Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2004, Az. 4 StR 84/04

4. Strafsenat | REWIS RS 2004, 1603

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 84/04 vom 16. September 2004 in der Strafsache gegen

wegen schweren Menschenhandels
- 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 16. September 2004, an der teilgenommen haben: Vorsitzende [X.]in am [X.] [X.], [X.] am [X.] Prof. Dr. [X.], [X.], [X.]in am [X.] [X.], [X.] am [X.] [X.]

als beisitzende [X.],

St[X.]tsanwältin

als Vertreterin der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt: - 3 - [X.] Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. November 2003 mit den [X.] aufgehoben. I[X.] Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine [X.] des [X.] zurückverwiesen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren [X.] zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Revision beanstandet er das Verfahren und rügt die Verletzung materiellen Rechts. [X.] Das Rechtsmittel ist zulässig. Aufgrund der vom Senat im Freibeweisverfahren getroffenen [X.] erweist sich der vom Angeklagten und seinem Verteidiger im Anschluß an die Urteilsverkündung erklärte [X.] als unwirksam; denn die Erklärungen wurden durch eine unzulässige Willensbeeinflussung herbeige-führt (dazu unten I[X.] 3). I[X.] Die Revision hat mit einer auf die Verletzung des § 136a StPO ge-stützten Verfahrensrüge Erfolg. 1. Nach den Feststellungen des [X.]s flogen der Angeklagte, [X.]und [X.]in der [X.] vom 3. bis zum 17. Mai 2003 (richtig wohl: 2002) in die [X.]. Zweck der Reise war es, - 4 - daß [X.]und [X.]- gegen Geldzahlungen des Angeklagten - jeweils eine junge [X.] Frau heiraten und diesen so ein dauerhaftes [X.] in [X.] ermöglichen sollten. Dabei hatte der Angeklagte von vornherein vor, beide Frauen hier für sich als Prostituierte arbeiten zu [X.]. Durch Vermittlung des zu dieser [X.] in der [X.] lebenden Ehep[X.]res [X.]und [X.]kam es zur Heirat zwischen Josef [X.]und Elvida [X.]. sowie [X.] und [X.]
. Den beiden Frauen hatte der Angeklagte noch in ihrer Heimat mit Hilfe des als Dolmetscher fungierenden [X.] in [X.] eine "ordentliche Arbeit" in einem Restaurant oder [X.]önheitssalon versprochen. Nachdem sie in [X.] eingetroffen und vom [X.]und dem Angeklagten am [X.] abge-holt worden waren, zwang sie [X.] , für ihn der Prostitution nachzuge-hen. Am 26. August 2003 (wohl: 2002) ließ sie der Angeklagte ein notarielles [X.]uldanerkenntnis unterschreiben, in dem beide anerkannten, der Firma [X.], die kurz darauf vom [X.] des Angeklagten erworben wurde, [X.] 7.500 Euro zu schulden. Der Angeklagte bot den Frauen an, ihre [X.]ul-den entweder langfristig als Reinigungskräfte oder fizügigfi als Prostituierte "[X.]". Beide entschlossen sich, die [X.]ulden schnellstmöglich durch Prostitution abzutragen. Sie gingen sodann für den Angeklagten der [X.] nach, der ihnen einen Großteil des dadurch verdienten Geldes abnahm. 