Bundesfinanzhof, Beschluss vom 02.07.2021, Az. XI R 40/19

11. Senat | REWIS RS 2021, 4377

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Gegenstand

Ausschluss der Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen


Leitsatz

1. NV: Die Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen ist ausgeschlossen, wenn zwar die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung objektiv vorliegen, der Unternehmer jedoch wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit dem betreffenden Umsatz an einem anderen Umsatz der Lieferkette beteiligt, der in eine Steuerhinterziehung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union einbezogen ist.

2. NV: In solchen Fällen kommt auch kein Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG in Betracht.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 07.11.2019 - 1 K 1939/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

[X.]er Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb seit dem [[X.].] in [[X.].] ein Einzelunternehmen im [X.]ereich Innenausbau; seine Umsätze blieben in den Jahren vor 2011 (Streitjahr) jeweils unter 100.000 €. [X.]on August bis [X.]ezember des [[X.].] handelte der Kläger außerdem u.a. mit [X.]ucker.

2

[X.]er Kläger kaufte den [X.]ucker von seinem [[X.].] Lieferanten A mit Sitz in [X.], [X.] ([X.]), und verkaufte ihn an einen [[X.].] Abnehmer [X.] mit Sitz in [X.], [X.]. Nach Auskunft der [[X.].] Steuerbehörden hat [X.] keine innergemeinschaftlichen Erwerbe vom Kläger versteuert und sich für [X.] erst am 21.06.2012 registrieren lassen. Er sei aus dem [X.] am 14.09.2012 wieder entfernt worden; bei ihm handele es sich um einen sog. Missing Trader.

3

Nach den Feststellungen der [X.] (Steuerfahndung) wurde der [X.]ucker von [X.] nach [X.], [X.]undesrepublik [X.] ([X.]), befördert. [X.]er Kläger hatte in [X.] ab 15.08.2011 einen [X.]ontainerstellplatz und einen Lagerraum angemietet. [X.]ie [X.], eine Spedition mit Sitz in [X.], [X.], transportierte die [X.]are. In den Frachtbriefen war zunächst die ([X.]ohn-)Anschrift des [X.] in [[X.].] als Lieferanschrift angegeben; nach den berichtigten Frachtbriefen wurde die [X.]are dagegen nach [X.] geliefert. Ob der [X.]ucker in [X.] ausgeladen und eingelagert wurde, ist nicht geklärt. Nach Einschätzung der Steuerfahndung sei dies aufgrund der transportierten Mengen und der Größe der angemieteten [X.] (47,5 qm) zweifelhaft. Ein [X.]ergleich der Kfz-Kennzeichen in den Frachtbriefen, denen zufolge der [X.]ucker von [X.] nach [X.] weiterbefördert worden sei, lasse jeweils auf einen Rücktransport nach [X.] zwei bis drei Tage später mit demselben LK[X.] schließen. [X.]er genaue Lieferort in [X.] ist nicht bekannt. Nach Auskunft der [[X.].] Steuerbehörden handele es sich bei der angegebenen (Liefer-)Anschrift um [X.]üros ohne Möglichkeit, größere Mengen an [X.]are zu lagern; unter der auf den Frachtbriefen außerdem genannten Anschrift stehe ein Mehrfamilienhaus.

4

[X.]er Kläger wies in den Rechnungen über die Lieferungen an [X.] keine Umsatzsteuer aus, sondern erteilte den Hinweis: "Gemäß § 13 [des Umsatzsteuergesetzes] UStG schulden Sie die Umsatzsteuer." Er gab die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des [X.], der in dem betreffenden [X.]eitraum (August bis [X.]ezember 2011) über eine solche nicht verfügte, mit "PL .........." an. Sie entsprach der, die die [[X.].] Steuerbehörden im Falle der Registrierung für [X.] unter [X.]erwendung der [[X.].] Steuernummer des [X.] erteilt hätten. Insgesamt stellte der Kläger dem [X.] für rund 300 LK[X.]-Ladungen mit jeweils 24 t [X.]ucker einen Gesamtbetrag in Höhe von (netto) 6.050.838 € in Rechnung; die erste Lieferung erfolgte am 22.08.2011 und die letzte am [X.] [X.]ie Rechnungsbeträge wurden von [X.] auf ein [X.]ankkonto des [X.] in [X.] überwiesen, von dem regelmäßig Geld in bar abgehoben wurde.

