Bundesfinanzhof, Beschluss vom 19.01.2017, Az. IV B 84/16

4. Senat | REWIS RS 2017, 17069

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Gegenstand

Antrag auf Akteneinsicht durch Berufsträger ohne Vorlage einer Originalvollmacht


Leitsatz

1. NV: Begehrt eine in § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO bezeichnete Person oder Gesellschaft als Bevollmächtigte des Klägers Akteneinsicht, ohne zugleich eine schriftliche Vollmacht vorzulegen, hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die Gewährung der Akteneinsicht von der Vorlage einer Vollmacht abhängig gemacht wird.

2. NV: In der Weigerung zur Vorlage der Vollmacht nach § 62 Abs. 6 Satz 1 FGO kann ein Indiz für das Fehlen der Bevollmächtigung zu sehen sein. Dies ist jedoch im Rahmen der Gesamtumstände zu würdigen und darf nicht in jedem Fall die Annahme fehlender Bevollmächtigung rechtfertigen.

Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Finanzgerichts des [X.] vom 30. September 2016  6 K 734/16 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

I. [X.]ie Klägerin, Antragstellerin und [X.]eschwerdeführerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG, die gegen [X.]escheide über die gesonderte Feststellung der [X.]esteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlusts gemäß § 15a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes für 2008 und 2011 vertreten durch ihre persönlich haftende Gesellschafterin, die [X.], diese vertreten durch die einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin [X.], Klage erhoben hat. [X.]ie Klage wurde durch am 27. Juli 2016 per Telefax beim Finanzgericht ([X.]) eingegangenen Schriftsatz der [X.], diese vertreten durch Steuerberater [X.] als deren Geschäftsführer, eingelegt. Mit der Klageschrift wurde zugleich ein Antrag auf Akteneinsicht gestellt.

2

[X.]estandteil des Telefax war eine von der Klägerin auf die Rechtsanwaltsgesellschaft ausgestellte Vollmachtsurkunde für eine Klage gegen die [X.] zu den genannten Feststellungsbescheiden. [X.]ie Urkunde trägt das [X.]atum vom 26. Juli 2016 und enthält eine Unterschrift, die als solche der [X.] bezeichnet ist. [X.]em Telefax beigefügt waren ebenfalls die [X.] und Feststellungsbescheide, die jeweils an [X.] als Vertreter der Klägerin adressiert sind. [X.] ist zugleich einziger Kommanditist der Klägerin.

3

Mit am 3. August 2016 abgesandtem Schreiben forderte das [X.] die Rechtsanwaltsgesellschaft unter Hinweis auf § 62 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) auf, die Vertretungsmacht der Geschäftsführung nachzuweisen und die Vollmacht im Original nachzureichen. Per Telefax vom 31. August 2016 legte die Rechtsanwaltsgesellschaft einen Nachweis des Handelsregisters über die am ... Juli 2014 vorgenommene Eintragung des Eintritts der [X.] als persönlich haftende Gesellschafterin der Klägerin und das gleichzeitige Ausscheiden der vormaligen persönlich haftenden Gesellschafterin vor. Zugleich wurde der Antrag auf Akteneinsicht wiederholt und darauf hingewiesen, dass die Vorlage der Vollmacht im Original nach einem [X.]eschluss des [X.]undesfinanzhofs ([X.]FH) vom 21. Juli 2016 XI [X.] 63/15 nicht erforderlich sei.

4

[X.]er [X.]erichterstatter des [X.] richtete daraufhin ein Schreiben vom 9. September 2016 an die Rechtsanwaltsgesellschaft, in dem er um Vorlage eines Registerauszugs der Komplementärin ersuchte, weil sich aus dem vorgelegten Registerauszug die Vertretungsberechtigung der [X.] nicht ergebe. [X.]es Weiteren werde nochmals um Vorlage der Vollmacht im Original ersucht. Wegen der besonderen Gefahr der Verletzung des Steuergeheimnisses durch Einsichtnahme in die Akten übe das Gericht trotz der gesetzlichen Erleichterung des Vollmachtnachweises für [X.]erufsträger sein Ermessen dahingehend aus, dass es Akteneinsicht nur gegen Vorlage einer Originalvollmacht gewähre.

5

[X.]ie Rechtsanwaltsgesellschaft lehnte die Vorlage der Originalvollmacht mit Telefax vom 23. September 2016 unter Hinweis auf § 62 Abs. 6 Satz 4 [X.]O ab. Außerdem komme die Verletzung des Steuergeheimnisses schon deshalb nicht in [X.]etracht, weil der Unterzeichner selbst Gesellschafter der Klägerin sei.

