nur an einem Tag nicht zum Oralverkehr gekommen, irgendwann sei der Angeklagte aber so genervt von der Verweigerung des Nebenklägers gewesen, dass er auch für kurze Zeiträume zwischen drei und fünf Tagen keinen Oralverkehr an dem Nebenkläger vorgenommen habe. Ferner hat der Nebenkläger in der Hauptverhandlung bekundet, einmal mit Fieber und Husten erkrankt gewesen zu sein und nicht mehr zu wissen, ob es auch bei dieser Gelegenheit nicht zur Ausübung des Oralverkehrs gekommen sei.
Die Angaben des Nebenklägers decken sich im Ausgangspunkt mit den Angaben des Angeklagten gegenüber der Sachverständigen Dr. M5 und seiner Einlassung in der Hauptverhandlung. Bei der Exploration durch die Sachverständige Dr. M5 am 00.00.0000 hat der Angeklagte erklärt, der Nebenkläger habe ihn jeden Abend mit Worten wie „Du musst da unten noch dran“, aufgefordert, an dessen Glied zu manipulieren; den Aufforderungen sei er nachgekommen. In der Hauptverhandlung hat er angegeben, der Nebenkläger habe in der Regel abends zu ihm gesagt, er – der Angeklagte – müsse noch „zwischen [seine] Beine“. Er habe sich dann gegen den Nebenkläger nicht durchsetzen können und habe deshalb dessen Wünschen entsprochen. Damit gesteht er selbst ein, grundsätzlich jeden Abend den Oralverkehr an ihm ausgeführt zu haben.
Die Kammer hält die seit seiner zweiten polizeilichen Vernehmung im Wesentlichen konstante Aussage des Nebenklägers deshalb sowie aus den bereits dargestellten Gründen (s. oben III.B.3.a)aa)(1) sowie dd)(1)(a)) auch in Bezug auf die Häufigkeit der Vornahme des Oralverkehrs im Ausgangspunkt für zuverlässig.
Dabei übersieht die Kammer nicht, dass sich anders als in den Fällen 1 bis 3 weder die Aussage des Nebenklägers noch die Einlassung des Angeklagten in Bezug auf den Oralverkehr zu individualisierbaren Einzeltaten verhalten. Angesichts der immer gleichen Tatumstände und des grundsätzlich immer gleichen Tatbildes in den Fällen 4 bis 164, das – mit Ausnahme der beiden Fälle, in denen es auch zu einer analen Penetration gekommen ist – keinerlei Variationen im Handlungsablauf der insgesamt 461 Einzelakte oder sonstige Besonderheiten aufweist, sowie des auch im Übrigen monotonen Alltags im Haushalt des Angeklagten war das indes auch nicht zu erwarten. Liegen – wie hier – mehrere, ähnliche Erlebnisse vor, können unter gedächtnispsychologischen Gesichtspunkten schlussendlich nur mehr oder weniger allgemein gehaltene Angaben erwartet werden, die sich auf typische Abläufe und ggf. einzelne Handlungsvariationen oder Besonderheiten beschränken. In Fällen wiederholter, ähnlicher Erlebnisse kommt es dazu, dass Details aus unterschiedlichen Situationen in der Erinnerung verschwimmen bzw. als „Erlebnistypus“ zusammengefasst werden und dadurch in Bezug auf ihre Häufigkeit nicht zuverlässig erinnert werden können. Aufgrund dieser Gegebenheiten ist der Kammer hinsichtlich des Oralverkehrs in den Fällen 4 bis 164 eine Individualisierung einzelner Taten nicht möglich.
Allerdings erlauben es die Aussage des Nebenklägers und die Angaben des Angeklagten, in diesen Fällen eine Mindestanzahl von Taten des Oralverkehrs zu schätzen. Von dieser Möglichkeit macht die Kammer in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinsichtlich der Feststellung einer Mindestanzahl von Taten in vergleichbaren Fallgestaltungen (vgl. BGH, Urteil vom 21.02.2018 – 2 StR 431/17 – NStZ-RR 2018, 151; BGH, Beschluss vom 25.03.2010 – 5 StR 83/10 – BeckRS 2010, 9036; BGH, Beschluss vom 20.06.2001 – 3 StR 166/01 – BeckRS 2001, 30187497) Gebrauch.
Der zeitliche Rahmen der Taten in den Fällen 4 bis 164 steht zur Überzeugung der Kammer fest. Am 00.00.0000 war die Aufnahme des Nebenklägers in den Haushalt des Angeklagten, das ist der Beginn dieses Tatzeitraums. Am 00.00.0000 war die Wohnungsdurchsuchung, bei der die Polizei den Nebenkläger entdeckte und den Angeklagten vorläufig festnahm; nach diesem Tag haben sich keine Taten mehr ereignet. Nach Aussage des Nebenklägers war der letzte Oralverkehr wenige Stunden vor der Wohnungsdurchsuchung, also offenbar am 00.00.0000 gegen 2:00 Uhr oder 3:00 Uhr. Diese Tat ist allerdings nicht mehr Gegenstand der Anklage, die Anklage nennt als Ende des Anklagezeitraums den 00.00.0000.
Innerhalb dieses Rahmens bilden die insoweit übereinstimmenden Angaben des Angeklagten und des Nebenklägers, nach denen es grundsätzlich jeden Abend zum Oralverkehr kam, taugliche Anknüpfungspunkte für die Feststellung einer Mindestanzahl von Taten. Die (nur) vom Nebenkläger geschilderten oder für möglich gehaltenen Unterbrechungen – vielleicht insgesamt zehn „Aussetzer“ von jeweils maximal fünf Tagen, einmal Erkrankung an Fieber und Husten – ließen sich nach Dauer und Zeitpunkt nicht näher konkretisieren. Die Kammer hat sie unter Beachtung des Zweifelssatzes in der Form berücksichtigt, dass sie nur die Hälfte der im Zeitraum 00.00.0000 bis 00.00.0000 liegenden Tage als solche angenommen hat, an denen der Angeklagte den Oralverkehr an dem Nebenkläger ausgeführt hat. Die Kammer erachtet über die Anklage, die einen hälftigen Abschlag erst ab dem 00.00.0000 vornimmt und vom 00.00.0000 bis einschließlich zum 00.00.0000 von der täglichen Ausübung des Oralverkehrs ausgeht, hinausgehend einen solchen Sicherheitsabschlag für den gesamten Tatzeitraum der Fälle 4 bis 164 für erforderlich. Eine trennscharfe Feststellung des Endes eines von der Anklage angenommenen, zunächst zweiwöchigen Zeitraums, in dem es täglich zum Oralverkehr gekommen sei, war der Kammer nicht möglich. Vielmehr geht die Kammer aufgrund der vorstehend dargestellten Gegebenheiten (gleiches Tatbild, monotoner Alltag im Haushalt des Angeklagten) zum einen davon aus, dass bereits die Häufigkeitsangaben für die Zeit zu Beginn des Aufenthalts des Nebenklägers bei dem Angeklagten fehleranfällig sind. Zum anderen haben zwar sowohl der Angeklagte als auch der Nebenkläger angegeben, dass zunächst ein Aufenthalt von zwei Wochen beabsichtigt gewesen sei; an welchem Tag die Abrede, dass der Nebenkläger bis zu seinem 18. Geburtstag bei dem Angeklagten bleiben solle, getroffen wurde, konnte die Kammer indes nicht feststellen. Ein zeitlicher Bezug dieser Abrede konnte lediglich zur Entdeckung der dem Nebenkläger geltenden Vermisstenanzeige auf G hergestellt werden. Eine Zuordnung dieser Begebenheit zu einem bestimmten Datum war indes nicht möglich. Es sind folglich keine Anhaltspunkte vorhanden, die eine taggenaue Abgrenzung eines Zeitraums mit täglichem Oralverkehr gegenüber einem nachfolgenden Zeitraum, der eine Schätzung erforderte, ermöglichten. Daher war für den gesamten Zeitraum vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000 der vorgenannte Sicherheitsabschlag vorzunehmen. Ebenfalls in diesen Sicherheitsabschlag eingeflossen ist neben dem Umstand, dass sich der Angeklagte vom 00.00. bis 00.00.0000 sowie vom 00.00. bis zum 00.00.0000 in stationärer Krankenhausbehandlung wegen seiner Bandscheibenvorfälle befand, auch die allgemeine Unsicherheit, ob es im Übrigen tatsächlich an jedem einzelnen Tag zum Oralverkehr gekommen ist; so hat sich der Angeklagte gegenüber dem Zeugen I5 über zunehmend seltenere sexuelle Kontakte beschwert. Es spricht nichts dafür, dass der Sicherheitsabschlag zu knapp bemessen sein könnte und daher von einer noch geringeren Anzahl von Taten ausgegangen werden müsste.
Rechnerisch ergibt sich danach Folgendes: In dem Zeitraum vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000 liegen 922 Tage. Ausgehend von der Annahme der Kammer, dass es durchschnittlich jedenfalls an jedem zweiten Tag zur Vornahme des Oralverkehrs durch den Angeklagten an dem Nebenkläger kam, ergeben sich 461 solche Handlungen. Dabei ist die Kammer in den Fällen 4 bis 163 unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes davon ausgegangen, dass sich in dem 39 Tage umfassenden Zeitraum zwischen dem 00.00.0000 (dem Tag nach dem Urteil des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 – 26b Ls 39 Js 168/13 – 7/18) und dem 00.00.0000 (dem Tag vor dem 14. Geburtstag des Nebenklägers) 19 Taten (Fälle 145 bis 163) ereigneten. Bei der zeitlichen Einordnung hat die Kammer – wiederum unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes – den 14. Geburtstag des Nebenklägers als einen Tag angenommen, an dem es zum Oralverkehr gekommen ist. Danach ergeben sich insgesamt 160 Fälle des Oralverkehrs im Zeitraum 00.00.0000 bis zum 00.00.0000 (Fälle 4 bis 163), davon 19 Fälle nach dem 00.00.0000 (Fälle 145 bis 163), sowie weitere 301 Gelegenheiten, bei denen es zum Oralverkehr kam, zwischen dem 00.00.0000 und dem 00.00.0000 (Fall 164). Vom Vorliegen dieser Mindestanzahl ist die Kammer überzeugt.
(b)
Auch den Angaben des Nebenklägers zum Zeitpunkt der ersten Penetration und zur Anzahl der Penetrationen folgt die Kammer jedenfalls nicht vollumfänglich.
(aa)
Zwar gibt der Nebenkläger bez. der analen Penetration mit dem Glied seit seiner zweiten polizeilichen Vernehmung konstant an, das erste Mal sei sicher vor seinem 14. Geburtstag gewesen. Seine Begründungen dafür, warum er sich im Hinblick auf die zeitliche Einordnung sicher sei, weichen indes voneinander ab: I. R. der zweiten polizeilichen Vernehmung hat der Nebenkläger erklärt, das erste Mal sei erfolgt, als sie, der Angeklagte und er, noch auf der Luftmatratze geschlafen hätten. Diese sei aber bereits nach kurzer Zeit defekt gewesen und vom Angeklagten entsorgt worden. Daher könne er mit Sicherheit sagen, dass dies vor seinem 14. Geburtstag gewesen sei. I. R. der Hauptverhandlung hat er hingegen angegeben, er sei sich sicher, dass das erste Mal einer analen Penetration mit dem Glied in der Anfangszeit geschehen sei, auch wenn sie – nachdem der Angeklagte sowohl die Luftmatratze als auch die Couch schon entsorgt hatte – bereits beide auf dem Boden geschlafen hätten. Zudem hat er seine Angaben zur Schlafsituation gegenüber der zweiten polizeilichen Vernehmung dahingehend korrigiert, dass nur der Angeklagte, nicht auch er selbst, auf der Luftmatratze geschlafen habe. Die Kammer kann aufgrund dieser unterschiedlichen Darstellung nicht mit ausreichender Sicherheit ausschließen, dass es sich bei der anfänglich geschilderten Verknüpfung von analer Penetration mit dem Glied und dem Schlafen auf der Luftmatratze um eine nicht wahrheitsbasierte Scheinerinnerung des Nebenklägers handelt, die er daher zu recht i. R. d. hiesigen Hauptverhandlung fallen gelassen hat, die aber als sog. „Residuum“ seine – unzutreffende – Annahme, das erste Mal sei vor seinem 14. Geburtstag gewesen, hinterlassen hat.
Auch im Hinblick auf eine anale Penetration mit dem Finger hat der Nebenkläger sowohl i. R. seiner zweiten polizeilichen Vernehmung als auch i. R. d. Hauptverhandlung ausgesagt, das erste Mal sei vor seinem 14. Geburtstag gewesen; auf Nachfrage in der Hauptverhandlung hat er bekräftigt, er sei sich ganz sicher, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt nicht mehr auf der Couch, sondern bereits auf dem Deckenlager auf dem Boden geschlafen habe. Einen Anhaltspunkt für sein Wissen vermochte er nicht anzugeben – wohl auch aufgrund des monotonen Tagesablaufs. Durch eben diese Gleichförmigkeit der einzelnen Tage und die geschilderten Unsicherheiten bez. des Zeitpunkts der ersten analen Penetration mit dem Glied sieht sich die Kammer gehindert, ihm in dieser Angabe zu folgen.
Die Kammer geht daher nach dem Zweifelssatz zu Gunsten des Angeklagten davon aus, dass es zu den analen Penetrationen erst nach dem 14. Geburtstag des Nebenklägers kam.
Diese Annahme ist für den Angeklagten günstig: Wären die analen Penetrationen vor diesem Zeitpunkt erfolgt, läge in zwei Fällen des besonders schweren sexuellen Missbrauchs eine Kindes (§§ 176 Abs. 1, 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F.) gleichartige Tateinheit aufgrund der Verwirklichung des Tatbestands sowohl durch Oral- als auch Analverkehr vor. In Anbetracht des Strafrahmens des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F., der Freiheitsstrafe von zwei Jahren bis zu 15 Jahren (§ 38 Abs. 2 StGB) vorsieht, wäre – auch im konkreten Fall – von einer insgesamt höheren Strafe auszugehen als bei der Zuordnung zu Fall 164, dem der Strafrahmen des § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe zugrunde zu legen ist.
Ähnliche Erwägungen in Bezug auf die zeitliche Einordnung gelten mit Blick auf die Tat im Fall 165. In der Hauptverhandlung hat der Nebenkläger insoweit eine konkrete zeitliche Einordnung nicht vorgenommen. Im Rahmen seiner zweiten polizeilichen Vernehmung hat er die Tat wohl, wenngleich nicht ausdrücklich, zeitlich zwischen den Taten in den Fällen 166 und 167 eingeordnet, indem er vor der Schilderung der Tat im Fall 165 den Hergang zu Fall 166 geschildert und sodann auf einen „nächsten Vorfall“, nämlich Fall 167, Bezug genommen hat. Nach alldem sah sich die Kammer an einer über den Ausschluss eines Tatzeitpunkts kurz nach dem Einzug des Nebenklägers bei dem Angeklagten hinausgehenden zeitlichen Einordnung dieser Tat gehindert.
(bb)
Auch im Hinblick auf die Häufigkeit der analen Penetration sind die Angaben des Nebenklägers wenig konstant: I. R. d. Hauptverhandlung gab er an verschiedenen Punkten der Vernehmung an, es sei insgesamt – mit dem Finger oder Glied – jedenfalls mehr als einmal und bis zu fünfmal zu einer analen Penetration gekommen, i. R. d. polizeilichen Vernehmung sprach er von 3 Malen analer Penetration mit dem Glied und weiteren 20-30 Malen analer Penetration mit dem Finger. Auf Vorhalt seiner polizeilichen Vernehmung gab der Nebenkläger an, er glaube nicht, dass es 20-30x zu einer analen Penetration mit dem Finger gekommen sei. Aufgrund dieser gravierenden Abweichungen sah sich die Kammer daran gehindert, mehr als insgesamt 2 Male der analen Penetration anzunehmen. Diese zwei Male nimmt die Kammer an, da sie dem Nebenkläger seine Angabe glaubt, es sei „mehrmals“ zu einer analen Penetration gekommen, und er zwei Fälle jedenfalls ansatzweise – wie festgestellt – konkretisieren konnte.
(c)
Auch diese Auffälligkeiten im Aussageverhalten des Nebenklägers waren für die Kammer aber kein Anlass, an der Glaubhaftigkeit der Aussage des Nebenklägers insgesamt zu zweifeln.
Die Aussage des Nebenklägers war durch die bereits benannten Realitätskennzeichen bestimmt. In Bezug auf die Unstimmigkeiten im Hinblick auf Häufigkeit der analen Penetrationen, Zeitpunkt der ersten analen Penetration ergeben sich unter gedächtnispsychologischen Gesichtspunkten dieselben Phänomene wie in Bezug auf die Häufigkeit des Oralverkehrs (s. oben III.B.3.a)dd)(3)(a)). Die Kammer verkennt dabei weder, dass sich bei den Angaben zur Häufigkeit analer Penetration erhebliche Unterschiede (20 – 30 Male bzw. 2 – 5 Male) einstellen, noch, dass die Gesamtzahl der Fälle analer Penetration deutlich kleiner ist als die der Fälle des Oralverkehrs.
ee)
Auch im Hinblick auf die vorgeworfenen Körperverletzungshandlungen (Fälle 166 und 167) folgt die Kammer den Angaben des Nebenklägers im Wesentlichen.
Zwar sind seine Angaben zur Vorgeschichte der Taten wenig zuverlässig.
So hat der Nebenkläger zum Fall 167 sowohl i. R. der zweiten polizeilichen Vernehmung als auch i. R. d. Hauptverhandlung angegeben, der Angeklagte habe ihn, bevor er die K-Flasche nach ihm geworfen habe, aufgefordert, an ihm Oralverkehr auszuüben. Weil er sich geweigert habe, sei der Angeklagte „beleidigt“ gewesen. I. R. d. polizeilichen Vernehmung hat der Nebenkläger dasselbe auch zum Fall 166 ausgesagt: Der Angeklagte habe die Kaffeekanne nach ihm geworfen, nachdem er sich geweigert habe, an dem Angeklagten den Oralverkehr zu vollziehen.
Soweit es den Fall 166 betrifft, hat er hieran in der Hauptverhandlung aber nicht mit Bestimmtheit festgehalten. Vor der Kammer hat der Nebenkläger vielmehr von sich aus zunächst berichtet, Auslöser der Tat sei gewesen sein, dass er zu laut gewesen sei, wodurch der Angeklagte, der habe schlafen wollen, gestört worden sei. Um den Angeklagten zu beruhigen, habe er Kaffee gekocht und ihm eine Tasse davon gegeben. Dieser habe sich derart provoziert gefühlt, dass er – wie festgestellt – zunächst die Tasse, dann die Kanne in Richtung des Nebenklägers geworfen habe. Auf Vorhalt seiner polizeilichen Vernehmung hat er dann jedoch angegeben, Auslöser könne auch seine Weigerung bez. des Oralverkehrs am Angeklagten gewesen sein; allerdings erinnere er sich heute so an den Vorfall, wie er ihn in der Hauptverhandlung zunächst geschildert habe.
Danach kann die Kammer im Fall 166 nicht zweifelsfrei feststellen, ob der Streit zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger darauf beruhte, dass dieser zu laut war, obwohl der Angeklagte schlafen wollte, oder ob er sich dem Ansinnen, bei dem Angeklagten Oralverkehr auszuüben, widersetzte. Aufgrund der Unsicherheit des Nebenklägers im Hinblick auf die Ursache, die dem Wurf der Kaffeekanne zugrunde lag, vermochte sie sich auch keine ausreichende Sicherheit im Hinblick auf den dem Wurf der K-Flasche (Fall 167) zugrunde liegenden Konflikt zu bilden. Sie kann insofern nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass sich der Nebenkläger auch insofern geirrt hat.
Zum Tathergang hält die Kammer die Angaben des Nebenklägers allerdings für glaubhaft.
Der Nebenkläger hat im Fall 166 ebenso wie im Fall 167 davon abgesehen, den Angeklagten weitergehend zu belasten, obwohl dies bei einer Falschaussage nahe gelegen hätte und gefahrlos möglich gewesen wäre. So hat der Nebenkläger zu beiden Fällen angegeben, dem Angeklagten sei es nach seinem Eindruck nicht darum gegangen, ihn unbedingt zu treffen und zu verletzen. Im Fall 166 habe der Angeklagte ihm, indem er eher auf die Wand gezielt habe, nur Angst machen wollen. Im Fall 167 sei er unsicher gewesen, ob der Angeklagte ihn habe treffen und verletzen wollen. Der Angeklagte habe im Zuge eines Streits das Licht besonders hell angeschaltet, daraufhin habe er sich die Bettdecke über den Kopf gezogen, da er habe schlafen wollen. Als er unter der Decke hervorgeschaut und dabei den Kopf gehoben habe, sei er von der Flasche getroffen worden.
Zum Fall 167 hat er ausgesagt, er sei durch die Flasche lediglich ganz leicht verletzt worden; seine Wange sei nur gerötet, nicht etwa blau gewesen.
Bei einer Falschaussage, etwa aus Vergeltungsverlangen, wäre dagegen zu erwarten gewesen, dass der Nebenkläger dem Angeklagten Verletzungsabsicht unterstellt. Das wäre auch gefahrlos möglich gewesen. Bei beiden Taten war außer dem Angeklagten und dem Nebenkläger niemand zugegen. Die Widerlegung einer falschen Aussage durch einen Augenzeugen musste der Nebenkläger also nicht befürchten, zumal er jeweils auch nur von seinem Eindruck – d. h. von einer inneren Tatsache – gesprochen hatte.
Dazu passt das nur von dem Nebenkläger geschilderte Nachtatgeschehen im Fall 166, nach dem der Angeklagte anschließend zu seinem Vater ins Schlafzimmer lief, ihn grundlos beschuldigte, es sei dessen Schuld, und zu weinen begann. Hierzu hat der Nebenkläger angegeben, nach seinem Eindruck habe der Angeklagte jedenfalls auch aus Reue über sein Tun geweint. Damit zeichnet er hier sogar ein günstiges Bild von dem Angeklagten; dies wäre nicht zu erwarten, wenn er den Angeklagten zu Unrecht hätte belasten wollen.
Schließlich ist kein Grund ersichtlich, weshalb der Nebenkläger ein eigenes Fehlverhalten dergestalt, dass er zuvor dem Angeklagten eine Tasse Kaffee ins Gesicht geschüttet oder dies zumindest versucht hätte, nicht hätte einräumen sollen. So hat er z.B. in anderem Zusammenhang unumwunden zugegeben, dass er dem Vater des Angeklagten, der ihn „angeschnauzt“ und sich darüber beschwert habe, dass dieser ihn „durchziehe“, deshalb ein Glas Wasser ins Gesicht gekippt habe.
ff)
Die Kammer war auch imstande – ohne Einholung eines aussagepsychologischen oder psychiatrischen Sachverständigengutachtens – die Glaubhaftigkeit der Aussage des Nebenklägers selbst zu beurteilen.
Die Würdigung von Zeugenaussagen und die Beurteilung ihrer Glaubhaftigkeit sind grds. Aufgabe des Gerichts. Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass Berufsrichter über diejenige Sachkunde verfügen, die für die Beurteilung von Aussagen auch bei schwieriger Beweislage erforderlich ist, und dass sie den beteiligten Laienrichtern diese Sachkunde jeweils vermitteln können. Dies gilt auch für die Aussage kindlicher und jugendlicher Zeugen, die Opfer eines Sexualdelikts geworden sind (BGH, Urteil vom 26.04.2006 – 2 StR 445/05 – NStZ-RR 2006, 241). Die Kammer ist eine erfahrene Jugend- und Jugendschutzkammer und verfügt über besondere Sachkunde auch zur Beurteilung der Aussage junger Zeugen. Insbesondere ist sie aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung als Jugendkammer auch befähigt, die Aussagetüchtigkeit eines Zeugen, die Glaubhaftigkeit und Aussagegenauigkeit zu prüfen und – damit verbunden – insbes. auch sog. „Realitätskennzeichen“ einer Aussage zu würdigen.
Die Hinzuziehung eines psychologischen Sachverständigen ist lediglich dann geboten, wenn der Sachverhalt Besonderheiten aufweist, die Zweifel daran aufkommen lassen, ob die eigene Sachkunde des Tatgerichts zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den konkret gegebenen Umständen ausreicht. Solche Umstände können sich ergeben, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Erinnerungsfähigkeit einer Beweisperson aus besonderen, psychodiagnostisch erfassbaren Gründen eingeschränkt ist oder dass besondere psychische Dispositionen oder Belastungen die Zuverlässigkeit der Aussage in Frage stellen können und dass für die Feststellung solcher Faktoren und ihrer möglichen Einflüsse auf den Aussageinhalt eine besondere, wissenschaftlich fundierte Sachkunde erforderlich ist, über welche der Tatrichter im konkreten Fall nicht verfügt. Ob ein solcher Fall vorliegt, unterliegt der richterlichen Beurteilung i. R. d. Aufklärungspflicht. Er ist nicht allein deshalb gegeben, weil Gegenstand der Aussage eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist oder der Zeuge zur Zeit des geschilderten Vorfalls in kindlichem oder jugendlichem Alter war oder zum Zeitpunkt seiner Aussage ist.
Derartige Besonderheiten hat die Kammer im vorliegenden Fall nicht als gegeben erachtet:
Im Rahmen der Aussage des Nebenklägers waren keine Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Aussagetüchtigkeit oder Erinnerungsfähigkeit zu erkennen: Zu einer Dekompensation des Nebenklägers i. R. seiner Aussage ist es nicht gekommen, Erinnerungslücken, die an eine vor allem markante Gegebenheiten verschließende Amnesie heranreichen, sind bei der Aussage des Nebenklägers nicht zutage getreten.
Die Besonderheiten im Lebenslauf des Nebenklägers (insbes. ambulante Behandlung bei einer Kinder- und Jugendpsychologin nach dem Tod seines Vaters, Unterbringung in vier verschiedenen Heimen, zweimalige stationäre Aufnahme in der Kinder- und Jugendpsychiatrie für je drei Monate und Aufhebung der Schulpflicht) beruhen nach Einschätzung der Kammer auf der in früher Kindheit diagnostizierten „emotionalen und sozialen Störung“ des Nebenklägers. Auch diese Diagnose stellt keinen Umstand dar, der die Zuverlässigkeit der Aussage des Nebenklägers im hiesigen Fall in einem derartigen Maße Frage stellt, dass sich die Kammer insofern aussagepsychologisch hätte beraten lassen müssen. Für die Kammer stellt ein derartiger Lebenslauf – auch einhergehend mit einer Störung des Sozialverhaltens – einer zu vernehmenden Person keine Besonderheit dar.
Dass der Nebenkläger zeitweise das Medikament S1 eingenommen hat, lässt ebenfalls keinen Schluss auf eine eingeschränkte Aussagetüchtigkeit zu: Die Medikation erfolgte nicht etwa aufgrund einer diagnostizierten Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis, sondern aufgrund einer Störung des Sozialverhaltens und zur Minderung von Aggressivität in lediglich geringer Dosis (1mg täglich über einen Zeitraum von etwa zwei Jahren), die bei dem Nebenkläger lediglich Nebenwirkungen wie Nasenbluten, leichtes Stottern und Augenblinzeln hervorgerufen hat. Mit Beginn des Aufenthaltes beim Angeklagten hat er das Medikament abgesetzt, eine Entzugssymptomatik entstand nicht. Für sonstige Langzeitfolgen bez. etwaiger Bewusstseins-, Wahrnehmungs-, Erinnerungs- oder Aufmerksamkeitsdefizite in der Person des Nebenklägers liegen keine Anhaltspunkte vor.
Darüber hinaus lag im hiesigen Fall keine reine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vor, die wegen der besonderen Sorgfalt, die das erkennende Gericht in diesen Fällen bei der Bewertung der Aussage des Hauptbelastungszeugen zugrunde legen muss, die Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens gebieten kann. Eine solche Konstellation liegt nur bei gänzlichem Fehlen sonstiger Erkenntnisse vor (BGH, Beschluss vom 11.01.2005 – 1 StR 498/04 – NJW 2005, 1519). Der Angeklagte hat sich sowohl i. R. d. Hauptverhandlung, i. R. d. Beschuldigtenvernehmung am 00.00.0000, bei der Verkündung des Haftbefehls am 00.00.0000 und i. R. d. Explorationsgesprächs mit der Sachverständigen Dr. M5 zu den Vorwürfen geäußert. Darüber hinaus wird die Aussage des Nebenklägers durch die jeweils ausgeführten Beweise gestützt (s. o.).
Die Kammer hat bei ihrer Einschätzung, dass die Aussage des Nebenklägers zum größten Teil realitätsbasiert ist, auch den möglichen Einfluss der Zeugin C2 auf die Aussagemotivation des Nebenklägers berücksichtigt. Sie geht dabei davon aus, dass das Drängen der Zeugin C2, er solle dies „für die Familie“ tun und damit auch andere Kinder schützen, zwar auf den Aussagezeitpunkt des Nebenklägers Einfluss hatte, schließt aber aus, dass sich das Verhalten der Zeugin maßgeblich auch auf den Inhalt der Aussage ausgewirkt hat. Diese Schlussfolgerung zieht die Kammer insbesondere aus dem Umstand, dass – nach der glaubhaften Aussage des Nebenklägers und der Zeugin C2 selbst – sie weder Näheres über die Zeit beim Angeklagten wissen noch die genauen Beweggründe des Nebenklägers eruieren wollte. Auch ist die Aussage des Nebenklägers nicht etwa dergestalt, dass damit eine Sicht auf die Dinge erlaubt würde, die die Geschehnisse als reinen „Schicksalsschlag“ gegen die Familie C2 erscheinen lassen würden: Wie bereits ausgeführt räumte der Nebenkläger auch Eigeninitiative ein und schildert jedenfalls die erste Zeit beim Angeklagten durchaus auch positiv.
b)
Hinsichtlich der Lebensumstände des Nebenklägers in der Wohngruppe „G“ stützt die Kammer ihre Überzeugung insbesondere auf die glaubhaften Aussagen des Nebenklägers sowie der Zeugen L4, C2 und I4. Namentlich die Zeuginnen C2 und L4 haben den erheblichen Widerwillen des Nebenklägers, der auf keinen Fall in die Psychiatrie gewollt habe, gegen die geplante stationäre Aufnahme in der kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilung in E plastisch geschildert. Ferner haben beide Zeuginnen die standhafte Weigerung des Nebenklägers, sich zur Herkunft des bei ihm aufgefundenen Geldes und der Zigaretten zu erklären, beschrieben. Obwohl sie versucht hätten, ihn für die möglichen Gefahren seines Verhaltens zu sensibilisieren, sei er über die Behauptung, er habe beides von einem Mann, und die Nennung des Namens „J“ hinaus zu keinerlei Auskunft bereit gewesen. In diesem Zusammenhang schilderte die Zeugin L4 auch, dass ihr beharrliches Nachhaken den Nebenkläger nach ihrem Eindruck sehr wütend gemacht habe.
c)
Die Kammer ist darüber hinaus der Überzeugung, dass der Angeklagte in allen Fällen vorsätzlich gehandelt hat.
Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
aa)
Dass er das Alter des Nebenklägers wusste, hat der Angeklagte nicht in Abrede gestellt. Zudem kannte der Angeklagte nach Überzeugung der Kammer den Steckbrief, den der Nebenkläger beim Beitritt zur X-Gruppe ausgefüllt hatte. Hier hatte der Nebenkläger sein Alter wahrheitsgemäß mit zu diesem Zeitpunkt „13“ angegeben.
bb)
Die Kammer ist auch überzeugt, dass der Angeklagte sowohl die Zwangslage, in der sich der Nebenkläger spätestens seit seinem 14. Geburtstag befand, als auch deren (Mit-)Ursächlichkeit für die Duldung der Vornahme von sexuellen Handlungen erkannt hatte, wobei er es auch für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, dass der Nebenkläger die sexuellen Handlungen allein aufgrund der Zwangslage zuließ.
Der Angeklagte gibt selbst an, der Nebenkläger habe Angst gehabt, von der Jugendhilfeeinrichtung ins Ausland geschickt zu werden, und habe deshalb nicht zurück gewollt; aus dem Grund habe der Nebenkläger die Wohnung auch fast nie verlassen wollen. Dass der Angeklagte auch wusste, dass der Nebenkläger keine Möglichkeit hatte, anderweitig Unterschlupf zu finden, ergibt sich wiederum schon aus seiner eigenen Einlassung. Danach hat er dem Nebenkläger, als dieser sich nur noch von ihm habe bedienen lassen, gesagt, wenn ihm irgendetwas nicht passen sollte, könne er jederzeit gehen. Damit räumt der Angeklagte seine Kenntnis der Zwangslage ein.
Das steht in Einklang mit der Aussage des Nebenklägers. Dieser hat angegeben, er habe dem Angeklagten im Zusammenhang der Verabredung, dass er bis zu seinem 18. Geburtstag bei ihm bleiben solle, seine Befürchtungen anvertraut, ihm drohe, falls er gefunden werden oder sich selbständig zurückmelden würde, die endgültige Trennung von seiner Familie, die geschlossene Unterbringung in einem Heim oder in der Psychiatrie. Aus Angst, entdeckt zu werden, habe er die Wohnung in der gesamten Zeit nur zweimal verlassen (und das auch nur im Schutz der Dunkelheit). Bei irgendeiner Gelegenheit habe der Angeklagte ihn gegenüber seinem Vater damit verteidigt, der Nebenkläger müsse bei ihnen bleiben, dieser habe sonst ja niemanden.
