Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.02.2018, Az. 2 StR 234/16

2. Strafsenat | REWIS RS 2018, 13141

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:280218B2STR234.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS

2 [X.]/16
vom
28. Februar
2018
in der Strafsache
gegen

wegen Mordes

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des Generalbun-desanwalts
und des Beschwerdeführers
am 28.
Februar
2018
gemäß §
349 Abs.
4
StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 11. Mai 2015 mit den Fest-stellungen aufgehoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mordes in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaf-fe zum Verschießen von Patronenmunition und Besitz von Munition, zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Außerdem hat es die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Ange-klagten. Das Rechtsmittel hat mit einer Verfahrensrüge gemäß §
338 Nr.
3 StPO Erfolg.

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-
3
-
I.
Das [X.] hat, soweit es zum Verständnis der Verfahrensrüge von Bedeutung ist, folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

Der aus [X.] stammende Angeklagte war am 11.
November 2007 in einen Streit mit seinem Landsmann P.

um die Nutzung eines
Fahrzeugstellplatzes geraten. Sie hatten ein Treffen vereinbart und waren [X.] davon ausgegangen, dass es zu einer Auseinandersetzung kommen wür-de. P.

hatte deshalb seinen Schwager A.

mitgenommen; beide hatten
sich mit Schlagwerkzeugen und zumindest einem Messer bewaffnet. Der Ange-klagte hatte seinen [X.] Y.

S.

, einen Boxsportler, sowie seinen Bru-
der A.

S.

mitgebracht. Dort war es zu Tätlichkeiten gekommen, bei denen A.

S.

durch einen Messerstich tödlich verletzt worden war und der Angeklagte sowie sein [X.] Stichverletzungen davongetragen hatten. P.

und A.

waren
deshalb strafrechtlich verfolgt worden. Der Angeklagte hatte widersprüchliche Zeugenaussagen gemacht und auf
das [X.] seines [X.]es Ein-fluss genommen. Auch deshalb waren P.

und A.

vom [X.]

unter Mitwirkung des im vorliegenden Verfahren abgelehnten Vorsitzenden

durch Urteil vom 9. September 2008 freigesprochen worden, weil Notwehr
oder Nothilfe nicht ausgeschlossen werden konnte.
Die Familie des Angeklagten ging von dessen Mitverschulden am Tod seines Bruders aus. Er versuchte sich zu entlasten, indem er P.

und
A.

die ganze Schuld zuschob. Solange sich diese in Untersuchungshaft be-

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durch die Freisprechung von P.

und A.

und deren Entlassung aus der
Untersuchungshaft. Danach geriet der Angeklagte zunehmend in Misskredit.
b) Durch Urteil des Senats vom 17.
Juni 2009

2
StR 105/09

wurde das freisprechende Urteil wegen Rechtsfehlern in der Beweiswürdigung aufge-hoben. Die Sache wurde an eine andere [X.] des Landge-richts zurückverwiesen. Diese war überlastet, weshalb die neue Hauptverhand-lung erst am 9.
Dezember 2014 begann.

üben, um sich in seinem [X.] Umfeld in ein besseres Licht zu rücken. Er beschaffte sich eine Selbstladepistole nebst Munition; außerdem verfügte er über ein Jagdmesser. Er wollte P.

und A.

am zweiten Verhandlungs-

e-gehung der Tat vor dem Gerichtsgebäude sprach zuletzt, dass die Tat hier-durch n

Die erneute Hauptverhandlung gegen P.

und A.

begann am
22.
Januar 2014. Dem als Zeugen geladenen Angeklagten wurde mitgeteilt, dass er am nächsten Verhandlungstag, dem 24. Januar 2014, nicht erscheinen müsse. P.

und A.

kamen an jenem Tag gegen 8.45 Uhr vor dem Ge-
richtsgebäude an und rechneten nicht mit einem Angriff auf ihr Leben. Der An-geklagte hielt sich unter einer Vielzahl von wartenden Besuchern verborgen. Dann gab er in rascher Folge Schüsse auf P.

ab, der zu Boden ging. Der
Angeklagte verfolgte den fliehenden A.

in den Eingangsbereich des Ge-
richtsgebäudes, wo er diesen mit Schüssen und Messerstichen tötete, um da-nach den schwerverletzten P.

mit Messerstichen zu töten.

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2. Darin hat das [X.] einen Heimtückemord in zwei Fällen ge-sehen. Es ist auch von einer Tötung aus niedrigen Beweggründen ausgegan-eshalb als besonders verwerflich eingestuft werden, weil der Täter aus einem Kulturkreis stammt, in dem der Gesichtspunkt

[X.], dass die Beweggründe des Angeklagten auf tiefster Stufe stünden.
seine Tat

II.
Die Revision hat mit der Verfahrensrüge Erfolg. Das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden der [X.] wegen Besorgnis der Be-fangenheit gemäß §
24 Abs.
2 StPO ist mit Unrecht verworfen worden (§
338 Nr.
3 StPO).
1. Dem liegt Folgendes zu Grunde:
a) Zu Beginn der Hauptverhandlung lehnte der Angeklagte den [X.] wegen Besorgnis der Befangenheit ab.
Dies stützte er auf dessen frühere Mitwirkung an dem Freispruch von
P.

und A.