5

[X.]er Kläger erklärte in seinen Umsatzsteuervoranmeldungen für das dritte und vierte Kalendervierteljahr 2011 zunächst weder innergemeinschaftliche Erwerbe noch innergemeinschaftliche Lieferungen. Eine [X.]usammenfassende Meldung gab er innerhalb der gesetzlichen Fristen ebenfalls nicht ab.

6

Nachdem der [X.]eklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) auf einen Hinweis der [[X.].] Steuerbehörden hin tätig geworden war, gab der Kläger am 27.04.2012 in den [X.]usammenfassenden Meldungen für die Monate August bis [X.]ezember 2011 erstmals innergemeinschaftliche Lieferungen an. Außerdem erklärte er am 22.05.2012 und 23.05.2012 in seinen berichtigten Umsatzsteuervoranmeldungen für das dritte und vierte Kalendervierteljahr 2011 nunmehr innergemeinschaftliche Erwerbe und innergemeinschaftliche Lieferungen.

7

[X.]er Kläger führte am 15.07.2012 zu der dem [X.] inzwischen kurzzeitig erteilten Umsatzsteuer-Identifikationsnummer das [X.]estätigungsverfahren durch; ihm wurde mitgeteilt, die Nummer sei gültig.

8

[X.]ie Steuerfahndung leitete am 15.11.2012 gegen den Kläger ein Strafverfahren wegen des [X.]erdachts der Hinterziehung von Umsatzsteuer ein. [X.]er Kläger gab im Rahmen einer [X.]ernehmung an, [X.] habe bei ihm angefragt, ob er sich ein zweites Standbein mit dem [X.]uckerhandel schaffen wolle. Er, [X.], habe auch schon einen Abnehmer in [X.]. [X.] habe auf seine Frage, warum dieser sich den [X.]ucker nicht direkt in [X.] besorge, geantwortet, dass der Abnehmer sich durch die Lieferung nach [X.] und wieder zurück nach [X.] die Mehrwertsteuer sparen könne. Er, der Kläger, habe [X.], der angeboten habe, sich um alles zu kümmern, eine Generalvollmacht für alle Geschäfte, [X.]ehördengänge und das [X.]ankkonto in [X.] erteilt. Um die [X.]uckereinkäufe und den Transport nach [X.] habe sich [X.] gekümmert; den Rücktransport nach [X.] habe [X.] auf [X.]uruf des [X.] organisiert. [X.] habe für die erste Lieferung aus [X.] einen [X.]orschuss geleistet, so dass er, der Kläger, kein Risiko getragen und kein eigenes Geld zu investieren gehabt habe. [X.]em Kläger sei ein monatlicher Gewinn in Höhe von rund 3.000 € in Aussicht gestellt worden.

9

[X.]as [X.] schätzte zunächst die [X.]esteuerungsgrundlagen nach § 162 der Abgabenordnung ([[X.].]) und setzte die Umsatzsteuer für das Streitjahr mit Umsatzsteuerbescheid vom 01.04.2014 auf 8.811,67 € fest.

Am 11.08.2014 gab der Kläger die Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr ab, die i.S. des § 168 [[X.].] einer Festsetzung unter dem [X.]orbehalt der Nachprüfung gleichstand. Er erklärte darin u.a. steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen in Höhe von 6.393.802 € und ermittelte Umsatzsteuer für das Streitjahr in Höhe von 9.180,74 €.