Zwar behauptet der Angeklagte darüber hinaus, der Nebenkläger habe immer gesagt, er sei gerne bei ihm. Dass er auf die angeblichen Beteuerungen vertraut und daher der Angst des Nebenklägers keine Bedeutung beigemessen habe, behauptet der Angeklagte aber selbst nicht.
Die Kammer ist davon überzeugt, dass sich der Angeklagte der Abhängigkeit des Nebenklägers und des daraus resultierenden Machtgefälles bewusst war. Ebenso ist sie davon überzeugt, dass er im Fall 164 einkalkuliert hat, der Nebenkläger lasse den Oral- sowie den Analverkehr allein oder wenigstens auch aufgrund der Zwangslage zu.
Zwar glaubte der Angeklagte nach dem Eindruck des Nebenklägers, der Oralverkehr gefalle auch ihm, zumal dieser nach seiner Aussage für sich behielt, dass ihm der Oralverkehr unangenehm war und es bei ihm im Laufe des Aufenthaltes beim Oralverkehr auch zu Erektionen und i. d. R. dann auch zu einem Samenerguss kam.
Dass der Angeklagte sich nicht nur einredete, der Nebenkläger lasse den Oral- sowie den Analverkehr aus sexueller Lust bzw. deshalb zu, weil die beiden eine Art „Liebesbeziehung“ führten, sondern tatsächlich darauf vertraute, hält die Kammer allerdings für ausgeschlossen. Sie ist davon überzeugt, dass sich der Angeklagte durch sein Wunschdenken den Blick auf die Abhängigkeit des Nebenklägers und das daraus resultierende Machtgefälle nicht verstellt hat. Bereits die weiteren äußeren Umstände der sexuellen Handlungen sprachen deutlich gegen eine auf gegenseitiger Zuneigung beruhende sexuelle Beziehung: So sah der Nebenkläger, während der Angeklagte den Oralverkehr an ihm ausübte, zumeist Z-Videos und weigerte sich durchgehend, sexuelle Handlungen am Angeklagten vorzunehmen, wobei er ihm gegenüber auch ausdrücklich erklärte, dass er die Ausübung des Oralverkehrs am Angeklagten eklig fände. Zudem waren bereits die ersten Kontakte zwischen beiden ausschließlich zum Zwecke des Leistungsaustauschs (Duldung der Vornahme des Oralverkehrs gegen Geld bzw. Zigaretten oder E-Shisha) erfolgt. Ferner behauptete der Angeklagte gegenüber dem Zeugen I5, er mache den Nebenkläger in Phasen, in denen dieser jeglichen sexuellen Kontakt ablehne, mit Geschenken wieder gefügig, was – unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Behauptung – ebenfalls dafür spricht, dass er den Gesichtspunkt des Leistungsaustauschs als die Beziehung prägend erfasst hatte. Schließlich zeigt die von dem Angeklagten selbst eingeräumte Äußerung, der Nebenkläger könne jederzeit gehen, falls ihm irgendetwas nicht passe, dass er sich dessen Abhängigkeit und des daraus resultierenden Machtgefälles bewusst war; dass die Äußerung nicht etwa fiel, als sich der Nebenkläger seinen sexuellen Wünschen verweigerte, ändert daran nichts.
cc)
Hinsichtlich der gefährlichen Körperverletzungen (Fälle 166 und 167) ist die Kammer angesichts der vom Angeklagten auch erkannten Gefährlichkeit der jeweils als Wurfgeschoss verwendeten Tatmittel, davon überzeugt, dass der Angeklagte bei dem Wurf der Kaffeekanne in Richtung des Nebenklägers (Fall 166) bzw. der Whiskeyflasche nach diesem (Fall 167) die festgestellten Geschehensabläufe einschließlich der Verletzungen des Nebenklägers jedenfalls billigend in Kauf genommen hatte.
Die Handlungen waren verletzungsträchtig. Der Angeklagte hat die Kaffeekanne und die Whiskeyflasche als Wurfgeschoss eingesetzt. Beide Tatmittel waren von einigem Gewicht. Die Flasche war zwar leer, aber aus Glas. Die Kaffeekanne war bis auf eine Tasse voll. Hier war der Nebenkläger am Oberkörper unbekleidet, womit eine besondere Gefährdung für Verbrühungen verbunden ist, und der heiße Kaffee war als Tatmittel in besonderem Maße nicht beherrschbar, da es sich um eine Flüssigkeit handelt, deren Verteilung nach dem Abwurf für den Angeklagten weitgehend unvorhersehbar war.
Hierbei handelt es sich um Umstände, die zum Alltagswissen gehören. Die Kammer ist überzeugt, dass sie auch dem Angeklagten bekannt waren. Dass er sie infolge seiner Alkoholisierung verkannt haben könnte, schließt die Kammer angesichts seiner Alkoholgewöhnung (s. unten V.6.) aus.
Bei dieser Sachlage ist der Schluss gerechtfertigt, dass der Angeklagte die lediglich leichten Verletzungen des Nebenklägers jedenfalls billigend in Kauf genommen hatte.
d)
Die Kammer ist davon überzeugt, dass sich der Angeklagte auch in Bezug auf den Zeugen L5 sexuelle Kontakte erhoffte. Dass es hierzu auch tatsächlich kam, vermochte die Kammer indes weder ausreichend sicher festzustellen noch auszuschließen.
Der Angeklagte räumt selbst ein, sich zwei- bis dreimal mit L5 getroffen zu haben und dafür einmal sogar nach C gefahren zu sein. Einen Grund für die Kontaktaufnahme hat der Angeklagte nicht angegeben. Dass die Kontaktanbahnung sowie die Treffen ohne Hintergedanken seitens des Angeklagten erfolgten, hält die Kammer für ausgeschlossen. Insbesondere hält es die Kammer – wie bereits hinsichtlich des Nebenklägers ausgeführt (s. oben III.B.3.a)aa)(3)) – angesichts der finanziellen Verhältnisse des Angeklagten für ausgeschlossen, dass dieser dem Zeugen L5, der wie der Nebenkläger in einer Wohngruppe lebte, lediglich Geschenke, namentlich in Form von Zigaretten, machen und ihm auf diese Weise helfen wollte. Vielmehr sieht die Kammer hierin – auch angesichts deutlicher Parallelen zu der Kontaktanbahnung mit dem Nebenkläger, des erheblichen Altersunterschieds und der pädosexuellen Interessen des Angeklagten – ein Anbahnungsverhalten, mit dem er ein Näheverhältnis zu dem Zeugen L5 schaffen wollte, aus dem er sich im weiteren Verlauf auch sexuelle Kontakte zu dem Zeugen erhoffte. Hierzu passen die Angaben des Zeugen L5, der Angeklagte habe bereits im Vorfeld des ersten Treffens gesagt, er sei „bi“, und habe diesen gefragt, worauf er stehe, wodurch sich der Zeuge veranlasst gesehen habe, darauf hinzuweisen, dass er nicht angefasst werden wolle. Dass die Aussage des Zeugen L5 im Übrigen wenig zuverlässig ist, hat die Kammer gesehen. So berief sich der Zeuge mehrfach auf für die Kammer unerklärliche Erinnerungslücken. Ferner hat die Kammer gegen die Zuverlässigkeit seiner Aussage aufgrund des Umstands Bedenken, dass die Angaben des Zeugen jedenfalls teilweise von Geltungsdrang beeinflusst sind. So hat die Betreuerin des Zeugen, die Zeugin J, vor der Kammer ausgesagt, der Zeuge habe ihr gegenüber geäußert, er habe zusammen mit dem Nebenkläger „abhauen“ wollen und wisse „ungefähr“, wo dieser sei.
Dass es zu sexuellen Handlungen zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen L5 kam oder solche als Gegenleistung für die Zuwendungen des Angeklagten verabredet worden waren, vermochte die Kammer indes nicht festzustellen. Sowohl der Angeklagte als auch der Zeuge L5 haben dies verneint.
e)
Die Kammer ist davon überzeugt, dass der Angeklagte in den Fällen 4 bis 164 sowie 166 und 167 in den jeweiligen Tatzeitpunkten eine maximale Blutalkoholkonzentration von 2,08 ‰ aufwies.
Im Fall 165 geht die Kammer zugunsten des Angeklagten ebenfalls von dieser Blutalkoholkonzentration aus. Zwar spricht der Umstand, dass der Nebenkläger im Tatzeitpunkt bereits geschlafen hatte, dafür, dass sich die Tat nach der für die Vornahme des Oralverkehrs an dem Nebenkläger üblichen Zeit ereignete. Indes hat die Kammer keinerlei Anhaltspunkte, wie lange nach diesen Uhrzeiten die Tat verübt wurde, sodass zugunsten des Angeklagten ein möglichst früher Tatzeitpunkt mit der Folge einer mit der für die Fälle 4 bis 164 identischen Blutalkoholkonzentration unter Anwendung des Zweifelssatzes anzunehmen war.
Anhand der Widmark-Formel (vgl. Fischer, StGB, 68. Aufl. 2021, § 20 Rn. 14) ergibt sich folgende Berechnung:
aa)
Der Angeklagte trank regelmäßig 0,7 l Weinbrand (N oder B-Eigenmarke) mit einem Alkoholgehalt von 36 Volumenprozent. Für die Berechnung der Blutalkoholkonzentration ist die Kammer zugunsten des Angeklagten von dem nach den getroffenen Feststellungen kürzestmöglichen Zeitraum des Alkoholkonsums von 22:00 Uhr bis 2:00 Uhr, bei unterstellter Tatbegehung nach Resorption des konsumierten Alkohols, ausgegangen.
bb)
Auf dieser Grundlage ergibt sich eine zugeführte Alkoholmenge von 252 ml, die sich aus dem Volumen des Weinbrands von 700 ml und einem Anteil von 36 Prozent reinen Alkohols hieran errechnen lässt. Es ergibt sich weiter, ausgehend von dem spezifischen Gewicht des Alkohols von 0,81 g/ml, eine Menge von 204,12 g reinen Alkohols, die der Angeklagte jeweils mit einer Flasche Weinbrand (0,7 l) zu sich genommen hat, nach folgender Berechnung:
700 ml x 0,36 x 0,81 g/ml = 204,12 g.
Hiervon ist ein Resorptionsdefizit, das unter Anwendung des Zweifelssatzes zugunsten des Angeklagten mit dem Minimalwert von 10 Prozent zu bemessen ist, in Abzug zu bringen).
Es ergibt sich eine resorbierte Alkoholmenge von 204,12 g x 0,90 = 183,708 g.
Sodann ist zunächst das Körpergewicht des Angeklagten, wobei die Kammer von dem bei seiner Aufnahme in die JVA Bochum erfolgten Untersuchung am 00.00.0000 festgestellten Gewicht von 105,7 kg ausgegangen ist, mit dem Reduktionsfaktor 0,7 zu multiplizieren. Anschließend ist die resorbierte Alkoholmenge in Gramm durch diesen Wert zu teilen. Es ergibt sich folgende Berechnung:
183,708 g : (105,7 kg x 0,7) = 2,48 ‰.
Hiervon ist sodann – wiederum unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes unter Annahme des Minimalwerts – ein Abbauwert von 0,1 ‰ pro Stunde seit Trinkbeginn in Abzug zu bringen. Zwischen dem Trinkbeginn und der zugunsten des Angeklagten hier frühestmöglich mit 2:00 Uhr zu unterstellenden Tatzeit liegt ein Zeitraum von vier Stunden, sodass entsprechend 0,4 ‰ abzuziehen sind.
Es ergibt sich eine Blutalkoholkonzentration von 2,48 ‰ – 0,4 ‰ = 2,08 ‰.
C. Zweiter Tatkomplex: Anklage vom 00.00.0000 – 39 Js 39/20
1.
Der Angeklagte hat sich i. R. d. hiesigen Hauptverhandlung zum zweiten Tatkomplex (Fälle 168 bis 170) nicht eingelassen. Geäußert hat er sich lediglich in Bezug auf die Videosequenz VID-20190511-WA0001.mp4, welche nicht Gegenstand der Anklage ist; hier hat er angegeben, er sei derjenige, der schläft, er habe nichts gemacht. Im Ermittlungsverfahren sowie gegenüber den Sachverständigen Dr. M5 und Prof. Dr. O hat er sich zu kinder- oder jugendpornografischem Bildmaterial lediglich in allgemeiner Form geäußert. So gab er bei der Beschuldigtenvernehmung durch den Polizeibeamten KHK B an, mit „Kinder Dings Bums“ bzw. „Kinderpornokacke“ habe er nichts mehr zu tun, das habe er hinter sich. In der Exploration durch Dr. M5 bestritt er pauschal ein sexuelles Interesse an Kindern, in der Exploration durch Prof. Dr. O behauptete er zu der dem Urteil des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 zugrunde liegenden Tat, er sei da im Internet „reingerutscht“, „ruckzuck“ sei man „in dem Mist drin“.
2.
Die Kammer ist von dem zu den Fällen 168 und 169 festgestellten Sachverhalt überzeugt. Ebenso ist sie davon überzeugt, dass das oben unter II.A.14.c) genannte Video VID-20190511-WA0001.mp4, das ebenso wenig Gegenstand der Anklagen ist wie der darin dokumentierte sexuelle Übergriff, zeigt, wie der Angeklagte den Nebenkläger, während dieser schläft, anal penetriert oder das zumindest versucht.
a)
Bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten am 00.00.0000 wurden neben weiteren Speichermedien zwei Mobiltelefone I – Asservate MT 1.11 (IMEI1: 865879030192620, IMEI2: 865879030216627) und MT 100 (IMEI: 865689048415677) – sichergestellt. Zur Sicherstellung des Asservats MT 1.11 verhält sich der Vermerk vom 00.00.0000 „Spur 18 – Auswertung der Daten auf dem sichergestellten Mobiltelefon MT 1.11“ der KOK‘in U. Aufgrund des Extraktionsberichts P (Sonderband Lichtbilder Bd. II, Trennblatt 1, Bl. 2-5) steht fest, dass die Videodateien VID-20190404-WA0061.mp4 und VID-20190404-WA0062.mp4 auf diesem Mobiltelefon (Asservat MT 1.11) gespeichert waren.
Bei der Durchsuchung der Wohnung des Zeugen I5 am 00.00.0000 wurde ausweislich des auf den 00.00.0000 datierten Durchsuchungs-/Sicherstellungsprotokolls der KOK’in H1 ein Mobiltelefon „N“ sichergestellt, welches nach dem Beweissicherungsbericht des KOK B1 vom 00.00.0000 auf den Zeugen I5 registriert war und am 00.00.0000 für das vorliegende Verfahren an das PP S übergeben wurde. Zur Auswertung dieses Mobiltelefons verhält sich der Extraktionsbericht N (RM-1154). Daraus ergibt sich, dass auf dem Mobiltelefon N des Zeugen I5 u.a. die Videodateien VID-20190404-WA0001.mp4, VID-20190404-WA0002.mp4, VID-20190408-WA0001.mp4, VID-20190408-WA0002.mp4, VID-20190408-WA0003.mp4, VID-20190408-WA0004.mp4 und VID-20190408-WA0005.mp4 sowie die Datei VID-20190511-WA0001.mp4 gespeichert waren.
b)
Die Kammer hat die Videosequenzen aus den Dateien VID-20190404-WA0001.mp4 = VID-20190404-WA0061.mp4, VID-20190404-WA0002.mp4 = VID-20190404-WA0062.mp4, VID-20190408-WA0001.mp4, VID-20190408-WA0002.mp4, VID-20190408-WA0003.mp4, VID-20190408-WA0004.mp4, VID-20190408-WA0005.mp4 und VID-20190511-WA0001.mp4, auf denen die festgestellten Handlungen und Abläufe zu sehen sind, in Augenschein genommen.
Die Kammer ist aufgrund der Inaugenscheinnahme der Videosequenzen wegen der sekundengenau identischen Abläufe auch von der Identität der Videos mit den Dateinamen VID-20190404-WA0002.mp4 und VID-20190404-WA0062.mp4 sowie VID-20190404-WA0001.mp4 und VID-20190404-WA0061.mp4 überzeugt.
c)
Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass es sich bei den auf den Videos mit den Dateibezeichnungen VID-20190404-WA0001.mp4, VID-20190404-WA0002.mp4, VID-20190408-WA0001.mp4, VID-20190408-WA0002.mp4, VID-20190408-WA0003.mp4, VID-20190408-WA0004.mp4, VID-20190408-WA0005.mp4 sowie dem Video VID-20190511-WA0001.mp4 zu sehenden Personen um den Nebenkläger und – soweit eine weitere Person abgebildet ist – den Angeklagten handelt.
Sie stützt sich dabei auf das Gutachten des Facharztes für Rechtsmedizin Dr. N2 (Institut für Rechtsmedizin F), einen Vergleich der Videos mit den Fotos, die die Polizei von der Wohnung des Angeklagten gemacht hat, sowie auf die Aussage des Zeugen I5. Danach unterliegt es jedenfalls in der Gesamtschau keinem vernünftigen Zweifel, dass die Videos den Nebenkläger und – soweit eine weitere Person abgebildet ist – den Angeklagten zeigen.
aa)
(1)
Der Sachverständige Dr. N2 gelangt in seinem in der Hauptverhandlung mündlich erstatteten Gutachten zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Person, an der auf den Videos, welche Gegenstand der Fälle 168 und 169 sind, die festgestellten sexuellen Handlungen vorgenommen werden bzw. die in unbekleidetem Zustand aufgenommen wird, stets um dieselbe Person handle und diese mit großer Wahrscheinlichkeit der Nebenkläger sei. Lediglich hinsichtlich des Videos VID-20190511-WA0001.mp4, welches nicht Gegenstand der Anklage ist, könne er dies nicht sagen, da hier nur die wenig aussagekräftige Rückenpartie zu sehen sei; jedoch könne er auch nicht ausschließen, dass es sich um den Nebenkläger handle. Soweit in den vorgenannten Videos, einschließlich VID-20190511-WA0001.mp4, eine „aktive“ Person zu erkennen sei, die sexuelle Handlungen an der anderen, „passiven“ Person vornehme, handle es sich bei dieser Person in sämtlichen der Videoaufnahmen um dieselbe Person und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um den Angeklagten.
Hinsichtlich des Nebenklägers stützt der Sachverständige seine Feststellungen auf die Ergebnisse einer von ihm selbst am 00.00.0000 an diesem durchgeführten körperlichen Untersuchung sowie die Inhalte der vorgenannten Videodateien. Der Nebenkläger habe im Zeitpunkt der körperlichen Untersuchung am 00.00.0000 im Bereich beider Leisten sowie Oberschenkelvorderseiten in deren hüftnahen Dritteln multiple, teilweise schräggestellte, bis zu 8 x 0,5 cm messende, rötliche, teilweise weiß auslaufende sogenannte Dehnungsstreifen (Striae) aufgewiesen. Ähnliche Hautveränderungen hätten sich im Bereich beider Oberarme beugeseitig, ausgeprägter am linken Arm, befunden. Derartige Striae veränderten sich mit der Zeit. Es seien Striae, die mit den bei dem Nebenkläger am 00.00.0000 festgestellten in Übereinstimmung zu bringen seien, auch bei der in den Videos VID-20190404-WA0001.mp4, VID-20190404-WA0002.mp4, VID-20190408-WA0001.mp4, VID-20190408-WA0002.mp4, VID-20190408-WA0003.mp4, VID-20190408-WA0004.mp4 und VID-20190408-WA0005.mp4 „passiven“ Person zu erkennen. Die Dehnungsstreifen seien – wie bei dem Nebenkläger – sehr kräftig ausgebildet und wiesen charakteristische Muster auf, die mit den bei dem Nebenkläger festgestellten deckungsgleich seien. Zudem sprächen der Entwicklungsstand der Genitalien und die Ausprägung der Schambehaarung am ehesten für einen Jugendlichen. Er schätze das Alter des Jugendlichen auf ungefähr 15 Jahre, es könne sich aber ggf. auch um eine bereits volljährige Person handeln, da hinsichtlich des Entwicklungsstands der Genitalien eine erhebliche Streubreite zu berücksichtigen sei.
Bezüglich des Angeklagten stützt der Sachverständige seine Feststellungen auf die Ergebnisse einer wiederum von ihm selbst am 00.00.0000 an diesem durchgeführten körperlichen Untersuchung sowie die Inhalte der vorgenannten Videodateien. Der Angeklagte weise eine zu mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu treffenden Feststellungen führende Vielzahl körperlicher Merkmale auf, die auch die in den Videos „aktive“ Person aufweise. Im Einzelnen handle es sich dabei insbesondere um eine Narbe an der rechten Hand zwischen erstem und zweitem Finger, Muttermale am Grund- und Endglied des Daumens sowie am Mittelgelenk des kleinen Fingers. Ferner wiesen die zu vergleichenden Personen eine charakteristische Narbe am rechten Unterarm auf. An der linken Hand seien ein Muttermal am Daumen, eine Narbe an der Kuppe des linken Ringfingers sowie bei der Person auf den Videoaufnahmen eine Verletzung am Zeigefinger vorhanden. Am linken Unterarm der Person auf der Videoaufnahme VID-20190408-WA0005.mp4 befinde sich eine bläuliche Verfärbung, die ein Tattoo sein könne. Der Angeklagte habe dort eine Tätowierung. Auch soweit das Gesicht der handelnden Person zu erkennen sei, weise diese mit dem Angeklagten übereinstimmende Merkmale in Gestalt einer Narbe an der rechten Augenbraue, einer Hautveränderung am rechten Oberlid sowie eines Muttermals auf der rechten Wange auf. Auch die Muttermale am rechten Ohrläppchen stimmten überein, ebenso die Muttermale am Bauch. Ferner sei die Nasenform sowohl bei dem Angeklagten als auch der „aktiven“ Person in den Videosequenzen in derselben Weise charakteristisch.
Es seien keine körperlichen Merkmale bei den auf den Videoaufnahmen erkennbaren Personen vorhanden, die mit den bei dem Angeklagten und dem Nebenkläger vorhandenen nicht in Einklang zu bringen seien und damit zum Ausschluss der Identität führten.
(2)
Die Kammer schließt sich der Einschätzung des Sachverständigen nach eigener Sachprüfung an. Die Ausführungen des forensisch erfahrenen Sachverständigen Dr. N2, der seine Beurteilung auf zutreffende Anknüpfungstatsachen stützt, sind auch für medizinische Laien nachvollziehbar und schlüssig.
Zwar ist der Sachverständige in einem schriftlichen Gutachten, das er im Ermittlungsverfahren erstattet hatte, teilweise zu einer anderen Beurteilung gelangt. Hier sollte er sich über die körperliche Untersuchung des Nebenklägers hinaus dazu äußern, ob auf sechs Fotos, die ausschließlich die Genitalregion eines jungen Mannes zeigten, aus rechtsmedizinischer Sicht der Nebenkläger zu sehen sei; eine körperliche Untersuchung des Angeklagten nebst einem Vergleich der Untersuchungsergebnisse mit Bildmaterial war nicht Gegenstand des Auftrags. In seinem schriftlichen Gutachten gelangte der Sachverständige mit Blick auf Lage und Form von auf den Fotos zu erkennenden Dehnungsstreifen zu dem Ergebnis, es sei möglich, dass die Fotos den Nebenkläger zeigten. Diese Einschätzung unterscheidet sich hinsichtlich der Aussagebestimmtheit von der Beurteilung in der Hauptverhandlung; hier hat der Sachverständige ausgeführt, auf den Videos, die Gegenstand der Fälle 168 und 169 sind, sei mit großer Wahrscheinlichkeit der Nebenkläger zu sehen.
Jedoch hat der Sachverständige den Widerspruch in der Hauptverhandlung erklärt. Die sechs Fotos seien nach Zahl und Aussagekraft lediglich eine schmale Beurteilungsgrundlage gewesen, Ausbildungsgrad und Muster der Dehnungsstreifen habe er darauf nicht gut erkennen können. Eine bestimmtere Aussage als die, es sei möglich, dass sie den Nebenkläger zeigten, hätten sie deshalb nicht erlaubt. Anders verhalte es sich mit dem ihm von der Kammer zur Verfügung gestellten Videomaterial; dieses sei umfangreich und lasse den Ausbildungsgrad sowie das Muster der Dehnungsstreifen in diversen Einstellungen gut erkennen.
Die Erklärung des Sachverständigen löst den Widerspruch nach Ansicht der Kammer auf. Dass nicht mehr zu rekonstruieren war, welche Fotos ihm im Ermittlungsverfahren vorlagen, und seine Erklärung deshalb in tatsächlicher Hinsicht nicht im Einzelnen nachgeprüft werden konnte, hat die Kammer gesehen.
Die Feststellungen des Sachverständigen sind für die Kammer anhand der in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Lichtbilder aus den körperlichen Untersuchungen des Angeklagten und des Nebenklägers sowie der ebenfalls in Augenschein genommenen Videos mit den Dateibezeichnungen VID-20190404-WA0001.mp4, VID-20190404-WA0002.mp4, VID-20190408-WA0001.mp4, VID-20190408-WA0002.mp4, VID-20190408-WA0003.mp4, VID-20190408-WA0004.mp4, VID-20190408-WA0005.mp4 sowie VID-20190511-WA0001.mp4, auf denen die von dem Sachverständigen beschriebenen körperlichen Merkmale zu erkennen sind, aufgrund eigener Anschauung nachvollziehbar.
Zudem ist in jeweils einer Sequenz der Videos VID-20190408-WA0005.mp4 und VID-20190511-WA0001.mp4 das Gesicht des Angeklagten zu sehen. Dieses ist unabhängig von den Merkmalen, die der Sachverständige herangezogen hat, auch für einen Laien auf den ersten Blick wiederzuerkennen.
Zu den von dem Sachverständigen beschriebenen körperlichen Merkmalen gilt im Einzelnen Folgendes:
(a)
Auf dem Video VID-20190404-WA0001.mp4 sind an der regungslos liegenden Person, beispielsweise bei 00:03, am linken Oberschenkel in der Leistengegend drei deutlich rötliche, streifenförmige Hautveränderungen zu erkennen, von denen die mittlere in ihrer Form an den Buchstaben T erinnert. Identisch aussehende Veränderungen finden sich auch an der regungslos liegenden Person auf dem Video VID-20190408-WA0001.mp4, wo diese etwa bei 00:08 zu sehen sind. Hier ist zugleich zu sehen, dass sich auf dem rechten Oberschenkel, ebenfalls in der Leistengegend, vergleichbare Hautveränderungen befinden, von denen eine, unmittelbar neben dem Skrotum, die Form eines C oder Halbmonds aufweist. Eine ebenso aussehende Hautveränderung weist auch die liegende Person auf dem Video VID-20190408-WA002.mp4, neben den linksseitig beschriebenen Hautveränderungen, sichtbar etwa bei 00:03, auf. Die bei der Person aus VID-20190404-WA0001.mp4 am linken Oberschenkel beschriebenen Hautveränderungen sind augenscheinlich identisch bei der liegenden Person auf den Videos VID-20190404-WA002.mp4, nur teilweise sichtbar etwa bei 00:54, VID-20190408-WA0003.mp4, sichtbar beispielsweise bei 00:04, VID-20190408-WA0004.mp4, sichtbar etwa bei 00:23, und VID-20190408-WA0005.mp4, sichtbar z.B. bei 00:12, vorhanden.
Die liegende Person weist zudem in keinem der Videos auffällige Hautveränderungen auf, die auf einem der anderen Videos trotz entsprechenden Bildausschnitts nicht zu erkennen wären.
Auch die von dem Sachverständigen festgestellte Vereinbarkeit der Hautveränderungen der „passiven“ Person in den vorgenannten Videosequenzen mit denen, die beim Nebenkläger am 00.00.0000 festgestellt wurden, ist anhand der in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Lichtbilder, die bei der körperlichen Untersuchung gefertigt wurden, für die Kammer ohne Weiteres nachzuvollziehen. Insbesondere im Vergleich des linken Oberschenkels zeigen sich dabei lediglich leichte Veränderungen der Form der rötlichen Streifen in Bezug zu der Person auf den Videos bei identischer Lage der Hautveränderungen. Zudem war bei dem Nebenkläger auf den am 00.00.0000 gefertigten Lichtbildern links im oberen Leistenbereich eine einzelne, streifenförmige Rötung zu erkennen, die neben den weiteren Veränderungen linksseitig am Oberschenkel auch an der regungslos liegenden Person auf dem Video VID-20190408-WA005.mp4, z.B. bei 00:11, zu erkennen ist.
(b)
An der in dem Video VID-20190404-WA0001.mp4 am Penis der liegenden Person manipulierenden rechten Hand sind bei 00:10 eine gegenüber der umgebenden Haut hellere Veränderung, augenscheinlich eine Narbe, zwischen Daumen und Zeigefinger sowie bei 00:20 ein Muttermal am Daumenendglied auf der zum Zeigefinger weisenden Seite sichtbar. Bei 00:14 wird darüber hinaus erkennbar, dass am mittleren Glied des kleinen Fingers innen sowie am Grundglied des Daumens auf dem Handrücken ebenfalls Muttermale vorhanden sind. Eine augenscheinlich identische Narbe zwischen Daumen und Zeigefinger sowie ein an derselben Stelle befindliches Muttermal am Daumengrundgelenk sind auch an der rechten Hand in dem Video VID-20190404-WA002.mp4 bei 00:07 deutlich zu sehen. Bei 00:16 sind zudem Muttermale am Daumenendglied sowie innen am kleinen Finger zu sehen, die in Lage und Form denen in VID-20190404-WA0001.mp4 entsprechen. Bei 00:55 ist am linken Unterarm auf der Beugeseite des Handgelenks eine weitere, elliptische, helle Hautveränderung, vereinbar mit einer Narbe, zu erkennen.
Auch die rechte Hand, die in VID-20190511-WA0001.mp4 z.B. bei 00:53 zu sehen ist, weist die Narbe zwischen Daumen und Zeigefinger, wie sie in den vorgenannten Videos zu sehen ist, auf. Bei 00:38 der Videosequenz ist ein Muttermal rechtsseitig am Bauch oberhalb des Bauchnabels, bei 01:10 am rechten Oberschenkel in der Hüftgegend eine dunkle Hautveränderung sowie bei 04:13 eine rötliche Hautveränderung am rechten Bein kurz vor dem Knie zu erkennen.
Auf dem Video VID-20190408-WA0001.mp4 sind an der linken Hand der an dem Penis der liegenden Person manipulierenden Person bei 00:06 ein mit einer Narbe vereinbarer Streifen auf der Kuppe des Ringfingers sowie augenscheinlich eine Verletzung auf der Oberseite des unteren Zeigefingerglieds zu sehen. Bei 00:55 ist zudem an der zum Zeigefinger weisenden Seite des Daumens unterhalb des Mittelgelenks ein Muttermal zu erkennen. Eine augenscheinlich identische Verletzung am Zeigefinger sowie ein nach Form und Lage ebensolches Muttermal am Daumen sind an der linken Hand in VID-20190408-WA003.mp4 bei 00:12 sichtbar. Bei 01:19 ist auf der für einen kurzen Moment zu sehenden Ringfingerkuppe ein von dem in VID-20190408-WA0001.mp4 nicht zu unterscheidender Streifen zu erkennen. Auch an der linken Hand in VID-20190408-WA0005.mp4 sind bei 00:26 in Form, Färbung und Lage identische Veränderungen in Gestalt der Verletzung am Zeigefinger sowie des Muttermals am Daumen zu sehen. Auch die z.B. bei 01:37 länger sichtbare Ringfingerkuppe weist dieselbe Narbe auf wie in den vorgenannten Aufnahmen. Am Unterarm wird bei 06:30 und 07:38 auf der Oberseite nahe des Handgelenks eine bläuliche Verfärbung, bei der es sich um eine Tätowierung handeln kann, erkennbar.
An dem in VID-20190408-WA0005.mp4 im Profil abgebildeten Gesicht sind an der rechten Augenbraue auf der zur Schläfe weisenden Seite eine mit einer Narbe vereinbare Unterbrechung des Haarwuchses, eine knotige Hautveränderung am Oberlid des rechten Auges in Richtung des äußeren Augenwinkels sowie ein Muttermal auf der rechten Wange zu erkennen. Am rechten Ohrläppchen sind mehrere Muttermale vorhanden.
In keinem der Videos fehlen bei der handelnden Person Merkmale, die bei Identität in allen Videos im sichtbaren Bildausschnitt zu erwarten wären.
Auch die Feststellung des Sachverständigen Dr. N2, dass es sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um den Angeklagten handle, ist für die Kammer anhand der in Augenschein genommenen Lichtbilder der körperlichen Untersuchung des Angeklagten vom 00.00.0000 nachvollziehbar.
