Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.11.2013, Az. 10 AZB 38/13

10. Senat | REWIS RS 2013, 1083

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Gegenstand

Prozesskostenhilfe - Gewerkschaftsaustritt


Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des [X.] vom 16. September 2013 - 6 [X.]/13 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

1

I. Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens in einem Kündigungsschutzprozess.

2

Die seit 1992 bei der [X.] beschäftigte Klägerin hat am 19. April 2012, vertreten durch die [X.], beim [X.] Klage gegen eine krankheitsbedingte Kündigung der [X.] vom 11. April 2012 zum 30. November 2012 eingereicht. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war die Klägerin Mitglied der [X.]. Im Kammertermin vom 23. August 2012 wurde nach eingehender Erörterung der Sach- und Rechtslage in Anwesenheit der Klägerin ein nur für die Beklagte widerruflicher Vergleich geschlossen, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. November 2012 bei Freistellung der Klägerin sowie die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 25.000,00 Euro vorsah. Nach Widerruf des Vergleichs hat das Arbeitsgericht die Klage mit Urteil vom 18. Oktober 2012 abgewiesen.

3

Mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2012 hat sich der nunmehrige Prozessbevollmächtigte der Klägerin gegenüber dem Arbeitsgericht bestellt. Die [X.] hat das Mandat mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2012 niedergelegt. Nach [X.] hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin für diese im [X.] vom 5. März 2013 die Bewilligung ratenfreier Prozesskostenhilfe unter seiner Beiordnung beantragt. In der Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat die Klägerin angegeben, eine Rechtsschutzversicherung oder eine andere Stelle (zB [X.]) trage die Kosten der Prozessführung nicht. Sie hat ein an ihren Prozessbevollmächtigten gerichtetes Schreiben der [X.] vom 7. Februar 2013 zur Akte gereicht, in dem diese auf entsprechende Anfrage des Klägervertreters vom 6. Februar 2013 mitteilte, dass eine Deckungszusage nicht erfolgen könne, da die [X.] keine Rechtsschutzversicherung sei, sondern im Auftrag der Mitgliedsgewerkschaft für die Klägerin tätig werde. Mit Schreiben vom 22. April 2013 hat die Klägerin ihre Mitgliedschaft gegenüber der [X.] ohne Angabe von Gründen gekündigt. Die Mitgliedschaft endete nach der Satzung der [X.] mit dem 30. September 2013; eine Rechtsschutzgewährung war nach der Kündigung nach den Satzungsbestimmungen nicht mehr möglich.

4

Mit Beschluss vom 16. September 2013 hat das [X.] den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung zurückgewiesen, sie sei im Hinblick auf ihre zunächst bestehende [X.]smitgliedschaft gemäß § 115 Abs. 3 ZPO nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage gewesen, den Rechtsstreit mit eigenen Mitteln zu bestreiten. [X.] sachliche Gründe für den Austritt hätten nicht bestanden.

5

Mit der vom [X.] zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet sich die Klägerin gegen diese Entscheidung und begehrt weiterhin die ratenfreie Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren. Sie vertritt die Auffassung, ein Vertrauensverhältnis habe zu dem von der [X.] gestellten Prozessbevollmächtigten spätestens beim Kammertermin vor dem [X.] nicht mehr bestanden. [X.] Rechtsschutz sei von dort deshalb nicht zu erlangen gewesen. Nachdem sie von der [X.] nichts mehr zu erwarten gehabt habe, habe sie die Mitgliedschaft gekündigt.

6

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das [X.] hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mangels Vorliegen der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen zu Recht abgelehnt. Der Klägerin war es zumutbar, durch Inanspruchnahme gewerkschaftlichen Rechtsschutzes ihr Vermögen einzusetzen (§ 115 Abs. 3 ZPO).

7

1. § 115 ZPO bestimmt, in welchem Umfang die hilfsbedürftige [X.] Einkommen und Vermögen für Gerichts- und Anwaltskosten einzusetzen hat, die ihr durch die Prozessführung voraussichtlich entstehen werden. Nach § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO hat die [X.] ihr Vermögen einzusetzen, soweit dies zumutbar ist. Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf gewerkschaftlichen Rechtsschutz für ein arbeitsgerichtliches Verfahren ist ein vermögenswertes Recht iSd. § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO.

8

Die Prozesskostenhilfe dient dem Zweck, unbemittelten Personen den Zugang zu den staatlichen Gerichten zu eröffnen. Sie ist als Leistung der staatlichen Daseinsfürsorge und als Bestandteil der Rechtsschutzgewährung eine Einrichtung der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege. Daher tritt der Staat nur ein, wenn die [X.] selbst die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann. Dies ist nicht der Fall, wenn die [X.] zwar selbst bedürftig ist, jedoch gegen einen Dritten Anspruch auf Bevorschussung, etwa aus dem Unterhaltsrecht, oder auf Übernahme der Verfahrenskosten, zB durch eine Rechtsschutzversicherung, hat. Deshalb stellt auch die Möglichkeit eines Arbeitnehmers, zur Durchführung eines Arbeitsgerichtsprozesses gewerkschaftlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, Vermögen iSv. § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO dar, solange die [X.] Rechtsschutz nicht abgelehnt hat oder es als sicher erscheint, dass dies geschehen wird. Etwas anderes gilt nach § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO nur dann, wenn im Einzelfall der Vermögenseinsatz unzumutbar ist. Dies kann bei einer erheblichen Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen der [X.] und ihrem Mitglied der Fall sein. Dabei ist der Arbeitnehmer zur Begründung seines [X.] verpflichtet, die Gründe, die für die Unzumutbarkeit sprechen, im Einzelnen darzulegen.

