Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.05.2013, Az. 3 StR 437/12

3. Strafsenat | REWIS RS 2013, 5503

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 437/12
vom
28.
Mai 2013
in der Strafsache
gegen

Markus D.

wegen
Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.

weiterer Verfahrensbeteiligter:
Der [X.] beim Bundesge-richtshof, [X.] 30, 76135 Karlsruhe

-
2
-
Der 3. Strafsenat des [X.] hat aufgrund der Verhandlung vom 7.
März 2013 in der Sitzung am 28.
Mai 2013, an denen teilgenommen haben:

Präsident des [X.]
Prof. Dr. [X.]

als Vorsitzender,

die [X.] am [X.]
Pfister,
[X.],
[X.],
Gericke

als beisitzende [X.],

Oberstaatsanwältin beim [X.]

als Vertreterin der [X.],

Rechtsanwalt

-
in der Verhandlung -

als Verteidiger,

[X.]

-
in der Verhandlung -,
Justizangestellte

-
bei der Verkündung -

als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle,

beschlossen:

-
3
-
1.
Dem Gerichtshof der [X.] wird zur Auslegung der Richtlinie 2001/83/[X.] und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines [X.] ([X.].
[X.] Nr. L 311 vom 28.
November 2001, [X.] ff.) in der durch die Richtlinie
2004/27/[X.] und des Rates vom 31. März 2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/[X.] ([X.].
[X.] Nr. L 136 vom
30. April 2004, [X.] ff.) geltenden Fassung ge-mäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der [X.] ([X.]) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b) der Richtlinie 2001/83/[X.] vom 6. November 2001 in der durch die Richtlinie 2004/27/[X.] vom 31. März 2004 geänderten Fassung dahin auszulegen, dass Stoffe oder Stoffzusammensetzungen im Sinne dieser Vorschrift, die die menschlichen physiologischen Funktionen lediglich beeinflussen -
also nicht wiederherstellen oder kor-rigieren -, nur dann als Arzneimittel anzusehen sind, wenn sie einen therapeutischen Nutzen haben oder jedenfalls eine Beeinflussung der körperlichen Funktionen zum Positiven hin bewirken? Fallen mithin Stoffe oder Stoffzusammensetzun-gen, die allein wegen ihrer -
einen Rauschzustand hervorru-fenden -
psychoaktiven Wirkungen konsumiert werden und dabei einen jedenfalls gesundheitsgefährdenden Effekt ha-ben, nicht unter den Arzneimittelbegriff der Richtlinie?
-
4
-
2. Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichts-hofs der [X.] über die Vorlagefrage ausgesetzt.