Nach Abschluss der Steuerfahndungsprüfung erkannte das [X.] die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen nicht mehr an. [X.]ementsprechend änderte es mit [X.]escheid vom 25.04.2017 die Umsatzsteuerfestsetzung vom 11.08.2014 und setzte für das Streitjahr Umsatzsteuer in Höhe von nunmehr 503.127,75 € fest. [X.]er Einspruch hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 04.05.2018).

[X.]as Finanzgericht ([X.]) [X.]aden-[X.]ürttemberg wies die hiergegen erhobene Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2020, 1014 veröffentlichten Urteil vom 07.11.2019 - 1 K 1939/18 ab.

[X.]er Kläger rügt mit seiner Revision die [X.]erletzung materiellen Rechts. Er macht geltend, dass das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft sei und gegen § 6a UStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung (a.F.), Art. 138 der Richtlinie 2006/112/[X.] über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) a.F. sowie --im Hinblick auf die aus seiner Sicht unzutreffende Sachverhaltswürdigung durch das [X.] § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) verstoße.

[X.]ie im Streitjahr geltenden materiellen [X.]oraussetzungen für die Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen seien erfüllt und nicht wegen der mangelnden umsatzsteuerrechtlichen Registrierung des [X.] im Lieferzeitraum zu versagen. [X.]iese sei, wie sich aus der Neuregelung des Art. 138 Abs. 1 [X.]uchst. b MwStSystRL ergebe, im Streitjahr keine materielle [X.]oraussetzung für die Steuerbefreiung gewesen. [X.]ei der Aufzeichnung einer gültigen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer habe es sich ebenso wenig um eine unverzichtbare formelle Anforderung gehandelt. [X.]a sich aus den Feststellungen des [X.] ergebe, dass der [X.]ucker ausweislich der Frachtbriefe zwei bis drei Tage nach der Anlieferung in [X.] nach [X.] geliefert worden sei, sei weder der [X.]estimmungsort noch der [X.]erbleib des [X.]uckers unklar; die [X.]are habe [X.] verlassen und sei nach [X.] gelangt. Es komme nicht darauf an, ob der [X.] Abnehmer in [X.] in der Lage gewesen sei, den [X.]ucker zu lagern. [X.]ie Unternehmereigenschaft des [X.], die angesichts des Umfangs der an ihn erfolgten Lieferungen außer Frage stehe, ergebe sich nicht konstitutiv aus der umsatzsteuerrechtlichen Registrierung, sondern sei anhand der objektiven Gegebenheiten zu beurteilen.

Aus der unterlassenen Prüfung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer lasse sich auch nicht ableiten, dass er, der Kläger, bei Ausführung der Umsätze hätte wissen müssen, dass [X.] eine Steuerhinterziehung begehe oder zu begehen beabsichtige. Gleiches gelte im Hinblick auf die fehlende Aufzeichnung einer bei Ausführung der Umsätze gültigen Umsatzsteuer-Identifikationsnummer, abweichende Großhandelspreise und anfängliche unzutreffende Angaben des [X.] in den Frachtbriefen des innergemeinschaftlichen Erwerbs.

[X.]er Kläger beantragt sinngemäß, die [X.]orentscheidung und die Einspruchsentscheidung vom 04.05.2018 sowie den [X.] vom 25.04.2017 aufzuheben.

[X.]as [X.] beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a [X.]O. Der [X.] hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die [X.]eteiligten sind davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die Zuckerlieferungen nach [X.] nicht als innergemeinschaftliche Lieferungen nach § 4 Nr. 1 [X.]uchst. b unter den Voraussetzungen des § 6a UStG a.F. steuerfrei sind (s. zu 1.). Die streitgegenständlichen Lieferungen sind auch nicht nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG steuerfrei (s. zu 2.).

