Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.01.2011, Az. III R 57/10

3. Senat | REWIS RS 2011, 9992

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Gegenstand

(Vollzeiterwerbstätigkeit eines Kindes schließt seine Berücksichtigung als Ausbildungsplatz suchendes Kind nicht aus - Verhältnis der Berücksichtigungstatbestände des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c EStG zueinander - Ermittlung des (Jahres-)Grenzbetrags im Hinblick auf einen Kindergeldanspruch)


Leitsatz

1. NV: Die Berücksichtigungstatbestände des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG (Übergangszeit) und § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG (Ausbildungsplatz suchendes Kind) stehen nicht im Verhältnis der Alternativität zueinander .

2. NV: Der Tatbestand des § 32 Abs 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Kind, das eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann, während der danach zu berücksichtigenden Monate einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgeht .

Tatbestand

1

I. [X.] des [X.] und Revisionsbeklagten (Kläger) beendete im Dezember 2007 eine Ausbildung zum Steuerfa[X.]hgehilfen. Im [X.] daran arbeitete er bis zum 31. Juli 2008 als Steuerfa[X.]hgehilfe in einem Büro als Vollzeitkraft. Zum 1. August 2008 begann er eine Ausbildung als Finanzanwärter, für die er si[X.]h bereits im August 2007 beworben hatte.

2

Den Antrag des [X.], ihm für seinen [X.] für die Monate August bis Dezember 2008 Kindergeld zu gewähren, lehnte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) im April 2009 ab. Der hiergegen geri[X.]htete Einspru[X.]h blieb erfolglos.

3

Das Finanzgeri[X.]ht ([X.]) gab der daraufhin erhobenen Klage des [X.] mit Urteil vom 10. Dezember 2009 (5 [X.]/09) statt. Es ents[X.]hied, der Kläger habe für die Monate August bis Dezember 2008 Anspru[X.]h auf Kindergeld für seinen [X.]. Im Streitfall seien nur die Einkünfte und Bezüge, die der [X.] in der [X.] von August bis Dezember 2008 erzielt habe, für die Frage maßgebend, ob der --anteilige-- Jahresgrenzbetrag übers[X.]hritten sei. Dur[X.]h die Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit im Januar 2008 seien die Voraussetzungen für die Festsetzung von Kindergeld entfallen. Dies gelte au[X.]h dann, wenn si[X.]h das Kind, wie im Streitfall, bereits zuvor um eine zweite Ausbildung beworben habe, diese im laufenden Jahr aufnehme und die [X.] aufgebe. Die Einkünfte des [X.]es, die er na[X.]h der Aufnahme der Ausbildung beim Finanzamt erzielt habe, errei[X.]hten bei Berü[X.]ksi[X.]htigung der Werbungskosten und der abzugsfähigen Sozialversi[X.]herungsbeiträge ni[X.]ht den anteiligen Jahresgrenzbetrag.

4

Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse eine Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.]. § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr 2008 geltenden Fassung. Na[X.]h der geänderten Re[X.]htspre[X.]hung des Senats (Senatsurteil vom 17. Juni 2010 [X.]/09, [X.], 61, [X.], 982) s[X.]hließe die Vollzeiterwerbstätigkeit eines Kindes seine Berü[X.]ksi[X.]htigung als Kind, das auf einen Ausbildungsplatz warte, ni[X.]ht aus. Da der [X.] daher im gesamten [X.] als Kind zu berü[X.]ksi[X.]htigen sei, seien au[X.]h die Einkünfte aus der Vollzeiterwerbstätigkeit bei der Frage, ob der Grenzbetrag übers[X.]hritten werde, anzusetzen. Dana[X.]h sei der Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG übers[X.]hritten.

5

Die Familienkasse beantragt, das angegriffene Urteil des [X.] aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt, die Revision zurü[X.]kzuweisen.