Gründe:
Dem
3. Strafsenat des [X.] liegt
die Revision des Ange-klagten gegen ein Urteil des [X.] zur
Entscheidung vor. Das [X.] hatte den Angeklagten unter anderem wegen unerlaubten [X.] zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausge-setzt.
I.
1. Dem Revisionsverfahren liegt
-
soweit für das [X.] von Bedeutung -
folgender,
vom [X.] festgestellter Sachverhalt zugrunde:
Der Angeklagte verkaufte in seinem Geschäft "G.
-
Alles rund um Hanf"
unter anderem Tütchen mit bis zu 3 g Kräutermischungen. Diese sogenannten
Legal-High-Produkte enthielten synthetische Cannabinoide. Dem Angeklagten war bewusst, dass die Kräutermischungen von seinen Kunden als Ersatz für Marihuana geraucht wurden in der Erwartung, sich dadurch in einen mit dem [X.] von Marihuana vergleichbaren Rauschzustand zu versetzen. Die Kräu-termischungen unterfielen zum damaligen Zeitpunkt nicht den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). Aufgrund eines zuvor
gegen ihn eingeleite-1
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-
ten Ermittlungsverfahrens war ihm bekannt, dass die Kräutermischungen we-gen ihrer gesundheitsschädlichen Wirkungen von den Ermittlungsbehörden als bedenkliche Arzneimittel im Sinne des
Arzneimittelgesetzes ([X.]) eingestuft wurden.
Die Untersuchung der aufgefundenen Kräutermischungen ergab, dass ihnen jeweils synthetische Cannabinoide -
unter anderem
JWH-210 und
RCS-4
-
zugesetzt waren. Diesen Verbindungen liegt keine Dibenzopyranbasis wie bei dem in Marihuana enthaltenen Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) zugrunde. Sie gehören zur Gruppe der [X.] und wirken -
dem THC ähnlich -
auf die Cannabinoidrezeptoren im menschlichen Körper ein, wodurch eine physiologische Wirkung hervorgerufen wird. Sie wurden aufgrund von [X.], dass THC immunstimulierend wirkt und daher etwa bei [X.] eingesetzt wird, von der pharmazeutischen Industrie in vorexpe-rimentellen Studien getestet. Die Testreihen wurden bereits in der ersten expe-rimentell-phamakologischen Phase abgebrochen, da die gewünschten gesund-heitlichen Effekte nicht erzielt werden konnten und erhebliche Nebenwirkungen aufgrund der psychoaktiven Wirksamkeit zu erwarten waren.
Die von dem Angeklagten zum Kauf angebotenen Tütchen enthielten weder festgelegte Wirkstoffmengen
noch
Hinweise auf den Wirkstoff oder
Do-sierungsanleitungen. In der Regel waren sie mit dem Aufdruck versehen, es handele sich um [X.], der Inhalt sei nicht zum menschlichen Ver-zehr geeignet. Die [X.]enten brachten die Kräutermischungen zumeist auf Tabak auf und rauchten diese Kombination.
Typische Wirkung nach dem [X.] solcher Kräutermischungen ist ei-ne gehobene Stimmung bis hin zur Euphorie mit subjektiv gesteigerter Sinnes-wahrnehmung. Phasen gesteigerten Antriebs können mit Schläfrigkeit, Apathie 4
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und Lethargie abwechseln. Bei hohen [X.]dosen, Anwendung durch Per-sonen mit psychischen Störungen und bei wiederholtem [X.] kommt es häufiger zu atypischen [X.]n, bei denen Wahnvorstellungen, Angst, Halluzinationen und Depersonalisierungserlebnisse, akute Panikreaktio-nen, Desorientierung, Verwirrtheitszustände und Gedächtnisverlust auftreten. Die [X.] können sich bis zu sogenannten
bad trips mit [X.] steigern. Aufgrund der nicht standardisierten Zumischung der syntheti-schen Cannabinoide und der daraus folgenden sehr ungleichmäßigen Vertei-lung besteht die Gefahr der Überdosierung. Die von der [X.] vernom-menen Zeugen haben zudem als weitere Nebenwirkungen Herzrasen, Schwin-delgefühle und Übelkeit geschildert.
2. Nach Auffassung des [X.]s hat sich der Angeklagte durch den Verkauf der Kräutermischungen
nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 [X.] strafbar gemacht, indem er im Sinne des § 5 Abs.
1 [X.] in Verbindung mit § 4 Abs. 17 [X.] be-denkliche Arzneimittel in Verkehr gebracht hat.
3. Mit seiner Revision wendet sich der Angeklagte gegen seine [X.]. Er rügt die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet insbesondere die Beweiswürdigung des [X.]s sowie dessen Wertung, dass die syn-thetischen Cannabinoide eine bedenkliche Wirkung hätten und eine solche dem Angeklagten bekannt gewesen sei.

II.
Die Entscheidung über die
Revision des Angeklagten hängt von der Be-antwortung der Vorlagefrage ab. Nach den
vom [X.] getroffenen, den 7
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-
7
-
[X.] als Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen haben die von dem Angeklagten zum Verkauf angebotenen Kräutermischun-gen keine gesundheitsfördernde Wirkung,
sondern werden allein wegen ihrer einen Rauschzustand hervorrufenden Nebenwirkungen konsumiert. Bei diesem Sachverhalt kommt eine Strafbarkeit des Angeklagten nach §
95 Abs.
1 Nr.
1 [X.] nur in Betracht,
wenn auch solche Stoffe und Stoffzubereitungen, die [X.] therapeutische Wirkung entfalten oder die körperlichen Funktionen nicht im Sinne einer Besserung beeinflussen, vielmehr lediglich gesundheitsschädlich wirken, ein Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 [X.] darstellen können.

