Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.09.2015, Az. 2 StR 101/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2015, 5983

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[X.]:[X.]:[X.]:2015:0209152STR101.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 [X.]/15
vom
2. September
2015
in der Strafsache
gegen

wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.

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2
-
Der 2.
Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts
und des Beschwerdeführers am 2.
September 2015 gemäß §
349 Abs.
4 StPO beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 2. Dezember
2014, soweit er verurteilt [X.] ist,
mit den Feststellungen aufgehoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstan-denen
notwendigen Auslagen, an das [X.].

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen,
jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen,
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt; von dem Vorwurf weiterer vier Taten des sexuellen
Missbrauchs von Kindern hat es den Angeklagten freigesprochen.
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

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I.
1. Nach den Feststellungen verbrachte die zur Tatzeit sechs Jahre alte Geschädigte jeweils ein Wochenende im April und im Mai
2014 gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder bei dem Angeklagten, ihrem Stiefvater. In jeweils einer Nacht zog der Angeklagte, der mit beiden Kindern auf einem Schlafsofa im Wohnzimmer schlief,
der Geschädigten Schlafanzughose und Unterhose aus, streichelte sie zwischen den Beinen im Bereich der Scheide, streckte ihre angewinkelten Beine aus und rieb seinen Penis zwischen den Oberschenkeln des Kindes bis zum Samenerguss.

2. [X.] hat die Tatvorwürfe bestritten. Das [X.] hat seine Überzeugung
im Wesentlichen auf die Aussage der Geschädigten gestützt, die es mit Hinweis auf Detailreichtum und aussageübergreifende Kon-stanz ihrer Angaben für glaubhaft erachtete. Von dem Vorwurf von vier weiteren
sexuellen
Übergriffen
hat es den Angeklagten freigesprochen, weil die Angaben des Kindes zur Häufigkeit der Übergriffe nicht als verlässlich erschienen.

II.
Die Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Sie ist lückenhaft.
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Ihm obliegt
es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt nur, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte 3
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Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr., vgl. [X.], Urteil vom 22. Oktober 2014
-
2 [X.], [X.], 52).
Beruht die Überzeugung des Gerichts von der Täterschaft des Angeklagten allein auf der Aussage eines
Belastungszeugen, ohne dass weitere belastende Indizien vorliegen, so sind an die Überzeugungsbildung des Tatrichters strenge Anforderungen zu stellen. Die Urteilsgründe müssen in Fallkonstellationen der genannten Art erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche seine Entscheidung beeinflussen können,
erkannt und
in seine Überlegungen einbezogen hat
([X.], Urteil vom 29.
Juli 1998 -
1
StR 94/98, [X.]St 44, 153, 159). Insbesondere die Aussage des
Zeugen selbst ist einer sorgfältigen Glaubwürdigkeitsprüfung zu unterziehen (vgl. [X.], a.a.[X.], S. 158). Macht der einzige Belastungszeuge in der Hauptverhandlung in einem wesentlichen Punkt von früheren Tatschilderungen abweichende Angaben, so muss sich der Tatrichter mit diesem Umstand auseinandersetzen und regelmäßig darlegen, dass und aus welchem Grund insoweit keine bewusst falschen Angaben vorgelegen haben ([X.], Urteil vom 17.
November 1998
-
1
StR 450/98, [X.]St 44, 256, 257). Darüber hinaus ist es in Fallkonstellationen, in denen die Angaben des
einzigen Belastungszeugen in der Hauptverhandlung in wesentlichen Teilen von seinen früheren Angaben abweichen, geboten, jedenfalls die entscheidenden Teile seiner Aussagen in den Urteilsgründen wiederzugeben, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen [X.] ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. [X.], Urteil vom 10.
August 2011 -
1 [X.], [X.], 110, 111; Beschluss vom 24. April 2014 -
5 [X.], [X.], 219).
2. Diesen besonderen Darlegungsanforderungen wird das angegriffene Urteil nicht in vollem Umfange gerecht.
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a) Das [X.] hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten
im Wesentlichen auf die Angaben der zum Tatzeitpunkt sechs, zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung sieben Jahre alten Zeugin
und auf die Annahme der [X.] ihrer Angaben gestützt. Die Beweiserwägungen zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin sind jedoch in mehrfacher Hinsicht lückenhaft.
aa) Es fehlt schon an einer aus sich heraus verständlichen, zusammenhängenden Darstellung der Aussage der Zeugin
in der Hauptverhandlung, die eine Überprüfung der [X.] und der Aussagekonstanz sowie eine Auseinandersetzung mit den festgestellten, auch das Kerngeschehen betreffenden Abweichungen durch das Revisionsgericht ermöglicht.
Zwar hat die [X.] im Rahmen der von ihr vorgenommenen
be und grundsätzlich fähig sei, Ereignisse adäquat wahrzunehmen,
sich daran
zu erinnern und darüber zu be-richten; Schwächen seien vorhanden, soweit die Häufigkeit von Vorfällen oder deren zeitliche Einordnung in Frage stehe. Deshalb sei dem Umstand, dass die Zeugin ursprünglich abweichende Angaben zur Häufigkeit der Vorfälle gemacht und von einer größeren Zahl von Übergriffen gesprochen habe, als Teil ihrer zeitlichen Einordnungsschwäche anzusehen und daher unbedenklich; gleiches gelte für die unterschiedlichen Angaben zum Ort der Übergriffe, weil die Zeugin die

