Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17.08.2021, Az. XI B 29/21

11. Senat | REWIS RS 2021, 3256

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Gegenstand

(Begriff des Schwimmbads i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG; unionsrechtskonforme Auslegung)


Leitsatz

1. NV: Der nationale Begriff "Schwimmbad" i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG ist richtlinienkonform im Sinne einer Sportanlage auszulegen.

2. NV: Ein Schwimmbad im Sinne einer Sportanlage muss zur Ausübung einer sportlichen Betätigung geeignet und bestimmt sein. Diese Voraussetzung erfüllt ein Erholungsbad nicht.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 15.03.2021 - 6 K 1257/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betreibt eine Einrichtung namens [X.]. Diese bot im Streitjahr (2015) den Besuchern in einer "Badewelt" und einer "Saunawelt" verschiedene Bade-, Sauna-, Wellness-, Erlebnis- und Therapiemöglichkeiten unter Nutzung von [X.] aus einer heilklimatischen Quelle. Die Wassertemperatur betrug zwischen 31 Grad und 37 Grad Celsius. Die Besucher waren im Streitjahr berechtigt, für eine von ihnen gewählte [X.] alle Bereiche der Therme (mit Ausnahme der Angebote von Drittanbietern) zu nutzen. Bereichsspezifische Eintrittspreise wurden im Streitjahr noch nicht verlangt.

2

In ihrer Umsatzsteuererklärung für das [X.] wendete die Klägerin gemäß einem sog. Nichtanwendungsschreiben der Finanzverwaltung zugunsten der Steuerpflichtigen (Schreiben des [X.] --BMF-- vom [X.], [X.], 307) auf die [X.] bis zum 30.06.2015 den ermäßigten Steuersatz an. Für die [X.] ab dem 01.07.2015 ging die Klägerin aufgrund des BMF-Schreibens vom 28.10.2014 (BStBl I 2014, 1439) davon aus, dass sie zwei getrennte Leistungen erbringe, von denen eine (Eintrittsberechtigung zu einem Schwimmbad) dem ermäßigten Steuersatz und eine (Eintrittsberechtigung zu einer Sauna) dem Regelsteuersatz unterliege. Den einheitlichen Eintrittspreis als Bemessungsgrundlage teilte sie im Verhältnis 70:30 auf die von ihr angenommenen Schwimmbadumsätze und die Saunaumsätze auf.

3

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) ging nach Durchführung einer Außenprüfung im [X.] für das Streitjahr vom 07.12.2017 davon aus, dass die Klägerin an die Besucher eine einheitliche, ab dem 01.07.2015 mit dem Regelsteuersatz zu besteuernde Leistung erbracht habe. Der Einspruch blieb erfolglos.

4

Das [X.] ([X.]) wies mit Urteil vom 15.03.2021 - 6 K 1257/18 die Klage ab und ließ die Revision nicht zu. Es nahm an, dass die Klägerin zumindest mit den Umsätzen ab dem 01.07.2015 an die Besucher eine einheitliche, untrennbare, auf individuelle Erholung und Wellness gerichtete, dem Regelsteuersatz unterliegende Leistung erbracht habe. An der Anwendung des [X.] auf die Umsätze bis zum 30.06.2015 sei das [X.] aufgrund des Verbots der reformatio in peius ("Verböserung") gehindert.

5

Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rügt die Klägerin das Vorliegen einer Divergenz zum Urteil des [X.] ([X.]) vom 29.04.1999 - V R 72/98 ([X.]/NV 1999, 1523) und macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache als weiteren Zulassungsgrund geltend.

Entscheidungsgründe

II.

6

Die Beschwerde ist unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen.

7

1. Die von der Klägerin vorrangig gerügte Divergenz zum [X.]-Urteil in [X.] 1999, 1523 liegt aus drei Gründen (s. hier b bis d) nicht vor.

8

a) Eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) wegen Divergenz setzt voraus, dass das [X.] bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der [X.], der [X.] ([X.]), das [X.], der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des [X.], ein anderes oberstes [X.]gericht oder ein anderes Gericht; das [X.] muss seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt (vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 13.03.2019 - XI B 89/18, [X.] 2019, 945, Rz 22; vom 07.04.2021 - XI B 53/20, [X.] 2021, 1062, Rz 16). Maßgeblich hierfür ist der Stand der Rechtsprechung im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung der Revision (vgl. [X.]-Beschluss vom 30.08.2012 - X B 97/11, [X.] 2013, 13, Rz 6, m.w.N.; vgl. auch zu § 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O: [X.]-Beschluss vom 21.03.2018 - XI B 113/17, [X.] 2018, 739, Rz 7, m.w.N.); frühere Entscheidungen, die durch die neuere [X.]-Rechtsprechung überholt sind, können daher eine Divergenz nicht begründen.