Insbesondere sind auf den in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Lichtbildern des Angeklagten eine von den in VID-20190408-WA0005.mp4 zu sehenden Merkmalen optisch nicht zu unterscheidende Narbe an der rechten Augenbraue, Hautveränderung am rechten Oberlid sowie ein Muttermal auf der Wange und mehrere am Ohrläppchen zu erkennen. Am linken Unterarm hat der Angeklagte ein schwärzlich/bläuliches Tattoo mit dem Text „BVB 09“. Die Ringfingerkuppe der linken Hand des Angeklagten weist an der Stelle, an der in den oben beschriebenen Videosequenzen ein Streifen zu sehen ist, eine Narbe auf. Am Daumen der linken Hand hat er ein Muttermal, das in Lage und Form dem in den vorstehend beschriebenen Videos sichtbaren gleicht. An der rechten Hand hat der Angeklagte eine hell von der übrigen Haut abgesetzte Narbe zwischen Daumen und Zeigefinger sowie Muttermale an Daumen und kleinem Finger, die in Form und Lage den bereits beschriebenen, in den Videosequenzen dargestellten, gleichen. Weiterhin hat er am rechten Unterarm im Bereich des Handgelenks an der Innenseite eine Narbe, die von der in VID-20190404-WA0002.mp4 abgebildeten nicht zu unterscheiden ist. Am Bauch des Angeklagten befindet sich in derselben Lage wie bei der handelnden Person in VID-20190511-WA0001.mp4 ein Muttermal. An seinem rechten Oberschenkel befinden sich eine optisch von der in VID-20190511-WA0001.mp4 nicht zu unterscheidende Pigmentveränderung sowie eine rötliche, identisch geformte Hautveränderung oberhalb des rechten Knies an der Oberschenkelinnenseite.
bb)
Der Vergleich der Videos mit den Fotos, die die Polizei von der Wohnung des Angeklagten gemacht hat, spricht ebenfalls dafür, dass die Videos, welche den Gegenstand der Verurteilung in den Fällen 168 und 169 bilden, sowie das Video VID-20190511-WA0001.mp4 den Nebenkläger und – soweit eine zweite Person abgebildet ist – den Angeklagten zeigen.
(1)
Die Kammer ist davon überzeugt, dass alle Videos in der Wohnung des Angeklagten aufgenommen wurden.
Auf dem Video VID-20190404-WA0001.mp4 ist als Unterlage ein ganz hellblaues oder weißes Flanellbetttuch zu erkennen, welches augenscheinlich mit dem im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung als Teil des „Schlaflagers“ aufgefundenen Bettzeug (Sonderband Lichtbilder Bd. IV, Lichtbildmappe „Tatort Hochstr. 113“, Bilder 013, 014, 018) identisch ist. Dasselbe Betttuch ist auch in dem Video VID-20190404-WA0002.mp4 zu sehen. Ferner ist im Hintergrund in VID-20190404-WA0002.mp4 und VID-20190408-WA0005.mp4 ein Heizkörper zur erkennen, dessen Position im Verhältnis zu der Schlafstätte den räumlichen Gegebenheiten in der Wohnung des Angeklagten entspricht (Sonderband Lichtbilder Bd. IV, Lichtbildmappe „Tatort Hochstr. 113“, Bilder 002, 013, 018). In VID-20190404-WA0002.mp4 und VID-20190511-WA0001.mp4 ist zudem ein kleiner Heizlüfter abgebildet, der aussieht und in demselben Bereich des Raums steht wie der bei der Wohnungsdurchsuchung aufgefundene (Sonderband Lichtbilder Bd. IV, Lichtbildmappe „Tatort Hochstr. 113“, Bilder 002, 018). Auf den Videos VID-20190408-WA0005.mp4 sowie VID-20190511-WA0001.mp4 ist auf dem Boden in der Nähe des Heizkörpers ein rotes Licht zu erkennen, bei dem es sich offenbar um den Schalter einer Steckdosenleiste handelt, wie sie in der Wohnung des Angeklagten in diesem Bereich aufgefunden wurde (Sonderband Lichtbilder Bd. IV, Lichtbildmappe „Tatort Hochstr. 113“, Bilder 002, 013). Ferner ist in VID-20190511-WA0001.mp4 sowie VID 2019-0404-WA0002.mp4 im Hintergrund schemenhaft ein Wäscheständer zu erkennen, wie er ebenfalls in der Wohnung des Angeklagten aufgefunden wurde (Sonderband Lichtbilder Bd. IV, Lichtbildmappe „Tatort Hochstr. 113“, Bilder 016, 018).
Neben dem bereits beschriebenen Betttuch ist auf den Videos VID-20190408-WA0001.mp4, VID-20190408-WA0002.mp4, VID-20190408-WA0003.mp4, VID-20190408-WA0004.mp4 und VID-20190408-WA0005.mp4 Bettwäsche mit Hunden vor blau-grünem Hintergrund zu sehen. Bei der Bettwäsche handelt es sich augenscheinlich um die Bettwäsche, die im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung bei dem Angeklagten aufgefunden wurde (Sonderband Lichtbilder Bd. IV, Lichtbildmappe „Tatort Hochstr. 113“, Bild 013, 033).
In dem Video VID-20190511-WA0001.mp4 ist eine Bettwäsche mit Emojis auf weißem und hellblauem Untergrund zu erkennen, bei der es sich augenscheinlich um die bei dem Angeklagten im Rahmen der Wohnungsdurchsuchung aufgefundene handelt (Sonderband Lichtbilder Bd. IV, Lichtbildmappe „Tatort Hochstr. 113“, Bilder 018, 019).
(2)
Der Entstehungsort der Videos (Wohnung des Angeklagten) legt nahe, dass es sich bei den auf den Videos zu sehenden Personen um den Nebenkläger und – soweit eine weitere Person abgebildet ist – den Angeklagten handelt. Die Kammer ist davon überzeugt. In der Wohnung lebten im Tatzeitraum nur der Angeklagte, der Nebenkläger sowie der Vater des Angeklagten. Dass die Videos den Vater des Angeklagten zeigen, ist vor allem mit Blick auf sein Alter wenig wahrscheinlich. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte in dieser Zeit mit einer Person außer dem Nebenkläger sexuelle Kontakte hatte – der Angeklagte selbst gibt in seiner Einlassung an, sämtliche gegenüber dem Zeugen I5 behaupteten sexuellen Kontakte zu anderen Jugendlichen oder Kindern seien erfunden.
cc)
Auch die insoweit glaubhaften Angaben des Zeugen I5 sprechen dafür, dass es sich bei den abgebildeten Personen um den Nebenkläger und den Angeklagten handelt.
Der Zeuge I5 hat bekundet, der Angeklagte habe ihm viele Bilder und Videos von dem Nebenkläger, den er ihm gegenüber „M4“ genannt habe, geschickt – auch solche, auf denen die Vornahme sexueller Handlungen an diesem zu sehen gewesen sei. Das erste Bildmaterial von „M4“ habe er ungefähr zwei Monate nachdem er den Angeklagten kennengelernt habe, noch vor dem ersten Treffen, erhalten. Auf dem ihm übersandten Bildmaterial sei das Gesicht des „M4“ nicht zu sehen gewesen, sondern nur dessen Genitalien bzw. der Po. Der Angeklagte habe ihm erzählt, er habe die Videos gefertigt, während der Junge geschlafen habe. „M4“ schlafe „wie ein Stein“ und habe die nachts vorgenommenen sexuellen Handlungen nicht mitbekommen.
Auf Vorhalt u.a. der Videosequenzen, die Gegenstand der Fälle 168 und 169 sind, sowie des Videos VID-20190511-WA0001.mp4 hat der Zeuge zu mehreren der ihm gezeigten Aufnahmen angegeben, sich konkret an die dargestellten Inhalte als solche des von dem Angeklagten erhaltenen Materials erinnern zu können. Im Übrigen müsse das Bildmaterial ebenfalls von dem Angeklagten stammen, da er in dem damaligen Zeitraum ausschließlich von ihm entsprechende Bilder und Videos erhalten habe. Zudem hat der Zeuge auch hinsichtlich der Videosequenzen, von denen er angegeben hat, sich nicht konkret an die ihm gezeigten Inhalte erinnern zu können, bekundet, darauf den von dem Angeklagten „M4“ genannten Jungen zu erkennen. Bei dem auf dem Bildmaterial dargestellten Jungen seien „Striemen“ in der Leistengegend zu erkennen, von denen der Angeklagte ihm, dem Zeugen, gegenüber auf Nachfrage erklärt habe, diese rührten daher, dass er und „M4“ sich nach dem Baden gegenseitig nass rasierten. Im Nachhinein habe ihn gewundert, dass auf den Bildern und Videos Schamhaare bei dem „M4“ zu sehen gewesen seien, was mit der Erzählung des Angeklagten nicht zusammengepasst habe. Er erkenne den Jungen zudem an Größe und Form der Hoden und des Penis‘ als den „M4“ wieder. Der Angeklagte sei von der Größe des Penis bezogen auf das Alter des Jungen begeistert gewesen.
Lediglich zu dem Video VID-20190511-WA0001.mp4 hat der Zeuge bekundet, ihm sei zwar ein Video übersandt worden, auf dem zu erkennen gewesen sei, wie der Angeklagte sich an dem Nebenkläger „anal vergangen“ habe. Auf dem Video, an welches er sich erinnere, sei der Angeklagte zu sehen gewesen, wie er den Penis des Nebenklägers „bearbeitet“ und ihn „anal genommen“ habe. Das Gesicht des Angeklagten sei (nur) auf diesem Video deutlich zu sehen gewesen, er habe auf den Zeugen einen „sehr beschwipsten“ Eindruck gemacht. Wenn ihm aber die Videosequenz VID-20190511-WA0001.mp4 vorgehalten werde, könne er sich nicht erinnern, dass auf dem ihm bekannten Video das Eindringen in dieser Deutlichkeit zu erkennen gewesen sei.
Die Angaben des Zeugen I5 sind glaubhaft. Insbesondere schildert er eigene Verwunderung sowie seine Nachfrage gegenüber dem Angeklagten hinsichtlich der „Striemen“ bei dem „M4“. Soweit es die Videodatei VID-20190511-WA0001.mp4 betrifft, geht die Kammer davon aus, dass der Zeuge sich in Bezug auf die Zuordnung des Videos irrt; die Videodatei wurde nämlich auf seinem Smartphone gefunden. Dass er Videos, die ihm der Angeklagte gesendet hat, nicht angesehen habe, behauptet er selbst nicht. Dafür gibt es auch ansonsten keine Hinweise.
d)
Die Kammer geht davon aus, dass die Videos VID-20190404-WA0001.mp4 und VID-20190404-WA0002.mp4 in einer Nacht und die Videos VID-20190408-WA0001.mp4, VID-20190408-WA0002.mp4, VID-20190408-WA0003.mp4, VID-20190408-WA0004.mp4 und VID-20190408-WA0005.mp4 in einer anderen Nacht durch den Angeklagten gefertigt wurden. Ebenso ist sie davon überzeugt, dass der Zeuge I5 die ersten beiden Videos am 00.00.0000 und die weiteren Videos am 00.00.0000 erhielt.
aa)
Dafür sprechen die automatisch generierten Dateinamen sowie die gesicherten Metadaten, von deren Inhalt sich die Kammer durch Inaugenscheinnahme sowie Selbstlesung der Extraktionsberichte I (Asservat MT 1.11) sowie N (RM-1154) zu überzeugen vermochte.
Aus den in den vorgenannten Extraktionsberichten enthaltenen Metadaten ergeben sich als Erstelldaten der Videodateien, die Gegenstand der Fälle 168 und 169 sind, der 00.00.0000 und der 00.00.0000, wie jeweils durch die automatisch erzeugten Dateinamen bereits nahe gelegt wird. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Erstelldaten und die automatisch erzeugten Dateinamen insoweit keinen zwingenden Schluss erlauben; nach den Ausführungen des sachverständigen Zeugen RBr Q3, der als polizeilicher Informatiker mit den Ermittlungen befasst war, hängt die Aussagekraft dieser Daten von den verschiedenen Datei- und Betriebssystemen ab. Ferner übersieht die Kammer nicht, dass die Erstelldaten die – teils späten – Vormittagsstunden der vorgenannten Tage ausweisen, während auf den Videoaufnahmen der umgebende Raum jeweils dunkel ist, was dafür spricht, dass es sich um die Daten der Versendung an den Zeugen I5 und der damit verbundenen Speicherung, zu der es nach den Ausführungen des Zeugen Q3 auch beim Versand über den Messengerdienst X (ggf. erneut) kommt, handelt. Hierfür spricht auch, dass die auf dem am 00.00.0000 sichergestellten Mobiltelefon I (Asservat MT 1.11) gespeicherten Videodateien VID-20190404-WA0061.mp4 und VID-20190404-WA0062.mp4 sich ausweislich des Extraktionsberichts unter dem Pfad: „Media/Interner SpeicherX/Media/X Video/Sent/…“ befanden, was für eine (erneute) Speicherung an diesem Ort bei der Versendung an den Zeugen I5 spricht. Auf dessen Mobiltelefon N waren die den vorgenannten inhaltlich entsprechenden Videodateien VID-20190404-WA0001.mp4 und VID-20190404-WA0002.mp4 – ebenso wie weitere Dateien, namentlich sämtliche Videos in den Fällen 168 und 169 – ausweislich der aus dem Extraktionsbericht ersichtlichen Metadaten unter dem Pfad: „Media/Phone/Pictures/X/…“ gespeichert, was für einen Empfang über den Messengerdienst X spricht. Ebenfalls mit dieser Annahme vereinbar sind die Uhrzeiten der Erstellung mit 10:15:34 Uhr (VID-20190404-WA0061.mp4) bzw. 10:25:55 Uhr (VID-20190404-WA0062.mp4) auf dem Mobiltelefon Huawei P Smart (Asservat MT 1.11) des Angeklagten und 10:23:11 Uhr (VID-20190404-WA0001.mp4) bzw. 10:31:35 Uhr (VID-20190404-WA0002.mp4) auf dem Mobiltelefon N des Zeugen I5.
bb)
Entscheidend für die Annahme der Kammer hinsichtlich der Erstellung der Videos sprechen indes die Inhalte der Aufnahmen selbst.
(1)
Wie bereits beschrieben, ist in den Videos VID-20190404-WA0001.mp4 und VID-20190404-WA0002.mp4 dasselbe Flanellbetttuch zu sehen. Eine leicht eingerollte Ecke dieses Betttuchs befindet sich in beiden Videosequenzen in identischer Weise zwischen den Beinen des Nebenklägers und ragt unmittelbar unterhalb des Hodensacks etwas auf dessen rechten Oberschenkel. Die Länge der Fingernägel des Angeklagten sowie der unrasierte Zustand des Genitalbereichs des Nebenklägers unterscheiden sich zwischen den Aufnahmen nicht. Ferner sind in diesen beiden Videos jeweils rechts neben dem Nebenkläger auf dem Betttuch zwei kleine Flecken (schwarz und gelblich) an derselben Stelle zu erkennen. Auf dem Bauch des Nebenklägers befindet sich auf dessen rechter Körperseite augenscheinlich Schmutz, der in beiden Aufnahmen an derselben Stelle liegt. Diese Anordnung, die sich durch erhebliche Bewegungen verändern würde und deren Vielzahl von Einzelelementen ein zufälliges erneutes Auftreten in genau dieser Form als fernliegend erscheinen lässt, spricht aus Sicht der Kammer für ein einheitliches Entstehungsdatum dieser beiden Videoaufnahmen.
Details, die gegen eine Entstehung der beiden Videoaufnahmen in derselben Nacht sprächen, sind nicht zu erkennen.
(2)
Ähnliches gilt für die Videos VID-20190408-WA0001.mp4, VID-20190408-WA0002.mp4, VID-20190408-WA0003.mp4, VID-20190408-WA0004.mp4 und VID-20190408-WA0005.mp4, die über die identische Bettwäsche hinaus ebenfalls Gemeinsamkeiten aufweisen, deren gleichzeitiges, zufälliges Auftreten die Kammer als fernliegend erachtet. Das rechte Bein des Nebenklägers ist in VID-20190408-WA0001.mp4, VID-20190408-WA0002.mp4, VID-20190408-WA0003.mp4 und VID-20190408-WA0005.mp4 nach außen gedreht und angewinkelt. In der Leistengegend rechts befindet sich auf allen fünf Videosequenzen auf Höhe des Penisansatzes ein schwarzer Schmutzpartikel. Soweit dieser Bildausschnitt auf den Videos zu sehen ist, liegt die Bettdecke auf dem linken Oberschenkel des Nebenklägers so in Falten, dass aus dem Muster der Bettwäsche eine gelbe und eine rote Blume auf dem grünen Teil des Hintergrunds stets an derselben Stelle – auch im Verhältnis zum Körper des Nebenklägers – zu sehen sind. Wo ein größerer Bildausschnitt gewählt wurde, ist aus dem Motiv der Bettwäsche neben dem linken Oberschenkel des Nebenklägers ferner kopfüber ein Hund mit heraushängender Zunge zu erkennen. Die Länge der Fingernägel des Angeklagten, die – soweit in den Videos zu sehen – etwas länger sind als auf VID-20190404-WA0001.mp4 und VID-20190404-WA0002.mp4, sowie der unrasierte Zustand des Genitalbereichs des Nebenklägers unterscheiden sich zwischen den Aufnahmen nicht.
Details, die gegen eine Entstehung dieser fünf Videoaufnahmen in derselben Nacht sprächen, sind auch hier nicht zu sehen.
e)
Aus dem zur Entstehung der Videos VID-20190408-WA0001.mp4, VID-20190408-WA0002.mp4, VID-20190408-WA0003.mp4, VID-20190408-WA0004.mp4 und VID-20190408-WA0005.mp4 innerhalb einer Nacht Ausgeführten folgt aus Sicht der Kammer auch, dass der Penis des Nebenklägers in den Videos VID-20190408-WA0002.mp4 und VID-20190408-WA0004.mp4, in denen keine sexuellen Handlungen zu sehen sind, vor der Aufnahme jeweils durch den Angeklagten stimuliert sowie in der Position auf dem Bauch des Nebenklägers aufliegend arrangiert wurde. Angesichts der in zahlreichen Einzelheiten mit den Videos VID-20190408-WA0001.mp4, VID-20190408-WA0003.mp4 und VID-20190408-WA0005.mp4, in denen jeweils eine deutliche Stimulation des Gliedes des Nebenklägers durch den Angeklagten dargestellt wird, übereinstimmenden äußeren Gegebenheiten spricht nichts dafür, dass es sich etwa um zufällige oder vom Angeklagten bei bloß abwartender Beobachtung gefertigte Aufnahmen einer im Schlaf selbständig aufgetretenen Erektion bei dem Nebenkläger handelte.
f)
Die Kammer ist weiterhin davon überzeugt, dass die Videodateien, die den Gegenstand der Verurteilung in den Fällen 168 und 169 bilden, zu einem Zeitpunkt entstanden sind, in welchem der Nebenkläger das 14. Lebensjahr bereits vollendet hatte, mithin Jugendlicher war.
Dabei hat die Kammer gesehen, dass die Aufnahmedaten der Videos nicht mit Sicherheit festgestellt werden können. Neben der Einschätzung des Sachverständigen Dr. N2, der das Alter des abgebildeten Jugendlichen aufgrund des Entwicklungsstands der Genitalien sowie der Ausprägung der Schambehaarung mit ungefähr 15 Jahren unter Berücksichtigung ggf. deutlicher Abweichungen, vor allem nach oben, angegeben hat, spricht für die Annahme der Kammer auch der Umstand, dass der Angeklagte die Videos, die Gegenstand der Fälle 168 und 169 sind, sowie das weitere, den Nebenkläger zeigende Bildmaterial, das im Rahmen der Hauptverhandlung in Augenschein genommen wurde, vorrangig für den Zeugen I5, nicht zum Eigengebrauch, erstellt hat. Abgesehen davon, dass der Angeklagte den Zeugen I5 mit seinen Erzählungen bezüglich der Beziehung zu „M4“ offenkundig zu beeindrucken versuchte, schließt die Kammer dies daraus, dass das in die Hauptverhandlung eingeführte jugendpornografische Bildmaterial, das den Nebenkläger zeigt, nur noch teilweise auf dem Mobiltelefon I (Asservat MT 1.11) des Angeklagten gespeichert war. Eine deutlich größere Zahl von Dateien, insbesondere sämtliche Videodateien, die Gegenstand der Fälle 168 und 169 sind, wurde dagegen ausweislich des Extraktionsberichts N (RM-1154) auf dem sichergestellten Mobiltelefon des Zeugen I5 vorgefunden. Hätte der Angeklagte das Bildmaterial zunächst zum Eigengebrauch gefertigt und es dem Zeugen I5 lediglich bei Gelegenheit verschafft, wäre dagegen zu erwarten gewesen, dass sämtliche Dateien auch noch auf einem der in seiner Wohnung sichergestellten Datenträger gespeichert gewesen wären.
Ausgehend hiervon erscheint es fernliegend, dass die Videodateien in den Fällen 168 und 169 vor dem 14. Geburtstag des Nebenklägers, mithin zu einem Zeitpunkt, in dem der Angeklagte den Zeugen I5 noch nicht kannte, gefertigt wurden. Vielmehr sprechen alle Umstände für einen Aufnahmezeitpunkt im Frühjahr 0000, kurz vor der Versendung der Dateien an den Zeugen I5.
g)
Schließlich ist die Kammer auch davon überzeugt, dass sich das Mobiltelefon I (Asservat MT 1.11) bei der Durchsuchung und davor im Besitz des Angeklagten befand, insbesondere schließt sie einen Besitz des Nebenklägers und des Vaters des Angeklagten aus.
Neben den vorgenannten Umständen spricht hierfür auch, dass die zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen I5 u.a. am 00.00.0000 ausgetauschten SMS, zu denen sich der Extraktionsbericht I „SMS-Mitteilungen (47)“ (Sonderband Lichtbilder Bd. III, Trennblatt A, Bl. 1-4) verhält, unter Verwendung dieses Mobiltelefons gesendet wurden. Die Inhalte der oben unter II.A.14.c) auszugsweise wiedergegebenen Kommunikation, u.a. die Erwähnung von „Stress mit deinem Vater“ durch den Zeugen I5 sowie der Austausch pädosexueller Fantasien, worauf durch den anderen Teilnehmer des Chats jeweils auch eingegangen wird, deuten auf den Angeklagten hin. Ferner war im Kalender des Mobiltelefons I (Asservat MT 1.11) ausweislich des Extraktionsberichts I „Kalender (1)“ (Sonderband Lichtbilder Bd. III, Trennblatt A, Bl. 1) unter dem 00.00.0000 der Eintrag „Geburtstag L 14“ – tatsächlich handelte es sich um den 15. Geburtstag – enthalten, was auf eine Person als Benutzer hindeutet, der selbst nicht „L“ ist, dem „L“ aber ausreichend wichtig ist, um dessen Geburtstag abzuspeichern. Auch das passt zu dem Angeklagten.
Anhaltspunkte für eine Nutzung des Mobiltelefons durch den Nebenkläger, den Vater des Angeklagten oder eine andere Person haben sich nicht ergeben.
h)
Nach den Umständen steht zudem zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Angeklagte sowohl in Bezug auf den Besitz der Videodateien, die Gegenstand der Fälle 168 und 169 sind, als auch die Verschaffung des Besitzes an den Zeugen I5 vorsätzlich handelte, wobei ihm auch der jugendpornografische Charakter der Inhalte bewusst war. In Anbetracht der Tatsache, dass er die Aufnahmen selbst für den Zeugen I5 gefertigt hatte, spricht namentlich nichts dafür, dass er diese ohne Vorsatz über den reinen Versendungsvorgang hinausgehend besaß, da ihm bereits bewusst sein musste, dass die Versendung der Videodateien ihre vorherige Speicherung voraussetzte.
3.
Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Feststellungen im Fall 170 ebenfalls richtig sind.
Zu den Speichermedien, die bei der Wohnungsdurchsuchung am 00.00.0000 sichergestellt wurden, zählt neben dem soeben genannten Mobiltelefon I nach dem Vermerk der KHK’in T1 vom 00.00.0000 „Auswertungsbericht N1“ das Mobiltelefon N2.
a)
Über die Ergebnisse der technischen Auswertung der Mobiltelefone verhalten sich, soweit hier von Interesse, der Extraktionsbericht I (Sonderband Lichtbilder Bd. III, Trennblatt G, Bl. 1-12) sowie der Extraktionsbericht N2 „Videos (81)“.
Danach steht fest, dass auf dem hier in Rede stehenden Mobiltelefon I die Videodateien VID-20191124-WA0133.mp4, VID-20191124-WA0138.mp4, VID-20191124-WA0141.mp4, VID-20191218-WA0051.mp4 sowie VID-20191210-WA0000.mp4 gespeichert waren.
Die Videodateien befanden sich unter den Pfaden „…X/Media/X Video/VID-20191124-WA0133.mp4“, „…X/Media/X Video/ VID-20191124-WA0138.mp4“, „…X/Media/X Video/ VID-20191124-WA0141.mp4“, „…X/Media/X Video/VID-20191218-WA0051.mp4“ und „…X/Media/X Video/VID-20191210-WA0000.mp4“. Die Metadaten nennen für die ersten drei Dateien als Erstelltag den 00.00.0000. Für die vierte Videodatei ist den Metadaten der 00.00.0000 als Erstelltag zu entnehmen, hinsichtlich der fünften Videodatei nennen sie den 00.00.0000. Auf diese Tage weisen zudem die automatisch erzeugten Dateinamen hin. Die Kammer schließt daraus, dass die Dateien seit diesen Tagen auf dem Mobiltelefon gespeichert waren. Dass die Erstelldaten und die automatisch erzeugten Dateinamen insoweit keinen zwingenden Schluss erlauben, hat sie auch hier nicht übersehen.
Desgleichen steht nach dem Extraktionsbericht N1 „Videos (81)“ fest, dass auf dem Mobiltelefon N2 die Videodateien VID-20150502-WA008.3gp sowie VID-20150425-WA0051.mp4 gespeichert waren. Das erste Video befand sich unter dem Pfad „...X/Media/X Video/VID-20150502-WA008.3gp"; die Metadaten nennen als Erstell-, Änderungs- und Zugriffstag den 00.00.0000, auf das Datum weist darüber hinaus der automatisch erzeugte Dateiname hin. Das zweite Video fand sich unter „...X/Media/X Video/VID-20150425-WA0051.mp4“; die Metadaten nennen als Erstell-, Änderungs- und Zugriffstag den 00.00.0000, auf das Datum weist auch hier zudem der automatisch erzeugte Dateiname hin. Wiederum zieht die Kammer hieraus den Schluss, dass die Dateien seit diesen Tagen auf dem Mobiltelefon gespeichert waren.
In dem Ordner X/Media/X Video/... wurden bzw. werden per X übermittelte Videodateien automatisch abgelegt, wobei sich in dem Extraktionsbericht I im Unterschied zu dem Extraktionsbericht N2 „Videos (81)“ für verschiedene Videodateien, die nicht Gegenstand des Urteils sind, auch der weitere Pfad „...X/Media/X Video/Sent/…“ findet. Der Speicherort rechtfertigt deshalb für beide Mobiltelefone zunächst den Schluss, dass die hier in Rede stehenden Videodateien per X übermittelt worden waren. Hinsichtlich der auf dem Mobiltelefon I gespeicherten Videodateien ist zudem der Schluss gerechtfertigt, dass es sich bei den hier in Rede stehenden Videodateien um solche handelt, die von dem Gerät empfangen worden waren; ginge es um von dem Gerät gesendete Videodateien, wäre der Pfad „...X/Media/X Video/Sent/…“ zu erwarten. Für die auf dem Mobiltelefon N1 gespeicherten Videodateien erlaubt der Speicherort X/Media/X Video/… dagegen keine Aussage dazu, ob die hier in Rede stehenden Videodateien von dem Gerät gesendet oder empfangen worden waren. Für die Datei VID-20150425-WA0051.mp4 zeigt jedoch die Auswertung der auf dem Mobiltelefon gespeicherten Chatverläufe, dass es sich bei der Videodatei um eine solche handelt, die von dem Gerät gesendet worden war. Der Extraktionsbericht N2 – Chats X führt das Video in dem oben unter I.7 teilweise dargestellten X-Chat mit „C“ auf, zum Status der Datei heißt es „Gesendet“.
b)
Die Kammer ist davon überzeugt, dass sich die Mobiltelefone bei der Durchsuchung und davor im Besitz des Angeklagten befanden, insbesondere schließt sie einen Besitz des Nebenklägers und des Vaters des Angeklagten aus.
Hinsichtlich des Mobiltelefons N1 ergab die technische Auswertung durch die Polizei, dass zum Nutzer des Geräts die Angabe „I (Eigentümer)“ gespeichert war. So weist der Extraktionsbericht N2 – Chats X für den X-Chat mit „C“ neben dem Nutzer des Partneranschlusses, der unter „[email protected] C“ gespeichert war, als Teilnehmer „I (Eigentümer)“ aus. Dass das Mobiltelefon tatsächlich von dem Angeklagten genutzt wurde, wird auch durch den Wortlaut des oben unter I.7 wiedergegebenen Auszugs aus dem X-Chat mit „C“ nahegelegt. So stellt sich der Teilnehmer „I (Eigentümer)“ am 00.00.0000 zunächst mit den Worten „Bin aus S 40 […]“ und wenig später zusätzlich mit „Bin der I“ vor. Wohnort („S“), damaliges Alter („40“) und Vorname („I“) deuten auf den Angeklagten hin. Anhaltspunkte für eine Nutzung des Mobiltelefons durch den Nebenkläger, den Vater des Angeklagten oder eine andere Person haben sich nicht ergeben.
c)
Den Inhalt der beiden Videos auf dem Mobiltelefon N1 entnimmt die Kammer dem Vermerk der KK’in N3 vom 00.00.0000 „Auswertung MT103, Video und SMS“, die Polizeibeamtin hat die Videos gesehen und in dem Vermerk beschrieben. Darüber hinaus hat sich die Kammer anhand von Standbildern ein eigenes Bild verschafft. Sie hat aus der Videodatei VID-20150502-WA008.3gp insgesamt vier Standbilder in Augenschein genommen, auf denen die festgestellte Handlungssequenz zu sehen ist. Dabei ist auf dem ersten Bild der Sequenz zu erkennen, wie der Junge den Penis eines augenscheinlich erwachsenen in den Mund nimmt, während ihm ein weiterer Penis anal eingeführt wird. Auf dem letzten Bild der Sequenz ist das Gesäß des Jungen von oben zu sehen, während er von einem augenscheinlich erwachsenen Mann anal penetriert wird. Aus der Videodatei VID-20150425-WA0051.mp4 hat die Kammer insgesamt vier Standbilder in Augenschein genommen, auf denen die festgestellte Handlungssequenz zu sehen ist. Die bekleidete Person ist aufgrund des im Bild sichtbaren Ausschnitts des Körpers als erwachsener Mann zu erkennen. Der Genitalbereich des Mannes, an dem der Oralverkehr durchgeführt wird, ist vollständig behaart. Aus dem Größenunterschied zu dem Kind ist ebenfalls auf einen Erwachsenen zu schließen.
