Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.07.2010, Az. 1 AZR 67/09

1. Senat | REWIS RS 2010, 4412

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Gegenstand

Auslegung einer Gesamtbetriebsvereinbarung zur Altersteilzeit - Berechnung von Aufstockungsleistungen zur Rentenversicherung


Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 9. Dezember 2008 - 9 Sa 1435/08 - aufgehoben.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 14. August 2008 - 2 [X.]/08 - abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Auslegung einer Gesamtbetriebsvereinbarung zur Altersteilzeit.

2

Der Kläger war bei der Beklagten bis zum 31. Mai 2010 beschäftigt. Die Parteien vereinbarten für die [X.] vom 1. Juni 2005 bis zum 31. Mai 2010 ein Altersteilzeitarbeitsverhältnis mit einer Arbeitszeit von 50 % der bisherigen Arbeitszeit. Nach § 6 des [X.] vom 27. November/2. Dezember 2003 sollten sich die diesbezüglichen Rechte und Pflichten ua. aus der Gesamtbetriebsvereinbarung zur Altersteilzeit vom 20. Dezember 2001 ([X.]) ergeben, deren § 5 Nr. 3 lautet:

        

„Der Arbeitgeber entrichtet zusätzlich die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, die auf die Differenz zwischen dem Beitrag für 90 % der Bruttovollzeitvergütung und der Altersteilzeitvergütung entfallen, höchstens jedoch bis zur Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung.“

3

Der Kläger, der vor Beginn der Altersteilzeit eine über der Beitragsbemessungsgrenze liegende Vergütung bezog, hat die Ansicht vertreten, dass die Berechnung des [X.] nach der [X.] von den gesetzlichen Bestimmungen abweiche. Maßgeblich seien grundsätzlich die Beiträge, die auf 90 % der bei einer Vollzeitbeschäftigung erzielbaren Vergütung entfallen. Nur wenn dieser Betrag die Beitragsbemessungsgrenze übersteige, sei diese für die Berechnung des Unterschiedsbetrags maßgeblich.

4

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, für den Kläger für die Monate von Mai bis Dezember 2005 weitere 608,40 Euro, Januar bis Dezember 2006 weitere 1.228,50 Euro, Januar bis Dezember 2007 weitere 1.253,70 Euro, Januar bis Dezember 2008 weitere 1.265,64 Euro, Januar bis Dezember 2009 weitere 1.289,52 Euro und für die Monate Januar bis Mai 2010 weitere 547,25 Euro Rentenversicherungsbeiträge an die Einzugsstelle für Rentenversicherungsbeiträge abzuführen.

5

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

6

Die Vorinstanzen haben der zunächst als Feststellungsantrag gefassten Klage stattgegeben. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der diese erstmals einen Verstoß der [X.] gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG geltend macht.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Unrecht entsprochen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zahlung von weiteren Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung.

8

I. Die sich aus § 5 Nr. 3 [X.] ergebenden Ansprüche des [X.] sind erfüllt. Die Beklagte ist nur zur Entrichtung eines Beitrags zur gesetzlichen Rentenversicherung verpflichtet, der sich aus dem Unterschiedsbetrag zwischen 90 % der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze und dem Altersteilzeitentgelt des [X.] ergibt. Die Betriebsparteien sind bei der Berechnung der [X.] zur Rentenversicherung nicht von der Regelung im Altersteilzeitgesetz abgewichen. Dies folgt aus dem Wortlaut der [X.], der Regelungssystematik und dem Grundsatz der gesetzeskonformen Auslegung.

9

1. Betriebsvereinbarungen sind wegen ihres normativen Charakters wie Tarifverträge und Gesetze auszulegen. Auszugehen ist danach vom Wortlaut der Bestimmungen und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn sind der wirkliche Wille der Betriebsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Text ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Regelungen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Bestimmung führt ([X.] 11. Dezember 2007 - 1 [X.] - Rn. 20 mwN, [X.] 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 37 = EzA [X.] 2001 § 77 Nr. 22). Übernehmen die Betriebsparteien den Inhalt einer gesetzlichen Vorschrift ganz oder teilweise, ist regelmäßig davon auszugehen, dass sie deren Verständnis auch zum Inhalt der betrieblichen Regelung machen wollen, soweit sich aus der Betriebsvereinbarung nichts Gegenteiliges ergibt (vgl. [X.] 16. April 2002 - 1 [X.] - zu 2 a der Gründe, [X.] 1972 § 112 Nr. 153 = EzA [X.] 1972 § 112 Nr. 111).