9

b) Eine Divergenz in dem genannten Sinne liegt bereits deshalb nicht vor, weil das [X.] auf S. 14 seines Urteils angenommen hat, dass die "Badewelt" der Klägerin bei isolierter Betrachtung als "Schwimmbad" i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 9 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) verstanden werden könne.

c) Außerdem hat das [X.], worauf das [X.] in seiner Beschwerdeerwiderung hinweist, keinen vom [X.]-Urteil in [X.] 1999, 1523 abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt.

d) Überdies berücksichtigt die Beschwerde nicht, dass die von ihr benannte Divergenzentscheidung überholt ist. Der [X.] hat mit Urteil vom 28.08.2014 - V R 24/13 ([X.]E 247, 354, BStBl II 2015, 194, Rz 32) entschieden, dass der nationale Begriff "Schwimmbad" richtlinienkonform im Sinne einer Sportanlage auszulegen ist. Ein Schwimmbad im Sinne einer Sportanlage muss zur Ausübung einer sportlichen Betätigung geeignet und bestimmt sein. Anzeichen dafür sind z.B. die Unterteilung in [X.], die Ausstattung mit Startblöcken, eine angemessene Tiefe oder ein angemessenes Ausmaß des Schwimmbeckens (vgl. [X.]-Urteil [X.] vom 21.02.2013 - [X.]/12, [X.]:[X.], Rz 34 zu einem "Aquapark"). Kein Schwimmbad im Sinne einer Sportanlage ist daher nach der neueren Rechtsprechung des [X.] und des [X.] ein [X.]. Davon ist nach der tatsächlichen Würdigung des [X.] auf den S. 13 und 14 des Urteils bei der Therme der Klägerin auszugehen; denn das [X.] ist in Bezug auf die Therme bzw. die "Badewelt" davon ausgegangen, dass die Schwimmbecken aus Sicht eines Durchschnittsverbrauchers in erster Linie dem [X.] zum Zwecke der Erholung und Entspannung sowie ggf. eines niederschwelligen heiltherapeutischen Zwecks dienen. Das sportliche Schwimmen möge zwar theoretisch möglich sein, stehe aber bei den Besuchern nach der Konzeption und dem Selbstverständnis der Therme ganz überwiegend im Hintergrund. Daher unterliege, selbst wenn getrennte Leistungen der Klägerin vorlägen, nach der Rechtsprechung des [X.] auch die isolierte Einräumung von [X.] für die "Badewelt" dem Regelsteuersatz.

2. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist bereits nicht i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O dargelegt.

a) Wird die Beschwerde mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet, hat ein Beschwerdeführer zur Erfüllung der Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O eine hinreichend bestimmte und für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll; hierzu ist schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen darzulegen, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist (vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 29.04.2020 - XI B 113/19, [X.]E 268, 480, [X.], 476, Rz 18; vom 23.03.2021 - XI B 69/20, [X.] 2021, 1108, Rz 11). Liegt zu der vom Beschwerdeführer herausgestellten Rechtsfrage höchstrichterliche Rechtsprechung vor, so gehört zu der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit eine fundierte Stellungnahme dazu, weshalb diese Rechtsprechung noch nicht zu einer hinreichenden Klärung geführt habe oder aufgrund welcher neuen Entwicklung sie nunmehr erneut in Frage gestellt werden müsse (vgl. z.B. [X.]-Beschlüsse vom 12.06.2019 - XI B 71/18, [X.] 2019, 1329, Rz 6; vom 28.10.2020 - XI B 26/20, [X.] 2021, 536, Rz 12).

b) An solchen Darlegungen fehlt es im Streitfall. Die Beschwerde wirft bei strenger Sichtweise bereits keine abstrakte Rechtsfrage auf. Aber selbst wenn man zugunsten der Klägerin annähme, dass die Beschwerde, indem sie den [X.] um die Auslegung des Begriffs "Schwimmbad" i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 9 UStG ersucht, die abstrakte Rechtsfrage aufwirft, wie dieser Begriff zu verstehen ist, setzt sie sich nicht hinreichend mit der dazu vorhandenen Rechtsprechung auseinander. Auf das Gebot der unionsrechtskonformen Auslegung und auf die Rechtsprechung des [X.] (s.o. II.1.d) geht sie nicht ein. Auch setzt sie sich nicht damit auseinander, dass der [X.] im Urteil in [X.]E 247, 354, BStBl II 2015, 194 entschieden hat, dass ein [X.] kein Schwimmbad ist, und das [X.] in diesem Zusammenhang angenommen hat, dass die Schwimmbecken in erster Linie dem [X.] zum Zwecke der Erholung und Entspannung dienen.

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O).

4. [X.] folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

XI B 29/21

17.08.2021

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 15. März 2021, Az: 6 K 1257/18, Urteil

§ 12 Abs 2 Nr 9 UStG 2005, Art 132 Abs 1 Buchst m EGRL 112/2006, UStG VZ 2015, § 115 Abs 2 Nr 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17.08.2021, Az. XI B 29/21 (REWIS RS 2021, 3256)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 3256

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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