Von dem Inhalt der Videos auf dem Mobiltelefon I hat sich die Kammer ebenfalls anhand von Standbildern ein eigenes Bild verschafft. Sie hat aus der Videodatei VID-20191124-WA0133.mp4 insgesamt 16 Standbilder in Augenschein genommen, auf denen die festgestellte Handlungssequenz zu sehen ist, wobei am rechten unteren Bildrand die Laufzeit angegeben wird. Aus der Videodatei VID-20191124-WA0138.mp4 hat sie insgesamt 16 Standbilder in Augenschein genommen, auf denen die festgestellte Handlungssequenz zu sehen ist, wobei am rechten unteren Bildrand die Laufzeit angegeben wird. Insbesondere ist auf dem elften Standbild der Sequenz bei 07:35 zu sehen, wie der eine Junge den Penis des anderen fast vollständig im Mund hat. Auf den letzten beiden Standbildern ist bei 10:21 und 11:02 die anale Penetration des einen Jungen durch den anderen, der seinen eigenen Penis mit der rechten Hand umfasst hält, zu sehen. Die Kammer hat aus der Videodatei VID-20191124-WA0141.mp4 insgesamt 16 Standbilder in Augenschein genommen, auf denen die festgestellte Handlungssequenz zu sehen ist, wobei am rechten unteren Bildrand die Laufzeit angegeben wird. Die Person, an der der Oralverkehr durchgeführt wird, ist aufgrund der voll ausgebildeten Intimbehaarung als Erwachsener zu erkennen. Aus der Videodatei VID-20191218-WA0051.mp4 hat sie insgesamt 16 Standbilder in Augenschein genommen, auf denen die festgestellte Handlungssequenz zu sehen ist, wobei am rechten unteren Bildrand die Laufzeit angegeben wird. Schließlich hat die Kammer aus der Videodatei VID-20191210-WA0000.mp4 insgesamt 16 Standbilder in Augenschein genommen, auf denen die festgestellte Handlungssequenz zu sehen ist, wobei am rechten unteren Bildrand die Laufzeit angegeben wird. Dabei ist insbesondere im vierten Bild der Sequenz bei 02:12 der unbehaarte Genitalbereich des Kindes mit vollständig erigiertem Penis zu sehen. Auf den letzten drei Bildern der Sequenz sind die Bilder (07:40, 08:13, 08:46) im Bereich der Hand des Jungen, die seinen Penis umfasst, unscharf, was auf Bewegung schließen lässt.
d)
Die Kammer ist aufgrund der in Augenschein genommenen Standbilder hinsichtlich der auf den beiden Mobiltelefonen gespeicherten, hier in Rede stehenden Videos auch vom kindlichen Alter der dargestellten Jungen bzw. des dargestellten Mädchens überzeugt. Ihr Intimbereich – soweit im Bildausschnitt sichtbar – weist noch keine Schambehaarung auf. Auch im Übrigen ist keinerlei Körperbehaarung sichtbar. Die Gesichter und der Körperbau wirken jeweils insgesamt noch deutlich kindlich. Die dargestellten Jungen haben überdies noch keinen erkennbaren Bartwuchs. Die Brüste des Mädchens sind nicht erhaben.
e)
Die Kammer ist nach den Umständen ferner davon überzeugt, dass die Videodateien auf den beiden Mobiltelefonen gespeichert waren, damit der Angeklagte sie jederzeit aufrufen und betrachten konnte. Dass er die Videos ohne Vorsatz besaß, schließt die Kammer aus. Insbesondere spricht nichts dafür, dass der Angeklagte das Vorhandensein der Dateien auf den beiden Mobiltelefonen nicht wenigstens für möglich hielt. Zwar wurden die Dateien in dem Ordner X/Media/X Video/... automatisch (also ohne Zutun des Angeklagten) abgelegt, auch handelt es sich bei den Videos mit Ausnahme der Datei VID-20150425-WA0051.mp4, möglicherweise auch mit Ausnahme der Datei VID-20150502-WA008.3gp, um solche, die – wiederum ohne Zutun des Angeklagten – von den Geräten empfangen worden waren. Jedoch ist die automatische Speicherung übermittelter Videos in dem Ordner X/Media/X Video/... ein Umstand, der dem X-Nutzer regelmäßig bekannt ist. Dass es sich bei dem Angeklagten, der nach dem Vermerk der KK’in N3 vom 00.00.0000 „Auswertung MT103, Video und SMS“ allein auf dem I mehrere hundert Videodateien gespeichert hatte, ausnahmsweise anders verhielt, liegt wenig nahe.
Schließlich ist die Kammer davon überzeugt, dass ihm das kindliche Alter der dargestellten Jungen bzw. des dargestellten Mädchens sowie der kinderpornographische Charakter der Darstellungen bewusst waren. Für Fehlvorstellungen des Angeklagten zum Alter der Jungen bzw. des Mädchens oder zum kinderpornographischen Charakter der Darstellungen spricht nichts.
IV.
Nach den getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in insgesamt 163 Fällen (Fälle 1 bis 163), sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen in 301 rechtlich zusammentreffenden Fällen (Fall 164), sexuellen Übergriffs (Fall 165), gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen (Fälle 166 und 167), Drittbesitzverschaffung jugendpornografischer Schriften in zwei Fällen, hier jeweils in Tateinheit mit Besitz jugendpornografischer Schriften (Fälle 168 und 169), und wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften (Fall 170) strafbar gemacht.
1.
Insbesondere waren die von dem Angeklagten an dem Nebenkläger vorgenommenen sexuellen Handlungen in Gestalt der Ausübung des Oralverkehrs bei diesem auch mit einem Eindringen in den Körper im Sinne des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F. verbunden. Die Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals setzt kein Eindringen in den Körper des Opfers voraus, sondern erfasst auch das Eindringen in den Körper des Täters (BGH, Urteil vom 16.06.1999 – 2 StR 28/99 – NJW 1999, 2977).
2.
Ferner hat sich der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen gemäß § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB in 301 rechtlich zusammentreffenden Fällen (Fall 164) strafbar gemacht.
Der Nebenkläger befand sich nach den getroffenen Feststellungen spätestens im Zeitpunkt seines 14. Geburtstags in einer Zwangslage im Sinne des § 182 Abs. 1 StGB.
Für dieses Tatbestandsmerkmal ist eine ernste persönliche oder wirtschaftliche Bedrängnis des Opfers kennzeichnend. Vorausgesetzt werden Umstände von Gewicht, denen die spezifische Gefahr anhaftet, sexuellen Übergriffen gegenüber einem Jugendlichen in der Weise Vorschub zu leisten, dass sich der Jugendliche ihnen nicht ohne Weiteres entziehen kann. Es müssen gravierende, das Maß des für Personen im Alter und in der Situation des Jugendlichen Üblichen deutlich übersteigende Umstände vorliegen, die geeignet sind, die Entscheidungsmöglichkeiten des Jugendlichen gerade über sein sexuelles Verhalten einzuschränken (BGH, Beschluss vom 16.04.2008 – 5 StR 589/07 – NStZ-RR 2008, 238; BGH, Beschluss vom 25.02.1997 – 4 StR 40/97 – NStZ 1997, 386).
Diese Voraussetzungen lagen in der Person des Nebenklägers vor. Er war am 00.00.0000 aus der Wohngruppe entwichen, seither galt er als vermisst und wurde polizeilich gesucht. Im Zeitpunkt seines 14. Geburtstags war er bereits mehr als ein dreiviertel Jahr bei dem Angeklagten untergetaucht. Er hielt – wobei diese Bewertung auch unter Anwendung eines Mindestmaßes an vernünftiger Beurteilung (vgl. Fischer, § 182 Rn. 6) als tragfähig erscheint – eine Rückkehr in die Wohngruppe für ausgeschlossen und eine endgültige Trennung von seiner Familie mit geschlossener Unterbringung im Fall seines „Wiederauftauchens“ für gewiss. Er betrachtete seine Lage – nach obigem Maßstab berechtigterweise – als ausweglos und sah keine Möglichkeit mehr, seinen Aufenthalt bei dem Angeklagten zu beenden. Eine Möglichkeit, anderweitig Unterschlupf zu finden, sah er nicht. Aus seiner Sicht war es daher unumgänglich, den Angeklagten beim Oralverkehr an ihm gewähren zu lassen, um nicht „rausgeworfen“ oder von dem Angeklagten nicht mehr mit Lebensmitteln, Zigaretten, usw. versorgt zu werden.
Bei der Bewertung der festgestellten Situation als Zwangslage im Sinne des § 182 Abs. 1 StGB hat die Kammer auch gesehen, dass nicht jegliche sexuelle Autonomie des Nebenklägers aufgehoben war. So konnte der Nebenkläger durchgehend den Oralverkehr am Angeklagten verweigern und der Angeklagte ließ einmal von einer analen Penetration mit dem Finger oder Glied ab, als er merkte, dass der Nebenkläger dies nicht wollte. Ernste Konsequenzen hatte dieser Widerstand nicht. Der Angeklagte gab sich darauf zwar beleidigt oder wütend; dass er den Nebenkläger vor die Tür setzen werde, wenn er sich seinen sexuellen Wünschen verweigere, äußerte er aber nie. Davon, dass der Nebenkläger in der Lage gewesen wäre, situationsadäquat zu reagieren und die sexuellen Übergriffe des Angeklagten insgesamt zu beenden (vgl. BGH, Beschluss vom 16.04.2008 – 5 StR 589/07 – NStZ-RR 2008, 238), kann allerdings keine Rede sein.
Der Angeklagte hat die Zwangslage zur Begehung der sexuellen Handlungen ausgenutzt.
Er erkannte sowohl die Zwangslage des Nebenklägers als auch deren jedenfalls Mitursächlichkeit für die Duldung der Vornahme von sexuellen Handlungen, wobei er es auch für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, dass allein die Zwangslage den Grund dafür bildete, dass der Nebenkläger die sexuellen Handlungen zuließ. Die Kammer hat dabei auch in den Blick genommen, dass die bestehende Zwangslage in erheblichem Maße durch das Verhalten des Nebenklägers mitverursacht wurde. Indes steht dieser Umstand einem Ausnutzen durch den Angeklagten nicht entgegen. Die Zwangslage des Nebenklägers wäre mit seinem 18. Geburtstag, nach dem die von ihm befürchteten Folgen seines „Wiederauftauchens“ nicht mehr drohten, beendet worden. Dementsprechend hatte der Angeklagte in der zur Verwirklichung des Tatbestandsmerkmals vorausgesetzten Weise Einfluss auf deren Fortbestand oder Vertiefung (vgl. BGH, Beschluss vom 25.02.1997 – 4 StR 40/97 – NStZ 1997, 386; Fischer, § 182 Rn. 9), indem er bis zu diesem Zeitpunkt über den Verbleib des Nebenklägers in seinem Haushalt und die Weitergewährung der Versorgung mit Lebensmitteln, Zigaretten, usw. bestimmen konnte.
Dass das Verhältnis zu dem Nebenkläger für den Angeklagten Züge einer Liebesbeziehung trug und er sich einredete, wenigstens der Oralverkehr gefalle auch dem Nebenkläger, ändert an dem Ausnutzen der Zwangslage nichts (vgl. Fischer, § 182 Rn. 9).
Der ebenfalls verwirklichte Tatbestand des § 182 Abs. 2 StGB tritt hinter Abs. 1 zurück (Fischer, § 182 Rn. 26 mwN).
Die an dem Nebenkläger vorgenommenen 301 sexuellen Handlungen werden sowohl durch die einheitliche Entgeltabrede, die während des gesamten Aufenthalts des Nebenklägers im Haushalt des Angeklagten jedenfalls die Gewährung von Kost und Logis beinhaltete, als auch die durchgehend vorhandene Zwangslage zu einer Einheit zusammengefasst. Aufgrund der einheitlichen Entgeltabrede und der fortbestehenden Zwangslage stellen sich die insgesamt 301 tatsächlichen Handlungen des Angeklagten als einheitlich zusammengefasstes Tun dar, da die einzelnen Begehungsakte durch die gemeinsamen Elemente sowohl der Entgeltabrede als auch der Zwangslage miteinander verbunden sind (vgl. zur Entgeltabrede BGH, Beschluss vom 16.09.2020 – 2 StR 529/19 – NStZ-RR 2021, 45; zur Zwangslage Renzikowski in MüKoStGB, 4. Aufl. 2021, § 182 Rn. 73). An der Bedeutung der einheitlichen Entgeltabrede für die Frage des Vorliegens einer Handlungseinheit ändert auch das Zurücktreten des § 182 Abs. 2 StGB hinter dessen Abs. 1 im Wege der Gesetzeskonkurrenz nichts.
Für das Vorliegen getrennter Tatentschlüsse des Angeklagten hinsichtlich der einzelnen sexuellen Handlungen, die zur Annahme von Tatmehrheit führen könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 16.09.2020 – 2 StR 529/19 – NStZ-RR 2021, 45), ergeben sich keine Anhaltspunkte.
Die Kammer hat den Umstand, dass die 301 sexuellen Handlungen eine Tat im Rechtssinne sind, in der Urteilsformel durch die Wendung „in 301 rechtlich zusammentreffenden Fällen“ zum Ausdruck gebracht. Sie stützt sich hierbei auf eine Parallele zur Tenorierung bei gleichartiger Tateinheit.
3.
Zudem hat sich der Angeklagte im Fall 165 wegen eines sexuellen Übergriffs gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB strafbar gemacht.
Dabei genügt es für die Annahme eines vollendeten sexuellen Übergriffs im Sinne der Norm, dass der Angeklagte mit einer sexuellen Handlung am Körper des schlafenden Nebenklägers begonnen hatte. Unerheblich ist, dass der Nebenkläger dadurch, dass der Angeklagte versuchte, dessen Glied in seinen Anus einzuführen, erwachte (vgl. BGH, Urteil vom 13.03.2019 – 2 StR 597/18 – NStZ-RR 2019, 223). Der Bewertung der Tat als vollendeter sexueller Übergriff gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB steht es ferner nicht entgegen, dass es zu einem Eindringen in den Anus des Angeklagten nicht gekommen ist. Die Norm setzt lediglich die Vornahme sexueller Handlungen voraus. An der Erheblichkeit der objektiv und subjektiv sexualbezogenen Handlungen, die bereits mit dem Versuch des Angeklagten, sich das Glied des Nebenklägers anal einzuführen, verbunden waren, besteht kein Zweifel.
Die Tat erfüllt nicht zugleich den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§ 176 Abs. 1 StGB a.F.). Zwar ist zwischen dem sexuellen Übergriff gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB und dem sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§ 176 Abs. 1 StGB a.F.) Tateinheit möglich. Jedoch ließ sich hier nicht klären, ob die Tat vor oder nach dem 14. Geburtstag des Nebenklägers begangen wurde. Die Kammer geht deshalb nach dem Zweifelssatz hier davon aus, dass der Nebenkläger zur Tatzeit bereits 14 Jahre alt war. Dies ist für den Angeklagten günstig. Bei Annahme von Tateinheit wäre die Strafe dem Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB a.F. zu entnehmen (§ 52 Abs. 2 S. 1 StGB), dort ist eine schwerere Strafe angedroht.
4.
In dem Fällen 166 und 167 hat sich der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 StGB strafbar gemacht.
Bei der mit heißem Kaffee gefüllten Kanne handelt es sich ebenso wie bei der Whiskeyflasche nach ihrer Beschaffenheit wie auch nach der Art ihrer Verwendung als Wurfgeschoss um ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 StGB. Unerheblich ist dabei, ob auch der in der Kanne befindliche Kaffee selbst dem Werkzeugbegriff unterfiele (vgl. BGH, Urteil vom 27.01.2011 – 4 StR 487/10 – NStZ-RR 2011, 275 mwN).
5.
In den Fällen 168 und 169 hat sich der Angeklagte wegen Drittbesitzverschaffung jugendpornografischer Schriften gemäß § 184c Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. jeweils in Tateinheit mit deren Besitz gemäß § 184c Abs. 3 StGB a.F. strafbar gemacht.
Im Fall 169 hat die Kammer gesehen, dass die Videosequenzen VID-20190408-WA0002.mp4 und VID-20190408-WA0004.mp4 keine sexuellen Handlungen an dem Nebenkläger zum Gegenstand haben und dieser – wie in den übrigen Videos, die der Verurteilung in den Fällen 168 und 169 zugrunde liegen – offenbar schläft. Dies steht der Annahme einer unnatürlich geschlechtsbetonten Haltung im Sinne des § 184c Abs. 1 Nr. 1 lit. b) StGB a.F. indes nicht entgegen. Der Tatbestand erfordert insbesondere nicht, dass die Person die unnatürlich geschlechtsbetonte Körperhaltung selbst eingenommen hat, sondern verlangt nur deren Wiedergabe in dieser Haltung, sodass auch die Darstellung einer schlafenden Person als tatbestandsmäßig in Betracht kommt (vgl. BT-Drs. 18/2601, S. 32, 29 f.).
In den Videosequenzen VID-20190408-WA0002.mp4 und VID-20190408-WA0004.mp4 ist der Nebenkläger – unabhängig von der umstrittenen Frage, ob die Abbildung im Schlaf unwillkürlich eingenommener Posen noch vom Wortlaut des § 184c Abs. 1 Nr. 1 lit. b) StGB a.F. umfasst ist (vgl. dazu Eisele in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 184b Rn. 13 mwN; BT-Drs. 18/2601, S. 30; Fischer, § 184b Rn. 6) – in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung wiedergegeben, da die teilweise Erektion sowie die Positionierung seines Penis‘ auf Handlungen des Angeklagten beruhen. Die Körperhaltung des Nebenklägers ist insbesondere auch geschlechtsbetont im Sinne der Norm. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/2601, S. 32, 29 f.) sollen durch den Tatbestand der Wiedergabe in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung namentlich solche Fälle erfasst werden, in denen bei einem wachen Kind bzw. Jugendlichen eine sexuelle Handlung, z.B. durch das Spreizen der Beine mit Zurschaustellung unbedeckter Genitalien, vorläge (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17.12.1997 – 3 StR 567/97 – NStZ 1998, 351). „Geschlechtsbetont“ ist mithin im Sinne eines Sexualbezugs zu verstehen (vgl. Fischer, § 184b Rn. 9). Indem durch die Positionierung des Penis‘ des Nebenklägers, der zudem teilweise erigiert ist, der Blick des Betrachters, ähnlich wie beim Spreizen der Beine, unmittelbar auf den Genitalbereich gelenkt wird, wodurch der Betrachter offenkundig sexuell provoziert werden soll (vgl. BGH, Beschluss vom 17.12.1997 – 3 StR 567/97 – NStZ 1998, 351), ist der erforderliche Sexualbezug der Körperhaltung, in welcher der Nebenkläger auf den Videos zu sehen ist, gegeben.
Die Drittbesitzverschaffung jugendpornografischer Schriften gemäß § 184c Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. und deren Besitz gemäß § 184c Abs. 3 StGB a.F. stehen zueinander jeweils in Tateinheit gemäß § 52 StGB. Der Besitz tritt nicht hinter der Drittbesitzverschaffung zurück, da der Angeklagte die Videodateien, die den Gegenstand der Verurteilung in den Fällen 168 und 169 bilden, zeitlich über die Besitzverschaffung an den Zeugen I5 hinaus in seinem Datenbestand hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 03.05.2019 – 3 StR 86/19 – NStZ-RR 2019, 210; BGH, Beschluss vom 15.01.2020 – 2 StR 321/19 – NStZ-RR 2020, 212 (dort jeweils zum Verhältnis von Besitz und Verbreitung)).
Die beiden Taten der Drittbesitzverschaffung jugendpornografischer Schriften jeweils in Tateinheit mit deren Besitz (Fälle 168 und 169) stehen zueinander in Tatmehrheit gemäß § 53 StGB. Der durchgehende Besitz der jugendpornografischen Schriften verklammert die selbstständigen Handlungen der Drittbesitzverschaffung, die an zwei unterschiedlichen Tagen vorgenommen wurden, nicht zu einer Tat im Rechtssinne. Der Tatbestand des Besitzes bleibt in seinem Unwertgehalt, der in der Strafandrohung zum Ausdruck kommt, hinter dem der Drittbesitzverschaffung zurück (vgl. BGH, Beschluss vom 14.06.2018 – 3 StR 180/18 – BeckRS 2018, 19227 Rn. 21 (dort zum Verhältnis Besitz und Verbreitung)).
6.
Darüber hinaus hat sich der Angeklagte im Fall 170 wegen des Besitzes kinderpornografischer Schriften gemäß § 184b Abs. 3 StGB a.F. strafbar gemacht.
Einer Verurteilung des Angeklagten im Fall 170 wegen der auf dem Mobiltelefon N1 gespeicherten Videodateien (VID-20150502-WA008.3gp und VID-20150425-WA0051.mp4) stand insbesondere nicht das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs mit Blick auf das Urteil des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 (Az.: 26b Ls-39 Js 168/13-7/18) entgegen. Dabei hat die Kammer gesehen, dass die Dateien schon seit dem 00.00.0000 bzw. 00.00.0000 im Datenbestand des Angeklagten waren. Es konnte insoweit weder festgestellt noch sicher ausgeschlossen werden, dass diese Inhalte Gegenstand des Urteils des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 gewesen sind, da dort Dateinamen oder Teile davon nur vereinzelt genannt werden und auch die Beschreibung der Bildinhalte teils erkennbar exemplarisch ist. Hierauf kommt es indes im Ergebnis nicht an, da die Verurteilung ggf. eine Zäsur bildete, sodass auch der Weiterbesitz der Dateien bis zur Wohnungsdurchsuchung am 00.00.0000 materiell-rechtlich und prozessual als eigenständige Tat nach § 184b Abs. 3 StGB a.F. zu bewerten wäre, bezüglich deren ein Strafklageverbrauch durch das Urteil vom 00.00.0000 ersichtlich nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 14.06.2018 – 3 StR 180/18 – BeckRS 2018, 19227 Rn. 19).
V.
Der Angeklagte war bei Begehung der Taten uneingeschränkt schuldfähig (§§ 20, 21 StGB). Das Unrecht der Taten, hinsichtlich deren er sich geständig eingelassen hat, war ihm bei ihrer Begehung schon nach seiner eigenen Einlassung bewusst. Auch im Übrigen gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass er das Unrecht der Taten verkannt haben könnte. Zudem war seine Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, bei Begehung der Taten nicht aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe aufgehoben oder erheblich vermindert. Hiervon ist die Kammer aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen Dr. M5 und Prof. Dr. O überzeugt.
Die Sachverständigen Dr. M5 und Prof. Dr. O haben bei dem Angeklagten keine für die Frage der Schuldfähigkeit relevante psychische Störung oder Intelligenzminderung im Sinne der ICD-10 diagnostiziert. Die Sachverständige Prof. Dr. O geht hinsichtlich des Alkoholkonsums des Angeklagten davon aus, dass dieser wohl als schädlicher Gebrauch (ICD-10: F.10.1) einzuordnen sei, diese mögliche Störung indes in keinem kausalen Zusammenhang zu den Tatvorwürfen stehe. Insbesondere haben die Sachverständigen eine Persönlichkeitsstörung, eine forensisch relevante Störung der Sexualpräferenz (ICD-10: F65, insb. F65.4) sowie ein organisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma (ICD-10: F07.2) ausgeschlossen.
Die Kammer schließt sich der Einschätzung der Sachverständigen hier sowie im Folgenden an.
Die Gutachten der Sachverständigen Dr. M5 und Prof. Dr. O überzeugen.
Die Sachverständigen konnten sich auf eine breite Beurteilungsgrundlage stützen. Sie haben den Angeklagten ausführlich, die Sachverständige Dr. M5 an einem, die Sachverständige Prof. Dr. O an zwei Terminen, exploriert und die Beweisaufnahme überwiegend persönlich verfolgt. Soweit Beweise in Abwesenheit der Sachverständigen erhoben wurden, hat die Kammer sie über die Ergebnisse der Beweisaufnahme informiert; soweit lediglich eine der Sachverständigen abwesend war, erfolgte die Information teils auch durch die anwesend gewesene Sachverständige.
Die Sachverständigen sind von zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen. Ihre Ausführungen sind auch für Laien durchgehend nachvollziehbar und plausibel.
An der Sachkunde der Gutachterinnen bestehen keine Zweifel. Beide sind bereits langjährig als Gutachterinnen in gerichtlichen Verfahren tätig und daher forensisch erfahren.
Die Kammer folgt den – schon aus sich heraus überzeugenden – Gutachten nach eigener Sachprüfung.
1.
Zwar attestieren die Sachverständigen dem Angeklagten narzisstische sowie dissoziale Züge, eine Persönlichkeitsstörung stellten diese jedoch nicht dar. Diese Persönlichkeitszüge zeigten sich namentlich in Form der durch den Angeklagten in der Vergangenheit begangenen Straftaten, eines Empathiemangels, einer begrenzten Verantwortungsübernahme und Anstrengungsbereitschaft sowie in narzisstischen Attitüden. Die narzisstischen Persönlichkeitszüge hätten sich im Rahmen der Exploration durch die Sachverständige Prof. Dr. O darin gezeigt, dass der Angeklagte z.B. über seine Fähigkeiten beim Kochen, seine Tätigkeit in der SPD oder als Fußballtrainer unter Herausstellung seiner Fähigkeiten von sich aus berichtet habe, was im Übrigen bei deutlichem Desinteresse an der Untersuchung nicht der Fall gewesen sei. Die dissozialen Persönlichkeitszüge zeigten sich insbesondere darin, dass der Angeklagte zwar eigenes Erleben mit innerer Beteiligung schildere, sich gegenüber anderen Menschen aber unempathisch und desinteressiert zeige. Er wirke insgesamt egozentrisch und zeige eine geringe Bereitschaft zur Introspektion und zum kritischen Hinterfragen des eigenen Verhaltens. Es zeigten sich zudem in seiner Persönlichkeit eine erhöhte Kränkbarkeit und Zynismus. Die dissozialen, aber auch die narzisstischen Persönlichkeitszüge seien bei dem Angeklagten deutlich ausgeprägt, erreichten jedoch nicht die Schwelle einer Persönlichkeitsstörung, die zudem definitionsgemäß bereits Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter voraussetze, die hier indes nicht festzustellen seien.
2.
In Bezug auf die Frage einer Störung der Sexualpräferenz (ICD-10: F65, insb. F65.4) des Angeklagten geht die Sachverständige Dr. M5 zunächst nicht von einer sexuellen Devianz im Sinne einer sexuellen Präferenz des Angeklagten für Kinder aus. Es offenbarten sich zwar in den dem Angeklagten vorgeworfenen Taten zum Nachteil des Nebenklägers pädophile Tendenzen, es gebe jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die primäre Sexualstruktur des Angeklagten durch eine entsprechend paraphile Neigung bestimmt sei. Der Angeklagte, der gegenüber der Sachverständigen angab, bisexuell zu sein und sich sexuell vorrangig für erwachsene Frauen zu interessieren, neige zu vielfältigen sexuellen Praktiken und sei nicht auf eine bestimmte, insbesondere normabweichende Form der sexuellen Betätigung fixiert. Namentlich liege bei ihm keine Kernpädophilie mit ausschließlich pädophiler Triebausrichtung vor. Dabei ist die Sachverständige Dr. M5 insbesondere – abweichend von den Angaben des Angeklagten ihr gegenüber und aus Sicht der Kammer zutreffend – davon ausgegangen, dass sich das sexuelle Interesse des Angeklagten überwiegend auf männliche Kinder und Jugendliche im pubertären Alter richte. Selbst unter dieser Prämisse sei das sexuelle Interesse an Kindern und Jugendlichen indes nicht von einem Ausprägungsgrad, der dazu führte, dass die strafrechtliche Verantwortlichkeit eingeschränkt wäre. Die dem Angeklagten vorgeworfenen Taten seien aus psychiatrischer Sicht am ehesten auf der Grundlage einer ich-schwachen, labilen und egozentrischen Persönlichkeit als regressives Verhaltensmuster im Rahmen der dissozialen Persönlichkeitsanteile und unter Ausnutzung der besonderen Situation zu erklären.
Die Sachverständige Prof. Dr. O diagnostiziert bei dem Angeklagten sehr deutliche pädosexuelle Muster. Ein pädosexuelles Interesse sei bereits aus der Verurteilung wegen des Besitzes kinder- und jugendpornografischer Schriften sowie aus den im vorliegenden Verfahren festzustellenden Taten zu schließen. Hierfür sei die Schilderung des ersten Geschlechtsverkehrs im Alter von 20 Jahren, mithin zu einem eher späten Zeitpunkt, ebenfalls eher typisch. Eine etwaige Beziehung zu einem erwachsenen Sexualpartner sei indes kein Ausschlusskriterium für entsprechende Neigungen. Eine mögliche Erklärung für die Taten sei auch das Ausweichen auf Kinder mangels eines passenden Partners. Indes sei der Umgang des Angeklagten mit Jugendlichen insgesamt auffällig und zeige eine auch sexuelle Affinität zu Personen dieser Altersgruppe. Unterstelle man die Anklagevorwürfe als zutreffend, sei bei dem Angeklagten ein sehr reges Interesse an Sexualität, welches sich wohl überwiegend auf gleichgeschlechtliche Kinder und Jugendliche beziehe, festzustellen.
Im Ergebnis seien die pädosexuellen Interessen des Angeklagten, wobei die Sachverständige ausdrücklich offen lässt, ob diese ausschließlicher Natur oder als sogenannte Nebenströmung einzuordnen sind, nicht von einem Störungswert, der aus fachwissenschaftlich-empirischer Sicht zu einer Beeinträchtigung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit führe. Für die Beurteilung des Schweregrads sei wesentlich, ob das sozial-strukturelle Funktionsniveau dadurch erheblich beeinträchtigt worden sei, es also zu einer Einengung der Lebensführung gekommen sei. Bei dem Angeklagten zeige eine etwaige Störung jedenfalls kein solches Ausmaß, dass es im Alltag außerhalb der Delikte zu Einschränkungen des sozialen Handlungsvermögens gekommen sei. Die Fantasien, Bedürfnisse oder Verhaltensweisen verursachten bei dem Angeklagten kein Leiden oder Beeinträchtigungen.
Die Kammer schließt sich der Einschätzung der Sachverständigen nach eigener kritischer Prüfung an. Unabhängig von der Frage, ob eine klinisch relevante Störung der Sexualpräferenz im Sinne pädosexueller Neigungen, was insbesondere die Sachverständige Prof. Dr. O explizit offen gelassen hat, vorliegt, erreicht eine solche jedenfalls keinen derartigen Ausprägungsgrad, dass sie als schwere andere seelische Störung im Sinne des § 20 StGB zu bewerten wäre. Eine festgestellte Pädophilie kann im Einzelfall als schwere andere seelische Störung im Sinne eines Eingangsmerkmals des § 20 StGB zu beurteilen sein, wenn Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch eine abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz der devianten Handlungen, Ausbau des Raffinements und gedankliche Einengung des Täters auf diese Praktik auszeichnen. Entscheidend ist, ob die sexuellen Neigungen die Persönlichkeit des Täters so verändert haben, dass er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen Hemmungen aufzubringen vermag (BGH, Urteil vom 25.03.2015 – 2 StR 409/14 – BeckRS 2015, 11387; BGH, Beschluss vom 12.12.2017 – 2 StR 414/17 – BeckRS 2017, 139727; BGH, Beschluss vom 23.02.2017 – 1 StR 362/16 – BeckRS 2017, 111440). Ausgehend von diesem Maßstab spricht nichts dafür, dass eine etwaig vorliegende Störung der Sexualpräferenz in dem von der Sachverständigen Prof. Dr. O erörterten Sinne bei dem Angeklagten im Tatzeitraum einen Schweregrad erreicht hätte, bei dem das Vorliegen einer anderen schweren seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB anzunehmen gewesen wäre. Zwar handelt es sich bei den vorliegend zur Verurteilung gelangten sexuellen Handlungen – soweit festzustellen – um die erstmalige Umsetzung der pädosexuellen Fantasien des Angeklagten in die Tat, sodass eine Intensitätssteigerung, ausgehend von dem zuvor bereits erfolgten Konsum von Kinder- und Jugendpornografie festzustellen ist. Ferner konnte nicht festgestellt werden, dass der Angeklagte im Tatzeitraum oder in einem diesem unmittelbar vorausgehenden Zeitraum Sexualkontakte zu erwachsenen Personen hatte. Dies konnte jedoch auch – namentlich mit Blick auf den Zeugen Van der Wal – nicht sicher ausgeschlossen werden. Indes spricht im Übrigen nichts dafür, dass die vorgenannten Voraussetzungen bei dem Angeklagten im Tatzeitraum vorlagen. Namentlich sind weder eine zunehmende Frequenz der Handlungen, die eine suchtartige Entwicklung erkennen ließe, noch ein Ausbau des Raffinements zu erkennen. Vielmehr wird in Gestalt des ausgeübten Oralverkehrs mit gleichbleibender Frequenz dieselbe Art sexueller Handlungen vorgenommen, die sich durchgehend gegen dasselbe Opfer, den Nebenkläger, richten. Anhaltspunkte für eine gedankliche Einengung des Angeklagten in dem für eine Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit vorausgesetzten Sinne finden sich ebenfalls nicht. Insbesondere nahmen die an dem Nebenkläger vorgenommenen sexuellen Handlungen, obwohl dieser – mit Ausnahme der kurzen Zeiten, in denen der Angeklagte, etwa zum Einkaufen oder für Arztbesuche die Wohnung verließ – nach der Aufnahme in den Haushalt des Angeklagten ständig mit diesem zusammen, mithin „verfügbar“, war, lediglich kurze Zeiträume in Anspruch, während daneben ein „normaler“ Alltag der beiden mit Aktivitäten unabhängig von irgendwelchen Sexualpraktiken bestand.
3.
Die Sachverständigen Dr. M5 und Prof. Dr. O haben ausgeschlossen, dass bei dem Angeklagten ein organisches Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma (ICD-10: F07.2) vorliegt oder im Tatzeitraum vorlag. Dieser Einschätzung schließt sich die Kammer an.
a)
Zwar geht die Kammer nach dem Gutachten des radiologischen Sachverständigen Dr. T2 davon aus, dass bei dem Angeklagten ein Zustand nach längere Zeit zurückliegendem Schädelhirntrauma vorliegt. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass bei dem Angeklagten in der am 00.00.0000 durchgeführten cranialen Computertomographie (CCT) Veränderungen des Gehirns rechts frontobasal, links frontobasal, links temporopolar und rechts parietal festzustellen seien, die aus medizinischer Sicht mit einem Residualzustand nach lange zurückliegendem schwerem Schädelhirntrauma gut in Einklang zu bringen seien. Diese Veränderungen seien in gleicher Weise bereits in Voraufnahmen aus den Jahren 0000 und 0000 nachzuweisen und hätten bereits 0000 längere Zeit zurückgelegen, was zumindest Jahre bedeute, wobei wenige Jahre von Jahrzehnten anhand der Aufnahmen nicht zu unterscheiden seien. Differentialdiagnostisch kämen wenige andere Erkrankungen als Ursache der Veränderungen in Betracht, die in Verbindung zu einer entsprechenden Krankheitsgeschichte stehen müssten. Die frontobasalen Veränderungen seien beinahe pathognomisch durch ein Trauma verursacht.