1. [X.] Lieferungen waren im Streitjahr gemäß § 4 Nr. 1 [X.]uchst. b UStG nach Maßgabe des § 6a UStG a.F. steuerfrei. Die entsprechenden Voraussetzungen waren nicht erfüllt.

a) Die Steuerfreiheit setzte voraus, dass der Unternehmer oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige [X.]sgebiet befördert oder versendet hat (§ 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG a.F.), der Abnehmer u.a. ein Unternehmer war, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat (§ 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]uchst. a UStG a.F.), und der Erwerb des Gegenstands der Lieferung beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterlag (§ 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG a.F.). Diese Voraussetzungen mussten vom Unternehmer nachgewiesen werden (§ 6a Abs. 3 Satz 1 UStG a.F.). Das [X.] konnte mit Zustimmung des [X.]undesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, wie der Unternehmer den Nachweis zu führen hatte (§ 6a Abs. 3 Satz 2 UStG a.F.); diese Nachweisanforderungen ergaben sich aus §§ 17a ff. der [X.] (UStDV) a.F.

Diese Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung beruhte im Streitjahr unionsrechtlich auf Art. 131 und Art. 138 Abs. 1 MwStSystRL a.F. Danach stellten die Mitgliedstaaten die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets, aber innerhalb der [X.] versandt oder befördert worden waren, von der Steuer frei, wenn diese Lieferung u.a. an einen anderen Steuerpflichtigen bewirkt worden war, der in einem anderen Mitgliedstaat als dem des [X.]eginns der Versendung oder [X.]eförderung der Gegenstände handelte.

b) Es bedarf vorliegend keiner Entscheidung darüber, ob --wie der Kläger meint-- die materiellen Voraussetzungen für die Steuerfreiheit nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG a.F. objektiv erfüllt sind. Selbst wenn diese Voraussetzungen erfüllt wären, wäre --wie das [X.] zu Recht erkannt hat-- die Steuerbefreiung zu versagen. Denn der Kläger hätte jedenfalls wissen müssen, dass die von ihm bewirkten Umsätze mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft waren.

aa) Zwar findet § 25f Abs. 1 Nr. 1 UStG, nach dem die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen nach § 4 Nr. 1 [X.]uchst. [X.]. § 6a UStG zu versagen ist, sofern der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich u.a. mit der von ihm erbrachten Leistung an einem Umsatz beteiligt, bei dem ein anderer [X.]eteiligter auf einer nachfolgenden Umsatzstufe in eine begangene Hinterziehung von Umsatzsteuer einbezogen war, im Streitfall keine Anwendung. Denn diese Regelung ist gemäß § 27 Abs. 30 UStG erstmals auf Voranmeldungs- und [X.]esteuerungszeiträume anzuwenden, die nach dem 31.12.2019 enden.

(1) Jedoch war auch bereits vor Einführung dieser Vorschrift die Steuerbefreiung für die innergemeinschaftliche Lieferung auf der Grundlage des Unionsrechts zu versagen, wenn der Lieferer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich durch seine Lieferung an einer im Rahmen der Lieferkette begangenen Mehrwertsteuerhinterziehung beteiligt (vgl. Urteile des Gerichtshofs der [X.] --[X.]-- R vom 07.12.2010 - [X.]/09, [X.]:C:2010:742, Rz 52; Schoenimport "Italmoda" [X.] vom 18.12.2014 - [X.], 163, 164/13, [X.]:C:2014:2455, Rz 62; [X.] vom 09.02.2017 - [X.]/16, [X.]:[X.], Rz 40; s.a. [X.]eschluss des [X.] vom 16.06.2011 - 2 [X.]vR 542/09, [X.] 2011, 1145, Rz 62 [keine "Steuerbefreiung ..., wenn die [X.] im anderen Mitgliedstaat unterlaufen wird"]; Urteile des [X.] --[X.]FH-- vom 17.02.2011 - V R 30/10, [X.], 341, [X.], 769; vom 11.08.2011 - V R 50/09, [X.], 32, [X.], 151; vom 11.08.2011 - V R 19/10, [X.], 50, [X.], 156; [X.]surteil vom 14.12.2011 - XI R 33/10, [X.], 1009, Rz 26 ff.). Denn ein Steuerpflichtiger, der sich vorsätzlich an einer das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gefährdenden Steuerhinterziehung beteiligt, kann sich für die Zwecke der Mehrwertsteuerbefreiung nicht auf den Grundsatz der [X.] berufen (vgl. z.[X.]. [X.]-Urteile [X.], [X.]:[X.], Rz 39; [X.] Spedition vom 08.11.2018 - C-495/17, [X.]:C:2018:887, Rz 41). Die [X.]ekämpfung von [X.]etrug, Steuerhinterziehung und etwaigen Missbräuchen ist ein Ziel, das mit der MwStSystRL anerkannt und gefördert wird; eine betrügerische oder missbräuchliche [X.]erufung auf das Unionsrecht ist nicht erlaubt (vgl. z.[X.]. zur Versagung des Vorsteuerabzugs [X.] vom 03.09.2020 - [X.]/19, [X.]:C:2020:673, Rz 50; Finanzamt [X.] vom 14.04.2021 - C-108/20, [X.]:C:2021:266, Rz 21).