2. In der Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils ist ausgeführt, daß der Angeklagte den ihm in der Anklage zur Last gelegten Tatvorwurf (gemein-schaftlicher schwerer Menschenhandel in Tateinheit mit Zuhälterei) zunächst bestritten hat: Er habe gemeinsam mit [X.]eine Partnerschaftsvermittlung betreiben wollen. Dabei sei es seine Aufgabe gewesen, in [X.] hei-ratswillige Männer zu finden, während [X.]in der [X.] - 5 - heiratswillige Frauen habe suchen sollen. Auch die Reise mit [X.]und [X.]habe nur dem Zweck der Vermittlung eines Ehepartners ge-dient. Es sei von ihm nicht geplant gewesen, die Frauen in [X.] der Prostitution zuzuführen. Vielmehr hätten beide später von sich aus - wie schon in ihrer Heimat - als Prostituierte arbeiten wollen. Im Rahmen der anschließenden Beweisaufnahme habe der Angeklagte durch eine entsprechende Erklärung seines Verteidigers, die er durch [X.] als eigene bestärkt habe, diese Einlassung aufgegeben und den [X.] eingeräumt. Das Geständnis, auf dem die [X.] zum Tatgeschehen beruhen, sei glaubhaft. 3. Die Revision macht geltend, daß das Geständnis des Angeklagten nicht verwertbar (§ 136a Abs. 3 Satz 2 StPO) und der nach der Verkündung des Urteils erklärte [X.] des Angeklagten unwirksam sei. a) Der Rüge liegt folgender, durch das Protokoll (§ 274 StPO) und frei-beweislich ([X.]St 16, 164, 166; 45, 227, 228), insbesondere durch die dienst-lichen Stellungnahmen des Vorsitzenden [X.]s und des [X.] der St[X.]tsanwaltschaft, die anwaltliche Versicherung des [X.] sowie [X.] lediglich ergänzend [X.] die eidesstattlichen Versicherungen zweier [X.], erwiesener Verfahrensablauf zugrunde: Gegen den - nicht vorbestraften - Angeklagten war am 16. Dezember 2002 wegen der zu erwartenden fierheblichen Freiheitsstrafefi, seiner guten Auslandskontakte und dadurch bestehender Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) Haftbefehl erlassen worden, der mit Beschluß vom 28. Januar 2003 au-ßer Vollzug gesetzt worden war. Dem Angeklagten war in dem Beschluß aufer-legt worden, jeden Kontakt mit den Mitbeschuldigten und deren Ehefrauen zu - 6 - unterlassen, sich einmal wöchentlich bei der Polizei zu melden, seinen Reise-paß zu hinterlegen, an seinem Wohnsitz für das Gericht erreichbar zu sein und die Bundesrepublik [X.] nicht ohne Zustimmung des Gerichts zu [X.]. Diesen Auflagen kam der Angeklagte nach; zur Hauptverhandlung er-schien er. Während der Beweisaufnahme wurde die Hauptverhandlung mehrfach unterbrochen. Der Verteidiger ließ hierbei erkennen, daß er die Vernehmung des in der [X.] wohnenden Ehep[X.]res [X.] beantra-gen werde, falls die Beweisaufnahme für seinen Mandanten "ungünstig [X.]". Wie der Vorsitzende in seiner dienstlichen Stellungnahme ausgeführt hat, äußerte er daraufhin zu dem Verteidiger, daß durch diese Vernehmung im Er-gebnis nichts zugunsten des Angeklagten zu erwarten sei und im Falle einer Aussetzung des Verfahrens vom Gericht die Außervollzugsetzung des Haftbe-fehls "überdacht" werden müsse; denn der Angeklagte müsse nach der [X.] des Gerichts fiklar erkannt haben ..., dass seine Behauptungen wi-derlegt und bei einer Aussetzung bei vernünftiger Betrachtungsweise kein an-deres Beweisergebnis zu erwarten sei, so dass damit die Fluchtgefahr des [X.], der über umfangreiche Auslandskontakte ... (verfüge), in einem an-deren Licht betrachtet werden müssefi. Wenn der Angeklagte allerdings keinen Beweisantrag stelle, sondern ein Geständnis ablege, würde sich das Gericht mit einer Strafe von zwei Jahren und neun Monaten fizufrieden gebenfi. Dieser Verfahrensgang wird durch die Stellungnahme des Sitzungsver-treters der St[X.]tsanwaltschaft und des [X.] bestätigt. Letzterer, der [X.] ist und nach der dienstlichen Stellungnahme des [X.] (im übrigen) [X.] verteidigt habe, hat anwaltlich versichert, ihm sei deutlich gemacht worden, daß die [X.] beabsichtige, bei Stellung