, weiterhin auf Rechtsfehler in jenem Urteil und dem zugrun-
de liegenden Verfahren, außerdem auf eine mittelbare Verursachung des
Tatentschlusses des Angeklagten durch den Freispruch, ferner auf Bemerkun-gen des Vorsitzenden in einem anderen Verfahren ü9
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allem auf abwertende Bemerkungen über seine Persönlichkeit im freisprechen-den Urteil vom 9.
September 2008.
Dabei ging es im Einzelnen um Folgendes:
Bei der Urteilsbegründung in einer anderen Strafsache hatte der abge-lehnte Vorsitzende kurz nach der Tat des Angeklagten unter anderem geäußert: r-Äußerung wurde in einem Zeitungsartikel der F.

unter der

In dem Urteil, mit dem P.

und A.

freigesprochen worden wa-
ren, hatte die [X.] unter Mitwirkung des abgelehnten [X.] zu

H.

S.

kann nicht gefolgt werden, weil diese ebenfalls teilweise wider-

u-genaussage seines [X.]es wurde [X.] werden, dass sich die Erinnerung des Y.

S.

ohne böse
Absicht

durch die Diskussion mit seinem impertinenten Vater so verfremdet hat, dass er die Ereignisse nicht mehr so wiedergeben kann, wie sie tatsächlich

Außerdem hatte das Urteil auf das Verhalten des Angeklagten in einem .

S.

andere
zu falschen Aussagen zu bestimmen versucht, ist diesem ebenfalls nicht per-sönlichkeitsfremd. Er hatte nämlich bereits 2003 vor dem [X.] Urteil des Amtsgerichts hatte die Zeugenaussage eines Verwand-ten des Angeklagten infrage gestellt und dazu

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der zwingende Verdacht auf, dass es sich hier um einen Zeugen handelt, der

b) Der abgelehnte Vorsitzende erklärte dienstlich zu dem [X.], dass die Äußerungen im freisprechenden Urteil zugunsten von P.

und A.

nicht mit der Absicht einer Herabsetzung des Angeklagten ver-
bunden gewesen seien. Seine in der Zeitung

für sich genommen zutreffend

zitierte Äußerung sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Sie
sei auf das damalige Verfahren bezogen gewesen und habe nichts mit einer ethnopoli-der Sache gehe, habe er von einer Anzeige nach §
30 StPO abgesehen.
c) Das [X.] hat das Ablehnungsgesuch als unbegründet verwor-fen.
2. Die Verfahrensrüge greift durch. Das Ablehnungsgesuch ist mit Un-recht verworfen worden (§ 338 Nr. 3 StPO).
a) Die Besorgnis der Befangenheit eines [X.]s ist bei dem [X.] gegeben, wenn er bei
verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der abgelehnte [X.] nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, welche die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.
[X.] die [X.]ablehnung an eine den Verfahrensgegenstand betref-fende Vorbefassung des abgelehnten [X.]s mit der Sache an, ist dieser [X.] regelmäßig nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen (vgl. [X.], Urteil vom 10.
November 1967

4
StR 512/66, [X.]St 21, 334, 341). Auch Rechtsfehler in Entscheidungen bei einer Vorbefassung mit dem Sachverhalt oder im zu Grunde liegenden Verfahren können eine Ablehnung im 18
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Allgemeinen nicht begründen (vgl. [X.], Urteil vom 12.
November 2009

4
StR 275/09, NStZ
2010, 342
f.; Beschluss vom 8.
Mai 2014

1 StR 726/13, NJW 2014, 2372, 2373).
Ein Ablehnungsgrund kann sich aus der Vorbefassung mit dem Sach-verhalt ergeben, wenn besondere Umstände über die bloße Vorbefassung hin-aus vorliegen. Solche Umstände können
zum Beispiel darin bestehen, dass die frühere Entscheidung unnötige oder unbegründete Werturteile über den jetzigen Angeklagten enthält (vgl. [X.], Beschluss vom 27.
April 1972

4
StR 149/72, [X.]St 24, 336, 338; Beschluss vom 10.
August 2005

5
StR 180/05, [X.]St 50, 216, 222) oder sich der [X.] in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil des Angeklagten geäußert hat (vgl. [X.], Beschluss vom 10.
Januar 2012

3
StR 400/11, [X.], 519, 521; Beschluss vom 19.
August 2014

3
StR 283/14, [X.], 46; Urteil vom 10.
Februar 2016

2
StR 533/14, [X.]R StPO §
24 Abs.
2 Vortätigkeit
3).
Auf die Frage, ob der abgelehnte [X.] tatsächlich befangen war, kommt es nicht an. Es genügt eine aus konkreten Umständen verständliche Besorgnis der Voreingenommenheit. Dies ist nicht aus der Perspektive des ab-gelehnten [X.]s zu bewerten, sondern aus der Sicht eines besonnenen [X.] (vgl. [X.], Urteil vom 2.
März 2004