(2) Außerdem verstößt es nach der Rechtsprechung des [X.] nicht gegen das Unionsrecht, von einem Wirtschaftsteilnehmer zu fordern, dass er in gutem Glauben handelt und alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner [X.]eteiligung an einer Steuerhinterziehung führt (vgl. z.[X.]. zur Versagung des Vorsteuerabzugs [X.], [X.]:C:2020:673, Rz 54; Finanzamt [X.], [X.]:C:2021:266, Rz 28). Sollte der betreffende Steuerpflichtige gewusst haben oder hätte er wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft war, und hat er nicht alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um diese zu verhindern, muss ihm der Anspruch auf Mehrwertsteuerbefreiung versagt werden (vgl. z.[X.]. [X.]-Urteile [X.], [X.]:[X.], Rz 40; [X.] Spedition, [X.]:C:2018:887, Rz 41). Dies steht im Einklang mit der sich aus Art. 4 Abs. 3 des Vertrags über die [X.] ([X.]V) bzw. Art. 325 des Vertrags über die Arbeitsweise der [X.] (A[X.]V) ergebenden Verpflichtung der Mitgliedstaaten, alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die geeignet sind, die Erhebung der gesamten in ihrem Hoheitsgebiet geschuldeten Mehrwertsteuer zu gewährleisten und den [X.]etrug zu bekämpfen (vgl. [X.]-Urteile Paper Consult vom 19.10.2017 - [X.]/16, [X.]:C:2017:775, Rz 43 und 47; [X.] und M.[X.]. vom 05.12.2017 - [X.]/17, [X.]:C:2017:936, Rz 30 ff.).

(3) Soweit der erkennende [X.] mit [X.]eschluss vom [X.] - XI [X.] 24/09 ([X.], 449) zu § 6a UStG in [X.]ezug auf die sog. Missbrauchs-Rechtsprechung des [X.] noch ernstliche Zweifel bejaht hatte, sind diese inzwischen beseitigt worden (vgl. [X.]sbeschluss vom 16.05.2019 - XI [X.] 13/19, [X.], 521, Rz 21, m.w.N.).

bb) Das [X.] hat den Sachverhalt in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dahingehend gewürdigt, dass der Kläger hätte wissen müssen, dass er sich mit dem betreffenden Umsatz an einem Umsatz beteiligte, der in eine vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war.

(1) Dabei machte sich das [X.] die Feststellungen der [X.] Steuerbehörden zu eigen, nach denen [X.] --abgesehen von einem Zwischenzeitraum im Jahr 2012-- nicht als umsatzsteuerrechtlicher Unternehmer registriert war, keine Steuererklärungen und/oder Zusammenfassende Meldungen abgegeben hatte und als sog. Missing Trader unter den bekannten Adressen nicht aufzufinden war. Es gelangte danach zu der Überzeugung, dass [X.] den objektiven und subjektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung sowohl hinsichtlich des innergemeinschaftlichen Erwerbs, der allerdings durch den korrespondierenden Vorsteuerabzug nach der dem § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG entsprechenden [X.] Vorschrift kompensiert worden sei, als auch hinsichtlich der Weiterlieferung des Zuckers in [X.] verwirklicht habe.

