Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.06.2012, Az. 5 StR 181/12

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 5507

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5 StR 181/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

vom
19. Juni 2012
in der Strafsache
gegen

wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.

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Der 5. Strafsenat des [X.] hat am 19. Juni 2012
beschlossen:

Auf die Revision des
Angeklagten
wird
das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 15. Dezember 2011 nach § 349 Abs. 4
StPO mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Ju-gendschutzkammer des [X.] zurückverwiesen.

[X.]e

Das [X.] hat den Angeklagten des sexuellen Missbrauchs ei-nes Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen schuldig gesprochen
und ihn unter Einbeziehung der durch das Urteil des Amtsgerichts
[X.] vom 2. November 2010 wegen [X.] in zwei Fällen verhängten [X.] von jeweils zwei Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und
neun Monaten verurteilt sowie angeordnet, dass von der Gesamtfreiheitsstrafe drei Monate als vollstreckt gelten. Vom Vorwurf weiterer sechs Fälle des sexuellen [X.] eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer [X.] hat es den Angeklagten freigesprochen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Urteils, soweit er verurteilt worden ist.

1. Nach den Feststellungen des [X.] besuchte die am 6. Ju-ni
1997 geborene Nebenklägerin, Tochter aus der ersten Ehe des Angeklag-ten, diesen an einem Wochenende im September 2008 gemeinsam mit ih-1
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rem Bruder in seiner Wohnung. Zu dieser Zeit befand sich die zweite Ehefrau des Angeklagten in [X.]. Während der Junge im Wohnzimmer an sei-nem Computer
beschäftigt war, legten sich der Angeklagte und seine Tochter
im Elternschlafzimmer im Doppelbett schlafen. Als diese
bereits eingeschla-fen war, schob der Angeklagte seine Hand unter ihre Unterwäsche und [X.] sie mit seinen Fingern im Scheidenbereich.
Als sie wach wurde, zog er seine Hand schnell zurück.

Von dem Vorwurf, die Nebenklägerin im Tatzeitraum Juni 2006 bis Februar 2010 in mindestens fünf weiteren Fällen in seinen jeweiligen [X.] unter ihrer Oberbekleidung an den Brüsten berührt zu haben, wobei sie in mindestens drei dieser Fälle das erigierte Glied des Angeklagten an ihren Schenkeln spürte, hat das [X.] den Angeklagten freigespro-chen, da es unter Berücksichtigung der grundsätzlich für glaubhaft erachte-ten Angaben der [X.] hinaus hat die [X.] den Angeklagten auch von dem weiteren Vorwurf
frei-gesprochen, im Tatzeitraum Januar 2008 bis Januar 2010 anlässlich
eines spielerischen [X.] sein bedecktes Geschlechtsteil an der Scheide der ebenfalls bekleideten Geschädigten gerieben zu haben, da sie sich aufgrund der Hauptverhandlung nicht mit hinreichender Sicherheit überzeugen konnte, [X.] hat. Zugunsten des Angeklagten konnte nicht ausgeschlossen werden, dass die Nebenklägerin dieses Verhalten des Angeklagten falsch interpretiert haben kann

Im Ergebnis seiner Prüfung der Glaubhaftigkeit der Angaben der [X.] sowie die übrigen sexuellen Übergriffe des Angeklagten zum Nach-S.
18). Es weicht damit von der Beurteilung
der aussagepsychologischen Gutachterin ab, die

entgegen ihrem schriftlichen Gutachten

auf das Aussagematerial der Nebenklägerin im Rahmen der Hauptverhand-3
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S. 18) nicht mehr zu dem Ergebnis gelangte, dass deren
Bekun-dungen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert seien. In
der Hauptverhandlung habe sich die Qualität des [X.]

reduziert.

2. Die Beweiswürdigung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Das [X.] hat seine Überzeugung vom [X.] und der Tä-terschaft des die Taten bestreitenden Angeklagten alleine auf die Angaben
der Nebenklägerin gestützt. Es
weist zwar auf die besonderen,
an diese Be-weiskonstellation zu stellenden Anforderungen hin (vgl. [X.], Beschlüsse vom 22. April 1987

3 [X.]/87

und
vom
18. Juni 1997

2 [X.], [X.]R StPO §
261 Beweiswürdigung 1 und 14); gleichwohl genügen die Ur-teilsgründe diesen Anforderungen nicht. Sie machen vielmehr nicht in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise deutlich, dass die [X.] alle zur Beeinflussung der Entscheidung geeigneten
Umstän-de in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise in die Über-zeugungsbildung einbezogen hat.

a) Zwar ist das Tatgericht nicht gehalten, einem Sachverständigen
zu folgen. Kommt es aber zu einem anderen Ergebnis, so muss es sich konkret mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinandersetzen, um zu [X.], dass es über das bessere Fachwissen verfügt (vgl. [X.], Urteil vom 12. Juni 2001

1 [X.]/01). Es muss insbesondere auch dessen Stel-lungnahme zu den Gesichtspunkten wiedergeben, auf die es
seine abwei-chende Auffassung stützt ([X.], Urteil
vom 20. Juni 2000

5 [X.], [X.], 550). Aus den im Urteil wiedergegebenen Ausführungen der Sachverständigen wird deutlich, weshalb sie von einer Reduzierung der , aufgrund derer sie nicht mehr an ihrer Einschätzung im schriftlichen Gutach-ten festhalten könne ([X.] 19).
Die Mutmaßung der Sachverständigen, das r-Hauptverhandlung andererseits oder
mit
dem schwierigen Lebensabschnitt 5
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erklärbar sein, in dem sich die Nebenklägerin befinde, ändert nichts an der

in einem unaufgelösten Widerspruch zitierten

Wertung
der [X.], dass
die Reduktion des [X.] mit gutachterlichen [X.] nicht durch
Vergessensprozesse erklärt werden könne.