Der Sachverständige Dr. T2 hat sich dabei auf die Bildgebung mittels CCT (craniale Computertomographie) gestützt. Zunächst hatte er die Bildgebung mittels cranialer Magnetresonanztomographie empfohlen. Diese habe technisch bedingt einen höheren Parenchymkontrast und damit eine höhere Sensitivität. Auch würde sie aufgrund ihrer höheren Sensitivität auch subtile Veränderungen und damit die Gesamtausprägung einer traumatischen Schädigung besser erfassen. Von einer solchen MRT-Untersuchung wurde aber zum Schutz des Angeklagten abgesehen. Der Angeklagte hatte außerhalb der Hauptverhandlung angegeben, aufgrund eines Autounfalls in der Kindergartenzeit eine „Metallplatte im Kopf“ zu haben, die Beschaffenheit des eingebrachten Osteosynthesematerials und die Stärke der Verankerung im Gewebe des Schädels waren vor der Untersuchung nicht zweifelsfrei zu bestimmen, weshalb ferro- und elektromagnetische Effekte (starke Anziehungskräfte, Erwärmung des Materials) nicht sicher ausgeschlossen werden konnten.
Der Sachverständige Dr. T2 hat ausgeführt, dass das angewandte bildgebende Verfahren ebenso wie eine MRT-Untersuchung sichere Aussagen über die Intelligenz, die charakterliche Ausprägung oder pathologische Phänomene wie antisoziales oder psychopathisches Verhalten, Antriebssteigerung oder -minderung sowie Störungen im strukturellen Denken selbst dann, wenn sie im Prinzip mit Frontalhirnstrukturen und deren Schädigung in Zusammenhang zu bringen seien, generell nicht zuließe. Insbesondere sei die zunächst von ihm empfohlene Magnetresonanztomographie dem angewandten Verfahren nicht überlegen. Eine Schädigung des Gehirns, die wahrscheinlich von einem zurückliegenden, signifikanten Schädelhirntrauma stamme, sei so deutlich, dass aus sachverständiger Sicht eine zusätzliche MRT-Untersuchung nicht angezeigt sei. Im CCT blieben lediglich kleinste Schädigungen ggf. verborgen, auf die es für die Diagnosestellung indes nicht ankomme.
Für sichere, detaillierte Voraussagen psychopathologischer Phänomene seien diese bildgebenden Verfahren generell nicht geeignet, sie träten diesbezüglich eindeutig hinter die psychiatrisch-psychologische Diagnostik u.a. mit ihren testpsychologischen Verfahren zurück.
b)
Aus diesen Feststellungen folgt jedoch kein sog. Psychosyndrom.
Laut ICD-10 F07.2 folgt das organische Psychosyndrom einem Schädeltrauma, das meist schwer genug ist, um zur Bewusstlosigkeit zu führen. Es besteht aus einer Reihe verschiedenartiger Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel, Erschöpfung, Reizbarkeit, Schwierigkeiten bei Konzentration und geistigen Leistungen, Gedächtnisstörungen, Schlafstörungen und verminderter Belastungsfähigkeit für Stress, emotionale Reize oder Alkohol. Nach den diagnostischen Kriterien der ICD-10 müssen die Kriterien für F07 (Objektiver Nachweis (aufgrund körperlicher, neurologischer und laborchemischer Untersuchungen) und/oder Anamnese einer zerebralen Krankheit, Schädigung oder Funktionsstörung; Fehlen von Bewusstseinseintrübung oder ausgeprägten Gedächtnisstörungen; kein ausreichender oder überzeugender Beleg für eine andere Verursachung der Persönlichkeits- und Verhaltensstörung, die die Einordnung im Kapitel F6 rechtfertigen würde) vorliegen, die Anamnese muss ein Schädeltrauma mit Bewusstlosigkeit, das dem Beginn der Symptome bis zu vier Wochen vorausgegangen ist ergeben und mindestens drei der folgenden Merkmale müssen erfüllt sein:
1. Klagen über unangenehme Empfindungen und Schmerzen, wie Kopfschmerzen, Schwindel (meist ohne Merkmale einer typischen Vertigo), allgemeines Krankheitsgefühl, ausgeprägte Erschöpfung oder Geräuschempfindlichkeit,
2. affektive Veränderungen wie Reizbarkeit, emotionale Labilität, beides leicht durch emotionale Erregung und Stress provozierbar, Depression und/oder Angst eines gewissen Schweregrades,
3. Subjektive Klagen oder Schwierigkeiten bei der Konzentration und dem geistigen Leistungsvermögen, Gedächtnisstörungen, ohne deutlichen objektiven Nachweis einer eindeutigen Beeinträchtigung (z.B. durch psychologische Tests),
4. Schlafstörungen,
5. verminderte Alkoholtoleranz,
6. Beschäftigung mit den oben genannten Symptomen und Angst vor einer bleibenden Hirnschädigung bis zum Ausmaß von hypochondrischen, überwertigen Ideen und der Annahme einer Krankenrolle.
Die Sachverständigen Dr. M5 und Prof. Dr. O haben für ein derartiges Psychosyndrom keine ausreichenden Anhaltspunkte ausmachen können und haben sich deutlich und mit nachvollziehbarer Begründung von dieser Diagnose, die der in dem Betreuungsverfahren 63 XVII 65/09 H des Amtsgerichts S zum Sachverständigen bestellte Arzt Dr. T3 in seinem der Einrichtung der Betreuung für den Angeklagten zugrunde liegenden Gutachten vom 00.00.0000 im Sinne einer Verdachtsdiagnose gestellt hat, distanziert:
Die Sachverständige Dr. M5 hat angegeben, dass sich i. R. d. Exploration des Angeklagten allenfalls diskrete Hinweise auf eine hirnorganische Beeinträchtigung ergeben hätten (Schwierigkeiten in der Erfassung komplexerer Sinn- und Sachzusammenhänge, zum Teil zähflüssiges Denken, emotional eher flach), die aber weder in Art noch in Ausprägungsgrad einer krankhaften seelischen Störung i. S. d. § 20 StGB entsprächen. Das intellektuelle Leistungsniveau liege, rein klinisch beurteilt, im unteren Normbereich an der Grenze zur leichten Intelligenzminderung mit Lernbehinderung. Darüber hinaus hätten sich bei dem Angeklagten keinerlei Störungen der Aufmerksamkeit, Konzentration oder der Orientierung und auch sonst keine kognitiven Störungen oder höhergradigen intellektuellen Einschränkungen ergeben. Auch i. R. d. Hauptverhandlung hätten sich bei dem Angeklagten keine Konzentrationsstörungen gezeigt und seine kognitiven Fähigkeiten seien ausreichend erhalten (so folge er der Hauptverhandlung aufmerksam und mache sich Notizen). Auf eine neurologische und körperliche Untersuchung wurde verzichtet, da die Sachverständige Einsicht in die Gesundheitsakte der JVA nehmen konnte. Danach war die grobe neurologische Aufnahmeuntersuchung ebenso wie mehrere neurologische Konsiliaruntersuchungen mit ausführlicher neurologischer Untersuchung und technischer Zusatzuntersuchung (EEG) ohne auffälligen Befund.
In gleicher Weise äußerte sich auch die Sachverständige Prof. Dr. O: Während der Exploration und in den testpsychologischen Untersuchungen habe der Angeklagte keine Anzeichen hirnorganischer Beeinträchtigungen gezeigt: So habe er sich durchgehend gut konzentrieren können (die Aufmerksamkeitsspanne sei sogar eher hoch, ihm habe nur zeitweise die Anstrengungsbereitschaft gefehlt), er habe keine Probleme beim Verstehen der Aufgaben gehabt und sei mit einem Verbal-IQ von 90 knapp durchschnittlich intelligent. Sein Verhalten in der Hauptverhandlung entspreche dieser Einschätzung.
Die Sachverständigen Dr. M5 und Prof. Dr. O haben sich mit dem Gutachten des Dr. T3 vom 00.00.0000 auseinandergesetzt. Von dessen Einschätzung haben sie sich distanziert. Für die Diagnose eines organischen Psychosyndroms nach Schädel-Hirn-Trauma (ICD-10: F07.2) spreche nichts, auch damals habe nichts dafür gesprochen. Soweit Dr. T3 im Wesentlichen darauf abgehoben habe, dass der Angeklagte ihm gegenüber zu seiner epileptischen Erkrankung nur allgemeine Angaben gemacht und er daher den Eindruck von Hilflosigkeit bzw. gedanklicher Indifferenz gewonnen habe, stelle dies keine tragfähige Begründung dar. Zudem liege hier eine Fehldeutung nahe: Die damals beobachtete und als Anzeichen für eine psychische Störung gewertete Auffälligkeit sei nach der Persönlichkeit des Angeklagten eher mit Desinteresse zu erklären.
Die Kammer schließt sich der überzeugenden Einschätzung der Sachverständigen Dr. M5 und Prof. Dr. O an.
Es ist bereits nicht festzustellen, dass mindestens drei der vorgenannten Diagnosemerkmale der ICD-10 bei dem Angeklagten vorliegen oder vorgelegen haben.
Der Angeklagte hat lediglich gegenüber der Sachverständigen Dr. M5 angegeben, häufiger, wohl als Folge des im Kindergartenalter erlittenen Verkehrsunfalls, im Sommer auch mehrmals pro Woche, unter Kopfschmerzen zu leiden. Das Vorliegen mindestens zweier weiterer Diagnosekriterien ist indes nicht festzustellen.
Weder klagt der Angeklagte über Schwierigkeiten bei der Konzentration noch sind solche festzustellen. Auch Schwierigkeiten im geistigen Leistungsvermögen oder Gedächtnisstörungen ohne deutlichen objektiven Nachweis einer eindeutigen Beeinträchtigung sind nach den Befunden der Sachverständigen nicht gegeben. Insbesondere konnte sich die Kammer insoweit auch selbst im Rahmen der Hauptverhandlung einen Eindruck davon verschaffen, dass der Angeklagte dieser – auch an längeren Verhandlungstagen – offenbar aufmerksam folgte und sich vielfach Notizen machte. Ferner hat der Angeklagte gegenüber den Sachverständigen auch keine entsprechenden Klagen geäußert. So hat er gegenüber der Sachverständigen Prof. Dr. O nicht etwa angegeben, mit den Aufgabenstellungen im Rahmen der Testung überfordert zu sein, vielmehr hat er sich hier lediglich einmal darauf berufen, nicht über eine erforderliche Lesebrille zu verfügen.
Anhaltspunkte für Schlafstörungen oder eine verminderte Alkoholtoleranz ergeben sich bei dem Angeklagten in keiner Form, wobei auf die Frage der Auswirkungen seines Alkoholkonsums in den einzelnen Tatzeitpunkten im Folgenden noch einzugehen sein wird. Auch eine Beschäftigung mit den Symptomen im Sinne der Diagnosekriterien mit Angst vor einer bleibenden Hirnschädigung ist bei dem Angeklagten nicht festzustellen.
Die Kammer hat ferner in den Blick genommen, dass die Diagnose eines organischen Psychosyndroms nach Schädelhirntrauma (ICD-10: F07.2) durch den Arzt Dr. T3 in seinem Gutachten vom 00.00.0000 lediglich im Sinne eines „hochgradigen Verdachts“ gestellt wurde. Der Gutachter betont mehrfach, dass es sich um eine bloße Verdachtsdiagnose handle. So führt er selbst aus, dass der bei dem Angeklagten festzustellende psychopathologische Befund zum einen mit einer Reihe psychiatrischer Grunderkrankungen einhergehen könne, zum anderen zur Diagnosestellung „grundsätzlich eine gründliche neurologische und neuropsychologische Diagnostik erfolgt sein“ sollte. Vor diesem Hintergrund wird bereits in dem Gutachten des Dr. T3 herausgestellt, dass „die Zuverlässigkeit dieser [i.e. der von dem Gutachter angestellten] diagnostischen Schlüsse nicht zu überschätzen“ sei, um anschließend nochmals darauf hinzuweisen, dass eine Sicherung der Diagnose nur nach weiterer Diagnostik wie u.a. Elektroenzephalographie, evozierter Hirnstammpotenziale, bildgebender Verfahren, Elektronystagmographie sowie einer testpsychologischen Zusatzdiagnostik, erfolgen könne. Die Unsicherheit der Verdachtsdiagnose wird aus diesen Ausführungen des Gutachters erkennbar.
Zudem schließt die Kammer nicht aus, dass die Diagnose gestellt wurde, um dem Angeklagten einen gesetzlichen Betreuer an die Seite zu stellen. So wird aus dem Gutachten auch deutlich, dass als maßgeblich für irgendeine Diagnosestellung die Betreuungsnotwendigkeit angesehen wird, die auch ohne „eine derartig aufwendige und entsprechend kostenintensive Diagnostik“ geklärt werden könne. Auf diese bzw. deren Empfehlung habe der Gutachter jedoch verzichtet, „auch um das Gutachten zügig zu erstatten, damit die erforderliche Betreuung zügig installiert werden kann“. Aus dem Betreuungsgutachten ergibt sich ferner, dass wesentlicher Anlass für die Einrichtung der Betreuung der Umstand war, dass der Angeklagte zum damaligen Zeitpunkt ohne Krankenversicherungsschutz war. Der Gutachter stellt insoweit insbesondere heraus, dass der fehlende Krankenversicherungsschutz, zu dessen Ursachen sich der Angeklagte im Wesentlichen mit „keine Ahnung“ erklärt habe, den Grund dafür bilde, dass dessen Epilepsieerkrankung – abgesehen von Akutbehandlungen im Krankenhaus – in keiner Form therapiert werde. Eine medikamentöse Behandlung erachtet der Gutachter für „dringend und schnellstmöglich erforderlich“, wobei er auch auf die Möglichkeit schwerer neurologischer Komplikationen der unbehandelten Erkrankung mit bleibenden Schäden oder sogar tödlichem Ausgang hinweist. Nach alldem ist aus Sicht der Kammer zu besorgen, dass die Diagnosestellung vorrangig von dem nachvollziehbaren Wunsch geleitet war, dem Angeklagten äußerst zeitnah die nötige ärztliche Behandlung, der aus Sicht des Gutachters zwingend die Bestellung eines gesetzlichen Betreuers, der sich um den Krankenversicherungsschutz kümmern würde, vorauszugehen hatte, zu verschaffen. Der Angeklagte war nach dem Bericht des Gutachters auch uneingeschränkt mit der Bestellung eines gesetzlichen Betreuers einverstanden.
Ähnliches gilt für das Attest des Arztes Dr. I6 vom 00.00.0000, welches zur Verlängerung der Betreuung in demselben Verfahren des Amtsgerichts S (Az.: 63 XVII 65/09 H) erteilt wurde. Dessen Diagnose entspricht zwar der Verdachtsdiagnose des Dr. T3 vom 00.00.0000. Begründet wird die Diagnose in dem Attest aber nicht. Welche Untersuchungen der Diagnose des Dr. I6 zu Grunde lagen, ist dem Attest ebenso wenig zu entnehmen; das Zeugnis spricht lediglich davon, der Arzt habe den Angeklagten im Rahmen der ärztlichen Betreuung zuletzt am 00.00.0000 gesehen. Die Kammer geht – auch angesichts der Facharztbezeichnung Allgemeinmedizin – nicht davon aus, dass der Dr. I6 bei dem Angeklagten weitere diagnostische Maßnahmen vorgenommen hätte, die aus dem Attest lediglich nicht hervorgehen. Vielmehr spricht alles dafür, dass der Dr. I6 die Verdachtsdiagnose aus dem Betreuungsgutachten mit derselben Intention wie der Dr. T3 lediglich übernommen hat.
Die Kammer übersieht bei alldem nicht, dass mehrere der von dem Gutachter Dr. T3 genannten Untersuchungen bei dem Angeklagten bisher nicht durchgeführt worden sind. Dies steht aus Sicht der Kammer nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. T2, Dr. M5 und Prof. Dr. O indes einem Ausschluss der Diagnose eines organischen Psychosyndroms nach Schädelhirntrauma (ICD-10: F07.2) nicht entgegen. Der Ausschluss setzt, anders als die von dem Dr. T3 intendierte Sicherung der Diagnose, lediglich das Nichtvorliegen zwingender Diagnosekriterien voraus, wohingegen die Diagnosestellung, worauf das Betreuungsgutachten im Ausgangspunkt auch hinweist, den Ausschluss anderer Erkrankungen mit ähnlicher Symptomatik sowie anderer Ursachen für die ärztlichen Feststellungen erfordert.
4.
Aus den zur Frage des Vorliegens eines organischen Psychosyndroms nach Schädelhirntrauma ausgeführten Gründen ist die Kammer – auch insoweit der Einschätzung der Sachverständigen Dr. M5 und Prof. Dr. O folgend – ferner davon überzeugt, dass eine bei dem Angeklagten sowohl in einem Vorbefund des F Krankenhauses S vom 00.00.0000, der dem Sachverständigen Dr. T2 vorgelegen hat, als auch durch den Sachverständigen selbst festgestellte Volumenminderung des Kleinhirns (Kleinhirnatrophie) nicht zu einer unter ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB zu fassenden psychischen Störung geführt hat. Der Sachverständige Dr. T2 hat sich in seinem Gutachten mit dem Vorbefund „leichte Kleinhirnatrophie“ auseinandergesetzt und insoweit erläutert, in der CT-Bildgebung aus dem Jahr 0000 sei die Volumenänderung „etwas diskreter“ als in der von ihm am 00.00.0000 durchgeführten cranialen Computertomographie (CCT). Entscheidende Unterschiede bestünden zwischen den Aufnahmen indes nicht.
5.
Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass bei dem Angeklagten eine forensisch bedeutsame Intelligenzminderung im Sinne eines Eingangsmerkmals des § 20 StGB nicht gegeben ist.
Die Sachverständige Dr. M5 gelangt auf Grundlage der bereits zur Frage des Vorliegens eines organischen Psychosyndroms nach Schädelhirntrauma dargestellten Erwägungen zu dem Ergebnis, dass sich klinisch keine Anhaltspunkte für eine intellektuelle Beeinträchtigung, die als Intelligenzminderung im Sinne des § 20 StGB einzuordnen sei, ergäben.
Die Sachverständige Prof. Dr. O gelangt ebenfalls auf Grundlage der bereits zum organischen Psychosyndrom nach Schädelhirntrauma referierten Erwägungen zum Ausschluss einer Intelligenzminderung im klinischen Sinne. Vom klinischen Eindruck her sowie aufgrund der schulischen sowie beruflichen Laufbahn des Angeklagten sei eine (knapp) durchschnittliche intellektuelle Leistungsfähigkeit anzunehmen. Eine leichte Intelligenzminderung im Sinne der ICD-10 (F70) wäre anzunehmen, wenn die intellektuellen Fähigkeiten des Angeklagten im Bereich eines IQ von 50 bis 69 lägen. Im sprachlichen Teil des HAWIE-R, einem testpsychologischen Verfahren, das versuche, die „globale Intelligenz“ einer Person zu erfassen, erreiche er jedoch einen an der unteren Durchschnittsgrenze liegenden Verbal-IQ von 90. Bei den beiden durchgeführten Subtests des Handlungsteils zeige sich zwar ein unterdurchschnittliches Ergebnis. Dieses spiegle aber nicht die tatsächlichen Fähigkeiten des Angeklagten wider, da er sich im Rahmen der Testdurchführung nicht leistungsmotiviert gezeigt habe. Der Angeklagte habe hier u.a. unvermittelt nach richtiger Lösung der ersten zehn von 17 Aufgaben eines Subtests erklärt, schlecht zu sehen und eine Brille, über die er nicht verfüge, zu benötigen, obwohl die Vorlagen des Subtests alle in derselben Deutlichkeit gedruckt seien. Vor dem Hintergrund ist die Sachverständige nachvollziehbar von fehlender Anstrengungsbereitschaft und Motivation ausgegangen.
Es liege bei dem Angeklagten allenfalls eine (leichte) Lernbehinderung vor. Dies würde aus Sicht der Sachverständigen Prof. Dr. O auch die Beschulung auf einer Förderschule erklären, wobei auch zu berücksichtigen sei, dass der Angeklagte im Elternhaus keine besondere Unterstützung und Förderung erhalten habe, sodass bei entsprechender Förderung durchaus auch von größeren intellektuellen Leistungen auszugehen gewesen wäre. Der Angeklagte habe – wie bereits zur Frage des Vorliegens eines organischen Psychosyndroms nach Schädelhirntrauma im Einzelnen dargestellt – keine Einbußen der Konzentration und könne durchaus auch komplexe Sachverhalte nachvollziehen.
Die Kammer schließt sich auch insoweit den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. M5 und Prof. Dr. O an. Der Eindruck, den die Kammer im Rahmen der Hauptverhandlung von dem Angeklagten gewonnen hat, entspricht der Einschätzung der Sachverständigen. Das Verhalten des Angeklagten, der sich insbesondere vielfach Notizen machte und der Hauptverhandlung im Übrigen auch an langen Verhandlungstagen offenbar aufmerksam folgte, gibt keinerlei Anlass, an den Feststellungen der Sachverständigen zu zweifeln.
6.
Auch der Alkoholkonsum des Angeklagten ändert an der Einschätzung der Kammer hinsichtlich der vollumfänglichen Schuldfähigkeit nichts. Auch insofern schließt sie sich den Einschätzungen der beiden Sachverständigen an.
a)
Soweit die Sachverständige Prof. Dr. O von einem schädlichen Gebrauch von Alkohol (ICD-10: F10.1) ausgeht, schließt sich die Kammer ihrer Einschätzung, dass dieser ohne Bedeutung bleibe, an. Insbesondere ist mit einem schädlichen Gebrauch von Alkohol bereits nach den Diagnosekriterien der ICD-10 kein Symptom verbunden, das die Annahme der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB allein aufgrund des Vorliegens dieses Störungsbildes nahe legte.
b)
Nach den Ausführungen der Sachverständigen Dr. M5 hat der Alkoholkonsum des Angeklagten bei den – von ihr insofern als richtig unterstellten – vorgeworfenen Taten lediglich eine untergeordnete Rolle als sog. „konstellativer Faktor“ gespielt. Die Art der sexuellen Handlungen, die eine gewisse erhaltene Feinmotorik sowohl beim Oral- als auch beim Analverkehr voraussetzten und keine rauschartigen Impulsdurchbrüche darstellten, sprächen gegen eine forensisch relevante Alkoholintoxikation. Dies stimme mit der eigenen Einschätzung des Angeklagten überein. So habe der Angeklagte in seiner Exploration angegeben, der von ihm geschilderte Alkoholkonsum von 0,7 l Weinbrand mit Cola in der Zeit von 22:00 Uhr bis 5:00 Uhr morgens habe ihn lediglich „ganz lustig“ und nur selten aggressiv gemacht. Volltrunken sei er nicht gewesen, habe vielmehr immer gewusst, was los sei, und nie einen „Filmriss“ gehabt. Die Selbsteinschätzung des Angeklagten decke sich auch mit den Angaben des Nebenklägers, der ebenfalls keine nennenswerten Ausfallerscheinungen (etwa Lallen oder Ataxie) des Angeklagten geschildert habe. Zudem sei schon nach den eigenen Angaben des Angeklagten, nach denen der von ihm geschilderte Alkoholkonsum jeden zweiten oder dritten Tag erfolgt sei, von einer Alkoholgewöhnung auszugehen. Dies gelte erst recht, wenn man von der Aussage des Nebenklägers ausgehe, der Angeklagte habe praktisch täglich 0,7 l Weinbrand mit Cola getrunken. Dem geschilderten Konsum komme deshalb zwar eine gewisse enthemmende Komponente zu (der Alkohol habe mutiger gemacht und die Hemmschwelle gesenkt), die psychische Funktionsfähigkeit habe er aber nicht wesentlich beeinträchtigt.
Die Sachverständige Prof. Dr. O hat dem Angeklagten aus fachwissenschaftlich-empirischer Sicht ebenfalls eine vollumfänglich vorhandene Schuldfähigkeit attestiert und sich den übrigen Überlegungen der Sachverständigen Dr. M5 angeschlossen.
Dies gelte – so die Sachverständigen – auch bei Zugrundelegen einer maximalen Tatzeitblutalkoholkonzentration von 2,08 ‰.
Dem schließt sich die Kammer nach eigener Beurteilung an. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass dieser Wert im Rahmen der Prüfung, ob bei dem Angeklagten in den Tatzeitpunkten der Fälle 4 bis 167 eine krankhafte seelische Störung im Sinne einer Alkoholintoxikationspsychose als Eingangsmerkmal des § 20 StGB vorgelegen hat, als gewichtiges Indiz zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.1997 – 1 StR 511/95 – NJW 1997, 2460). Indes gibt es keinen Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration regelmäßig von Schuldunfähigkeit (oder verminderter Schuldfähigkeit) auszugehen ist. Entscheidend ist vielmehr eine Gesamtschau aller wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände, die sich auf das Erscheinungsbild des Täters vor, während und nach der Tat beziehen. Eine Blutalkoholkonzentration ist in diesem Zusammenhang – wie dargestellt – ein zwar gewichtiges, keinesfalls aber allein maßgebliches Beweisanzeichen. Ihre Bedeutung kann insbesondere von der Alkoholgewöhnung des Täters beeinflusst sein (vgl. BGH, Urteil vom 03.12.2002 – 1 StR 378/02 – NStZ-RR 2003, 71).
aa)
Die Kammer geht – wie festgestellt – davon aus, dass die der Berechnung der Blutalkoholkonzentration zugrunde gelegte Trinkmenge dem regelmäßigen Alkoholkonsum des Angeklagten im Tatzeitraum sowie in einem vorangegangenen, mehrere Jahre umfassenden Zeitraum entsprach und der Angeklagte dementsprechend erheblich alkoholgewöhnt war.
bb)
Die Kammer geht weiterhin davon aus, dass aufgrund der bestehenden Alkoholgewöhnung des Angeklagten trotz der anzunehmenden Blutalkoholkonzentration eine forensisch relevante Alkoholintoxikation nicht gegeben war.
Infolge des Alkoholkonsums traten bei dem Angeklagten lediglich die – auch seinen eigenen Angaben gegenüber der Sachverständigen Dr. M5 entsprechenden – festgestellten Stimmungsveränderungen, im Übrigen kam es nach den eigenen Angaben des Angeklagten sowie nach der Aussage des Nebenklägers jedoch zu keinerlei Ausfallerscheinungen. Dabei hat die Kammer auch in den Blick genommen, dass äußerlich unauffälligem Verhalten, insbesondere dem Fehlen grobmotorischer Auffälligkeiten wie einem schwankenden Gangbild bei alkoholgewöhnten Personen nur ein beschränkter Beweiswert zukommt, da diese sich häufig noch motorisch kontrollieren und äußerlich geordnet verhalten können, obwohl ihr Hemmungsvermögen bereits erheblich beeinträchtigt ist (vgl. BGH, Urteil vom 09.08.1988 – 1 StR 231/88 – NStZ 1988, 548; BGH, Beschluss vom 10.06.2021 – 2 StR 104/21 – BeckRS 2021, 23928; BGH, Beschluss vom 12.06.2007 – 4 StR 187/07 – NStZ 2007, 696). Ein gewichtiges Indiz für weitgehend erhaltene feinmotorische Fähigkeiten, die mit einer relevanten Beeinträchtigung durch die Alkoholwirkung nicht in Einklang zu bringen sind, bilden die unter Alkoholeinfluss verübten Sexualstraftaten (Fälle 4 bis 165). Ebenso wie das Einführen des – insbesondere nicht vollständig erigierten – Penis in den Anus des Nebenklägers eine gewisse Fingerfertigkeit voraussetzt, erfordert die Durchführung des Oralverkehrs koordinierte Bewegungsabläufe der Gesichtsmuskulatur. Dies gilt in besonderem Maße, wenn der Oralverkehr über einen Zeitraum von jedenfalls mehreren Minuten und bis zum Samenerguss, dessen Herbeiführung deutlich mehr als das bloße Im-Mund-Halten des Penis erfordert, ausgeübt wird.
Die Kammer hat gesehen, dass die Gesichtspunkte des Fehlens eines sich in der Tat ausdrückenden Impulsdurchbruchs sowie der anhand des Tatbildes erkennbar weitgehend erhaltenen feinmotorischen Fähigkeiten für die Taten in den Fällen 166 und 167 als Indizien nicht unmittelbar heranzuziehen sind. Der im Streit erfolgte Wurf einer Kaffeetasse und –kanne bzw. einer Whiskeyflasche setzt weder feinmotorische Fertigkeiten voraus noch spricht der Tathergang gegen impulsdurchbrüchiges Verhalten. Indes ist die Kammer auch insoweit von der uneingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten überzeugt. Nach den getroffenen Feststellungen ereigneten sich die Körperverletzungstaten (Fälle 166 und 167) zu derselben Tageszeit, zu der es regelmäßig zur Vornahme des Oralverkehrs an dem Nebenkläger kam. Ausgehend hiervon gelten die hinsichtlich der Sexualstraftaten angestellten Erwägungen mittelbar auch hier. Es spricht nichts dafür, dass der Angeklagte an den Tattagen der Fälle 166 und 167 über das übliche Maß hinausgehend alkoholisiert oder die Alkoholwirkung aus irgendwelchen Gründen stärker als sonst gewesen wäre.
Soweit sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung dahingehend eingelassen hat, dass er sich an viele Abende gar nicht mehr erinnern könne, weil er so betrunken gewesen sei, was ein Indiz für eine forensisch relevante Alkoholwirkung bilden könnte, nimmt ihm die Kammer dies nicht ab. Seine Einlassung in der Hauptverhandlung widerspricht den Angaben des Angeklagten gegenüber den Sachverständigen Prof. Dr. O und Dr. M5. Gegenüber der Sachverständigen Dr. M5 hat der Angeklagte angegeben, von 0,7 l Weinbrand mit Cola vermischt, die er z.B. von 22 Uhr bis 5 Uhr morgens regelmäßig getrunken habe, werde er „eigentlich ganz lustig, nur selten aggressiv“. Volltrunken sei er davon nie gewesen, sondern habe immer gewusst, was los sei. Einen Filmriss habe er nie gehabt. Diese Angaben des Angeklagten entsprechen sinngemäß denen gegenüber der Sachverständigen Prof. Dr. O, der gegenüber er die Alkoholwirkung als leichtes Angeheitertsein beschrieben hat, wobei er auch hier betont hat, „nie“ bis zur Besinnungslosigkeit zu trinken sowie noch nie so viel getrunken zu haben, dass er einen Filmriss gehabt oder sich alkoholbedingt erbrochen habe. Hierzu passen auch die Angaben der Zeugen, die Angaben zum Alkoholkonsum des Angeklagten gemacht haben (s. oben III.A.3.) sowie des Nebenklägers (s. oben III.B.3.a)cc)). Die Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung ist in Bezug auf die von ihm behaupteten Erinnerungslücken auch deshalb unglaubhaft, weil die fehlende Erinnerung an „viele Abende“ schlicht pauschal behauptet wird, ohne dass ein Bezug zu konkreten, z.B. von Zeugen in der Hauptverhandlung geschilderten Geschehnissen, an die er sich nicht erinnern können will, hergestellt wird. Ferner ist ein Widerspruch innerhalb der Einlassung insoweit vorhanden, als dass der Angeklagte detailliert darstellt, wie er von dem Nebenkläger abends zu sexuellen Handlungen, die er dann auch vorgenommen habe, aufgefordert worden sei, was mit den angegebenen Erinnerungslücken betreffend „viele Abende“ nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen ist.
7.
Die Schuldfähigkeit des Angeklagten war nach der Überzeugung der Kammer auch nicht etwa deshalb beeinträchtigt, weil er Medikamente – auch in Verbindung mit Alkohol – zu sich genommen hat. Auch insofern schließt sich die Kammer der Einschätzung der Sachverständigen an.
Die Sachverständige Dr. M5 hat zu der Frage, ob eine etwaige Wechselwirkung – insbesondere im Sinne einer Verstärkung der Alkoholwirkung – des von dem Angeklagten eingenommenen Medikaments mit dem Wirkstoff Carbamazepin sowie des Schmerzmittels P, das bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten aufgefunden wurde, mit Alkohol zu einer forensisch relevanten Mischintoxikation geführt habe, ausgeführt, dass eine solche ebenfalls nicht vorgelegen habe. Auch im Fall einer Mischintoxikation – wobei die Sachverständige bei dem Schmerzmittel allgemein von einem Opioid ausgegangen ist – und einer damit möglicherweise einhergehenden Verminderung der Alkoholtoleranz habe der Angeklagte das bereits zur Frage einer relevanten Alkoholintoxikation dargestellte Bild geboten.