(2) Zu den der [X.]indung nach § 118 Abs. 2 [X.]O unterliegenden Feststellungen gehören auch die Schlussfolgerungen tatsächlicher Art des [X.]. Der [X.]FH als Revisionsgericht kann solche Tatsachenwürdigungen nur daraufhin überprüfen, ob sie verfahrensfehlerfrei zustande gekommen sind und mit den Denkgesetzen und den allgemeinen Erfahrungssätzen im Einklang stehen. Ist das --wie hier-- zu bejahen, ist die Tatsachenwürdigung selbst dann bindend, wenn sie nicht zwingend, sondern nur möglich wäre (vgl. z.[X.]. [X.]FH-Urteile in [X.], 1009, Rz 31, m.w.N.; vom 22.02.2017 - III R 9/16, [X.]FHE 257, 135, [X.]St[X.]l II 2017, 698, Rz 20). Danach ist es revisionsrechtlich jedenfalls nicht zu beanstanden, dass das [X.] zu der Überzeugung gelangt ist, dass [X.] in [X.] im Zusammenhang mit den betreffenden innergemeinschaftlichen Lieferungen des Klägers Steuern hinterzogen hat.

(3) Wenn sich auf dieser Grundlage mittels Gesamtschau der Indizien für das [X.] ergab, dass der Kläger jedenfalls hätte wissen müssen, dass er sich mit den in Rede stehenden innergemeinschaftlichen Lieferungen an Umsätzen beteiligte, die in der Lieferkette in Steuerhinterziehungen einbezogen waren, ist dies revisionsrechtlich ebenso wenig zu beanstanden. Seine Schlussfolgerungen tatsächlicher Art hat das [X.] auf folgende Indizien gestützt: Keine Überprüfung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des mutmaßlichen Abnehmers in [X.] vor der Ausführung der Umsätze, Nichterfüllung der steuerlichen Pflichten durch anfängliche Nichtabgabe der Zusammenfassenden Meldungen und Nichtangabe innergemeinschaftlicher Lieferungen, Aufnahme einer neuen Geschäftsbeziehung in einem mit [X.]lick auf seine bisherige unternehmerische Tätigkeit nicht vertrauten Geschäftsbereich mit einer Größenordnung von mehreren Mio. €, Überlassen der Abwicklung der Geschäfte an eine andere Person, monatliche Gewinnaussicht von rund 3.000 €, [X.] nach [X.] und die zunächst unzutreffende Lieferanschrift [X.] in den Frachtbriefen.

(4) Dabei ist die vom [X.] getroffene Tatsachenwürdigung, auch wenn sie der Kläger für materiell rechtsfehlerhaft hält, jedenfalls möglich, ohne dass es darauf ankäme, ob --wie der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren noch behauptet hat und dem [X.] nicht plausibel erschien-- [X.] Lieferanten ihren Großhandelspreis bei Lieferungen nach [X.] auf das niedrigere [X.] Niveau absenken würden. Außerdem war dem Kläger bekannt, dass sich --wie er im Rahmen seiner Vernehmung durch die Steuerfahndung angegeben hat und was die Würdigung des [X.] stützt-- der [X.] Abnehmer durch die Lieferungen nach [X.] und wieder zurück nach [X.] die Mehrwertsteuer "sparen" könne. Als Unternehmer hätte er jedoch wissen müssen, dass die [X.] Mehrwertsteuer nur zu umgehen war, soweit seine [X.] mit Steuerhinterziehungen des Erwerbers verknüpft waren.

c) Ob die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen auch deshalb zu versagen ist, weil --wie das [X.] außerdem meint-- der Verstoß gegen die formellen Anforderungen den sicheren Nachweis verhindert hat, dass die materiellen Anforderungen der Steuerbefreiung erfüllt wurden, kann danach dahinstehen.