Die [X.] stellt dieser Würdigung der
Sachverständi-gen eine eigene Beweiswürdigung gegenüber, ohne sich dabei aber mit der von der Sachverständigen festgestellten Reduzierung der [X.] der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung auseinanderzusetzen. Jedenfalls in den Fällen, in denen die Aussage des [X.] das einzige Beweismittel ist, hat das Tatgericht eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung unter Berücksichtigung der aussagepsychologischen Glaubwürdigkeitskriterien vorzunehmen
(Brause, NStZ 2007, 505, 506). Das [X.] beruft sich insoweit darauf, dass es anders als die Sachverständige die Frage der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin nicht aufgrund aussagepsychologischer Instrumentarien zu entscheiden habe, sondern nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 261 StPO). Indes hatte das [X.] dabei aussagepsychologische Glaubwürdigkeitskriterien zu beachten; es hat diese in verschiedenen Bereichen auch selbst angewendet.
Bei seiner
Prüfung, die demnach substantiell denselben Kriterien zu folgen hatte wie diejenige der Sachverständigen, musste es sich mit deren
Einwänden auseinandersetzen.

b) Das [X.] stützt seine Beweiswürdigung vor allem auf das sachliche und keine überschießende Belastungstendenz zeigende
Aussage-verhalten der Geschädigten, das Fehlen von [X.], die spontane Offenbarung des Geschehens zunächst gegenüber Freundinnen allerdings nur zwei Details genannt, die gerade nicht den Verurteilungsfall betreffen.
Überdies bezieht sich eines dieser
Details (der Angeklagte habe anlässlich eines sexuellen Übergriffs ihr gegenüber geäußert, nicht er, son-dern der Fuß der zwischen den beiden im Bett liegenden kleinen Halb-schwester habe sie im Genitalbereich berührt) auf einen Vorfall, bei dem sich
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jedenfalls nach der nachvollziehbaren Auffassung der Sachverständigen,
der das [X.] insoweit nicht widerspricht

nicht ausschließen lässt, dass es hier zu einer
Fehlinterpretation der Nebenklägerin gekommen ist. Darüber hinaus sind die Schilderungen der Nebenklägerin zu diesem Vorfall habe dann bemerkt, dass ihr Vater mit seinem Penis sie in
ihrem Genitalbe-,
[X.] 16; anlässlich eines Vorfalls, bei dem sie mit dem t-was festes

an ihrem Oberschenkel gespürt, was sie als den Penis des [X.] interpretierte, [X.] 25).
Ob insoweit eine Inkonstanz der Angaben der
Nebenklägerin vorlag, mit der
sich das Urteil hätte auseinandersetzen müssen, bleibt unklar.

c)
Die [X.] befasst sich mit verschiedenen Mängeln
der Zeugenaussage (Probleme bei der zeitlichen Einordnung der Taten,
[X.] hinsichtlich des Tatorts) und erklärt diese

ohne Rücksicht auf die Einschätzung der Sachverständigen

im Ergebnis mit Vergessens-
und Verschmelzungsprozessen. Die von der Nebenklägerin abgegebene inkons-tante Schilderung hinsichtlich eines Eindringens des Angeklagten mit dem Finger in ihre Scheide führt die [X.] auf Schwierigkeiten der Nebenklägerin hinsichtlich sexueller Begrifflichkeiten zurück. Indes [X.] sich das Urteil in keiner Weise mit der Bekundung der Mutter der Ne-benklägerin, diese habe ihr unter anderem mitgeteilt, der Angeklagte habe e-benklägerin gegenüber ihrer Mutter wäre kaum mit mangelnden [X.] zu erklären. Die Beweiswürdigung der [X.] ist mithin auch insoweit lückenhaft.

d) Ohne dass dies den Angeklagten für sich beschwert, bleibt die Be-weiswürdigung auch in ihrer Gesamtheit widersprüchlich, weil kaum erklärlich ist, weshalb das [X.] bei seiner insgesamt positiven Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin hinsichtlich der weiteren 9
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Tatvorwürfe nicht zu Mindestfeststellungen gelangt ist, die insoweit einer [X.] Freisprechung entgegengestanden hätten.

3. Das angefochtene Urteil war demnach insgesamt aufzuheben, so-weit der Angeklagte verurteilt worden ist. Wenngleich der [X.] hat, wird das neue Tatgericht allein zur Überprüfung des einzigen ver-bleibenden Anklagevorwurfs
den Wahrheitsgehalt der belastenden Angaben der Nebenklägerin in ihrer Gesamtheit zu überprüfen haben. Die Aufhebung umfasst notwendigerweise auch die [X.], für die das Urteil keinerlei Begründung gibt.

[X.] Schaal Schneider

Dölp Bellay

11

Meta

5 StR 181/12

19.06.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.06.2012, Az. 5 StR 181/12 (REWIS RS 2012, 5507)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5507

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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