([X.]).
Ob diese
vom [X.] angestellte Würdigung der unterschiedlichen Angaben der Zeugin mit der Annahme von Aussagekonstanz
vereinbar ist, 9
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kann in Ermangelung einer geschlossenen Wiedergabe ihrer wesentlichen Angaben in der Hauptverhandlung nicht überprüft werden.
[X.]) Das [X.] hat nicht übersehen, dass die Zeugin die sexuellen Übergriffe zunächst eher stereotyp dahin umschrieben hatte, dass sie nicht mehr zum [X.] wolle, weil der , und dass sie [X.] berichtet
hatte, der Angeklagte habe sich jeweils auf sie gelegt, "seinen Pipimann unten
in sie reingesteckt" und sie habe dabei Schmerzen verspürt. Soweit das [X.] ihre späteren, hiervon deutlich abweichenden und mit dem Kriterium der [X.] schwerlich zu vereinbarenden Bekundungen in der Hauptverhandlung, wonach der Angeklagte mit seinem Gesicht ihr zugewandt den jeweils bis zum Samenerguss vollzogen habe, mit dem Hinweis darauf zu relativieren suchte, diese
unterschiedlichen Darstellungen des Kerngeschehens r-

(UA S. 28) und auf dem erkennbaren Unbehagen der Zeugin, überhaupt über die Geschehnisse zu sprechen, lässt sich auch dies in Ermangelung der zusammenhängenden Wiedergabe ihrer Bekundungen in der Hauptverhand-lung und in den früheren Vernehmungen nicht nachvollziehen.

Gleiches gilt für die Bewertung
des [X.]s, dass die unterschiedli-chen Schilderungen unter Berücksichtigung des kindlichen Alters und der
fehlenden Sexualkenntnisse der Zeugin ohne Weiteres miteinander vereinbar
seien.

cc) Schließlich erscheinen auch die Feststellungen und Erwägungen zur Aussageentstehung, die für die Bewertung kindlicher Zeugenaussagen von besonderer Bedeutung sind (vgl. [X.], Beschluss vom 24. April 2014 -
5
[X.], [X.], 219), als lückenhaft.
Das [X.] hat zwar gesehen, dass die Mutter der Zeugin von einer durch die Schwester des 13
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leiblichen Vaters der Zeugin
im Jahr 2005 erstatteten Strafanzeige gegen den Angeklagten wegen Verdachts des sexuellen Missbrauchs ihrer Tochter
wusste, dass sie in Kontakt mit der damaligen Anzeigeerstatterin stand und dass sie die Zeugin
nach der erstmaligen [X.] durch sie zu
der Frauenärztin brachte, die auch in dem damaligen Missbrauchsfall involviert war. Das [X.]
hat diesen Besonderheiten jede Beweisbedeu-tung mit dem Hinweis darauf abgesprochen, dass Anhaltspunkte für eine bewusste Falschbelastung fehlten. Es hat jedoch in diesem Zusammenhang nicht erkennbar erwogen, ob Anhaltspunkte für eine suggestive Beeinflussung des Kindes durch ihre Mutter bestehen, die den Inhalt ihrer Zeugenaussage beeinflusst haben kann.
3. Das Urteil beruht auf diesen Darlegungsmängeln. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Der [X.] sieht Anlass zu dem Hinweis, dass der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter in Anse-hung der Besonderheiten des Einzelfalls die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens zu erwägen haben wird.
[X.] Ott

Zeng Bartel

16

Meta

2 StR 101/15

02.09.2015

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 02.09.2015, Az. 2 StR 101/15 (REWIS RS 2015, 5983)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5983

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 StR 101/15

2 StR 92/14

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