1
StR 574/03, [X.], 208, 209).
b) Nach diesem Maßstab war die Ablehnung des Vorsitzenden der [X.] bei einer Gesamtschau aller vom Angeklagten sowohl zum Ge-genstand seines Ablehnungsgesuchs als auch seiner Verfahrensrüge gemach-ten und nach Aktenlage sowie dienstlicher Erklärung zutreffend vorgetragenen Umstände des Falles begründet. Die Aspekte sind nicht isoliert, aber in ihrem Zusammenwirken geeignet, die [X.]ablehnung zu rechtfertigen.
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-
aa) In der gebotenen Gesamtschau ist zu berücksichtigen, dass der abgelehnte Vorsitzende an dem Urteil über den Freispruch der später Getöteten mitgewirkt hatte, in dem unnötige und sachlich nicht gerechtfertigte abwertende Bemerkungen über die Person des Angeklagten enthalten waren.

m-
e-brauch eine Person bezeichnet, die in herausfordernder Weise ungehörig, frech oder unverschämt ist. Zu einer derartigen Kennzeichnung im Urteil bestand auch zur Unterstreichung der gegen die Glaubwürdigkeit der Person und die Glaubhaftigkeit der Aussagen des Angeklagten angemeldeten Bedenken kein sachlicher Grund.
Auch die weitere Bezeichnung des Angeklagten als eine Person, die in [X.], war nicht
angebracht. Eigene Feststellungen zu einer solchen Verleitung eines Zeugen zu einer Falschaussage durch den Angeklagten hatte die [X.] nicht getroffen. Solche Feststellungen konnten auch nicht durch Hinweis auf das Urteil des Amtsgerichts ersetzt werden; denn darin waren keine konkreten Feststellungen zu einer Zeugenbeeinflussung durch den Angeklagten getroffen worden.
[X.]) Ferner kommt im Rahmen der Gesamtwürdigung auch der [X.] Bedeutung zu, dass über eine Tat zu urteilen war, zu der sich der Ange-klagte nach seiner Einlassung auch durch den vom abgelehnten [X.] mit zu verantwortenden, vom Revisionsgericht aufgehobenen Freispruch motiviert sah.
cc) Schließlich fällt ins Gewicht, dass der abgelehnte Vorsitzende sich in einem andkritisch geäußert und dabei eine Bewertung vorgenommen hatte, die in dem 26
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Verfahren gegen den Angeklagten bei der Prüfung der niedrigen Beweggründe und der besonderen Schwere der Schuld von Bedeutung sein würde.
[X.]) Aus der Zusammenschau dieser Gesichtspunkte konnte auch ein besonnener Angeklagter aus seiner Sicht die Besorgnis der Befangenheit [X.].
c) Diese Besorgnis wurde nicht durch die dienstliche Erklärung des ab-gelehnten Vorsitzenden ausgeräumt. Diese kann die genannten Gesichtspunkte weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit maßgeblich relativieren.
Der Hinweis darauf, dass eine Herabsetzung des Angeklagten mit der

die bereits früher [X.] sei, genügt nicht. Entscheidend ist auf den nach außen hervorgerufenen Eindruck von der inneren Haltung des [X.]s abzustellen, ohne dass es maß-geblich darauf ankommt, inwieweit dieser Eindruck tatsächlich seiner inneren Haltung entspricht (vgl. [X.], Urteil vom 29. März 2012

3
StR 455/11, [X.], 211, 212).
Die Erklärung des Vorsitzenden, dass seine in der Presse zitierte Be-
i-einem anderen Licht erscheinen. Maßgeblich ist, dass der abgelehnte [X.] in einem anderen Verfahren einen wertenden Bezug
zur Tat des Angeklagten hergestellt hatte, über die er absehbar zu entscheiden hatte. Die nachvollzieh-bare Betroffenheit im [X.] über die Tat ändert nichts am Gebot für einen absehbar zur Entscheidung über diese Tat berufenen [X.], sich bei öffentli-chen Äußerungen hierzu zurückzuhalten.
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Die dienstliche Erklärung des abgelehnten Vorsitzenden vermag auch nicht den Gesamteindruck des Einzelfalls zu relativieren, zumal er darin nur von [X.] ist, aber die besonderen Akzente der Fallkonstellation nicht in den Blick genommen hat.

III.
Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein an-deres [X.] zurückzuverweisen (§
354 Abs.
2 Satz
1 StPO).

Krehl

[X.]Bartel

Grube Schmidt

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Meta

2 StR 234/16

28.02.2018

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.02.2018, Az. 2 StR 234/16 (REWIS RS 2018, 13141)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 13141

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 StR 234/16

1 StR 726/13

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