Ob dies der Fall ist, hängt entscheidend davon
ab, wie der §
2 Abs.
1 [X.] zugrundeliegende, mit dieser Vorschrift nahezu wortgleiche Art. 1 Nr.
2 der Richtlinie 2001/83/[X.] vom 6.
November 2001 in der durch die Richtlinie 2004/27/[X.] geänderten Fassung auszulegen ist. Das [X.] ist erforderlich, denn die in der Vorlagefrage enthaltene Rechtsfrage ist vom Gerichtshof der [X.] weder bereits entschieden worden (acte éclairé), noch ist die Anwendung des für den Arzneimittelbegriff maßgeb-lichen Unionsrechts derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein
Raum bleibt (acte clair).
Im Einzelnen:
1. In Art.
1 Nr.
2 der Richtlinie 2001/83/[X.] vom 6.
November 2001 in der durch die Richtlinie 2004/27/[X.] geänderten Fassung wird der Begriff des [X.] definiert. Arzneimittel sind danach
"a) alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigen-schaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, oder
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-
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b)
alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschli-chen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen."
Der [X.] Gesetzgeber hat durch das Gesetz zur Änderung arznei-mittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 ([X.] I S. 1990) den nationalen Arzneimittelbegriff in §
2 Abs. 1 [X.] grundlegend neu gefasst und dabei in Umsetzung der Richtlinie den europarechtlichen Arzneimittelbegriff gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchstabe a) und b) der Richtlinie 2001/83/[X.] in der durch die Richtlinie 2004/27/[X.] geänderten Fassung in das [X.] Arzneimittelge-setz implementiert. Das nationale Recht unterscheidet demgemäß -
wie die Richtlinie -
zwischen sogenannten [X.] ("nach der Be-zeichnung / Bestimmung") gemäß §
2 Abs. 1 Nr. 1 [X.] und sogenannten [X.] ("nach der Funktion") gemäß §
2 Abs. 1 Nr. 2 [X.].
[X.] nach §
2
Abs. 1 Nr. 1 [X.] sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen,
"die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linde-rung
oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind".