2. Darüber hinaus sind die streitgegenständlichen Lieferungen nicht nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG steuerfrei. Diese [X.]efreiung ist, wenn die sog. Missbrauchs-Rechtsprechung eingreift, ausgeschlossen.

a) Hat der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG (a.F.) nicht vorliegen, ist die Lieferung gleichwohl als steuerfrei anzusehen, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei [X.]eachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte (§ 6a Abs. 4 Satz 1 UStG). Dabei stellt sich die Frage des [X.] allerdings erst dann, wenn der Unternehmer seinen Nachweispflichten --bezogen auf den Streitfall gemäß § 6a Abs. 3 UStG a.[X.]. §§ 17a ff. [X.] "ihrer Art nach" nachgekommen ist (vgl. [X.]FH-Urteile vom 15.02.2012 - XI R 42/10, [X.], 1188, Rz 32; vom 22.07.2015 - V R 23/14, [X.]FHE 250, 559, [X.]St[X.]l II 2015, 914, Rz 43; vom 13.06.2018 - XI R 20/14, [X.]FHE 262, 174, [X.]St[X.]l II 2018, 800, Rz 64; vom 11.03.2020 - XI R 38/18, [X.]FHE 268, 376, Rz 68; [X.]sbeschluss vom 12.10.2018 - XI [X.] 65/18, [X.]FH/NV 2019, 129, Rz 12, jeweils m.w.N.).

b) Der Kläger kann die Steuerbefreiung unter dem Gesichtspunkt des [X.] i.S. des § 6a Abs. 4 UStG selbst dann nicht beanspruchen, wenn er seinen Nachweispflichten nachgekommen wäre.

Denn die Frage, ob die "Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns" beachtet wurde, ist durch eine Würdigung der tatsächlichen Umstände des jeweiligen Einzelfalls, ggf. nach Durchführung einer entsprechenden [X.]eweisaufnahme, zu entscheiden (vgl. [X.]sbeschlüsse vom 28.09.2009 - XI [X.] 103/08, [X.]FH/NV 2010, 73, Rz 5; in [X.]FH/NV 2019, 129, Rz 11; [X.]surteil in [X.]FHE 268, 376, Rz 71, m.w.N. zur [X.]-Rechtsprechung). Dabei ist schon die [X.] der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Empfängers zeitnah zur ersten innergemeinschaftlichen Lieferung und darauffolgend in regelmäßigen Abständen während der laufenden Lieferbeziehung nach den Umständen des Einzelfalls als Sorgfaltspflichtverletzung anzusehen, die einen Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 UStG ausschließt (vgl. [X.]surteil in [X.]FHE 268, 376, Rz 62 ff.). Diese Voraussetzung ist im Hinblick auf die Anbahnung des Geschäftes und das ungewöhnliche Geschäftsmodell (einschließlich der "ad-hoc" hohen Umsätze und der unmittelbaren Rücklieferung nach [X.]) erfüllt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

XI R 40/19

02.07.2021

Bundesfinanzhof 11. Senat

Beschluss

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 7. November 2019, Az: 1 K 1939/18, Urteil

§ 6a Abs 1 S 1 UStG 2005, § 6a Abs 3 UStG 2005, § 6a Abs 4 S 1 UStG 2005, § 4 Nr 1 Buchst b UStG 2005, § 25f Abs 1 Nr 1 UStG 2005 vom 12.12.2019, § 27 Abs 30 UStG 2005 vom 12.12.2019, § 17 UStDV 2005, § 17ff UStDV 2005, Art 131 EGRL 112/2006, Art 138 Abs 1 EGRL 112/2006, Art 138 Abs 1 Buchst b EGRL 112/2006, Art 4 Abs 3 EUV, Art 325 AEUV, § 162 AO, § 168 AO, § 118 Abs 2 FGO, UStG VZ 2011, § 18e UStG 2005

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 02.07.2021, Az. XI R 40/19 (REWIS RS 2021, 4377)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 4377

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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