Die Kammer schließt sich dieser Einschätzung der Sachverständigen an. Auch im Hinblick auf eine forensisch relevante Mischintoxikation mit Alkohol und D und/oder P oder einem sonstigen Opioid verkennt die Kammer die Bedeutung der unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes anzunehmende Blutalkoholkonzentration von 2,08 ‰ als gewichtiges Indiz bei der Prüfung, ob bei dem Angeklagten in den Tatzeitpunkten der Fälle 4 bis 167 eine krankhafte seelische Störung im Sinne einer Intoxikationspsychose als Eingangsmerkmal des § 20 StGB vorgelegen hat, nicht. Auch hier hat die Kammer zudem gesehen, dass äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit bei alkoholgewöhnten Personen in dem oben (V.6.b)bb)) bereits dargestellten Sinne deutlich auseinanderfallen können. Indes gelten auch hier die oben angestellten Erwägungen in Bezug auf erhaltene feinmotorische Fertigkeiten, auf die insoweit Bezug genommen wird. Hinsichtlich der Einnahme eines Opioids, insbesondere P, übersieht die Kammer indes auch nicht, dass nichts dafür spricht, dass der Angeklagte solche starken Schmerzmittel häufig eingenommen hätte. Insoweit hat er gegenüber der Sachverständigen Dr. M5 angegeben, ein Medikament, das unter das Betäubungsmittelgesetz falle, was aus Sicht der Sachverständigen ebenso wie nach Einschätzung der Kammer für ein Opioid spricht, im Explorationszeitpunkt (03.03.2020) seit ungefähr einem Jahr ca. einmal pro Woche eingenommen zu haben. Es handelte sich danach um eine Bedarfsmedikation.
VI.
1.
Die Kammer hat den gegen den Angeklagten zu verhängenden Einzelstrafen die folgenden Strafrahmen zugrunde gelegt:
a)
Für die insgesamt 163 Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes (Fälle 1 bis 163) geht die Kammer vom Strafrahmen des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F. aus, der Freiheitsstrafe von zwei Jahren bis zu 15 Jahren (§ 38 Abs. 2 StGB) vorsieht.
Das im Zeitpunkt der Entscheidung geltende Gesetz in Gestalt des § 176c Abs. 1 Nr. 2 lit. a StGB ist nicht milder im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB, da derselbe Strafrahmen gilt und ein minder schwerer Fall nunmehr gesetzlich nicht mehr vorgesehen ist.
Ein minder schwerer Fall des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes, wonach die Tat gemäß § 176 Abs. 4 StGB a.F. mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu ahnden gewesen wäre, liegt nach der vorzunehmenden Gesamtwürdigung nicht vor.
Ein minder schwerer Fall ist anzunehmen, wenn aufgrund einer Gesamtwürdigung aller für die Wertung von Tat und Täter in Betracht kommenden Umstände festzustellen ist, dass das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem so erheblichen Maße abweicht, dass der Regelstrafrahmen nicht mehr angemessen ist. In die vorzunehmende Gesamtbetrachtung sind alle wesentlichen be- und entlastenden Umstände einzubeziehen, gleichgültig, ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder nachfolgen (BGH, Urteil vom 19.03.1975 – 2 StR 53/75 – NJW 1975, 1174; BGH, Urteil vom 26.06.1991 – 3 StR 145/91 – NStZ 1991, 529).
aa)
Dabei hat die Kammer zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass der Nebenkläger bereits im Zeitpunkt der ersten Tat (Fall 1) das 13. Lebensjahr vollendet hatte und im Zeitpunkt der letzten Tat des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes (Fall 163) nur einen Tag vor der Vollendung des 14. Lebensjahres stand, er mithin die Altersschutzgrenze des § 176a StGB a.F. während des gesamten Tatzeitraums nahezu erreicht hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 30.03.2021 – 2 StR 398/20 – BeckRS 2021, 13974).
bb)
Darüber hinaus hat die Kammer zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass der Nebenkläger durch sein Verhalten zur Begehung der Taten beigetragen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 02.04.1985 – 2 StR 150/85 – BeckRS 1985, 31101541; BGH, Urteil vom 15.01.1986 – 2 StR 608/86 – BeckRS 1986, 31101606; BGH, Beschluss vom 20.04.1989 – 4 StR 161/89 – BeckRS 1989, 31103381).
Dies gilt in erheblichem Maße für die Fälle 1 bis 3. Die erste Kontaktaufnahme zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger erfolgte durch den Nebenkläger, der in den in der Folge ausgetauschten Sprachnachrichten Druck auf den Angeklagten ausübte, sich möglichst bald mit ihm zu treffen, da er die versprochenen 50 Euro als Gegenleistung für die Vornahme des Oralverkehrs durch den Angeklagten haben wollte. Die folgenden beiden Treffen, zu denen es am 00.00.0000 und 00.00.0000 kam (Fälle 2 und 3), wurden ebenfalls durch den Nebenkläger forciert, der sich schnellstmöglich wieder mit dem Angeklagten treffen wollte, um Geld und Zigaretten bzw. E-Shisha zu erhalten.
In abgeschwächter Form gilt die Überlegung auch für die Fälle 4 bis 163. Die Initiative für die Aufnahme in die Wohnung des Angeklagten für den zunächst geplanten Zeitraum von zwei Wochen, während dessen es zu weiteren Taten kam, ging von dem Nebenkläger aus. Ähnlich verhält es sich mit Blick auf die Zeit danach. Wenngleich nicht festgestellt werden konnte, ob der Angeklagte oder der Nebenkläger den Vorschlag machte, der Nebenkläger könne bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres im Haushalt des Angeklagten bleiben, kam es auch insoweit schlussendlich zu einer einvernehmlichen Abrede, die dazu führte, dass sich dem Angeklagten die Gelegenheit für die im weiteren Verlauf begangenen Missbrauchstaten zum Nachteil des Nebenklägers erst eröffnete. Allerdings wiegt der Verursachungsbeitrag des Nebenklägers in den Fällen 4 bis 163 leichter als in den Fällen 1 bis 3, zumal er sich durch den alsbald gefassten Entschluss, aus Angst vor den Konsequenzen einer Rückkehr in die Wohngruppe bis zu seinem 18. Geburtstag bei dem Angeklagten zu bleiben, von diesem abhängig gemacht hatte.
cc)
Ferner hat die Kammer zugunsten des Angeklagten in den Blick genommen, dass das Verhältnis zum Nebenkläger für ihn Züge einer Liebesbeziehung trug und er sich einredete, der Oralverkehr gefalle auch dem Nebenkläger.
dd)
Strafmildernd berücksichtigt hat die Kammer auch den Umstand, dass in den Fällen 1 bis 163 ausschließlich der Angeklagte an dem Nebenkläger den Oralverkehr ausübte, es mithin zu keinem für das Opfer in höherem Maße erniedrigenden Eindringen in den Körper des Nebenklägers gekommen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 19.12.2007 – 5 StR 497/07 – StraFo 2008, 72).
ee)
Die große Anzahl der Taten des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes (Fälle 1 bis 163) sprach weder für noch gegen den Angeklagten. Da die Taten in gleichförmiger Weise und zum Nachteil desselben Opfers begangen wurden, geht die Kammer zwar davon aus, dass die Hemmschwelle des Angeklagten mit zunehmendem Zeitablauf gesunken sein dürfte (vgl. BGH, Beschluss vom 30.03.2021 – 2 StR 398/20 – BeckRS 2021, 13974; BGH, Beschluss vom 02.03.1995 – 4 StR 71/95 – juris). Indes musste der Nebenkläger in jeder Nacht mit der Begehung einer weiteren Missbrauchstat rechnen, zu der es durchschnittlich in jeder zweiten Nacht auch tatsächlich kam, und war deshalb in den Fällen 4 bis 163 einem ständigen Druck ausgesetzt (vgl. BGH, Urteil vom 26.01.2011 – 2 StR 446/10 – BeckRS 2011, 3954; BGH, Beschluss vom 25.08.2010 – 1 StR 410/10 – NStZ 2011, 32). Dies gleicht die mildernde Wirkung der sinkenden Hemmschwelle aus.
ff)
Weder strafschärfend noch strafmildernd berücksichtigt hat die Kammer auch den Gesichtspunkt der Tatfolgen. Eine erhebliche psychische Belastung des Nebenklägers durch die Taten kann zwar nicht festgestellt, aber auch nicht ausgeschlossen werden. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Nebenkläger unter zuvor nicht bestehenden Schwierigkeiten im Kontakt mit anderen und einem veränderten Schlafverhalten leidet; das legt nahe, dass es sich um Tatfolgen handelt. Jedoch war der Nebenkläger bereits vor dem Aufenthalt bei dem Angeklagten in erheblichem Maße verhaltensauffällig und psychisch belastet. Zweifelsfrei auf die Taten zurückführen lassen sich die Schlafstörungen sowie der soziale Rückzug daher nicht.
gg)
Weiterhin hat die Kammer zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er die Taten des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in den Fällen 1 bis 163 schlussendlich eingeräumt hat. Allerdings hat sich das Geständnis nur in geringem Maße strafmildernd ausgewirkt. Maßgeblich für die Bedeutung eines Geständnisses ist es, inwieweit darin ein Bekenntnis des Angeklagten zu seinen Taten liegt, in ihm Schuldeinsicht und Reue zum Ausdruck kommen und durch seine Ablegung das Prozessziel der Erreichung von Rechtsfrieden gefördert wird; das strafmildernde Gewicht eines Geständnisses kann daher geringer sein, wenn dafür ersichtlich prozesstaktische Überlegungen bestimmend waren (vgl. BGH, Urteil vom 02.02.2017 – 4 StR 481/16 – NStZ-RR 2017, 105; BGH, Urteil vom 28.08.1997 – 4 StR 240/97 – NStZ 1998, 31). Eine strafmildernde Wirkung kann gänzlich entfallen, wenn ein Geständnis ausschließlich auf „erdrückenden Beweisen“ beruht und nicht aus echtem Reue- und Schuldgefühl heraus abgegeben worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28.01.2014 – 4 StR 502/13 – BeckRS 2014, 4061). Ausgehend hiervon kommt dem Geständnis lediglich geringes strafmilderndes Gewicht zu. Die Kammer hält das Geständnis letztlich für ein bloßes Lippenbekenntnis. Soweit es die Einlassung in der Hauptverhandlung betrifft, sprechen dafür bereits der Zeitpunkt und die Form des Geständnisses. Gestanden hat der Angeklagte erst in der Hauptverhandlung am 00.00.0000, am 42. von insgesamt 51 Hauptverhandlungstagen. Zu diesem Zeitpunkt war die Beweisaufnahme weitestgehend abgeschlossen, insbesondere war die mehrere Hauptverhandlungstage umfassende Vernehmung des Nebenklägers bereits erfolgt. Gestanden hat der Angeklagte auch nicht etwa in eigenen Worten. Vielmehr hat er lediglich durch einen Verteidiger eine Erklärung vorlesen lassen, für Rückfragen stand er ausdrücklich nicht zur Verfügung. Das deutet darauf hin, dass das Geständnis nur prozesstaktisch motiviert war. Zudem kam durch sein Geständnis keine Verantwortungsübernahme für seine Taten zum Ausdruck. Vielmehr hat der Angeklagte die Verantwortung für die Taten in erheblichem Umfang auf den Nebenkläger verlagert. So sei er – der Angeklagte – bei der ersten Tat am 00.00.0000 (Fall 1) ohne Hintergedanken zu dem Treffen gefahren und habe dem Nebenkläger nur mit Geld oder Zigaretten helfen wollen. In den Fällen 4 bis 163 sei die Initiative stets vom Nebenkläger ausgegangen, der ihn ausdrücklich zur Vornahme sexueller Handlungen aufgefordert habe („Du musst noch zwischen meine Beine“ o. Ä.). Er – der Angeklagte – sei daran gar nicht interessiert gewesen, er habe nur seine Ruhe haben wollen. Jedoch habe er sich gegen den Nebenkläger nicht durchsetzen können. Habe er sich geweigert, sei der Nebenkläger sauer geworden. Ohne ausdrückliche Aufforderung des Nebenklägers habe er kein einziges Mal sexuelle Handlungen an diesem vorgenommen. In dieser Einlassung sieht die Kammer nicht nur eine Beschönigung einzelner Tatumstände. Vielmehr wirft der Angeklagte sich selbst in den Fällen 4 bis 163 allein vor, gegenüber den angeblichen sexuellen Wünschen des Nebenklägers zu nachgiebig gewesen zu sein; damit bestreitet er letztlich dessen Opferrolle, indem er sich zum eigentlichen Opfer stilisiert. Die Kammer hat dabei in den Blick genommen, dass der Angeklagte erklärt hat, das Ganze tue ihm leid.
hh)
Nach allgemeinen Grundsätzen strafmildernd wirkt zudem, dass der Angeklagte sich im Rahmen des geschlossenen Adhäsionsvergleichs vom 00.00.0000 zur Zahlung eines Geldbetrages von 35.000,00 Euro an den Nebenkläger verpflichtet hat.
Den besonderen Strafmilderungsgrund eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB hat die Kammer vorliegend jedoch vorliegend verneint.
Nach der 3. Variante dieser Vorschrift kann für eine fakultative Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB zwar bereits das ernsthafte Bemühen um Wiedergutmachung der Tat, das auf das Erreichen eines Ausgleichs mit dem Verletzten gerichtet ist, genügen. Das erfordert indes grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, hierbei muss das Bemühen des Täters auf einen umfassenden friedensstiftenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen angelegt und Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein; unverzichtbar ist eine von beiden Seiten akzeptierte, ernsthaft mitgetragene Regelung, was neben einem in aller Regel erforderlichen Geständnis des Täters grundsätzlich voraussetzt, dass das Opfer die Leistungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert (vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2021 – 4 StR 139/20 – BeckRS 2021, 922).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Der Angeklagte hat weder bei dem Abschluss des Vergleichs noch anderer Stelle eine Entschuldigung o. Ä. an den Nebenkläger formuliert. Der Nebenkläger hat im Zusammenhang mit dem Vergleich keine Erklärungen abgegeben, zu dem Geständnis des Angeklagten hat er sich nicht geäußert. Ein kommunikativer Prozess zwischen Täter und Opfer hat daher nicht stattgefunden.
Das Geständnis wertet die Kammer aus den o. g. Gründen nicht als Ausdruck einer Verantwortungsübernahme. Dass es einem Täter-Opfer-Ausgleich nicht entgegensteht, wenn es über einen Verteidiger abgegeben wird (vgl. BGH, Beschluss vom 12.01.2021 – 4 StR 139/20 – BeckRS 2021, 922), hat sie gesehen.
Eine vollständige oder überwiegende Erfüllung des Vergleichs ist zweifelhaft. Die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten, der seit vielen Jahren wenigstens überwiegend von öffentlichen Leistungen lebt, sind beengt. In der Haft erhält er ein monatliches Taschengeld in Höhe von 120,00 Euro. Dass er noch einmal eine Arbeit aufnimmt, ist nicht zu erwarten. Er ist seit 0000 keiner Arbeitstätigkeit mehr nachgegangen, zuvor hatte er nur gelegentlich gearbeitet. Nicht unberücksichtigt bleiben konnte auch, dass dem Vergleichsbetrag von 35.000,00 Euro lediglich geringe Monatsraten zugrunde liegen. Dem Angeklagten ist aktuell eingeräumt, den Betrag in Raten von monatlich 20,00 Euro zu zahlen. Die Rate erhöht sich nach dem Vergleich auf monatlich 40,00 Euro, wenn er eine Arbeitstätigkeit aufnimmt. Das bedeutet bei einer monatlichen Rate von 20,00 Euro eine Tilgungsdauer von mehr als 145 Jahren, selbst bei einer monatlichen Rate von 40,00 Euro dauert es knapp 73 Jahre, bis die übernommene Verbindlichkeit beglichen ist. Bei diesen Ratenhöhen ist eine vollständige Erfüllung zu Lebzeiten des Angeklagten ausgeschlossen. Zu Lebzeiten des Nebenklägers ist sie nur dann nicht ausgeschlossen, wenn man von der höheren Rate ausgeht; selbst dann ist eine Erfüllung allerdings nicht allzu wahrscheinlich. In der Gesamtschau wertet die Kammer die geringe Ratenhöhe als Anzeichen dafür, dass der Wiedergutmachungswille des Angeklagten lediglich taktisch geprägt ist. Dass eine geringe Ratenhöhe unter anderen Umständen auch gerade für einen tatsächlich bestehenden Wiedergutmachungswillen sprechen kann (vgl. BGH, Urteil vom 29.04. 2021 – 5 StR 498/20 – NStZ-RR 2021, 209), ändert daran nichts.
Ob der Nebenkläger den Vergleich gleichwohl als friedensstiftenden Ausgleich ansieht, ließ sich nicht feststellen. Der Vergleich selbst verhält sich dazu nicht. Der Nebenkläger hat dazu weder persönlich noch in sonstiger Weise eine Erklärung abgegeben.
Dass dem Nebenkläger die vereinbarte monatliche Ratenzahlung als friedensstiftende Wiedergutmachung im Sinne eines Täter-Opfer-Ausgleichs genügt, liegt fern. Aus dem Vergleichsschluss allein lässt sich das nicht ableiten (vgl. BGH, Urteil vom 12.01.2012 – 4 StR 290/11 – NStZ 2012, 439). Dies gilt erst recht, wenn es, wie hier, um schwerwiegende Sexualdelikten geht (vgl. BGH, Urteil vom 03.11.2011 – 3 StR 267/11 – NStZ-RR 2012, 43).
Der geschlossene Vergleich ist danach im Wesentlichen als Erledigung des mit dem Adhäsionsantrag geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs in einem zivilrechtlichen Sinne zu verstehen.
ii)
Auch die insgesamt lange Verfahrensdauer zwischen der Durchsuchung am 00.00.0000 und dem Urteil sowie die damit verbundene Untersuchungshaft hat die Kammer strafmildernd berücksichtigt. Bei der Gewichtung dieses Gesichtspunkts konnte indes nicht außer Betracht bleiben, dass die Dauer des für den Angeklagten mit Belastungen verbundenen Verfahrens in erheblichem Maße durch das Verhalten seiner Verteidiger, das er sich zurechnen lassen muss, mitverursacht wurde. Zum Beispiel war Mitte Januar 0000 die aus Sicht der Kammer erforderliche Beweiserhebung, insbesondere auch die Vernehmung des Nebenklägers sowie die Erstattung der Gutachten der Sachverständigen Dr. M5 und Prof. Dr. O, abgeschlossen. Die Kammer beabsichtigte, das Verfahren Anfang Februar 0000 mit einem Urteil zu Ende zu bringen. Das war sämtlichen Verfahrensbeteiligten bekannt. Ebenso war ihnen bekannt, dass zu der Zeit eine Richterin hochschwanger war; der Beginn des gesetzlichen Mutterschutzes stand bereits für den 00.00.0000 bevor. Daher war für jeden erkennbar, dass für den Fall, dass es nicht gelingen sollte, Anfang Februar 0000 das Urteil zu sprechen, der bevorstehende Mutterschutz einem zeitnahen Verfahrensabschluss entgegenstehen würde. In diesem Verfahrensstadium stellten die Verteidiger des Angeklagten – erkennbar in der Absicht, dadurch eine Aussetzung des Verfahrens zu erreichen – insgesamt rund 30 Anträge verschiedener Art (Beweis- und Beweisermittlungsanträge, Ablehnungsgesuch gegen die Sachverständige Dr. M5), die ausnahmslos weit früher hätten angebracht werden können und deren Bescheidung bis zu dem vorgesehenen Urteilszeitpunkt und vor Beginn des vorgeburtlichen Mutterschutzes zeitlich nicht möglich war. Fortgesetzt werden konnte das Verfahren nur deshalb, weil die Richterin unter teilweisem Verzicht auf den vorgeburtlichen Mutterschutz noch bis zum 00.00.0000 zu den Sitzungen erschien; nur so konnte die Kammer die Zeit bis zum Ende des Mutterschutzes nach der Entbindung, in welcher der Richterin eine Teilnahme an der Hauptverhandlung kraft Gesetzes verboten war, überbrücken und die Hauptverhandlung am 00.00.0000 fortsetzen (vgl. § 229 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StPO).
jj)
Zugunsten des Angeklagten hat die Kammer ferner berücksichtigt, dass er sich mit der außergerichtlichen Einziehung von vier sichergestellten Mobiltelefonen sowie verschiedener Datenträger einverstanden erklärt hat. Allerdings hat sich das wiederum nur in geringem Maße strafmildernd ausgewirkt. Zwar kann eine Verzichtserklärung hinsichtlich sichergestellter Gegenstände unter dem Gesichtspunkt gezeigter Reue als mildernder Umstand gewertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 04.02.2010 – 1 StR 3/10 – NStZ-RR 2010, 152). Aus den bereits zur Einlassung des Angeklagten ausgeführten Gründen ist die Kammer indes davon überzeugt, dass der Verzicht hier wenigstens in erster Linie aus prozesstaktischen Überlegungen erklärt wurde. Eine glaubhafte Distanzierung von den Taten (vgl. BGH, Beschluss vom 20.03.2019 – 3 StR 67/19 – BeckRS 2019, 16371) sieht sie darin deshalb nicht. Zudem hatten die sichergestellten Mobiltelefone ebenso wenig wie die Datenträger (DVDs, CDs) einen erheblichen Wert. Die Mobiltelefone I FIG-LX1, M und M1 (XT1032) sind mit (damaligen) Neupreisen unter 200,00 Euro allenfalls dem mittleren Preissegment zuzuordnen, wobei es sich bei dem M um ein vor mehr als zehn Jahren erschienenes Modell handelt und auch das N1 als Neugerät kaum noch erhältlich ist. Das Modell ZTE Blade L3 aus dem Jahr 0000 entstammt dem unteren Preissegment unter 100,00 Euro. Darüber hinaus sind die Geräte, welche Gegenstand der außergerichtlichen Einziehung sind, gebraucht, was über den Gesichtspunkt des Zeitablaufs hinaus zu einer weiteren, erheblichen Entwertung führt.
kk)
Strafmildernd wurde ferner die alkoholbedingte Enthemmung des Angeklagten hinsichtlich der ab dem 00.00.0000 begangenen Taten (Fälle 4 bis 163) berücksichtigt. Einschränkend war hier jedoch zum einen zu gewichten, dass die Alkoholisierung keinen bestimmenden Einfluss auf die Begehung der Taten hatte. Der Angeklagte konsumierte im Tatzeitraum nahezu täglich Alkohol in nicht unerheblichen Mengen, er war mithin alkoholgewohnt. Zudem gehörten die Taten ebenso wie der Alkohol zu seinem regelmäßigen Tagesablauf. Das spricht dafür, dass er jeweils bereits zur Tat entschlossen war, noch bevor er zu trinken begann. Zum anderen war dem Angeklagten spätestens nach den ersten der ab dem 00.00.0000 begangenen Taten bewusst, dass die enthemmende Wirkung des Alkohols die Taten begünstigte. Deshalb ist ihm in den weiteren Fällen schon das Trinken vorzuwerfen; für eine Alkoholkrankheit des Angeklagten oder einen anderen Ausnahmefall, in dem die Trunkenheit dem Täter nicht oder nur eingeschränkt vorgeworfen werden kann, spricht nichts. Die selbst zu verantwortende Alkoholisierung stellt hier einen schulderhöhenden Umstand dar, der die Schuldminderung durch alkoholbedingte Enthemmung wenigstens teilweise ausgleicht.
ll)
Schließlich hat die Kammer zugunsten des Angeklagten in ihre Gesamtbewertung mit einbezogen, dass die neben der verhängten Strafe angeordnete Sicherungsverwahrung eine zusätzliche sanktionierende Wirkung für den Angeklagten bedeuten kann (vgl. BGH, Urteil vom 17.01.1973 – 3 StR 232/72, BeckRS 1973, 128; BGH, Beschluss vom 29.11.2001 – 5 StR 507/01 – NStZ 2002, 535).
mm)
Strafschärfend war ferner zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bereits wiederholt, wenngleich bis zum 00.00.0000 nicht wegen einschlägiger Taten, strafrechtlich in Erscheinung getreten war. Zudem war hinsichtlich der nach dem 00.00.0000 begangenen Taten des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes (Fälle 145 bis 163) zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Recklinghausen vom 19.03.2018 (Az.: 26b Ls-39 Js 168/13-7/18) wegen Besitzes kinder- und jugendpornografischer Schriften und damit in einem weiteren Sinne einschlägig (Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung) vorbestraft war und ab diesem Zeitpunkt auch unter laufender Bewährung stand. Der Angeklagte war durch das Urteil vom 00.00.0000 in besonderer Weise gewarnt. Dass er sich über diese Warnung bewusst hinweggesetzt hat, spricht ebenso wie die hohe Rückfallgeschwindigkeit für eine erhebliche kriminelle Energie. In dieselbe Richtung weist der Übergang von „Hands off“- zu „Hands on“-Straftaten an Kindern und Jugendlichen. Der Bewährungsbruch wirkt daher in diesen Fällen massiv strafschärfend.
In der Gesamtschau und unter Berücksichtigung des Gewichts der einzelnen Gesichtspunkte vermochten danach die strafmildernden Gesichtspunkte die strafschärfenden nicht wesentlich zu überwiegen.
b)
Für die 301 rechtlich zusammentreffenden Fälle des sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen (Fall 164) legt die Kammer den Strafrahmen des § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB von Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe zugrunde.
c)
Für den sexuellen Übergriff (Fall 165) ergibt sich der Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe aus § 177 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 StGB.
Die Kammer geht auch insoweit nicht von einem minder schweren Fall aus, für den § 177 Abs. 9 StGB einen Strafrahmen von Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren vorsieht.
aa)
Dabei hat die Kammer im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung zugunsten des Angeklagten wiederum die insgesamt lange Verfahrensdauer, sein Einverständnis mit der außergerichtlichen Einziehung der sichergestellten Mobiltelefone und Datenträger, den Abschluss des Vergleichs sowie den Umstand berücksichtigt, dass die neben der verhängten Strafe angeordnete Sicherungsverwahrung eine zusätzliche sanktionierende Wirkung für den Angeklagten bedeuten kann. Es wird insoweit auf die obigen Ausführungen zu der Frage eines minder schweren Falles des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes (Fälle 1 bis 163) Bezug genommen, die zu den genannten Gesichtspunkten in gleicher Weise gelten.
bb)
Strafmildernd wurde ferner die alkoholbedingte Enthemmung des Angeklagten berücksichtigt. Einschränkend war indes auch hier zu berücksichtigen, dass es sich bei der Tat nach § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht um eine zeitlich isoliert stehende Tat handelte, sondern diese, wenngleich der Kammer eine nähere Eingrenzung des Tatzeitpunkts nicht möglich war, sich in einem Zeitraum ereignete, in welchem der Angeklagte den Nebenkläger jedenfalls an jedem zweiten Tag sexuell missbrauchte. Bei dem sexuellen Übergriff handelt es sich um eine hiermit nach Schutzgut und Eingriffsintensität vergleichbare Tat, sodass die bezüglich des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes (Fälle 4 bis 163) gemachten Ausführungen zur Relativierung des Alkoholeinflusses auf die Tatbegehung auch hinsichtlich des sexuellen Übergriffs Geltung beanspruchen.
cc)
Weder strafschärfend noch strafmildernd berücksichtigt hat die Kammer, dass eine erhebliche psychische Belastung des Nebenklägers durch die Tat nicht festgestellt, aber auch nicht sicher ausgeschlossen werden konnte.
dd)
Gegen den Angeklagten spricht die Art und Weise der Tatbegehung. Der Angeklagte hatte, als er rittlings auf dem schlafenden Nebenkläger saß, nicht nur dessen Penis mit einer Hand umfasst. Vielmehr war er im Begriff, den Penis anal bei sich einzuführen. Er setzte damit zu einer sexuellen Handlung an, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden und deshalb als besonders gravierend zu werten ist (vgl. § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 StGB). Zwar tritt die Indizwirkung der Vorschrift nicht schon dann ein, wenn es, wie hier, lediglich zu einem versuchten Eindringen gekommen ist; dies hindert jedoch nicht daran, den Versuch bei der Strafzumessung zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss vom 07.01.2003 – 3 StR 425/02 – NStZ 2003, 602).
ee)
Gegen den Angeklagten spricht auch, dass er eine sexuelle Handlung am schlafenden Nebenkläger nicht nur im Fall 165 vornahm. Zwar ist der vorliegende Fall der einzige dieser Art, der Gegenstand des Urteils ist. Allerdings finden sich weitere Taten nach demselben Muster bei den sexuellen Handlungen, die das Video VID-20190511-WA0001.mp4 zeigt, sowie bei denjenigen, die in den Videos, welche Gegenstand der Fälle 168 und 169 sind, dargestellt bzw. der Aufnahme vorausgegangen sind. Somit handelt es sich bei der Tat im Fall 165 nicht etwa um einen „Ausreißer“.
ff)
Strafschärfend war ferner zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bereits wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten war. Das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 00.00.0000 bleibt hier allerdings außer Betracht. Ob die Tat vor oder nach dem 14. Geburtstag des Nebenklägers am 00.00.0000 verübt wurde, ließ sich nicht feststellen. Die Kammer schließt lediglich aus, dass sie bereits kurze Zeit nach dem Einzug des Nebenklägers bei dem Angeklagten geschah. Eine nähere zeitliche Eingrenzung der Tat war hingegen nicht möglich. Damit bleibt auch ungewiss, ob sie vor oder nach dem 00.00.0000 verübt wurde. Unter Anwendung des Zweifelssatzes war deshalb – trotz der rechtlichen Bewertung der Tat als sexueller Übergriff und nicht auch als sexueller Missbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB a.F. – an dieser Stelle zugunsten des Angeklagten zu unterstellen, dass im Tatzeitpunkt eine einschlägige Verurteilung noch nicht gegeben war und er dementsprechend auch nicht unter laufender Bewährung stand (vgl. BGH, Urteil vom 29.10.1958 – 2 StR 375/58 – NJW 1959, 1139; BGH, Beschluss vom 12.09.2000 – 4 StR 305/00 – BeckRS 2000, 30130848).
In der Gesamtschau vermochten danach die strafmildernden Gesichtspunkte die strafschärfenden nicht wesentlich zu überwiegen. Die größere Zahl der Milderungsgründe wird durch das Gewicht der Schärfungsgründe zumindest teilweise ausgeglichen.
d)
Für die zwei Fälle der gefährlichen Körperverletzung (Fälle 166 und 167) geht die Kammer vom Regelstrafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB von Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren aus.
Ein minder schwerer Fall der gefährlichen Körperverletzung, für den nach § 224 Abs. 1 StGB ein Strafrahmen von Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren zugrunde zu legen wäre, ist nicht gegeben.
Dabei hat die Kammer im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung zugunsten des Angeklagten wiederum die insgesamt lange Verfahrensdauer, sein Einverständnis mit der außergerichtlichen Einziehung der sichergestellten Mobiltelefone und Datenträger, den Abschluss des Vergleichs sowie den Umstand berücksichtigt, dass die neben der verhängten Strafe angeordnete Sicherungsverwahrung eine zusätzliche sanktionierende Wirkung für den Angeklagten bedeuten kann.
Für den Angeklagten spricht, dass es sich erkennbar um Spontantaten handelt; so beging er die Tat im Fall 166 im Zuge eines Streits mit dem Nebenkläger. Ferner hat die Kammer unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes zugunsten des Angeklagten angenommen, dass der Nebenkläger hinsichtlich der Tat betreffend den Wurf einer Kaffeekanne (Fall 166) den Angeklagten vom Schlafen abhielt und so durch sein Verhalten zur Tatbegehung beigetragen hat.
Strafmildernd hat die Kammer wiederum die alkoholbedingte Enthemmung des Angeklagten im Tatzeitpunkt berücksichtigt. Die Alkoholisierung entlastet ihn hier mehr als bei dem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes (Fälle 4 bis 163). Weder war er in den Fällen 166 und 167 bereits zur Tat entschlossen, noch bevor er zu trinken begann, noch ist ihm hier schon das Trinken vorzuwerfen.
Zudem war strafmildernd zu berücksichtigen, dass bei dem Nebenkläger im Falle des Wurfs der Whiskeyflasche (Fall 167) lediglich eine ganz leichte Verletzung entstanden ist sowie in beiden Fällen die erlittenen Verletzungen keiner ärztlichen Behandlung bedurften und keine dauerhaften Verletzungsfolgen verblieben sind.
Hinsichtlich des Wurfs der gefüllten Kaffeekanne (Fall 166) war strafschärfend, wenngleich nicht mit erheblichem Gewicht, auch die über die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB hinausgehende Gefährlichkeit der Art und Weise der Tatbegehung zu berücksichtigen. Der Nebenkläger war am Oberkörper unbekleidet, womit eine besondere Gefährdung für Verbrühungen verbunden ist, und der heiße Kaffee war als Tatmittel – anders als andere gefährliche Werkzeuge im Sinne der Norm – in besonderem Maße nicht beherrschbar, da es sich um eine Flüssigkeit handelt, deren Verteilung nach dem Abwurf für den Angeklagten weitgehend unvorhersehbar war.
Soweit es den Wurf der Kaffeekanne (Fall 166) betrifft, war zugunsten des Angeklagten ferner zu berücksichtigen, dass er sein Handeln bereits gleich nach der Tat bereut und sich in der Hauptverhandlung sowie gegenüber der Sachverständigen Dr. M5 hinsichtlich der äußeren Tatseite geständig eingelassen hat. Das Geständnis wiegt hier schwerer als bei dem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes (Fälle 4 bis 163). Zwar unterscheidet es sich nach Zeitpunkt und Form nicht von demjenigen in den Fällen 4 bis 163. Jedoch hat der Angeklagte die Verantwortung für die Körperverletzung nicht in demselben Maß auf den Nebenkläger verlagert wie bei dem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes. Dass er ihm auch hier zu Unrecht eine Mitschuld zuweist, indem er behauptet, dieser habe ihm zuvor eine Tasse Kaffee ins Gesicht „geballert“ oder das zumindest versucht, hat die Kammer gesehen.