7

Er führt u.a. aus: Sein [X.] sei in den Monaten Januar bis Juli 2008 ni[X.]ht als Kind zu berü[X.]ksi[X.]htigen, das auf einen Ausbildungsplatz warte, denn der [X.] habe bereits vor Beendigung seiner Berufsausbildung den (weiteren) Ausbildungsplatz zugesagt bekommen. Es liege daher kein Fall des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] EStG, sondern ein sol[X.]her des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. b EStG vor; allerdings betrage die Übergangszeit mehr als vier Monate, so dass eine Berü[X.]ksi[X.]htigung au[X.]h na[X.]h dieser Vors[X.]hrift ni[X.]ht mögli[X.]h sei. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] EStG komme ni[X.]ht in Betra[X.]ht, da dieser Tatbestand und der des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. b EStG im Verhältnis der [X.] zueinander stünden. Andernfalls verlöre § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. b EStG seine Bedeutung, da immer dann, wenn § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. b EStG ni[X.]ht eingreife, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] EStG als Auffangtatbestand anwendbar wäre.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist [X.]egründet. Sie führt zur Aufhe[X.]ung des angegriffenen Urteils und zur Zurü[X.]kverweisung der Sa[X.]he an das [X.], da dessen [X.]isherige Feststellungen keine a[X.]s[X.]hließende Ents[X.]heidung darü[X.]er ermögli[X.]hen, o[X.] dem Kläger für die Monate August [X.]is Dezem[X.]er 2008 für seinen [X.] ein Kindergeldanspru[X.]h zusteht (§ 126 A[X.]s. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgeri[X.]htsordnung --[X.]O--).

9

1. Für ein ü[X.]er 18 Jahre altes Kind, das, wie der [X.] des [X.] im Streitjahr 2008, das 25. Le[X.]ensjahr no[X.]h ni[X.]ht vollendet hat, [X.]esteht na[X.]h § 62 A[X.]s. 1, § 63 A[X.]s. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 A[X.]s. 4 Satz 1 Nr. 2, § 32 A[X.]s. 4 Satz 2 EStG u.a. dann ein Anspru[X.]h auf Kindergeld, wenn das Kind für einen Beruf ausge[X.]ildet wird (§ 32 A[X.]s. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. a EStG) oder eine Berufsaus[X.]ildung mangels Aus[X.]ildungsplatzes ni[X.]ht [X.]eginnen oder fortsetzen kann (§ 32 A[X.]s. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.]) und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsaus[X.]ildung [X.]estimmten oder geeigneten Einkünfte und Bezüge 7.680 € im Kalenderjahr ni[X.]ht ü[X.]ersteigen. Liegen die Voraussetzungen na[X.]h § 32 A[X.]s. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG nur in einem Teil des Kalendermonats vor, sind die Einkünfte und Bezüge nur insoweit anzusetzen, als sie auf diesen Teil entfallen. Einkünfte und Bezüge des Kindes, die auf Kalendermonate entfallen, in denen die Voraussetzungen na[X.]h § 32 A[X.]s. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG an keinem Tag vorliegen, [X.]lei[X.]en außer Ansatz (§ 32 A[X.]s. 4 Sätze 6 und 8 EStG).

a) In Berufsaus[X.]ildung i.S. des § 32 A[X.]s. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. a EStG [X.]efindet si[X.]h, wer sein Berufsziel no[X.]h ni[X.]ht errei[X.]ht hat, si[X.]h a[X.]er ernsthaft und na[X.]hhaltig darauf vor[X.]ereitet. Dieser Vor[X.]ereitung dienen alle Maßnahmen, [X.]ei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erwor[X.]en werden, die als Grundlage für die Ausü[X.]ung des angestre[X.]ten Berufs geeignet sind. Im Rahmen der Altersgrenzen des § 32 A[X.]s. 4 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. A[X.]s. 5 EStG kommt es ni[X.]ht darauf an, o[X.] es si[X.]h um die erste oder um eine weitere Aus[X.]ildung handelt und o[X.] eine zusätzli[X.]he Aus[X.]ildungsmaßnahme einer [X.]erufli[X.]hen Qualifizierung oder einem anderen Beruf dient (ständige Re[X.]htspre[X.]hung, z.B. Senatsurteil vom 24. Fe[X.]ruar 2010 [X.]/08, [X.], 1262). Dana[X.]h ist das [X.] zu Re[X.]ht davon ausgegangen, dass der [X.] des [X.] in den Monaten August [X.]is Dezem[X.]er 2008 i.S. des § 32 A[X.]s. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. a EStG für einen Beruf ausge[X.]ildet wurde.

[X.]) Na[X.]h § 32 A[X.]s. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] ist ein Kind zu [X.]erü[X.]ksi[X.]htigen, wenn es eine Berufsaus[X.]ildung mangels Aus[X.]ildungsplatzes ni[X.]ht [X.]eginnen oder fortsetzen kann. Das ist ni[X.]ht nur dann der Fall, wenn das Kind no[X.]h keinen Aus[X.]ildungsplatz gefunden hat, sondern au[X.]h dann, wenn ihm ein Aus[X.]ildungsplatz [X.]ereits zugesagt wurde, es diesen a[X.]er aus s[X.]hul-, studien- oder [X.]etrie[X.]sorganisatoris[X.]hen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt antreten kann (z.B. Senatsurteil in [X.], 61, [X.], 982).