des - 7 - [X.] den Haftbefehl wieder in Vollzug zu setzen. Gleichzeitig sei ihm klargemacht worden, daß bei einer geständigen, über ihn als Verteidiger abzugebenden Erklärung ein Strafmaß von zwei Jahren und neun Monaten nicht überschritten werden würde. Über einen [X.] sei nicht ausdrücklich gesprochen worden; dieser gehöre aber zu den [X.] der hiesigen Justiz üblichen [X.] Hinsichtlich des Strafmaßes bei einer nicht [X.] Einlassung sei er [X.] fifast augenzwinkerndfi [X.] vom Vorsitzenden auf die [X.] der hiesigen Justiz üblichen Tarife´fi hingewiesen worden. Diesen Stand der Dinge habe er mit seinem Mandanten erörtert. Für den Angeklagten und den Verteidiger stellte sich die [X.] nach diesen Hinweisen so dar, daß entweder - bei weiterem Bestreiten und der Stellung des [X.] - der sofortige Vollzug des Haftbefehls und eine höhere Strafe drohte, bei einem Geständnis und [X.] aber mit sofortiger Haft nicht zu rechnen war. In dieser Situation gab der Verteidiger die vom Gericht gewünschte Er-klärung ab, daß die Anklagevorwürfe fiim wesentlichenfi [X.] so das [X.] - zugegeben werden sollen. Der Angeklagte stimmte der Erklärung [X.] zu. Eine weitere Beweisaufnahme erfolgte nicht. Nach der Verkündung des Urteils und der Erteilung der Rechtsmittelbe-lehrung, fragte der Vorsitzende den Angeklagten, ob das Urteil angenommen werde. Der Angeklagte reagierte nicht. Daraufhin forderte ihn der Vorsitzende mehrmals auf zu nicken. Dieser Vorgang ist durch die dienstliche Stellungnah-me des St[X.]tsanwalts (fi... es ist nicht außergewöhnlich, wenn ein Angeklagter wiederholt und nachdrücklich gebeten wird, seine Zustimmung deutlich zu er-klären ...fi) und die eidesstattlichen Versicherungen der Zuhörer [X.]und [X.]. belegt ([X.] [X.], nicken Sie, nicken [X.]). Der Angeklagte senkte [X.] 8 - nen Kopf, was als Zustimmung gewertet werden konnte. Auch der Verteidiger und der St[X.]tsanwalt erklärten dann [X.]. b) Der Angeklagte macht mit seiner Verfahrensrüge geltend, er habe nur unter Androhung der sofortigen Verhaftung seine bestreitende Einlassung auf-gegeben und den [X.] - fälschlicherweise - gestanden. Den [X.] habe er ebenfalls unter dem Druck abgegeben, [X.] sofort in Haft zu kommen. Beide Erklärungen seien durch unzulässige, rechtswidrige Maßnahmen des Gerichts erzwungen worden. [X.]) Die Rüge ist zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Revi-sion teilt zwar Einzelheiten zum Ermittlungsverfahren nicht mit, sie gibt aber den vollständigen Inhalt der Anklageschrift wieder, in der die insoweit zur [X.]lüssigkeit der Rüge erforderlichen grundlegenden Tatsachen dargelegt sind. Soweit der Beschwerdeführer zur Begründung seiner Rechtsansicht nicht ausdrücklich auch auf die Verknüpfung zwischen der beabsichtigten Stellung eines Beweisantrags und der Drohung mit sofortiger Haft abstellt, ergeben sich die vorzutragenden Verfahrenstatsachen aus den in der Revisionsbegründung mitgeteilten und in Bezug genommenen eidesstattlichen Versicherungen der Zeugen [X.]und [X.]