9

Die prozesskostenhilferechtliche Sonderstellung mittelloser [X.]s- und Verbandsmitglieder mit Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz gegen ihre Organisation begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Solche lassen sich nicht aus Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 GG herleiten. Hierdurch wird weder die kollektive Vereinigungsfreiheit noch die Tätigkeit der [X.]en oder die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen, einem Verband oder einer [X.] beizutreten, ernsthaft beeinträchtigt. Im Regelfall kann nicht davon ausgegangen werden, dass der einem Organisierten regelmäßig drohende Verlust einer aus öffentlichen Mitteln finanzierten Prozesskostenhilfe seine Entscheidungsfreiheit darüber beeinflusst, einer [X.] oder einem Verband beizutreten oder nicht (vgl. insgesamt dazu: [X.] 5. November 2012 - 3 [X.] - Rn. 13 ff. mwN).

2. Danach war es der Klägerin zuzumuten, den ihr zum Zeitpunkt der Einreichung des [X.] (noch) zustehenden kostenlosen gewerkschaftlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Die Würdigung des [X.]s, das Vertrauensverhältnis der Klägerin zu ihrem gewerkschaftlichen [X.] bzw. zu der [X.] insgesamt sei nicht hinreichend zerrüttet, ist frei von [X.]. Das [X.] hat sich umfangreich mit dem Sachverhalt und den von der Klägerin vorgebrachten vermeintlichen Unzumutbarkeitsgründen befasst und diese vollständig gewürdigt. Rechtsfehler zeigt die Klägerin nicht auf. Sie meint lediglich, die Würdigung durch das [X.] sei falsch. Dafür gibt es aber keine Anhaltspunkte. Dass ihr Rechtsschutz für das Berufungsverfahren gewährt worden wäre, stellt die Klägerin nicht in Abrede.

3. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem durch die Klägerin mit Schreiben vom 22. April 2013 erklärten Austritt aus der [X.]. Durch diesen Austritt konnte sie allerdings - unabhängig davon, dass die Mitgliedschaft erst zum 30. September 2013 endete - nach den Satzungsbestimmungen der [X.] Rechtsschutz nicht mehr in Anspruch nehmen. Auch gilt für die Gewährung von Prozesskostenhilfe der Grundsatz, dass es unerheblich ist, ob eine [X.] ihre Mittellosigkeit im allgemeinen oder ihr Unvermögen, die Prozesskosten aufzubringen, durch früheres Verhalten verschuldet hat (vgl. zB [X.] Januar 2006 - VI ZB 26/05 -). Wenn aber die [X.] während eines laufenden Prozesses aus Gründen, die im Zusammenhang mit der Prozessführung stehen, aus der [X.] austritt und damit den Verlust der bisherigen Vertretung bewusst in Kauf nimmt, bedarf es dafür nachvollziehbarer Gründe (vgl. zur Notwendigkeit des Vorliegens eines wichtigen Grundes für den Wechsel des beigeordneten Anwalts: BVerwG 29. November 2010 - 6 [X.]/10 (6 PKH 15/10) -; [X.] 23. September 2009 - IV ZR 259/08 -). Insofern liegt es ähnlich wie bei der unterlassenen Inanspruchnahme des Rechtsschutzes, die ebenfalls nicht grundlos erfolgen darf. Eine Verletzung der Koalitionsfreiheit des Arbeitnehmers aus Art. 9 Abs. 3 GG liegt darin nicht ([X.] 11. Februar 2004 - 1 BvR 2314/02 - [für das sozialgerichtliche Verfahren]; [X.] 7. Mai 2004 - 9 Ta 80/04 -; [X.] 21. Mai 2008 - 16 Ta 195/08 -).

Nachvollziehbare Gründe hat die Klägerin - wie das [X.] rechtsfehlerfrei gewürdigt hat - im Hinblick auf die Prozessführung der [X.] und ihr Vertrauensverhältnis zu dieser nicht vorgebracht. Auf andere Gründe hat die Klägerin ihren [X.]saustritt nicht gestützt.

III. [X.] folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Eine Kostenerstattung findet nach § 127 Abs. 4 ZPO nicht statt.

        

    Mikosch    

        

    W. Reinfelder    

        

    [X.]    

        

        

        

        

        

        

                 

Meta

10 AZB 38/13

18.11.2013

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AZB

vorgehend ArbG Ludwigshafen, 23. August 2012, Az: 1 Ca 690/12, Beschluss

Art 9 Abs 1 GG, Art 9 Abs 3 GG, § 115 Abs 3 S 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.11.2013, Az. 10 AZB 38/13 (REWIS RS 2013, 1083)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1083

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 Ta 125/20

2 Ta 159/18

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