2. Die Betriebsparteien haben in § 5 Nr. 3 [X.] die gesetzliche Regelung über die Aufstockung der Rentenversicherungsbeiträge übernommen.

a) Nach § 4 Abs. 1 [X.] ist die Förderung der Altersteilzeit durch die [X.] ua. von den in § 3 [X.] bestimmten Anspruchsvoraussetzungen abhängig. Zu den Förderleistungen gehören die Zahlung eines [X.]s zum Altersteilzeitentgelt sowie die Entrichtung von zusätzlichen Beiträgen zur Rentenversicherung. Die Betriebsparteien haben sich bei der Ausgestaltung der materiellen Leistungen für die [X.] in der [X.] an den im [X.] vorgesehenen Leistungen orientiert und eine Aufstockung des [X.] sowie die Entrichtung von zusätzlichen Rentenversicherungsbeiträgen vorgesehen. In § 5 Nr. 3 [X.] haben sie nahezu wörtlich die bei Abschluss der [X.] geltende Regelung in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b [X.] idF vom 20. Dezember 1999 - [X.] aF - ([X.]I S. 2494) über die Zahlung des [X.] übernommen, der sich aus dem Unterschiedsbetrag zwischen 90 % des bisherigen Arbeitsentgelts iSd. § 6 Abs. 1 [X.] aF und der [X.] ergibt. Nach der dort enthaltenen Legaldefinition ist „bisheriges Arbeitsentgelt“ das Arbeitsentgelt, das der in Altersteilzeitarbeit beschäftigte Arbeitnehmer für eine Arbeitsleistung bei bisheriger wöchentlicher Arbeitszeit zu beanspruchen hätte, soweit es die Beitragsbemessungsgrenze des [X.] nicht überschreitet (Hätte-Entgelt). Danach wird das bisherige Arbeitsentgelt iSd. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, § 6 Abs. 1 Satz 1 [X.] aF durch den Betrag begrenzt, der 90 % der Beitragsbemessungsgrenze entspricht. Dies entsprach zum Zeitpunkt des Abschlusses der [X.] auch der Sichtweise der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger in ihrem Schreiben vom 6. September 2001 (abgedruckt in: [X.]/[X.]/[X.] Altersteilzeit 2. Aufl. S. 276 f.) und der einhelligen Auffassung im sozialrechtlichen Schrifttum ([X.]/[X.] 2. Aufl. § 3 [X.] Rn. 8; [X.]/[X.] Altersteilzeitrecht § 3 [X.] Rn. 18; [X.]/[X.]/[X.] Altersteilzeit S. 97; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] Altersteilzeit 2. Aufl. § 3 [X.] Rn. 53).

b) Die Betriebsparteien haben in § 5 Nr. 3 [X.] keine von § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b [X.] aF abweichende Regelung getroffen.

Die Verwendung des Begriffs „Bruttovollzeitvergütung“ anstelle des im [X.] enthaltenen Merkmals des „bisherigen Arbeitsentgelts im Sinne des § 6 Abs. 1“ vermag diese Annahme allein nicht zu rechtfertigen. Die Betriebsparteien haben die Berechnungsgrundlagen für den Unterschiedsbetrag sowie die Begrenzung des [X.] durch die Beitragsbemessungsgrenze unverändert gelassen. Bei dem von ihnen verwandten Ausdruck „Bruttovollzeitvergütung“ haben sie sich an dem bis zum 31. Dezember 1999 in § 6 [X.] enthaltenen Begriff des „[X.]“ orientiert, das gleichermaßen durch die Höhe der Beitragsbemessungsgrenze begrenzt war. Die in § 5 Nr. 3 [X.] erfolgte Anfügung des Begriffs „Brutto“ enthält lediglich eine sprachliche Klarstellung. In § 5 Nr. 1 [X.] haben die Betriebsparteien eine Regelung über den [X.] für das Altersteilzeitarbeitsentgelt getroffen, dessen Berechnung sich nach der jeweiligen Verordnung über die Mindestnettobeträge nach dem [X.] richtet. Hingegen ist für den Unterschiedsbetrag zur Rentenversicherung das Bruttoarbeitsentgelt die maßgebliche Bezugsgröße. Ein etwaiger Wille der Betriebsparteien, in § 5 Nr. 3 [X.] eine von § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b [X.] aF abweichende Regelung zu treffen, ist danach nicht mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen und daher bei der Auslegung nicht zu berücksichtigen.