Strafschärfend hat die Kammer dagegen berücksichtigt, dass der Angeklagte bereits wiederholt sowie einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getreten war sowie in den Tatzeitpunkten unter laufender Bewährung stand. Allerdings hat der Bewährungsbruch hier nicht dasselbe Gewicht wie in den Fällen 145 bis 163. Die gefährlichen Körperverletzungen sind mit dem Besitz kinder- und jugendpornografischer Schriften nicht vergleichbar, sie sind deshalb nicht als einschlägiger Rückfall zu werten. Auch kann für die beiden spontan und maßgeblich unter Alkoholeinfluss verübten Körperverletzungen weder von einem bewussten Bewährungsbruch noch von einer ähnlichen Rückfallgeschwindigkeit wie bei dem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes die Rede sein.
Auch hinsichtlich der Taten nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB ergibt die Gesamtschau der Umstände somit kein Bild der Taten, welches vom Durchschnitt der gefährlichen Körperverletzungen so weit nach unten abweicht, dass die Anwendung des Regelstrafrahmens unangemessen erschiene.
e)
Für die zwei Fälle der Drittbesitzverschaffung jugendpornografischer Schriften jeweils in Tateinheit mit Besitz jugendpornografischer Schriften (Fälle 168 und 169) legt die Kammer gemäß § 52 Abs. 2 StGB den Strafrahmen des § 184c Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. zugrunde, der Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vorsieht.
Der im Zeitpunkt der Entscheidung geltende § 184c Abs. 1 Nr. 2 StGB ist kein milderes Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB, da derselbe Strafrahmen gilt.
f)
Für den Besitz kinderpornografischer Schriften (Fall 170) ergibt sich der Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe aus § 184b Abs. 3 StGB a.F.
Das im Zeitpunkt der Entscheidung geltende Gesetz in Gestalt des § 184b Abs. 3 StGB ist aufgrund des höheren Strafrahmens kein milderes im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB.
2.
a)
Bei der Strafzumessung im engeren Sinne hat die Kammer in den Fällen 1 bis 163 die oben bei der Strafrahmenwahl ausgeführten Gesichtspunkte erneut berücksichtigt. Dabei ist es sachgerecht, in den Fällen 1 bis 3 mildere Strafen als in den Fällen 4 bis 163 zu verhängen, weil der Nebenkläger hier in erheblichem Maße zur Begehung der Taten beigetragen hat. Auch innerhalb der zweiten Gruppe ist eine Abstufung angebracht, da sich die Fälle 145 bis 163 von den Fällen 4 bis 144 durch den Bewährungsbruch abheben. Unter zusammenfassender Würdigung aller Umstände hielt die Kammer für die Taten des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes folgende Einzelfreiheitsstrafen für unrechts-, schuld- und sühneangemessen sowie zur Einwirkung auf den Angeklagten erforderlich, aber auch ausreichend:
für die Taten vom
00.00.0000 (Fall 1),
00.00.0000 (Fall 2)
und 00.00.0000 (Fall 3) jeweils drei Jahre;
für die weiteren 141 Fälle
bis einschließlich zum 00.00.0000 (Fälle 4 bis 144)
jeweils drei Jahre und drei Monate;
für die 19 weiteren Fälle
zwischen dem 00.00.0000 und dem 00.00.0000 (Fälle 145 bis163)
jeweils vier Jahre.
b)
Bei dem sexuellen Missbrauch eines Jugendlichen (Fall 164) gelten für die Strafzumessung grundsätzlich dieselben Überlegungen wie für den schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes.
Anderes gilt allerdings für das Alter des Nebenklägers. Dieses wirkt hier nicht strafmildernd, sondern strafschärfend. Der Nebenkläger hatte im Zeitpunkt des Beginns der Tat nach § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Altersschutzgrenze des § 176 StGB nur knapp überschritten, selbst zum Ende des Tatzeitraums war er gerade erst 16 Jahre alt und lag damit noch deutlich unter der Schutzgrenze des § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB von 18 Jahren.
Anders zu gewichten ist auch die Art und Weise der Tatbegehung. Im Unterschied zur Vorschrift des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F., bei der beischlafähnliche sexuelle Handlungen, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind, zum gesetzlichen Tatbestand gehören, genügen hier sexuelle Handlungen. Deshalb hat die Kammer zu Lasten des Angeklagten gewertet, dass der an dem Nebenkläger vorgenommene Oralverkehr über das zur Verwirklichung des Tatbestands des § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB Notwendige deutlich hinausging. Nicht unberücksichtigt bleiben konnte dabei die zweimalige anale Penetration, die zudem mit einem Eindringen in den Körper des Nebenklägers verbunden und daher für ihn besonders erniedrigend war. Auch sie war daher strafschärfend in Ansatz zu bringen; insbesondere steht der Zweifelssatz der Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts nicht entgegen (s. oben III.B.3.a)dd)(3)(b)(aa)). Hohes Gewicht hat die Kammer dem Analverkehr jedoch nicht beigemessen, weil er lediglich zwei von 301 Handlungen betrifft.
Aus dem zuletzt genannten Grund hat sie das Geständnis genauso bewertet wie bei dem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes, wenngleich der Angeklagte die zweimalige anale Penetration nicht eingeräumt hat.
Strafmildernd hat die Kammer berücksichtigt, dass der Nebenkläger auch zu der Entstehung der Zwangslage im Sinne des § 182 Abs. 1 StGB maßgeblich beigetragen hat. Erst durch seinen im Zeitpunkt der Vollendung des 14. Lebensjahres bereits mehr als dreiviertel Jahr dauernden Aufenthalt bei dem Angeklagten, in dessen Wohnung er sich freiwillig begeben hatte, befand sich der Nebenkläger überhaupt in der Situation, dass er beim Verlassen des Haushalts des Angeklagten mit erheblichen Konsequenzen in Form insbesondere einer geschlossenen Unterbringung in einer Wohngruppe oder Psychiatrie zu rechnen hatte. Für den Angeklagten spricht ferner, dass er die Zwangslage zwar ausnutzte, den Nebenkläger aber nicht zusätzlich durch entsprechende Drohungen nötigte; dass er ihn vor die Tür setzen werde, wenn er sich seinen sexuellen Wünschen verweigere, äußerte er nie.
Der Bewährungsbruch wirkt, wie schon in den Fällen 145 bis 163, wiederum massiv strafschärfend. Dasselbe gilt für die hohe Zahl der Fälle, die hier nicht unberücksichtigt bleiben konnte. Anders als beim schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes handelt es vorliegend um rechtlich zusammentreffende Sexualakte im Rahmen einer Handlungseinheit. Dass der Tatbestand gleich 301 mal verletzt wurde, ist daher ähnlich wie bei gleichartiger Tateinheit für den Schuldumfang der Tat bestimmend.
Die Kammer hat nach Abwägung aller Gesichtspunkte für die Tat des sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen (Fall 164) auf eine Freiheitsstrafe von
vier Jahren und drei Monaten
erkannt, die sie für unrechts-, schuld- und sühneangemessen sowie zur Einwirkung auf den Angeklagten erforderlich, aber auch ausreichend erachtet hat. Dass die Strafe im oberen Bereich des Strafrahmens liegt, hat sie gesehen.
c)
Im Fall 165 hat die Kammer bei der Strafzumessung im engeren Sinne die oben ausgeführten Gesichtspunkte erneut berücksichtigt. Unter zusammenfassender Würdigung dieser Umstände hielt die Kammer für die Tat des sexuellen Übergriffs (Fall 165) eine Freiheitsstrafe von
drei Jahren
für unrechts-, schuld- und sühneangemessen sowie zur Einwirkung auf den Angeklagten erforderlich, aber auch ausreichend.
d)
Hinsichtlich der zwei Fälle der gefährlichen Körperverletzung (Fälle 166 und 167) hält die Kammer gleiche Strafen für richtig. Zwar kommt dem Angeklagten im Fall 167 kein Geständnis zugute. Indes wurde der Nebenkläger hier nur ganz leicht verletzt. Die Kammer hat unter erneuter Würdigung der oben bei der Strafrahmenwahl dargestellten Umstände Einzelfreiheitsstrafen von
jeweils zehn Monaten
für unrechts-, schuld- und sühneangemessen sowie zur Einwirkung auf den Angeklagten erforderlich, aber auch ausreichend erachtet.
e)
In den Fällen 168 und 169 hat die Kammer zugunsten des Angeklagten abermals die lange Verfahrensdauer, das Einverständnis mit der außergerichtlichen Einziehung der sichergestellten Mobiltelefone und Datenträger sowie die Anordnung der Sicherungsverwahrung neben den verhängten Strafen berücksichtigt. Auch hier hatten die ersten beiden Gesichtspunkte nur eingeschränktes Gewicht.
Strafschärfend war zu berücksichtigen, dass der Angeklagte bereits wiederholt, wenngleich bis zum 00.00.0000 nicht wegen einschlägiger Taten, strafrechtlich in Erscheinung getreten war. Zudem war zu berücksichtigen, dass er aufgrund des Urteils des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 (Az.: 26b Ls-39 Js 168/13-7/18) wegen Besitzes kinder- und jugendpornografischer Schriften und damit einschlägig (Pornografiedelikt) vorbestraft war und ab diesem Zeitpunkt auch unter laufender Bewährung stand. Der Angeklagte war durch das Urteil vom 00.00.0000 in besonderer Weise gewarnt. Dass er sich über diese Warnung bewusst hinweggesetzt hat, spricht für eine erhebliche kriminelle Energie; es wirkt deshalb massiv strafschärfend.
Strafschärfend hat die Kammer ferner berücksichtigt, dass das Alter des Nebenklägers in den Tatzeitpunkten im April 0000, in oder vor denen die Videodateien, die den Gegenstand der Taten bilden, erstellt wurden, mit knapp 15 Jahren noch deutlich unter der Altersschutzgrenze des § 184c StGB lag.
Im Fall 169 kommt erschwerend hinzu, dass Gegenstand der Tat gleich fünf Videos sind, von denen das Video VID-20190408-WA0005.mp4 sexuelle Handlungen zeigt, die teils auch mit einem Eindringen in den Körper verbunden (Oralverkehr) verbunden und daher schwerwiegende sexuelle Handlungen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 11.03.2015 – 4 StR 570/14 – BeckRS 2015, 5730; BGH, Beschluss vom 17.12.2008 – 2 StR 461/08 – NStZ-RR 2009, 103). Im Fall 168 handelt es sich nur um zwei Videos.
Danach wiegt der Fall 169 schwerer als der Fall 168. Die Kammer hält folgende Einzelfreiheitsstrafen für angemessen, die sie als unrechts-, schuld- und sühneangemessen sowie zur Einwirkung auf den Angeklagten erforderlich, aber auch ausreichend erachtet:
für die Tat vom 00.00.0000 (Fall 168) zehn Monate;
für die Tat vom 00.00.0000 (Fall 169) ein Jahr.
f)
Ähnliche Erwägungen wie in den Fällen 168 und 169 gelten hinsichtlich des Besitzes kinderpornografischer Schriften (Fall 170).
Für den Angeklagten sprechen – wiederum mit eingeschränktem Gewicht – die lange Verfahrensdauer, das Einverständnis mit der außergerichtlichen Einziehung der sichergestellten Mobiltelefone und Datenträger sowie die Anordnung der Sicherungsverwahrung neben den verhängten Strafen.
Gegen ihn spricht, dass er bereits wiederholt, wenngleich bis zum 00.00.0000 nicht wegen einschlägiger Taten, strafrechtlich in Erscheinung getreten war. Zudem war zu berücksichtigen, dass er aufgrund des Urteils des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 (Az.: 26b Ls-39 Js 168/13-7/18) wegen Besitzes kinder- und jugendpornografischer Schriften und damit einschlägig (Pornografiedelikt) vorbestraft war und ab diesem Zeitpunkt auch unter laufender Bewährung stand. Der Angeklagte war durch das Urteil vom 00.00.0000 in besonderer Weise gewarnt. Dass er sich über diese Warnung bewusst hinweggesetzt hat, spricht für eine erhebliche kriminelle Energie; es wirkt deshalb massiv strafschärfend.
Ferner hat die Kammer strafschärfend berücksichtigt, dass auch hier der Unrechtsgehalt der Tat über das zur Verwirklichung des Tatbestands des § 184b Abs. 3 StGB erforderliche Maß hinausgeht: Die Tat betrifft sieben Videos. Bei den kinderpornografischen Inhalten handelt es sich um teils mehrminütige Videos, von denen fünf Videos sexuelle Handlungen darstellen, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Oralverkehr, in einem Fall zudem Analverkehr). In zwei der fünf Videos ist an dem Oralverkehr ein Erwachsener beteiligt, sie zeigen daher den besonders schweren sexuellen Missbrauch von Kindern (vgl. BGH, Beschluss vom 11.03.2015 – 4 StR 570/14 – BeckRS 2015, 5730; BGH, Beschluss vom 17.12.2008 – 2 StR 461/08 – NStZ-RR 2009, 103).
Die Besitzdauer ist überwiegend kurz, was für den Angeklagten spricht. Die fünf Videos auf dem I hatte er nur wenige Tage oder Wochen gespeichert. Lediglich die zwei Videos auf dem N1 besaß er schon seit 0000, der strafbare Besitz beginnt hier spätestens am 00.00.0000 (s. oben IV.6.).
Unter Berücksichtigung Gesichtspunkte hielt die Kammer für den Besitz kinderpornografischer Schriften (Fall 170) eine Freiheitsstrafe von
einem Jahr
für unrechts-, schuld- und sühneangemessen sowie zur Einwirkung auf den Angeklagten erforderlich, aber auch ausreichend.
3.
Bei der Gesamtstrafenbildung nach §§ 53, 54, 55 StGB kommt dem Urteil des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 (Az.: 26b Ls-39 Js 168/13-7/18) Zäsurwirkung zu, sodass zwei Gesamtstrafen zu bilden waren (vgl. BGH, Beschluss vom 14.11.2003 – 2 StR 394/03 – NStZ-RR 2004, 137). Deshalb hat die Kammer aus den Einzelstrafen für die vor dem Urteil begangenen Taten einerseits (Fälle 1 bis 144) und aus der vom Amtsgericht verhängten Strafe andererseits eine nachträgliche Gesamtstrafe gebildet (§ 55 Abs. 1 StGB), die Einzelstrafen für die nachher verübten Taten (Fälle 145 bis 170) hat sie zu einer weiteren Gesamtstrafe zusammengefasst.
Bei der Bildung der Gesamtstrafen waren die verwirkten Einsatzstrafen von drei Jahren und drei Monaten (erste Gesamtstrafe) sowie von vier Jahren und drei Monaten (zweite Gesamtstrafe) jeweils um wenigstens einen Monat zu erhöhen (§§ 54 Abs. 1 S. 2, 39 StGB). Das Höchstmaß der Gesamtstrafen lag jeweils bei 15 Jahren (§ 54 Abs. 2 S. 1 StGB).
Bei der Zumessung der Gesamtstrafen hat die Kammer ausgehend von § 54 Abs. 1 S. 3 StGB die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt. Dabei haben erneut sämtliche Gesichtspunkte Berücksichtigung gefunden, die bereits bei der Festlegung des konkreten Strafrahmens bzw. der Strafzumessung hinsichtlich der Einzelstrafen genannt worden sind. Darüber hinaus hat die Kammer den Zusammenhang zwischen den einzelnen Taten bedacht, diesem Gesichtspunkt hat sie besondere Bedeutung beigemessen. Beiden Gesamtstrafen liegen hauptsächlich gleichförmig sowie in dichter zeitlicher Folge verübte Sexualstraftaten zum Nachteil desselben Opfers zugrunde. Das spricht für eine lediglich moderate Erhöhung der verwirkten Einsatzstrafen. Ferner hat die Kammer besonders in den Blick genommen, dass aufgrund der Zäsurwirkung des Urteils des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 (Az.: 26b Ls-39 Js 168/13-7/18) zwei Gesamtstrafen zu bilden waren. Hieraus resultiert die Gefahr eines zu hohen Gesamtstrafenübels durch Addition der beiden zu verhängenden Gesamtstrafen (vgl. BGH, Beschluss vom 17.04.2008 – 4 StR 118/08 – NStZ-RR 2008, 234; BGH, Beschluss vom 09.11.1995 – 4 StR 650/95 – NJW 1996, 667). Das spricht für einen jeweils äußerst straffen Strafzusammenzug.
Aufgrund der danach vorgenommenen Gesamtwürdigung hat die Kammer unter Erhöhung der Einsatzstrafen von drei Jahren und drei Monaten sowie von vier Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe auf Gesamtfreiheitsstrafen von
vier Jahren
sowie weiteren
fünf Jahren
erkannt, die sie für unrechts-, schuld- und sühneangemessen und zur Einwirkung auf den Angeklagten für unbedingt erforderlich, aber auch ausreichend erachtet hat.
Unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten und der Gesamthöhe der Geldauflage aus dem Beschluss des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 (26b Ls-39 Js 168/13-7/18 BEW) hat die Kammer die durch den Angeklagten hierauf geleisteten Zahlungen in Höhe von insgesamt 125,00 Euro mit zehn Tagen gemäß §§ 58 Abs. 2 S. 2, 56f Abs. 3 S. 2 StGB auf die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren angerechnet (vgl. BGH, Beschluss vom 22.02.2017– 1 StR 555/16 – BeckRS 2017, 105605; BGH, Beschluss vom 18.02.2014 – 3 StR 442/13 – BeckRS 2014, 6116; BGH, Beschluss vom 20.03.1990 – 1 StR 283/89 – NJW 1990, 1674).
VII.
Neben der Verhängung einer Freiheitsstrafe war nach Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens der Kammer die Sicherungsverwahrung anzuordnen.
1.
Die formellen Voraussetzungen einer fakultativen Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 und Abs. 3 S. 2 StGB liegen vor.
Der nicht im Sinne des § 66 Abs. 1 S. 1 StGB vorverurteilte Angeklagte wurde im vorliegenden Verfahren wegen insgesamt 165 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (Fälle 1 bis 165) im Sinne der § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 lit. a) und Abs. 3 S. 1 StGB zu Einzelfreiheitsstrafen zwischen drei Jahren und vier Jahren und drei Monaten verurteilt (s. VI.2.a)-c)).
2.
Die – sachverständig beratene – Kammer ist davon überzeugt, dass bei dem Angeklagten ein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten, namentlich solcher, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, im Sinne des § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB in Gestalt von Sexualstraftaten wie den hier zur Verurteilung gelangten, besteht.
a)
Der Rechtsbegriff des Hanges im Sinne des § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB beschreibt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung, deren Ursache unerheblich ist, immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag (vgl. BGH, Urteil vom 06.05.2021 – 3 StR 350/20 – BeckRS 2021, 17369; BGH, Urteil vom 31.07.2019 – 2 StR 132/19 – BeckRS 2019, 26937; BGH, Urteil vom 09.05.2019 – 4 StR 511/18 – NStZ-RR 2020, 10; BGH, Beschluss vom 25.09.2018 – 4 StR 192/18 – BeckRS 2018, 26418; BGH, Urteil vom 10.06.2010 – 4 StR 474/09 – NStZ-RR 2011, 143; BGH, Urteil vom 25.02.1988 – 4 StR 720/87 – BeckRS 1988, 31102123). Der Hang als „eingeschliffenes Verhaltensmuster“ bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung wertend festgestellten gegenwärtigen Zustand (vgl. BGH, Urteil vom 31.07.2019 – 2 StR 132/19 – BeckRS 2019, 26937; BGH, Urteil vom 09.05.2019 – 4 StR 511/18 – NStZ-RR 2020, 10; BGH, Beschluss vom 25.09.2018 – 4 StR 192/18 – BeckRS 2018, 26418). Sein Vorliegen hat das Tatgericht – nach sachverständiger Beratung – unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände in eigener Verantwortung festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen (vgl. BGH, Urteil vom 06.05.2021 – 3 StR 350/20 – BeckRS 2021, 17369; BGH, Urteil vom 31.07.2019 – 2 StR 132/19 – BeckRS 2019, 26937; BGH, Urteil vom 09.05.2019 – 4 StR 511/18 – NStZ-RR 2020, 10; BGH, Beschluss vom 19.07.2017 – 4 StR 245/17 – BeckRS 2017, 123287; BGH, Beschluss vom 06.05.2014 – 3 StR 382/13 – NStZ-RR 2014, 271). Diese Würdigung bedarf in den Fällen der § 66 Abs. 2 und Abs. 3 S. 2 StGB, bei denen symptomatische Vortaten und neuerliche Delinquenz trotz erfolgter Einwirkung des Straf- oder Maßregelvollzugs im Sinne des § 66 Abs. 1 S. 1 StGB fehlen, besonderer Sorgfalt (vgl. BGH, Urteil vom 06.05.2021 – 3 StR 350/20 – BeckRS 2021, 17369; BGH, Urteil vom 31.07.2019 – 2 StR 132/19 – BeckRS 2019, 26937; BGH, Urteil vom 29.11.2008 – 3 StR 300/18 – NStZ-RR 2019, 140; BGH, Beschluss vom 06.05.2014 – 3 StR 382/13 – NStZ-RR 2014, 271; BGH, Beschluss vom 30.03.2010 – 3 StR 69/10 – NStZ-RR 2010, 203).
Ausgehend von diesem rechtlichen Maßstab ist bei dem Angeklagten ein Hang zu Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB namentlich in Gestalt von Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern oder Jugendlichen wie den hier in den Fällen 1 bis 165 zur Verurteilung gelangten vorhanden.
Nach den bereits zur Frage der Schuldfähigkeit (s. oben V.) dargestellten Ausführungen der Sachverständigen Dr. M5 und Prof. Dr. O, denen sich die Kammer nach eigener Sachprüfung angeschlossen hat, vereinen sich in der Persönlichkeit des Angeklagten dissoziale und narzisstische Züge, welche sich namentlich in den in der Vergangenheit begangenen Straftaten, einem Empathiemangel und Desinteresse, einer begrenzten Verantwortungsübernahme, Introspektionsfähigkeit und Anstrengungsbereitschaft sowie narzisstischen Attitüden zeigen. Die Schwelle zu einer Persönlichkeitsstörung wird nicht erreicht.
Unabhängig von der Frage, ob es sich dabei um eine Störung der Sexualpräferenz im Sinne der ICD-10 (F65, insb. F65.4) handelt, sind ferner nach der insoweit übereinstimmenden Einschätzung der Sachverständigen, der die Kammer auch in diesem Punkt nach eigener Sachprüfung gefolgt ist, pädosexuelle Neigungen, die sich vorrangig auf männliche Kinder und Jugendliche im pubertären Alter richten, zumindest im Sinne einer sogenannten Nebenströmung, mithin einem sexuellen Interesse neben anderen, festzustellen.
Zudem erreicht der Angeklagte ausweislich des Gutachtens der forensisch erfahrenen Sachverständigen Prof. Dr. O nach der Psychopathy Checklist-Revised (PCL-R; Hare 2003), einem Standardverfahren zur Erfassung von psychopathischen Persönlichkeitseigenschaften einen Wert von 24/25, wobei Werte gleich oder größer 25 für ein vergleichsweise hohes Maß an psychopathischen Eigenschaften sprechen und generell höhere Werte auf der Skala mit einer erhöhten Gewaltbereitschaft assoziiert werden.
Bei dem Angeklagten ist sowohl in Bezug auf seine sexuellen Neigungen – wobei die Kammer ausdrücklich nicht verkennt, dass pädosexuelle Interessen nicht mit einem Hang zu entsprechenden Straftaten gleichzusetzen sind – als auch seine Taten zwar keine eindeutig ich-syntone, zustimmende, indes eine unkritische, teils externalisierende, teils leugnende Haltung festzustellen. Sein Fehlverhalten sieht er nur bedingt ein, die Verantwortung sucht er bei anderen, namentlich auch bei dem Nebenkläger.
Ein sexuelles Interesse an Kindern hat der Angeklagte gegenüber der Sachverständigen Dr. M5 insgesamt in Abrede gestellt. Gegenüber der Sachverständigen Prof. Dr. O hat er angegeben, dass er „von Natur aus ein Sexmuffel sei“. Auch gegenüber der Sachverständigen Dr. M5 hat er sich für die letzten Jahre insgesamt als weitgehend asexuell beschrieben.
Sowohl gegenüber dem Zeugen KHK B im Rahmen seiner Beschuldigtenvernehmung als auch in der Exploration durch die Sachverständige Prof. Dr. O hat er hinsichtlich des Besitzes von Kinderpornografie angegeben, „diese Kinderpornokacke“ hinter sich zu haben, in die er ohnehin nur „reingerutscht“ sei. Auch hinsichtlich der Taten zum Nachteil des Nebenklägers verlagert der Angeklagte die Verantwortung weitgehend auf diesen. Aus seiner Einlassung im Rahmen der Hauptverhandlung sowie seinen Angaben gegenüber der Sachverständigen Dr. M5 ergibt sich eine deutliche Verantwortungsverlagerung in diesem Sinne. Dies betrifft insbesondere die Fälle 4 bis 164. Hier sei die Initiative stets vom Nebenkläger ausgegangen, der ihn ausdrücklich zur Vornahme sexueller Handlungen aufgefordert habe („Du musst noch zwischen meine Beine“ o. Ä.). Er – der Angeklagte – sei daran gar nicht interessiert gewesen, er habe nur seine Ruhe haben wollen. Jedoch habe er sich gegen den Nebenkläger nicht durchsetzen können. Habe er sich geweigert, sei der Nebenkläger sauer geworden. Ohne ausdrückliche Aufforderung des Nebenklägers habe er kein einziges Mal sexuelle Handlungen an diesem vorgenommen. In dieser Einlassung sieht die Kammer nicht nur eine Beschönigung einzelner Tatumstände. Vielmehr wirft der Angeklagte sich selbst in den Fällen 4 bis 164 allein vor, gegenüber den angeblichen sexuellen Wünschen des Nebenklägers zu nachgiebig gewesen zu sein.
In Bezug auf mögliche Tatfolgen ist bei dem Angeklagten keinerlei kritische Auseinandersetzung mit seinen Handlungen festzustellen, vielmehr bagatellisiert und romantisiert er sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. In den Chats mit dem „C“ sowie dem Zeugen I5 verwendet der Angeklagte Begriffe wie „verwöhnen“ in Bezug auf die Ausführung sexueller Handlungen an Kindern oder Jugendlichen und betont seine Beliebtheit unter den männlichen Kindern und Jugendlichen, mit denen er angeblich bereits Sexualkontakte hatte und die ihm Kontakte zu ihren Freunden vermittelten. Auch in seiner Einlassung hat er angegeben, er glaube nicht, dass der Nebenkläger „aufgrund des Aufenthalts“ bei ihm traumatisiert sei, um unmittelbar im nachfolgenden Satz – die Verantwortung für sein Tun verlagernd – herauszustellen, dass dieser ihn vielmehr kontrolliert habe. Eine gedankliche Auseinandersetzung mit den Auswirkungen, die der Aufenthalt des Nebenklägers bei ihm bereits im Hinblick auf das Fehlen jeder anderen sozialen Kontakte hatte, ist bei dem Angeklagten nicht zu erkennen.
Bei der Bewertung der bisherigen Straffälligkeit des Angeklagten hat die Kammer im Blick gehabt, dass er lediglich in einem Fall, nämlich wegen Besitzes kinder- und jugendpornografischer Schriften (Urteil des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 – 26b Ls 39 Js 168/13 – 7/18), einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und eine Spezialisierung auf einen bestimmten Deliktstyp nicht zu erkennen ist. Weiterhin hat die Kammer nicht übersehen, dass die Delinquenz des Angeklagten erst ab dessen Volljährigkeit beginnt, sich überwiegend nicht auf Gewaltdelikte bezieht und er wiederholt über Zeiträume von mehreren Jahren strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist. Zudem wurde er lediglich in einem Fall (Urteil des Amtsgerichts S von 00.00.0000 – 26b Ls 39 Js 168/13 – 7/18) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Andererseits konnte nicht außer Acht gelassen werden, dass zwischen der einschlägigen Vorverurteilung aus dem Urteil des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 (26b Ls 39 Js 168/13 – 7/18) und den hier in den Fällen 1 bis 165 zur Verurteilung gelangten Taten eine Intensitätssteigerung von „Hands Off“- zu „Hands On“-Delikten festzustellen ist und die Taten in den Fällen 145 bis 164 innerhalb der Bewährungszeit aus dem vorgenannten Urteil begangen wurden. Insbesondere konnte nicht aus dem Blick genommen werden, dass der Angeklagte in dem seiner vorläufigen Festnahme im hiesigen Verfahren unmittelbar vorausgegangenen Zeitraum seit dem 00.00.0000 jedenfalls an jedem zweiten Tag eine strafbare natürliche Handlung im Sinne einer Tat des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes oder der Ausübung des Oralverkehrs als Teilakt des sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen vorgenommen hat. Hieran hat sich namentlich durch die Verurteilung durch das Amtsgericht S am 00.00.0000 nichts geändert, vielmehr hat der Angeklagte spätestens am Folgetag eine weitere Tat des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes begangen, was in besonderem Maße zeigt, dass er sich durch die verhängte Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war, in keiner Form hat beeindrucken lassen. Die Kammer hat dabei gesehen, dass sich sämtliche der Anlasstaten (Fälle 1 bis 165) gegen dasselbe Opfer, den Nebenkläger, richteten, was indes der Annahme eines Hanges nicht grundsätzlich entgegensteht (vgl. BGH, Urteil vom 25.07.2007 – 2 StR 209/07 – NStZ 2008, 27). Weiterhin hat die Kammer im Blick gehabt, dass die einzelnen Tathandlungen im Fall 164 auf einem einheitlichen Tatentschluss beruhten (vgl. BGH, Urteil vom 25.07.2007 – 2 StR 209/07 – NStZ 2008, 27).
Neben den zuletzt mit hoher Frequenz begangenen strafbaren Handlungen spricht für das Vorliegen eines Hanges bei dem Angeklagten auch, dass die Anlasstaten (Fälle 1 bis 165) nicht aufgrund einer bestimmten biografischen Veränderung oder aus einer Krisensituation heraus begangen wurden. Die Kammer verkennt nicht, dass sich durch das Verhalten des Nebenklägers günstige Tatgelegenheiten ergeben haben. Der Nebenkläger hat durch sein Verhalten zur Begehung der Taten beigetragen. Dies gilt in erheblichem Maße für die Fälle 1 bis 3. Die erste Kontaktaufnahme zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger erfolgte durch den Nebenkläger, der in den in der Folge ausgetauschten Sprachnachrichten Druck auf den Angeklagten ausübte, sich möglichst bald mit ihm zu treffen, da er die versprochenen 50 Euro als Gegenleistung für die Vornahme des Oralverkehrs durch den Angeklagten haben wollte. Die folgenden beiden Treffen, zu denen es am 00.00.0000 und 00.00.0000 kam (Fälle 2 und 3), wurden ebenfalls durch den Nebenkläger forciert, der sich schnellstmöglich wieder mit dem Angeklagten treffen wollte, um Geld und Zigaretten bzw. E-Shisha zu erhalten. In abgeschwächter Form gilt die Überlegung auch für die Fälle 4 bis 164. Die Initiative für die Aufnahme in die Wohnung des Angeklagten für den zunächst geplanten Zeitraum von zwei Wochen, während dessen es zu weiteren Taten kam, ging von dem Nebenkläger aus. Ähnlich verhält es sich mit Blick auf die Zeit danach. Wenngleich nicht festgestellt werden konnte, ob der Angeklagte oder der Nebenkläger den Vorschlag machte, der Nebenkläger könne bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres im Haushalt des Angeklagten bleiben, kam es auch insoweit schlussendlich zu einer einvernehmlichen Abrede, die dazu führte, dass sich dem Angeklagten die Gelegenheit für die im weiteren Verlauf begangenen Missbrauchstaten zum Nachteil des Nebenklägers erst eröffnete. Sonstige äußere Gegebenheiten, deren Hinzutreten oder Wegfall zu den Taten geführt oder diese erheblich begünstigt hätte, sind nicht auszumachen.