. (u.a. der Vorsitzende habe erklärt, fidass er das Spiel mit den Anträgen kenne und dass er in diesem Fall den Haftbefehl sofort in Vollzug [setze]fi). [X.]) Nach dem vom Senat festgestellten Verfahrensgang hat das Land-gericht durch die konkludent zum Ausdruck gebrachte Ankündigung, der Ange-klagte werde in Haft genommen, falls er nicht gestehe, sondern den beabsich-tigten Beweisantrag stelle und die Hauptverhandlung deswegen ausgesetzt werden müsse, mit einer nach den Vorschriften des Strafverfahrensrechts un-zulässigen Maßnahme gedroht und damit gegen § 136 a Abs. 1 Satz 3 1. Alt. - 9 - StPO verstoßen. Die Invollzugsetzung des Haftbefehls wäre offensichtlich rechtswidrig gewesen; denn es lag hierfür kein Grund vor (§ 116 Abs. 4 StPO): weder hatte der Angeklagte seinen ihm in dem Außervollzugsetzungsbeschluß auferlegten Pflichten oder Beschränkungen zuwider gehandelt, noch hatte er Anstalten zur Flucht getroffen oder war er auf Ladung ausgeblieben, noch hatte sich auf andere Weise gezeigt, daß das in ihn bei Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls gesetzte Vertrauen nicht gerechtfertigt war, noch machten neu hervorgetretene Umstände seine Verhaftung erforderlich. Insbesondere [X.] die mögliche Verurteilung als solche oder auch die Höhe der zu erwar-tenden Strafe nicht als fineu hervorgetretene Umständefi die Verhaftung des Angeklagten, weil schon bei der Aussetzungsentscheidung von der Möglichkeit der Verurteilung ausgegangen und im Falle des [X.]uldnachweises mit einer fierheblichenfi Freiheitsstrafe gerechnet worden war (vgl. dazu [X.], 211; 2002, 207; [X.] StV 2003, 512 f.; Boujong in KK 5. Aufl. § 116 Rdn. 32 m.w.N.). Die Androhung von Haft diente [X.] wie die Revision zu Recht rügt - er-sichtlich der Herbeiführung eines Geständnisses. Dies war hier ebenso unzu-lässig wie die unmittelbare Verknüpfung der Haftfrage mit der prozessual zu-lässigen Stellung des Beweisantrags. Diese Verfahrensweise des Gerichts ist rechtsst[X.]tlich nicht hinnehmbar (vgl. [X.] bei [X.] 1971, 18; [X.], Beschluß vom 9. Juni 2004 - 5 [X.] = [X.], 470, 471; [X.] in [X.], StPO 25. Aufl. § 136a Rdn. 12, 48). Das Geständnis ist [X.] nicht verwertbar (§ 136 a Abs. 3 Satz 2 StPO). [X.]) Vor dem Hintergrund, daß er mit sofortiger Haft rechnen mußte, wenn er das Verfahren durch die Stellung eines [X.] verzögern würde, mußte sich dem Angeklagten aufdrängen, daß er auch in Haft kommen - 10 - werde, wenn er entgegen der mehrfachen, insistierenden Aufforderung des Vorsitzenden keinen [X.] erklären, den Verteidiger zu einer entsprechenden Erklärung nicht (konkludent) ermächtigen und so den soforti-gen rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens verhindern würde. Der Rechts-mittelverzicht wurde somit durch eine unzulässige Willensbeeinflussung fiab-verlangtfi und ist daher - obwohl er als Prozeßerklärung grundsätzlich unwider-ruflich und unanfechtbar ist (vgl. [X.]St 45, 51, 53) - unwirksam (vgl. [X.]St 17, 14, 18; [X.] [X.], 115, 116; [X.], Beschluß vom 20. April 2004 [X.] 5 StR 11/04 = NJW 2004, 1885 f. [Ankündigung eines unsachgemäßen [X.] durch den St[X.]tsanwalt]). Die Unwirksamkeit erfaßt auch den Rechtsmit-telverzicht durch den Verteidiger (vgl. [X.]St 45, 227, 229 f., 232 f.). Das auf das Geständnis des Angeklagten gestützte Urteil muß daher aufgehoben und die Sache muß neu verhandelt werden. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, das Verfahren an ein anderes [X.] zurück-zuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO). Tepperwien

[X.] [X.]

[X.]

Ernemann

Meta

4 StR 84/04

16.09.2004

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2004, Az. 4 StR 84/04 (REWIS RS 2004, 1603)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 1603

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