3. Gegen die vom Kläger vertretene Sichtweise von § 5 Nr. 3 [X.] spricht zudem das Gebot der gesetzeskonformen Auslegung. Die von ihm zugrunde gelegte Berechnung des [X.] würde zu einem Verstoß gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 75 Abs. 1 [X.] führen.

a) Der auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zurückzuführende betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zielt darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Maßgeblicher Sachgrund für eine Gruppenbildung ist regelmäßig vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck ([X.] 20. April 2010 - 1 [X.] - Rn. 21 mwN).

b) Die [X.] dient der Ausgestaltung der Bedingungen für die bei der Beklagten begründeten [X.]. Mit den in § 5 [X.] vorgesehenen [X.] sollte entsprechend der Zielsetzung des [X.] ein Anreiz geschaffen werden, den Arbeitsplatz vor Erreichen der Regelaltersgrenze frei zu machen und dadurch Beschäftigungsmöglichkeiten für Arbeitsuchende und Auszubildende zu eröffnen. Nach dem gesetzlichen Regelungsmodell in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b [X.] aF werden die in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherten Arbeitnehmer gleichbehandelt. Ihr Arbeitgeber entrichtet während des [X.]s trotz der um die Hälfte verringerten Arbeitszeit Rentenversicherungsbeiträge, die 90 % ihres durch die Beitragsbemessungsgrenze begrenzten [X.] entsprechen. Diese Regelung bewirkt, dass die Anwartschaften aus der Altersteilzeit kaum hinter den Anwartschaften aus ihrer vor der Altersteilzeit ausgeübten Voll- oder Teilzeitbeschäftigung zurückbleiben.

c) Das von den Vorinstanzen angenommene Auslegungsergebnis von § 5 Nr. 3 [X.] würde demgegenüber zu einer Ungleichbehandlung unter den rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern führen, bei der die Bezieher von Einkommen oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze begünstigt würden. Diese entrichten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nur bis zur Höhe der [X.]. Einnahmen, die diesen Betrag übersteigen, bleiben außer Ansatz (§ 341 Abs. 3 [X.]). Die mit dieser Regelung verbundene beitrags- und leistungsrechtliche Gleichstellung der rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer wäre beseitigt, wenn die Begrenzung des [X.] durch die Betragsbemessungsgrenze nicht vor, sondern - wie der Kläger meint - erst nach der Multiplikation mit dem Faktor 0,9 erfolgen würde. In letzterem Fall hätten die Bezieher von Einkommen oberhalb der Bemessungsgrenze gegenüber den anderen rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern nur geringere oder - ab einem Einkommen von ca. 111 % der Beitragsbemessungsgrenze - keine altersteilzeitbedingten Nachteile bei der gesetzlichen Rente zu erwarten, da ab diesem Wert 90 % des [X.] der Höhe der Beitragsbemessungsgrenze entspricht. Für eine solche Begünstigung der Bezieher von höheren Einkommen ist aber ein rechtfertigender Grund nicht ersichtlich.

II. Auf die zwischen den Parteien streitige und in den Vorinstanzen nicht erörterte Frage, ob die [X.] gegen die [X.] des § 77 Abs. 3 Satz 1 [X.] verstößt, kam es nicht mehr an.

        

    Schmidt    

        

    Linck    

        

    Koch    

        

        

        

    Hayen    

        

    Rath    

                 

Meta

1 AZR 67/09

27.07.2010

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Münster, 14. August 2008, Az: 2 Ca 469/08, Urteil

§ 77 Abs 3 BetrVG, § 3 Abs 1 Nr 1 Buchst b AltTZG 1996 vom 20.12.1999, § 6 Abs 1 AltTZG 1996 vom 20.12.1999

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.07.2010, Az. 1 AZR 67/09 (REWIS RS 2010, 4412)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4412

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