Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2021, Az. II ZR 224/20

2. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 1275

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Gegenstand

Prozesskostenhilfe: Gewährung an eine juristische Person; allgemeines Interesse an der Rechtsverfolgung einer nicht mehr geschäftlich tätigen Handelsgesellschaft


Tenor

Der Antrag der Beklagten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das [X.] wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der [X.] Die Schuldnerin ist Mehrheitsgesellschafterin der Beklagten zu 1 und Minderheitsgesellschafterin der Beklagten zu 2, deren Mehrheitsgesellschafterin die Beklagte zu 1 ist, die auch Alleingesellschafterin der Beklagten zu 3, der Komplementärin der Beklagten zu 2, war. Die Schuldnerin war Inhaberin von [X.], die sie vor Insolvenzeröffnung an die Beklagte zu 1 übertrug, die die Ansprüche später auf die Beklagte zu 3 weiter übertrug. Der Kläger focht die Übertragung gegenüber der Beklagten zu 1 an und erwirkte gegen die weiteren Beklagten Verfügungsverbote, woraufhin die Beklagten die Ansprüche in einer Vergleichsvereinbarung an den Kläger rückabtraten.

2

Nachdem die Beklagten insbesondere die Rückabtretung "aufgrund von Drohungen und arglistigen Täuschungen" anfochten, hat der Kläger die Wirksamkeit der Rückabtretung festgestellt wissen wollen. Das [X.] hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Gegen den Zurückweisungsbeschluss haben die Beklagten fristgemäß Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und innerhalb laufender Begründungsfrist Prozesskostenhilfe beantragt.

II.

3

Der Antrag hat keinen Erfolg.

4

1. Die Beklagten erfüllen die persönlichen Voraussetzungen für den Erhalt von Prozesskostenhilfe nicht.

5

a) Eine inländische juristische Person oder parteifähige Vereinigung erhält gemäß § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die Kosten weder von ihr noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde.

6

b) An der letztgenannten Voraussetzung fehlt es. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Unterlassung der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde.

7

aa) Durch dieses Erfordernis soll verhindert werden, dass mittellose Verbände eigene wirtschaftliche Interessen auf Kosten der Allgemeinheit verwirklichen. Es trägt den besonderen Verhältnissen der juristischen Personen und rechtsfähigen Vereinigungen Rechnung, die eine von der Rechtsordnung anerkannte Existenzberechtigung nur dann besitzen, wenn sie in der Lage sind, ihre Ziele aus [X.] zu verfolgen ([X.], Beschluss vom 10. Februar 2011 - [X.], [X.], 540 Rn. 9; Beschluss vom 5. März 2015 - [X.], [X.], 648 Rn. 8; Beschluss vom 23. Juli 2019 - [X.], [X.], 764 Rn. 7).

8

Der Anwendungsbereich des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO beschränkt sich mithin auf Sachverhalte, die größere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens ansprechen und [X.] Wirkungen nach sich ziehen können ([X.], Beschluss vom 20. September 1957 - [X.]/57, [X.]Z 25, 183, 185; Beschluss vom 5. November 1985 - [X.], [X.], 405, 406;Beschluss vom 23. Juli 2019 - [X.], [X.], 764 Rn. 8). Ein allgemeines Interesse im Sinne dieser Vorschrift kann angenommen werden, wenn außer den an der Führung des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten ein erheblicher Kreis von Personen durch die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in Mitleidenschaft gezogen würde, die Vereinigung gehindert würde, der Allgemeinheit dienende Aufgaben zu erfüllen, oder wenn von der Durchführung des Prozesses die Existenz eines Unternehmens abhinge, an dessen Erhaltung wegen der großen Zahl von Arbeitsplätzen ein allgemeines Interesse besteht ([X.], Beschluss vom 10. Februar 2011 - [X.], [X.], 540 Rn. 10; Beschluss vom 5. März 2015 - [X.], [X.], 648 Rn. 9; Beschluss vom 23. Juli 2019 - [X.], [X.], 764 Rn. 8). Diese Voraussetzungen können auch erfüllt sein, wenn eine erfolgreiche Rechtsverfolgung die Befriedigung einer Vielzahl von [X.] ermöglichen würde (vgl. [X.], Beschluss vom 5. November 1985 - [X.], [X.], 405, 406; Beschluss vom 24. Oktober 1990 - [X.], [X.] 1990, 1565; Beschluss vom 23. Juli 2019 - [X.], [X.], 764 Rn. 8).

9

bb) Im Streitfall ist nicht ersichtlich, dass ohne die beabsichtigte Rechtsverfolgung allgemeine Interessen gefährdet wären. Wie die Beklagten in der Antragsbegründung ausführen, haben sie ihre gewerbliche Tätigkeit bereits seit 2013 weitgehend eingestellt und beschäftigen keine Arbeitnehmer mehr. Die bloße Aussicht, die Geschäftstätigkeit wieder aufzunehmen, begründet kein gegenwärtiges Allgemeininteresse (Bork in [X.], ZPO, 23. Aufl., § 116 Rn. 27; [X.] in Musielak/[X.], ZPO, 18. Aufl., § 116 Rn. 17; [X.]. [X.]; vgl. auch [X.], Beschluss vom 10. Februar 2011 - [X.], NJW 2011, 1595 Rn. 12), zumal die Beklagten selbst einräumen, dass die Mehrzahl ihrer beabsichtigen [X.] nicht mehr sinnvoll durchgeführt werden können. Die Beklagten machen schließlich auch nicht geltend, dass die Kaufpreisansprüche die Befriedigung von [X.] ermöglichen würde.

2. Prozesskostenhilfe kann den Beklagten zudem deshalb nicht bewilligt werden, weil die von ihnen beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Ein Grund für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) wird nicht dargelegt und ist auch sonst nicht ersichtlich.

Drescher     

        

Born     

        

B. Grüneberg

        

V. Sander      

        

von [X.]      

        

Meta

II ZR 224/20

09.11.2021

Bundesgerichtshof 2. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 19. November 2020, Az: 15 U 183/19

§ 116 S 1 Nr 2 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.11.2021, Az. II ZR 224/20 (REWIS RS 2021, 1275)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 1275

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IX ZB 145/09

IX ZB 77/14

II ZR 56/18

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