Hingegen handelt es sich um Funktionsarzneimittel im Sinne von §
2 Abs.
1 Nr.
2 [X.], wenn Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen
"im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder ei-nem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entwe-der
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a)
die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, [X.] oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korri-gieren oder zu beeinflussen oder
b) eine medizinische Diagnose zu erstellen."
2. Da die von dem Angeklagten angebotenen Kräutermischungen nicht als Arzneimittel bezeichnet und bestimmt waren, kommt es hier allein auf die Definition des Funktionsarzneimittels und dabei auf das Verständnis des Merkmals "beeinflussen" an. Denn die Merkmale "wiederherstellen" und "korri-gieren" können mangels entsprechender Wirksamkeit der synthetischen Can-nabinoide nach den Feststellungen des [X.]s ersichtlich nicht erfüllt
sein.
In Rechtsprechung und Literatur zu § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a) [X.] ist umstritten, ob hinsichtlich des Merkmals "beeinflussen" ausreichend ist, dass Körperfunktionen durch die pharmakologische, immunologische oder metaboli-sche Wirkung des eingenommenen Stoffes in irgendeiner -
gegebenenfalls ge-sundheitsschädlichen -
Weise beeinflusst werden, oder ob ein "Beeinflussen" nur vorliegt, wenn damit ein therapeutischer Nutzen oder jedenfalls eine positi-ve Beeinflussung der physiologischen Funktionen im Sinne einer therapeuti-schen Zielrichtung erreicht wird.
a) Letztgenannte Auffassung wird von Teilen der verwaltungsgerichtli-chen Rechtsprechung sowie Teilen der verwaltungs-
und strafrechtlichen Litera-tur vertreten (vgl. [X.], Beschluss vom 23.
April 2012 -
13 [X.]/12, [X.] 11/2012 Rn. 25 ff.; [X.], Urteil vom 20. März 2012 -
7 [X.], juris Rn.
168 ff.; [X.], Beschluss vom 5. Juni 2012 -
3 M 129/12, [X.] 2012, 298, 300; [X.], NVwZ 2008, 1179, 1184; [X.], [X.] 2012, 137, 139; [X.], [X.] 2012, 241, 243 f.; zust. aus der straf-16
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rechtlichen Literatur [X.], [X.] 2011, 213, 215; [X.], [X.], 422, 424 f.; [X.], Blutalkohol 50/2013, 57, 63 ff.).
Diese Gerichte und Autoren argumentieren in erster Linie mit der
Syste-matik der Norm: Die beiden erstgenannten Merkmale des § 2 Abs. 1 Nr.
2 Buchstabe a) [X.] "wiederherstellen" und "korrigieren" betonten erkennbar den positiven Zweck der Anwendung des Arzneimittels; es sei nicht ersichtlich, dass die dritte Variante "beeinflussen" unter diesem Niveau bleiben solle. Bei einem anderem Verständnis seien zudem die "Wiederherstellung" oder "Korrektur" der physiologischen Funktionen als besonders ausgewiesene Ziele überflüssig, da die dritte Variante des "[X.]" ohnehin alles umfassen würde (vgl. nur [X.], Beschluss vom 23. April 2012 -
13 [X.]/12, [X.] 11/2012 Rn. 25 ff.). Dieses Verständnis trage auch der Begriffsdefinition "nach der Funktion" Rechnung, denn die Funktion eines Arzneimittels liege gerade
in der Bekämpfung von Krankheiten und unerwünschten körperlichen Zuständen und Befindlichkeiten, nicht aber darin, Gesundheitsgefahren auszulösen (Ren-nert, NVwZ 2008, 1179, 1184 f.). Darüber hinaus
bedürfe der ansonsten [X.] einer einschränkenden Auslegung (s. dazu auch [X.], Beschluss vom 16. März 2006 -
2 BvR 954/02, [X.], 2684, 2685), die auf diesem Wege erreicht werden könne ([X.], [X.] 2012, 241, 244 mwN).
b) Andere Gerichte und Autoren sehen hingegen das Merkmal bei
jeder nennenswerten Beeinflussung der physiologischen Funktionen als gegeben an, sei sie positiv im Sinne eines therapeutischen Nutzens oder negativ im Sinne einer schädlichen Einwirkung (aus verwaltungsrechtlicher Sicht: OVG [X.], Urteil vom 3. Februar 2006 -
3 R 7/05, [X.] 2006, 173, 188; [X.], Beschluss vom 9. Juni 2008 -
3 L 115/08, [X.] 2009, 250, 251;
[X.] in: [X.]/[X.], [X.], 3. Aufl., § 2 Rn. 18, 21; [X.] in:
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-
Kügel/[X.]/[X.], [X.], § 2 Rn. 91; [X.]/[X.], Arzneimittelrecht, 119. [X.]., §
2 Nr. 69 [X.]; [X.] in: Körner/[X.]/[X.], BtMG, 7.
Aufl., [X.]. [X.] Rn. 72; aus strafrechtlicher Sicht: [X.], Urteil vom 10.
Dezember 2012 -
1 St OLG Ss 246/12, [X.] 2013, 94, 97; [X.], Urteil vom 27. September 2012 -
5 KLs 3 Js 14210/11, [X.] 2013, 190, 203
f.; [X.]/[X.], Kriminalistik 2009, 131, 135; [X.]/[X.], NStZ 2011, 498, 500). Maßgeblich sei auf die (pharmakologische) Wirkung des Stoffes ab-zustellen, die -
abhängig von der verabreichten Dosis
-
zu einer positiven oder negativen Beeinflussung der Körperfunktionen führen könne ([X.], aaO). Für die Frage der Beeinflussung und damit die Einstufung als [X.] sei entscheidend, ob es durch die Einnahme zu einer Veränderung komme, die außerhalb der normalen im menschlichen Körper ablaufenden [X.] ([X.] in: Körner/[X.]/[X.], aaO unter Verweis auf [X.], Urteil vom 25. Juli 2007 -
3 C 22.06, [X.] 2008, 73, 77). Dies sei auch der Fall, wenn Stoffe oder Zubereitungen zum Zwecke der Rauscher-zeugung eingesetzt würden ([X.], aaO, Rn. 18; [X.] in: Kör-ner/[X.]/[X.], aaO).
Dementsprechend hat der [X.] sogenannte [X.] (Methyl-Metaqualon) und chemische Lösungsmittel, die in nahezu reiner Form als Droge verwendet werden ([X.]) unter den Begriff des Arzneimittels subsumiert ([X.], Urteile vom 3.
Dezember 1997 -
2 StR 270/97, [X.]St 43, 336 und vom 8.
Dezember 2009 -
1 [X.], [X.]St 54, 243). Dabei hat er ausgeführt, die Frage, ob ein Präparat eine therapeutische Wir-kung entfalte, sei keine Frage des Arzneimittelbegriffs, sondern allein eine Vo-raussetzung seiner Zulassung ([X.], Urteil vom 3.
Dezember 1997 -
2 StR 270/97, [X.]St 43, 336, 339).
Diese Rechtsprechung ist
allerdings unter der 21
-
12
-
Geltung des § 2 Abs. 1 [X.] aF
ergangen, nach der Arzneimittel definiert [X.] als
"Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper
1.
Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen,
. . .
5.
die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen
des Körpers
oder seelische Zustände zu beeinflussen."