Die oben genannten Besonderheiten sind jedoch nicht derart singulär, dass sie der Annahme eines Hanges aufgrund der Tatbegehung ausschließlich zum Nachteil desselben Opfers entgegenstünden. Hinzu kommt, dass die geschilderten Gegebenheiten für den Angeklagten nicht schicksalhaft eingetreten sind, sondern er die Tatumstände aktiv mitgestaltet hat, indem er zum einen auf das Ansinnen des Nebenklägers hinsichtlich der persönlichen Treffen einging und zum anderen mit dessen Aufnahme in seinen Haushalt einverstanden war und auch im weiteren Verlauf keinerlei Anstalten machte, diesen Zustand zu beenden. Die Kammer hat dabei gesehen, dass dem Angeklagten im Falle des „Wiederauftauchens“ des Nebenklägers und der Aufdeckung der Taten eine langjährige Freiheitsstrafe drohte, was er auch erkannt hatte. Zudem ist zu berücksichtigen, dass zwischen dem Angeklagten und dem Nebenkläger vor der ersten Tat am 00.00.0000 keinerlei persönliche Beziehung bestanden hat, sondern das erste Treffen ausschließlich zum Zwecke der Tatbegehung, die der Nebenkläger gegen Bezahlung duldete, erfolgte. Auch in der weiteren Entwicklung der Beziehung war der Gesichtspunkt des Leistungsaustauschs, wenngleich sich der Angeklagte und der Nebenkläger zunächst auch gut verstanden, prägend. Zwar redete sich der Angeklagte ein, die Vornahme des Oralverkehrs gefalle auch dem Nebenkläger, und maß er dem Verhältnis auch Züge einer Liebesbeziehung bei. Jedoch hielt er zum einen ebenso für möglich, dass sein Eindruck bloßes Wunschdenken war und der Nebenkläger den Oralverkehr lediglich über sich ergehen ließ, um sich Unterkunft und Verpflegung zu erhalten, und erkannte er zum anderen die Zwangslage des Nebenklägers, der seine Situation zunehmend als ausweglos empfand, und ihre Bedeutung für die weitere Duldung der Vornahme sexueller Handlungen.
In Anbetracht dieser Umstände war der Nebenkläger im Ausgangspunkt für den Angeklagten ein austauschbares Tatopfer. Auch wenn die Kontaktaufnahme vom Nebenkläger ausging, beruhte diese schlussendlich auf dem „Suchverhalten“ des Angeklagten, der in der Chatgruppe des „T1“ verkehrte und dort auch in Kontakt zu dem Zeugen L5 kam, mit dem er sich mehrfach persönlich traf. Die Kammer vermochte weder festzustellen noch sicher auszuschließen, dass es zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen L5 zu sexuellen Handlungen kam, indes ist sie überzeugt, dass der Angeklagte auch gegenüber dem Zeugen L5 grundsätzlich tatgeneigt war. Vergleichbare Verhaltensweisen wie gegenüber dem Nebenkläger und dem Zeugen L5 sind bei dem Angeklagten auch bereits in der mehr als ein Jahrzehnt zuvor erfolgten Kontaktanbahnung zu den Zeugen M und M1 sowie L1 festzustellen, indem er diese und weitere Jugendliche in seine Wohnung einlud, wo er ihnen u.a. Alkohol und Zigaretten in einem verbots- und regellosen Umfeld, dessen Reiz für die Kinder und Jugendlichen er zutreffend erkannte, zur Verfügung stellte. Insbesondere die Beziehung zu dem Zeugen M1 ist der späteren zum Nebenkläger in wesentlichen Punkten ähnlich. Der Angeklagte hatte zu diesem ein außergewöhnliches Näheverhältnis, dekorierte sein Wohnzimmer mit Fotos des damals noch kindlichen Zeugen, die dort auch noch im Zeitpunkt der Wohnungsdurchsuchung am 00.00.0000 vorhanden waren, und bezeichnete ihn gegenüber Dritten als seinen Neffen oder „Ziehsohn“. Ferner wird aus dem an den Zeugen adressierten Brief deutlich, dass der Angeklagte sich auch mit ihm – wie später mit dem Nebenkläger – zunächst längere Aufenthalte in seiner Wohnung während des Urlaubs der Eltern des Zeugen sowie eine gemeinsame Zukunft erhoffte, was dadurch zum Ausdruck kommt, dass der Zeuge einmal gesagt haben sollte, er werde zu dem Angeklagten ziehen, wenn er 18 Jahre alt sei. Der Angeklagte äußert hierzu in dem Brief, er habe sich „darüber schon sehr lange Gedanken gemacht“ und „immer daran gedacht[,] wie schön die Zeit dann gewesen wäre“. Die Kammer übersieht dabei nicht, dass tatsächliche sexuelle Kontakte zu den vorgenannten Zeugen nicht festgestellt werden konnten.
Indes ergibt sich auch aus den vom Angeklagten gegenüber seinen Chatpartnern „C“ und dem Zeugen I5 geäußerten Fantasien und berichteten (angeblichen) Erlebnissen, dass ihm die Vorstellung, aktiv Kontakt zu männlichen Kindern und Jugendlichen zu suchen und dabei günstige Tatgelegenheiten auszunutzen, nicht fremd war. Bereits im Jahr 0000 äußerte der Angeklagte auf die Schilderung des „C“, in dem „schwulen Wäldchen“ seien „süße [K]naben“, die sich ein Taschengeld verdienen wollten, er müsse den „C“ im Sommer besuchen und bringe „auch genug TG [Taschengeld] mit für die [K]leinen“. Ferner schildert der Angeklagte gegenüber „C“ wenige Tage später „Ich hatte mal einen [B]oy hier bei mir über Nacht. Der war 16. Hab ihm dreimal nachts wo er schlief bis zum Schluss geblasen und einmal mit de[r] Hand gewichst war echt geil“. Auch wenn die Kammer eine tatsächliche Umsetzung der hier geäußerten Fantasie, mit „Knaben“ gegen ein „Taschengeld“ sexuelle Erlebnisse zu haben, sowie eine reale Begebenheit mit dem geschilderten Inhalt des Übernachtungsbesuchs nicht feststellen konnte, wird daraus die Vorstellungswelt des Angeklagten bereits zum damaligen Zeitpunkt deutlich.
Die damaligen Fantasien werden in die hiesigen Anlasstaten weitgehend umgesetzt: Die Tatumstände der hier zur Verurteilung gelangten Fälle 1 bis 3 entsprechen schematisch der damals geäußerten Idee, gegen ein „Taschengeld“ an einem „Knaben“ sexuelle Handlungen vorzunehmen. Die Videos, welche Gegenstand der Fälle 168 und 169 sind, bilden (bis auf „bis zum Schluss“) im Wesentlichen das ab, was der Angeklagte dem „C“ als Ereignis im Rahmen eines angeblichen Übernachtungsbesuchs bereits mehrere Jahre zuvor schilderte.
Auch in den Chats mit dem Zeugen I5 tauschten sich beide über Möglichkeiten der Kontaktaufnahme zu Kindern aus, wozu der Angeklagte in Bezug auf „den kleinen X3“, bei dem es sich offenbar um einen Jungen handelt, den der Zeuge I5 beobachtet und über den er mehrfach sexuell gefärbte Fantasien äußerte, herausstellt, dass es an Schulen gefährlich sei, weil diese schnell die Polizei riefen. Die Kammer entnimmt dieser Textnachricht, dass sich der Angeklagte zumindest gedanklich mit der Suche nach als Tatopfer geeigneten Kindern an Schulen befasste. Hierbei handelte es sich um eine Textnachricht vom 00.00.0000, also aus einer Zeit, zu der der Nebenkläger bereits seit zweieinhalb Jahren bei dem Angeklagten lebte. Ferner schilderte der Angeklagte gegenüber dem Zeugen I5 – in den Chats sowie darüber hinaus – angebliche Sexualkontakte zu zahlreichen weiteren Jungen, die den Zeugen I5 u.a. zu Nachrichten wie „Du hast doch genügend Erfahrungen bei deinen anderen Jungens gesammelt :))“ veranlassten. Der Angeklagte fantasierte mit dem Zeugen I5 zudem über gemeinsame Treffen mit diesen Jungen. Zwar vermochte die Kammer keinerlei Bezug dieser Schilderungen des Angeklagten zu realen Gegebenheiten festzustellen, indes ergibt sich daraus, dass die Beziehung zum Nebenkläger für ihn keinesfalls so singulär war, dass er sich daneben weitere Sexualkontakte zu anderen Jugendlichen nicht zumindest vorstellen konnte.
Pädosexuelle Interessen jenseits der Person des Nebenklägers zeigen sich auch etwa darin, dass der Angeklagte gemeinsam mit dem Zeugen I5 bewusst das Einkaufszentrum „Q“ in S aufsuchte, da dort – so der Angeklagte gegenüber I5 – bei dem Elektronikfachgeschäft N „Jungs im richtigen Alter“ an den Konsolen sitzen und spielen würden und sie deren Nähe suchten.
Darüber hinaus ist festzustellen, dass entsprechende Neigungen des Angeklagten bereits langjährig bestehen, was sich sowohl aus dem Kontakt zu „C“ als auch weiteren auf dem Mobiltelefon des Angeklagten N1 gespeicherten SMS weiterer Absender mit Inhalten wie „Hi ich heiße I. Ich bin 32 jahre alleinerziehender papa. Mag geile knackpos von jungen boys hab X“ (00.00.0000), „High.. Bin alleinerz. Papa von 1 süßen jungen.. Ich mag es .. Auch sehr... Schmal.. Kuscheln.. Süss..Im bett. In I. Sorry keine pic“ (00.00.0000) und „Brauchst wohl ne WIXVORLAGE von nen GAILEN BUBENSCHWANZ um deinen ABWIXEN zu können ?? Viel spaß beim WIXEN. Grüßle . L5 60zig aus T“ (00.00.0000), ergibt.
Ausgehend hiervon stellen sich die Anlasstaten aus Sicht der Kammer letztlich als Eskalation im Sinne einer Umsetzung der nach den getroffenen Feststellungen bereits langjährig bestehenden pädosexuellen Fantasien des Angeklagten in die Tat dar.
Unauffällige Phasen sind seit dem Beginn der Tatbegehung nicht festzustellen. Die Kammer übersieht nicht, dass die pädosexuelle Neigung des Angeklagten vor Beginn des Tatzeitraums schon mehr als zehn Jahre bestanden hatte, ohne dass es zu entsprechenden „Hands On“-Delikten gekommen war. Eine solch lange Zeit der Straflosigkeit ist ein starkes Indiz gegen einen Hang sowie gegen eine hangbedingte Gefährlichkeit. Indes beruht es letztlich auf Zufall, dass der Angeklagte nicht bereits früher „Hands On“-Delikte an Kindern oder Jugendlichen beging. Die Gelegenheit dazu hat er – wie ausgeführt – schon damals gesucht.
Die enge zeitliche Abfolge der Vielzahl von Tathandlungen ist, obwohl sich sämtliche Taten in den Fällen 1 bis 165 gegen den Nebenkläger richteten, als Ausdruck eines eingeschliffenen inneren Zustands des Angeklagten zu verstehen, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt (vgl. BGH, Urteil vom 04.09.2008 – 5 StR 101/08 – NStZ 2010, 387; BGH, Urteil vom 25.07.2007 – 2 StR 209/07 – NStZ 2008, 27).
In Übereinstimmung mit der Beurteilung der Sachverständigen ist die Kammer nach alledem vom Vorliegen einer generellen Bereitschaft des Angeklagten im Sinne eines eingeschliffenen, inneren Verhaltensmusters überzeugt, bei jeder sich ihm bietenden günstigen Gelegenheit Straftaten wie die hier in den Fällen 1 bis 165 zur Verurteilung gelangten, zu begehen.
b)
Der Hang des Angeklagten bezieht sich auch auf erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB.
Dies sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs solche, die den Rechtsfrieden empfindlich stören (vgl. BGH, Urteil vom 18.05.1971 – 4 StR 100/71 – NJW 1971, 1322; BGH, Urteil vom 24.05.2018 – 4 StR 643/17 – NStZ-RR 2018, 305; BGH, Urteil vom 29.11.2018 – 3 StR 300/18 – NStZ-RR 2019, 140). Erforderlich ist eine Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles, bei der neben der Schwere der zu erwartenden Taten und den – auch nur potenziell bzw. typischerweise eintretenden – Folgen für die Opfer etwa die Tathäufigkeit oder die Rückfallgeschwindigkeit ins Gewicht fallen können (vgl. BGH, Urteil vom 29.11.2018 – 3 StR 300/18 – NStZ-RR 2019, 140; BGH, Urteil vom 28.11.2002 – 5 StR 334/02 – NStZ-RR 2003, 73; BGH, Urteil vom 24.05.2018 – 4 StR 643/17 – NStZ-RR 2018, 305). Kriterien ergeben sich zunächst aus den gesetzgeberischen Wertungen, die in der Normierung der formellen Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung zum Ausdruck kommen. Als erhebliche Straftaten kommen danach vornehmlich solche in Betracht, die in den Deliktskatalog der § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB fallen und die im konkreten Fall mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe zu ahnden wären, wobei dieser Gesichtspunkt allein zur Annahme der Erheblichkeit nicht ausreicht (vgl. BGH, Urteil vom 28.11.2002 – 5 StR 334/02 – NStZ-RR 2003, 73; BGH, Urteil vom 24.05.2018 – 4 StR 643/17 – NStZ-RR 2018, 305; BGH, Urteil vom 29.11.2018 – 3 StR 300/18 – NStZ-RR 2019, 140). Ein weiterer entscheidender Maßstab ergibt sich aus der Hervorhebung der schweren seelischen oder körperlichen Schädigung der Opfer im Gesetzeswortlaut, wobei sich aus „namentlich“ im Sinne von „beispielsweise“ ergibt, dass mit der Nennung solcher Folgen keine abschließende Festlegung verbunden ist, sondern vielmehr lediglich Straftaten von geringerem Schweregrad ausgeschlossen werden sollen (vgl. BGH, Urteil vom 29.11.2018 – 3 StR 300/18 – NStZ-RR 2019, 140; BGH, Urteil vom 24.05.2018 – 4 StR 643/17 – NStZ-RR 2018, 305; BGH, Urteil vom 18.05.1971 – 4 StR 100/71 – NJW 1971, 1322).
Ausgehend von diesem Maßstab bezieht sich der Hang des Angeklagten, zu dem die Anlasstaten (Fälle 1 bis 165) auch in einem symptomatischen Zusammenhang stehen, auf erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB. Dabei hat die Kammer weder verkannt, dass es sich bei den hier zur Verurteilung gelangten Taten in den Fällen 164 und 165 nicht um Verbrechen handelt, noch dass bei dem Nebenkläger keine erheblichen Tatfolgen festzustellen waren. Indes handelt es sich bei den Anlasstaten ausschließlich um Sexualstraftaten, in den Fällen 1 bis 163 auch um Verbrechen, und bleibt keine der für sie verhängten Einzelstrafen hinter einem der Strafmaße der § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 oder Abs. 3 S. 2 StGB zurück. In den Tatzeitpunkten war der Nebenkläger zwischen 13 Jahren und einem Monat und 15 Jahren und 7 Monaten alt, mithin im späten Kindes- bzw. frühen Jugendalter. Die dargestellten Fantasien des Angeklagten, aus denen sich das Alter möglicher künftiger Tatopfer ergibt, beziehen sich auf männliche Kinder und Jugendliche im pubertären Alter. Die Möglichkeit einer schweren seelischen Schädigung der Opfer insbesondere von Missbrauchstaten, die Verbrechenstatbestände erfüllen, liegt auf der Hand. Dies gilt unabhängig davon, dass die hier zur Verurteilung gelangten Taten ohne Gewaltanwendung begangen wurden (vgl. BGH, Beschluss vom 10.01.2013 – 1 StR 93/11 – NStZ 2013, 277; BGH, Urteil vom 10.01.2007 – 1 StR 530/06 – NStZ 2007, 464). Der Kammer ist aus einer Vielzahl weiterer Verfahren bekannt, dass Traumafolgestörungen auch erst erhebliche Zeit nach dem auslösenden Ereignis auftreten können, was insbesondere nicht ausschließt, dass auch bei dem Nebenkläger in der weiteren Entwicklung noch erhebliche Tatfolgen eintreten werden.
3.
Es steht auch zu erwarten, dass der Angeklagte aufgrund seines Hanges weitere, den Fällen 1 bis 165 vergleichbare – mithin erhebliche – rechtswidrige Taten begehen wird und er deshalb im Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit im Sinne des § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB gefährlich ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dies dann der Fall, wenn die bestimmte Wahrscheinlichkeit besteht, dass er auch in Zukunft durch seine aus dem Hang entspringenden Straftaten den Rechtsfrieden in dem vorstehend dargestellten Sinne erheblich stören wird (vgl. BGH, Urteil vom 04.04.1951 – 1 StR 54/51 – BeckRS 1951, 31399770; BGH, Urteil vom 26.08.1987 – 3 StR 305/87 – BeckRS 1987, 31098811). Die vorzunehmende Gefährlichkeitsprognose verlangt eine umfassende Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten (vgl. BGH, Beschluss vom 10.07.2001 – 5 StR 250/01 – NStZ 2001, 595; BGH, Urteil vom 08.07.2005 – 2 StR 120/05 – NStZ 2006, 278; BGH, Urteil vom 09.05.2019 – 4 StR 511/18 – NStZ-RR 2020, 10; BGH, Beschluss vom 21.04.2005 – 4 StR 98/05 – NStZ-RR 2005, 232). Zur Annahme der erforderlichen bestimmten Wahrscheinlichkeit genügt es, dass erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB hochgradig wahrscheinlich sind, wobei einerseits eine abstrakt festgestellte statistische Wahrscheinlichkeit nicht genügt, andererseits aber auch keine „höchste Wahrscheinlichkeit“ oder „extrem hohe Wiederholungsgefahr“ vorausgesetzt wird (vgl. BGH, Urteil vom 25.09.2012 – 1 StR 160/12 – NStZ 2013, 225; BGH, Urteil vom 08.07.2005 – 2 StR 120/05 – NStZ 2006, 278; BGH, Urteil vom 26.08.1987 – 3 StR 305/87 – BeckRS 1987, 31098811; BGH, Urteil vom 10.01.2007 – 1 StR 530/06 – NStZ 2007, 464). Wird die Hangtätereigenschaft festgestellt, ist regelmäßig auch eine ausreichende Wahrscheinlichkeit gegeben; zwingend ist dies jedoch nicht (vgl. BGH, Urteil vom 13.09.1989 – 3 StR 150/89 – BeckRS 1989, 06544; BGH, Urteil vom 28.04.2015 – 1 StR 594/14 – BeckRS 2015, 10528 mwN). Anderes kann etwa dann gelten, wenn zwischen der letzten Tat und dem Zeitpunkt der Urteilsverkündung neue Umstände eingetreten sind, die die Wahrscheinlichkeit künftiger erheblicher Straftaten entfallen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 28.04.2015 – 1 StR 594/14 – BeckRS 2015, 10528; BGH, Urteil vom 10.01.2007 – 1 StR 530/06 – NStZ 2007, 464; BGH, Urteil vom 20.02.2002 – 2 StR 486/01 – BeckRS 2002, 2931).
Nach den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. O und Dr. M5 ist unter prognostischen Gesichtspunkten zunächst festzustellen, dass bei dem Angeklagten pädosexuelle Interessen offenbar bereits über Jahre bestehen, wobei sich prognostisch ungünstig auswirke, dass es sich nicht um ein Einzeldelikt, sondern eine Vielzahl gleich gelagerter, über einen längeren Zeitraum begangener Delikte handle. Es handle sich dabei um Delikte mit einer sehr hohen Rückfallwahrscheinlichkeit (Sexualdelikte bei Pädophilie mit einer Rezidivrate zwischen 25 und 50 Prozent). In der vorausgegangenen Kriminalitätsentwicklung sei prognostisch ungünstig, dass der Angeklagte sehr unterschiedliche Delikte verwirklicht habe und er auch während laufender Bewährung einschlägig erneut straffällig geworden sei (Fälle 145 bis 164).
In Bezug auf seine Persönlichkeit seien die dissozialen und narzisstischen Persönlichkeitszüge, vor allem aber auch die fehlende Empathie und die nach Einschätzung der Sachverständigen erhebliche sexuelle Triebhaftigkeit als ungünstig einzustufen. In diesem Sinne wirke sich auch der als progredient einzustufende Verlauf vom bloßen Konsum einschlägigen pornografischen Materials hin zu Handlungen mit Körperkontakt aus.
Hinsichtlich der sozialen Kompetenzen des Angeklagten sei als prognostisch ungünstig zu bewerten, dass er eine erhebliche Beeinträchtigung u.a. der beruflichen Leistungsfähigkeit zeige, die sich in seiner instabilen beruflichen Anamnese niederschlage, und er auch ansonsten nicht über stabile zwischenmenschliche Bindungen, namentlich im Rahmen einer Partnerschaft, verfüge. Hinsichtlich seiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Fußballtrainer sei zu berücksichtigen, dass er diese möglicherweise – wovon die Kammer ausgeht – genutzt habe, um Kontakte zu Kindern und Jugendlichen aufzubauen. Ferner habe der Angeklagte, namentlich zu den Zeugen I5 und X1, aber auch zu den weiteren Chatpartnern wie dem „C“, über seine pädosexuellen Interessen soziale Kontakte zu Gleichgesinnten geknüpft.
Weiterhin sei es als prognostisch ungünstig zu bewerten, dass sich der Angeklagte mit der Vorverurteilung wegen des Besitzes kinder- und jugendpornografischer Schriften (Urteil des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 – 26b Ls 39 Js 168/13 – 7/18) nicht kritisch auseinandersetze, er auch im Übrigen wenig Verantwortungsbewusstsein sowie Bagatellisierungs- und Externalisierungstendenzen zeige und er auch keine Einsicht in die der Begehung der Anlasstaten zugrunde liegende Problematik zeige, sondern vielmehr jegliches sexuelle Interesse an Kindern in Abrede stelle.
Aus diesen Gründen sei von einer ausgesprochen ungünstigen Prognose mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit der erneuten Begehung den hier zur Verurteilung gelangten vergleichbarer Straftaten auszugehen.
Dieser Gefahrenprognose schließt sich die Kammer nach eigener Sachprüfung an. Die Sachverständigen haben sich bei ihrer Einschätzung namentlich auch mit den Besonderheiten der vorliegenden Tatkonstellation aufgrund der Aufnahme des Nebenklägers in den Haushalt des Angeklagten auseinandergesetzt. Sie sind auch hier davon ausgegangen, dass sich die Taten zum Nachteil des Nebenklägers nicht als derart singulär darstellen, dass keine hinreichende Wahrscheinlichkeit künftiger Missbrauchstaten ähnlicher Schwere bestünde. Hierfür sprechen aus Sicht der Sachverständigen wie auch der Kammer im Wesentlichen die bereits zur Annahme eines Hanges dargestellten Gesichtspunkte. Insbesondere konnte nicht aus dem Blick genommen werden, dass es bereits vor dem Einzug des Nebenklägers bei dem Angeklagten zu drei schweren Missbrauchstaten (Fälle 1 bis 3) gekommen war, sowie dass der Kontakt – wenngleich vom Nebenkläger erheblich forciert – auf dem „Suchverhalten“ des Angeklagten beruhte und angesichts der fehlenden Reflexion seines Verhaltens nichts dafür spricht, dass er vergleichbare Versuche, Kontakte zu Kindern und Jugendlichen zu knüpfen, künftig unterlassen würde.
Es sind zudem zwischen der letzten Tat und dem für die Prognose maßgeblichen Zeitpunkt der Urteilsverkündung keine Umstände eingetreten, die die bestimmte Wahrscheinlichkeit der künftigen Begehung erheblicher Straftaten entfallen ließen. Insbesondere genügt die im Rahmen der Einlassung und des letzten Wortes getätigte Äußerung des Bedauerns, dessen Bezugspunkt bereits nicht vollständig klar ist, nicht, um eine abweichende Bewertung zu begründen. Dies ist bereits vor dem Hintergrund der Fall, dass auch die Einlassung erhebliche Verlagerungen der Tatverantwortung mit Schuldzuweisungen an den Nebenkläger bis zur Umkehrung der Rollen von Täter und Opfer enthält.
4.
Hinreichende Gründe, nach denen es der Kammer in Ausübung des ihr in § 66 Abs. 2 und Abs. 3 S. 2 StGB eingeräumten Ermessens möglich war, von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abzusehen, waren nicht ersichtlich.
Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll das Tatgericht die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Verurteilung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit kann das Tatgericht dem Ausnahmecharakter der Vorschriften Rechnung tragen, welcher sich daraus ergibt, dass – anders als in den Fällen des Abs. 1 und Abs. 3 S. 1 – eine frühere Verurteilung und Strafverbüßung bzw. ein Maßregelvollzug nicht vorausgesetzt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 08.09.2021 – 1 StR 266/21 – juris; BGH, Urteil vom 16.04.2020 – 4 StR 8/20 – BeckRS 2020, 8741; BGH, Urteil vom 20.11.2007 – 1 StR 442/07 – juris; BGH, Beschluss vom 11.09.2003 – 3 StR 481/02 – NStZ 2004, 438). Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsgemäß eintretenden Haltungsänderungen sind wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind, wobei keine Vermutung besteht, dass eine langjährige, erstmalige Strafverbüßung zu einer Verhaltensänderung führen wird (vgl. BGH, Urteil vom 16.04.2020 – 4 StR 8/20 – BeckRS 2020, 8741; BGH, Beschluss vom 04.08.2009 – 1 StR 300/09 – NStZ 2010, 270; BGH, Urteil vom 20.11.2007 – 1 StR 442/07 – juris). Je länger die verhängte Freiheitsstrafe und je geringer die bisherigen Erfahrungen des Täters mit Verurteilung und Strafvollzug sind, desto mehr muss sich das Tatgericht aber mit diesen Umständen auseinandersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 08.09.2021 – 1 StR 266/21 – juris; BGH, Beschluss vom 27.06.2019 – 1 StR 612/18 – NStZ-RR 2020, 15).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist es zum Schutz der Allgemeinheit hier nicht gerechtfertigt, von der Anordnung der Sicherungsverwahrung abzusehen. Es ergeben sich keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass eine Haltungsänderung bei dem Angeklagten bereits eingetreten ist oder erfahrungsgemäß eintreten wird (vgl. BGH, Urteil vom 22.04.2009 – 2 StR 43/09 – NStZ 2010, 272). Angesichts der nach Einschätzung der Sachverständigen allenfalls in Ansätzen gegebenen Akzeptanz des Angeklagten hinsichtlich des Abweichens seines Verhaltens sowie der fehlenden kritischen Auseinandersetzung mit seinen Taten in Verbindung mit der bereits dargestellten Persönlichkeitsstruktur mit dissozialen und narzisstischen Zügen, sei eine Verhaltensänderung durch die Einwirkung des Strafvollzugs, auch bei Ausschöpfung dort gegebener Therapiemöglichkeiten, bei dessen aktueller Einstellung nicht als wahrscheinlich zu erwarten. In Anbetracht der vorgenannten Umstände sei die Prognose hinsichtlich der Erfolgsaussichten einer Therapie als ungünstig zu beurteilen.
Den Ausführungen der Sachverständigen ist die Kammer nach eigener Sachprüfung auch insoweit gefolgt. Die Vielzahl der über einen Zeitraum von mehr als zweieinhalb Jahren begangenen Taten und die damit einhergehende Verfestigung im Hinblick auf die Deliktsbegehung in seiner Persönlichkeit lassen – auch angesichts der bereits über einen längeren Zeitraum bestehenden auffälligen Kontakte zu Kindern und Jugendlichen sowie anderen pädosexuell interessierten Erwachsenen – nicht erwarten, dass ein langjähriger Strafvollzug für sich genommen geeignet ist, den Angeklagten in Zukunft von weiteren schweren Straftaten abzuhalten. Es besteht keine hinreichend sichere Erwartung, dass der Angeklagte die tatauslösenden Gegebenheiten im Strafvollzug erfolgreich aufarbeiten kann und wird, zumal derzeit keinerlei Bereitschaft hierzu bei ihm erkennbar ist. Dabei hat die Kammer auch im Blick gehabt, dass der Angeklagte vorliegend erstmalig zu einer vollstreckbaren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, er mithin nicht hafterfahren ist (vgl. BGH, Beschluss vom 08.09.2021 – 1 StR 266/21 – juris). Unter Berücksichtigung der vorgenannten Gesichtspunkte und auch mit Blick auf den Umstand, dass sich der Angeklagte durch die mit Urteil des Amtsgerichts S vom 00.00.0000 (26b Ls 39 Js 168/13 – 7/18) verhängte Bewährungsstrafe, mit der bereits die konkrete Aussicht auf die Einwirkung des Strafvollzugs einherging, in keiner Form hat beeindrucken lassen, führt dieser Umstand nicht zu einer abweichenden Einschätzung der zu erwartenden Entwicklung. Die bloße Möglichkeit einer künftigen Besserung kann die Gefährlichkeit nicht ausräumen.
Angesichts der Gesamtumstände sowie des bereits nicht mehr ganz jungen Alters des Angeklagten im Zeitpunkt der Anlasstaten steht nicht zu erwarten, dass mit einem bloßen weiteren Fortschreiten seines Lebensalters eine relevante Haltungsänderung einhergehen wird. Insbesondere sind sexuelle Fantasien nicht nur bis zu einem bestimmten Lebensalter zu erwarten, sondern bestehen ggf. auch über die physischen Möglichkeiten zu ihrer Umsetzung hinaus fort.
Auch sein mutmaßliches Lebensalter im Zeitpunkt der voraussichtlichen Haftentlassung vermag an der Einschätzung der Kammer nichts zu ändern. Der Angeklagte befände sich auch bei Vollverbüßung in einem Alter, welches weiteren Straftaten wie den hier zu Verurteilung gelangten nicht entgegenstünde. Die Begehungsweise der Anlasstaten setzt weder körperliche Kräfte noch Erektionsfähigkeit voraus. Zwar ergibt sich aus der in Augenschein genommenen Videosequenz VID-20190511-WA0001.mp4, die nicht Gegenstand der Anklage ist, sowie der Tat im Fall 165, dass es dem Angeklagten bei der Tatausführung auch um eigene sexuelle Befriedigung geht, indes zeigt die weitaus größere Zahl der an dem Nebenkläger vorgenommenen sexuellen Handlungen, insbesondere in Gestalt des Oralverkehrs, dass es dem Angeklagten vorrangig auf die Vornahme sexueller Handlungen an Kindern oder Jugendlichen, nicht auf unmittelbare körperliche Stimulation bei ihm selbst, ankommt.
In der Gesamtschau ist daher die Erwartung begründet, dass die Gefährlichkeit des Angeklagten auch im Zeitpunkt seiner Entlassung aus dem Strafvollzug noch fortbestehen wird, sodass die Kammer in Ausübung des ihr in § 66 Abs. 2 und Abs. 3 S. 2 StGB eingeräumten Ermessens seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet hat.
5.
Angesichts der Schwere der von dem Angeklagten begangenen und in Zukunft zu erwartenden Straftaten steht die Anordnung der Sicherungsverwahrung auch nicht zur Bedeutung der Taten oder dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr im Sinne des § 62 StGB außer Verhältnis.
VIII.
Einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag des Nebenklägers bedurfte es nicht. Die Kammer versteht den geschlossenen Vergleich, wenngleich eine ausdrückliche Regelung insoweit nicht getroffen wurde, dahingehend, dass damit die Adhäsionsklage in vollem Umfang erledigt werden sollte.
IX.
Soweit die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten mit der zugelassenen Anklage vom 00.00.0000 über die in den Fällen 4 bis 163 zur Verurteilung gelangten Taten hinaus im Zeitraum 00.00. bis einschließlich 00.00.0000 weitere acht Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§§ 176 Abs. 1, 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F.) zur Last legt, war er aus tatsächlichen Gründen freizusprechen.
Aufgrund der oben unter III.B.3.a)dd)(3)(a) dargestellten Erwägungen erachtet die Kammer über die Anklage, die einen hälftigen Abschlag erst ab dem 00.00.0000 vornimmt und vom 00.00.0000 bis einschließlich zum 00.00.0000 von der täglichen Ausübung des Oralverkehrs ausgeht, hinausgehend einen solchen Sicherheitsabschlag für den gesamten Tatzeitraum der Fälle 4 bis 164 für erforderlich. Das führt dazu, dass in dem vorgennannten Zeitraum von 15 angeklagten Taten des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes – ausgehend von der Annahme, dass der Angeklagte durchschnittlich an jedem zweiten Tag den Oralverkehr an dem Nebenkläger ausübte – acht Fälle nicht zur Überzeugung der Kammer festgestellt werden konnten. Insgesamt konnten dementsprechend von 168 angeklagten Fällen (Anklagefälle 4 bis 171) im Zeitraum vom 00.00.0000 bis zum 00.00.0000 (dem Tag vor dem 14. Geburtstag des Nebenklägers) lediglich 160 (Fälle 4 bis 163) zur Überzeugung der Kammer festgestellt werden.
X.
Eine Entscheidung über die Kosten des Adhäsionsverfahrens ist nicht veranlasst, da der in der Hauptverhandlung am 00.00.0000 geschlossene Vergleich (s. oben unter VIII.) auch hinsichtlich der Kosten eine Regelung enthält.
Meta
02.09.2021
Landgericht Bochum 8. Strafkammer
Urteil
Sachgebiet: KLs
Zitiervorschlag: Landgericht Bochum, Urteil vom 02.09.2021, Az. 8 KLs 5/20 (REWIS RS 2021, 9866)
Papierfundstellen: REWIS RS 2021, 9866
Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.
Landgericht Bochum, 8 KLs 5/20, 02.09.2021.
Bundesgerichtshof, 4 StR 166/22, 31.08.2022.
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