Entgegen der Auffassung des [X.] stehen die Berü[X.]ksi[X.]htigungstat[X.]estände des § 32 A[X.]s. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] und [X.] ni[X.]ht im Verhältnis der [X.] zueinander. Dies führt au[X.]h ni[X.]ht dazu, dass § 32 A[X.]s. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] EStG keine eigenständige Bedeutung hat. Denn diese Norm stellt gegenü[X.]er § 32 A[X.]s. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] eine vereinfa[X.]hende Auffangvors[X.]hrift z.B. in den Fällen dar, in denen das Kind no[X.]h keine Zusage für einen (weiteren) Aus[X.]ildungsplatz hat. Bei einer Ü[X.]ergangszeit zwis[X.]hen zwei Aus[X.]ildungsa[X.]s[X.]hnitten von ni[X.]ht mehr als vier Monaten geht der Gesetzge[X.]er dann typisierend davon aus, dass ein Kind gehindert ist, seine Aus[X.]ildung zu einem früheren Zeitpunkt fortzusetzen. Demgegenü[X.]er muss ein Kind, um na[X.]h § 32 A[X.]s. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] [X.]erü[X.]ksi[X.]htigt werden zu können, na[X.]hweisen, dass es si[X.]h ernsthaft um einen Aus[X.]ildungsplatz [X.]emüht, für den es au[X.]h o[X.]jektiv geeignet ist (vgl. Urteil des [X.] vom 15. Juli 2003 [X.], [X.], 98, [X.] 2003, 845).

Entgegen der Auffassung des [X.] wird der Tat[X.]estand des § 32 A[X.]s. 4 Satz 1 Nr. 2 Bu[X.]hst. [X.] ni[X.]ht dadur[X.]h ausges[X.]hlossen, dass das Kind, das eine Berufsaus[X.]ildung mangels Aus[X.]ildungsplatzes ni[X.]ht [X.]eginnen oder fortsetzen kann, während der dana[X.]h zu [X.]erü[X.]ksi[X.]htigenden Monate einer Vollzeiterwer[X.]stätigkeit na[X.]hgeht. Insoweit verweist der Senat zur weiteren Begründung auf sein Urteil in [X.], 61, [X.], 982. War der [X.] des [X.] au[X.]h in den Monaten Januar [X.]is Juli 2008 [X.]ereits als Kind zu [X.]erü[X.]ksi[X.]htigen, sind au[X.]h die auf diese Monate entfallenden Einkünfte und Bezüge [X.]ei der Ermittlung, o[X.] der (Jahres-)Grenz[X.]etrag ü[X.]ers[X.]hritten ist, einzu[X.]eziehen.

A[X.]wei[X.]hendes ergi[X.]t si[X.]h entgegen der Auffassung des [X.] ni[X.]ht aus § 32 A[X.]s. 4 Sätze 6 [X.]is 8 EStG. Denn diese Regelungen setzen voraus, dass das Kind in [X.]estimmten Kalendermonaten [X.]zw. in einem Teil eines Kalendermonats die Voraussetzungen eines Berü[X.]ksi[X.]htigungstat[X.]estands na[X.]h § 32 A[X.]s. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG ni[X.]ht erfüllt. Der [X.] des [X.] erfüllte jedo[X.]h in allen Monaten des Jahres 2008 einen Berü[X.]ksi[X.]htigungstat[X.]estand.

2. Das [X.] hat --aus seiner Si[X.]ht zu Re[X.]ht-- [X.]islang ni[X.]ht geprüft, o[X.] die Einkünfte und Bezüge des [X.]es --[X.]ezogen auf das gesamte Jahr 2008-- den Jahresgrenz[X.]etrag von 7.680 € ü[X.]ers[X.]hritten ha[X.]en. Hiervon hängt a[X.], o[X.] dem Kläger in den Monaten August [X.]is Dezem[X.]er 2008 tatsä[X.]hli[X.]h ein Anspru[X.]h auf Kindergeld für seinen [X.] zusteht. Dem [X.] wird daher Gelegenheit gege[X.]en, die erforderli[X.]hen Feststellungen na[X.]hzuholen.

Meta

III R 57/10

27.01.2011

Bundesfinanzhof 3. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 10. Dezember 2009, Az: 5 K 214/09, Urteil

§ 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst b EStG, § 32 Abs 4 S 1 Nr 2 Buchst c EStG

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 27.01.2011, Az. III R 57/10 (REWIS RS 2011, 9992)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9992

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