Auch der
[X.] Gesetzgeber ist bei der weitergehenden Überführung des unionsrechtlichen Arzneimittelbegriffs in das [X.] Arzneimittelrecht im Jahr 2009 davon ausgegangen, dass Designerdrogen etwa mit Beimischungen synthetischer Stoffe mit cannabinoider oder ähnlicher Wirkung bei einer Beur-teilung nach ihrer Funktion Arzneimittel im Sinne von § 2 [X.] sein können (BT-Drucks. 16/12256, S. 41).
3. Da in §
2 [X.] die Richtlinie 2001/83/[X.] in der Fassung der Richtlinie 2004/27/[X.] umgesetzt und der [X.] Arzneimittelbegriff in das [X.] Arzneimittelrecht übernommen worden ist, kommt es für die Frage, welcher der beiden Auffassungen
zu folgen ist, auf die -
autonom vorzunehmende -
Ausle-gung des unionsrechtlichen Arzneimittelbegriffs an, für die nicht auf die frühere nationale Rechtsprechung zum [X.]n Arzneimittelbegriff angeknüpft wer-den kann (vgl. [X.], [X.] 2012, 241, 244). Diese Auslegung des europäi-schen Rechts obliegt allein dem Gerichtshof der [X.].
a) Der Gerichtshof hat die Frage, ob das Merkmal des "[X.]" wie die Begriffe "Wiederherstellung" und "Korrektur" eine positive Wirkung vo-raussetzt, jedenfalls aber bei einer rein gesundheitsschädlichen Beeinflussung der Körperfunktionen nicht erfüllt ist, oder ob es sich dabei um einen Auffang-22
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-
13
-
begriff handelt, der wertneutral jegliche positive wie negative Beeinflussung um-fasst, bislang nicht entschieden
(kein "acte éclairé").
b) Die Anwendung des Unionsrechts ist auch nicht derart offenkundig, dass sie im Sinne eines " acte clair" keinen vernünftigen Zweifeln unterläge.