6

Mit [X.]eschluss vom 30. September 2016  6 K 734/16 lehnte der Senat des [X.] den Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht wegen Nichtvorlage der Originalvollmacht ab. [X.]ie Anforderung der Vollmacht stehe im Ermessen des Gerichts, das bei seiner Ausübung zwischen dem Vereinfachungszweck des § 62 Abs. 6 Satz 4 [X.]O und der Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses abzuwägen habe. [X.]abei sei zu berücksichtigen, dass die "denkbar gravierendste Verletzung des Steuergeheimnisses" durch die Akteneinsicht eines nicht legitimierten [X.]evollmächtigten eintreten könne. [X.]iese Gefahr sei hier wegen des umfangreich geltend gemachten Einsichtsrechts besonders bedeutend. [X.]ie Anforderung einer schriftlichen Prozessvollmacht sei dann ermessensgerecht, wenn besondere Anhaltspunkte darauf schließen ließen, dass die Person nicht wirksam bevollmächtigt sei, z.[X.]. wenn trotz mehrfacher Aufforderung keine [X.] vorgelegt wurde, oder im Hinblick auf eine unsachgemäße Prozessführung. Hier sei neben der beharrlichen Weigerung zur Vorlage der Vollmacht der inhaltlich über die Aufzählung in § 78 [X.]O hinausgehende Akteneinsichtsantrag sowie der Umstand zu berücksichtigen, dass zugleich ein vorsorglicher Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgelds gegenüber dem [X.]eklagten (Finanzamt --[X.]--) gestellt worden sei. [X.]ie Wahrung des Steuergeheimnisses sei ungeachtet der Gesellschafterstellung des [X.] gefährdet, weil der Rechtsanwaltsgesellschaft noch andere Personen angehörten. [X.]ie Vollmacht sei durch das Telefax nicht nachgewiesen, weil der Nachweis nur durch die Vorlage der [X.] geführt werden könne.

7

Gegen den der Rechtsanwaltsgesellschaft am 12. Oktober 2016 zugestellten [X.]eschluss hat diese namens der Klägerin am 21. Oktober 2016 beim [X.] [X.]eschwerde eingelegt, der das [X.] nicht abgeholfen hat.

8

[X.]ie Klägerin macht geltend, das [X.] lege § 62 [X.]O unzutreffend aus und verletze dabei das Recht auf Gehör nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes. [X.]er Nachweis der [X.]evollmächtigung dürfe von einer Person i.S. des § 62 Abs. 2 Satz 1 [X.]O weder grundsätzlich noch im hiesigen Einzelfall verlangt werden. Außerdem sei der Nachweis durch die Übermittlung per Telefax geführt.

9

[X.]ie Klägerin beantragt, ihrer [X.]evollmächtigten Akteneinsicht vollständig durch Übersendung der mit Klageantrag angeforderten Akten an das [X.] zu gewähren.

[X.]as [X.] hat sich zu dem Antrag nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

II. [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Beschlusses vom 30. September 2016 und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das [X.] zur erneuten Bescheidung des Antrags auf Akteneinsicht.

1. [X.] ist zulässig. Sie ist statthaft sowie frist- und formgerecht nach den Anforderungen des § 129 [X.]O eingelegt worden.

2. [X.] ist auch begründet. Das [X.] hat die Gewährung von Akteneinsicht zu Unrecht davon abhängig gemacht, dass die Bevollmächtigung der [X.] durch Vorlage eines Originaldokuments zu den Gerichtsakten nachgewiesen wird.

a) Nach § 78 Abs. 1 [X.]O können die Beteiligten die Gerichtsakten und die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen. Dabei handelt es sich um ein Recht der in § 57 [X.]O als Beteiligte genannten Personen, das diese auch durch ihre Bevollmächtigten i.S. des § 62 Abs. 2 [X.]O ausüben lassen können. Dem Bevollmächtigten ist in gleicher Weise Akteneinsicht zu gewähren, wie sie der Beteiligte beanspruchen kann.

Macht eine Person geltend, als Bevollmächtigter Einsicht in die Akten zu erhalten, darf die Akteneinsicht nur gewährt werden, wenn das Gericht von einer Bevollmächtigung ausgehen kann. Daran kann kein Zweifel bestehen, wenn die Vollmacht nach § 62 Abs. 6 Satz 1 [X.]O schriftlich zu den Gerichtsakten gereicht worden ist. Den Mangel der so erteilten Vollmacht hat das Gericht grundsätzlich von Amts wegen zu berücksichtigen, mit der Folge, dass eine Akteneinsicht abzulehnen ist (§ 62 Abs. 6 Satz 4 Halbsatz 1 [X.]O). Diese Regelung gilt nach § 62 Abs. 6 Satz 4 Halbsatz 2 [X.]O jedoch nicht, wenn als Bevollmächtigter eine in § 62 Abs. 2 Satz 1 [X.]O bezeichnete Person oder Gesellschaft auftritt. Das Fehlen der Prozessvollmacht ist gleichwohl nicht unbeachtlich. Vielmehr ist in einem solchen Fall nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob die Vorlage einer Vollmacht für notwendig erachtet wird oder nicht ([X.] vom 11. November 2009 I B 152/09, [X.], 449; vom 13. Dezember 2011 [X.]). Im Verhältnis zu einer der in § 62 Abs. 2 Satz 1 [X.]O genannten Personen ist die Anforderung einer schriftlichen Prozessvollmacht ermessensgerecht, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese Person tatsächlich nicht oder nicht wirksam bevollmächtigt ist ([X.] in [X.], 449, und BFH-Urteil vom 11. Februar 2003 VII R 18/02, [X.], 409, [X.] 2003, 606).