Zwar hat der Gerichtshof
-
worauf die Vertreter der Auffassung, es [X.] auf einen therapeutischen Nutzen der Beeinflussung nicht an, verweisen -
bereits im Jahr 1991 dahin erkannt, dass in den Anwendungsbereich der Funk-tionsarzneimittel nach Art. 1 Nr.
2 Abs.
2 der früheren Richtlinie 65/65/[X.] auch solche Erzeugnisse fielen, die die Körperfunktionen veränderten, ohne dass eine Krankheit vorliege, wie beispielsweise Verhütungsmittel. Aus dem vom Richtliniengeber verfolgten Ziel des Gesundheitsschutzes folge, dass alle Stoffe eingeschlossen seien, die eine Auswirkung auf die Körperfunktionen im eigentlichen Sinne haben könnten ([X.], Urteil vom 16. April 1991 -
Rs. [X.]/89 -
"Upjohn", Sammlung der Rechtsprechung 1991, [X.], Rn. 19,
21). Diese Rechtsprechung ist auf die Definition des Funktionsarzneimittels in der Richtlinie 2001/83/[X.] zu übertragen ([X.], Urteil vom 9. Juni 2005 -
Rs. [X.]/03 -
"HLH [X.] und Orthica", Sammlung der Rechtsprechung 2005, [X.], Rn. 50); auch die Neufassung durch die Richtlinie 2004/27/[X.] hat nicht zu einer Änderung der durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Kriterien geführt ([X.], Urteil vom 15. Januar 2009 -
Rs. [X.]/07 -
"Hecht Pharma", Sammlung der Rechtsprechung 2009, [X.], Rn.
35). Zudem hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass auch die Ge-sundheitsgefahren, die von einem Erzeugnis ausgehen, bei der Entscheidung, ob es sich dabei um ein Funktionsarzneimittel handelt, einzubeziehen sind ([X.], Urteile vom 21. März 1991 -
Rs. C-369/88 -
"Delattre", Sammlung der Rechtsprechung 1991, [X.], Rn. 35 und vom vom 9. Juni 2005 -
Rs. C-25
26
-
14
-
211/03 -
"HLH [X.] und Orthica", Sammlung der Rechtsprechung 2005, [X.], Rn. 30 mwN).
Mit diesen vom Gerichtshof entschiedenen Fällen, in denen es vorrangig um die Abgrenzung von Arzneimitteln zu Lebensmitteln, aber auch zu [X.], ging und zu prüfen war, ob die Erzeugnisse überhaupt eine nennenswerte physiologische Wirkung hatten und deshalb den für Arzneimittel geltenden [X.] unterworfen werden konnten, ist die vorliegende Fall-konstellation nicht zu vergleichen. Insoweit gilt:
Die Produktgruppe der Arzneimittel ist von jeher durch die spezifische Zwecksetzung der Heilung, Verhütung und Diagnose von Krankheiten geprägt (vgl. [X.], [X.] 2012, 137, 138 mwN; [X.], NVwZ 2008, 1179, 1184). Mit diesem allgemeinen Begriffsverständnis ist es nicht ohne Weiteres in [X.] zu bringen, auch solche Stoffe oder Stoffzubereitungen unter den
Begriff des Funktionsarzneimittels zu subsumieren, die zwar unzweifelhaft die körperli-chen Funktionen beeinflussen, wie ein Gift aber ausschließlich gesundheits-schädliche Wirkungen haben.
Die "Funktion" des Arzneimittels läge dann -
wie auch im vorliegenden Fall -
allein in der Auslösung von Gesundheitsgefahren (vgl. [X.] aaO,
S.
1184 f.).

Es stellt sich mithin die grundsätzliche Frage, ob ein Stoff, der allein im Hinblick auf seine gesundheitsschädigende Wirkung als Rauschgift erzeugt und vertrieben wird, unter den Oberbegriff des "Arzneimittels" gefasst werden kann. Diese Frage verneinend
verstehen die Befürworter einer einschränkenden Aus-legung auch die Rechtsprechung des [X.], wenn er ausführt, dass ein Erzeugnis, um als Funktionsarzneimittel eingestuft werden zu können, "wirklich die Funktion der Verhütung oder Heilung besitzen" müsse ([X.], Urteil vom 27
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15
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15. November 2007 -
Rs.
[X.]/05 -
Kommission/[X.]land III, Sammlung der Rechtsprechung 2007, [X.], Rn. 64).
Insoweit ist die Ausgangslage auch nicht mit der etwa bei oralen Kontra-zeptiva vergleichbar: Zwar verfolgen diese in aller Regel keinen therapeuti-schen Zweck in dem Sinne, dass sie eine Krankheit heilen oder verhindern [X.]. Gleichwohl erscheint deren Einbeziehung in den Regulierungsbereich des [X.] schon deshalb ohne Weiteres gerechtfertigt, weil
sie sich mit Blick auf das ihnen zugrundeliegende Konzept nur geringfügig von therapeu-tisch wirksamen Arzneimitteln unterscheiden und anerkanntermaßen einen von der Frau unerwünschten körperlichen Zustand -
die Schwangerschaft -
verhin-dern sollen (vgl. [X.], NVwZ 2008, 1179, 1181; [X.], [X.] 2012, 137, 139).

III.
Der Senat bittet anzuordnen, dass über das [X.] nach Art. 53 Abs.
3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs der [X.] mit Vorrang entschieden wird. Die [X.] ist in

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16
-
einem schwebenden Strafverfahren entscheidungserheblich, für das in beson-derem Maße der aus Art. 6 Abs.
1 [X.] resultierende Anspruch des Angeklag-ten gilt, dass über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen Anklage in [X.] entschieden wird.

[X.] Schäfer

[X.] Gericke

Meta

3 StR 437/12

28.05.2013

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.05.2013, Az. 3 StR 437/12 (REWIS RS 2013, 5503)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5503

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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