b) Nach Auffassung des beschließenden Senats, der im Rahmen des Beschwerdeverfahrens als Tatsachengericht eigenes Ermessen auszuüben hat (vgl. z.B. [X.] vom 17. März 2008 IV B 100, 101/07, [X.], 1177, unter [X.]), ist das Verlangen des schriftlichen Nachweises der Vollmacht durch Vorlage des Originals der Vollmachturkunde nicht ermessensgerecht. Entgegen der Auffassung des [X.] liegen im Streitfall keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die die Akteneinsicht beantragende Rechtsanwaltsgesellschaft nicht oder nicht wirksam bevollmächtigt ist. Im Gegenteil gibt es Anhaltspunkte, die für das Bestehen einer Bevollmächtigung sprechen. Einen solchen Anhaltspunkt bietet in erster Linie die per Telefax übermittelte Urkunde einer konkret auf das hiesige Klageverfahren bezogenen Prozessvollmacht, die eine handschriftliche Unterschrift trägt, welche als solche der vertretungsbefugten Geschäftsführerin der Komplementär-GmbH der Klägerin erscheint. Darüber hinaus spricht für das Bestehen der Bevollmächtigung, dass dem Geschäftsführer der Rechtsanwaltsgesellschaft die angefochtenen Bescheide sowie die [X.] als Vertreter der Klägerin bekanntgegeben sind. Verstärkt wird der Eindruck bestehender Bevollmächtigung auch dadurch, dass der Geschäftsführer der Rechtsanwaltsgesellschaft zugleich einziger Kommanditist der Klägerin ist.

Gegen eine Bevollmächtigung spricht demgegenüber nicht, wenn der Antrag auf Akteneinsicht über den von § 78 [X.]O geregelten Anspruch hinausgehen und mit anderen Anträgen verbunden sein sollte, über deren Rechtsgrundlage Zweifel bestehen können. Ob und inwieweit solche Ansprüche bestehen, ist eine Frage der Zulässigkeit und Begründetheit des Antrags. In der Weigerung zur Vorlage der Vollmacht nach § 62 Abs. 6 Satz 1 [X.]O kann zwar ein Indiz für das Fehlen der Bevollmächtigung zu sehen sein. Dies ist jedoch im Rahmen der Gesamtumstände zu würdigen und darf nicht in jedem Fall die Annahme fehlender Bevollmächtigung rechtfertigen. Anderenfalls könnte sich niemand mit Erfolg auf die Regelung in § 62 Abs. 6 Satz 4 Halbsatz 2 [X.]O berufen; das Gericht könnte die Vorschrift faktisch leerlaufen lassen.

c) Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob die Übermittlung einer Vollmachtsurkunde per Telefax des Bevollmächtigten die Voraussetzungen der schriftlichen Einreichung der Vollmacht nach § 62 Abs. 6 Satz 1 [X.]O erfüllt.

3. Der Senat hebt im Rahmen seiner Entscheidung über die Beschwerde nach § 132 [X.]O den Beschluss über die Ablehnung der Akteneinsicht auf. Der Prozessbevollmächtigten ist hier Akteneinsicht auch ohne die Vorlage einer Originalvollmacht zu erteilen. Dem beschließenden Senat ist aber eine eigene Entscheidung über die Begründetheit (Umfang) der zu gewährenden Akteneinsicht verwehrt, weil ihm die vom [X.] zu den Gerichtsakten des [X.] übersandten Verwaltungsakten nicht vorliegen. Er macht deshalb von der Möglichkeit Gebrauch, das Verfahren zur weiteren Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen (§ 155 [X.]O i.V.m. § 572 Abs. 3 der Zivilprozessordnung).

4. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Das Verfahren über die Gewährung von Akteneinsicht ist ein unselbständiges Nebenverfahren. Wird erfolgreich Beschwerde eingelegt, gehen die Kosten in die Gesamtkosten des Hauptverfahrens ein, über die nach § 143 Abs. 1 [X.]O in der verfahrensabschließenden Entscheidung zu befinden ist ([X.] in [X.], 1177, unter II.3.).

Meta

IV B 84/16

19.01.2017

Bundesfinanzhof 4. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 30. September 2016, Az: 6 K 734/16, Beschluss

§ 62 Abs 2 FGO, § 62 Abs 6 FGO, § 78 FGO, § 132 FGO, § 572 Abs 3 ZPO, § 5 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 19.01.2017, Az. IV B 84/16 (REWIS RS 2017, 17069)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 17069

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