Bundesfinanzhof, Urteil vom 19.03.2015, Az. V R 14/14

5. Senat | REWIS RS 2015, 13739

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Gegenstand

Kein Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferung durch Zeugen


Leitsatz

Der Unternehmer darf den ihm obliegenden sicheren Nachweis der materiellen Tatbestandsmerkmale einer innergemeinschaftlichen Lieferung auch jenseits der formellen Voraussetzungen gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV nicht in anderer Weise als durch Belege und Aufzeichnungen führen .

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 31. Januar 2014  1 K 3117/12 U wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) fakturierte in den Streitjahren 2001 bis 2004 Gegenstände an die in [X.] ansässige Firma [X.], deren Geschäftsführer [X.] war. Im [X.] an eine Außenprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) davon aus, dass die Lieferungen an [X.] steuerpflichtig seien und erließ für die Streitjahre geänderte Umsatzsteuerbescheide.

2

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Nach Auffassung des Finanzgerichts ([X.]) seien die Lieferungen nicht nach § 6a des Umsatzsteuergesetzes i.d.[X.] (UStG) als innergemeinschaftliche Lieferungen steuerfrei. Der Kläger habe den [X.] nicht erbracht. Dieser ergebe sich nicht aus den Frachtbriefen. Im Streitfall lägen Beförderungen, nicht aber Versendungen durch Beauftragung selbständig tätiger Dritter vor. Zudem enthielten die Frachtbriefe keine Angaben zu im Ausland gelegenen [X.]. Die im [X.] nach § 17a Abs. 2 Nr. 4 der [X.] i.d.[X.] (UStDV) erforderliche Versicherung fehle. Es sei nicht erkennbar, wer die Frachtbriefe ausgestellt habe. Auch die nachträglich erteilte Bestätigung begründe keinen [X.], da sie nicht von der Person stamme, die die Transporte tatsächlich durchgeführt habe. Der in der mündlichen Verhandlung angebotene Beweis sei nicht zu erheben gewesen, da die Zeugenaussage unerheblich gewesen sei.

3

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Die Lieferungen seien steuerfrei. Die Unternehmereigenschaft des Abnehmers [X.] sei unstreitig. Im Bestimmungsland [X.] sei die [X.] durchgeführt worden. Streitig sei nur der physische Transport in den Bestimmungsmitgliedstaat. Im Streitfall sei durch den Abnehmer befördert worden. Das für den Abnehmer [X.], einer juristischen Person, vertretungsberechtigte Organ, der als Zeuge angebotene [X.], habe die Beförderung nach [X.] nachträglich bestätigt. Es sei bestätigt worden, dass "der Transport der Waren nach [X.] erfolgte" und sämtliche Waren dem [X.] Unternehmen zugeführt worden seien. Der Bestimmungsort ergebe sich aus den Rechnungsanschriften. Das [X.] habe zu Unrecht den finanzbehördlichen Erörterungstermin ignoriert. Die objektive Beweislage könne nicht nur durch Belege nachgewiesen werden. Es bestehe ein Gleichrang aller Beweismittel. Das [X.] hätte den in der Verhandlung präsenten Zeugen vernehmen müssen.

4

Der Kläger beantragt,
das Urteil des [X.] aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide 2001 bis 2004 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. Juli 2012 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer 2001 um 116.122,91 €, die Umsatzsteuer 2002 um 126.429,70 €, die Umsatzsteuer 2003 um [X.] € und die Umsatzsteuer 2004 um 237.907,69 € gemindert wird.

5

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

6

Die Lieferungen seien steuerpflichtig. Der [X.] sei nicht erbracht worden. Ein objektiv [X.] erfordere, dass keine Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen für die Steuerfreiheit bestünden, so dass sich weitere Ermittlungen erübrigten. Es sei unklar, ob die Ware nach [X.] oder nach [X.] oder [X.] befördert worden sei. Die nachträgliche Bestätigung sei unbeachtlich, da die Bestimmungsorte nicht bekannt seien. Zweifel ergäben sich auch aus der Aussage des Buchhalters.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision des [X.] ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die Lieferungen des [X.] nicht als innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei sind.

8

1. Nach § 4 Nr. 1 Buchst. [X.]. § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG ist eine innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:

"1. Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das übrige [X.]sgebiet befördert oder versendet,

2. der Abnehmer ist

a) ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat, ...

und     

3. der Erwerb des Gegenstands der Lieferung unterliegt beim Abnehmer in einem anderen Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung."

9

Unionsrechtlich beruht die Steuerfreiheit in den Streitjahren auf Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der [X.]/[X.] des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ([X.]/[X.]). Steuerfrei sind danach "Lieferungen ..., die durch den Verkäufer oder durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb des in Artikel 3 bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der [X.] versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als solcher/solche in einem anderen Mitgliedstaat als dem Beginn des Versandes oder der Beförderung der Gegenstände handelt".

2. Der Unternehmer hat die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV beleg- und buchmäßig nachzuweisen. Diesen Buch- und [X.] hat der Kläger nicht erbracht.

Der Unternehmer soll gemäß § 17a Abs. 2 UStDV in den Fällen, in denen er oder der Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige [X.]sgebiet befördert, den Nachweis führen

"1. durch das Doppel der Rechnung (§§ 14, 14a des Gesetzes),

2. durch einen handelsüblichen Beleg, aus dem sich der Bestimmungsort ergibt, insbesondere Lieferschein,

3. durch eine Empfangsbestätigung des Abnehmers oder seines Beauftragten sowie

4. in den Fällen der Beförderung des Gegenstands durch den Abnehmer durch eine Versicherung des Abnehmers oder seines Beauftragten, den Gegenstand der Lieferung in das übrige [X.]sgebiet zu befördern".

Die unionsrechtliche Befugnis zur gesetzlichen Anordnung eines Beleg- und Buchnachweises ergibt sich aus dem Einleitungssatz von Art. 28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der [X.]/[X.] (vgl. z.B. Urteil des [X.] --BFH-- vom 11. August 2011 V R 50/09, [X.], 32, [X.], 151, unter [X.]). Danach ist die innergemeinschaftliche Lieferung nur "unter den Bedingungen, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen", steuerfrei.

a) Die zunächst erteilten Frachtbriefe wiesen nach den Feststellungen des [X.] entweder keine Bestimmungsorte oder lediglich Bestimmungsorte im Inland auf. Da sich der Mitgliedstaat der [X.] nach dem Bestimmungsort der Lieferung richtet, ist diese Angabe mit Blick auf die Korrespondenz von innergemeinschaftlicher Lieferung und innergemeinschaftlichem Erwerb (vgl. BFH-Urteil in [X.], 32, [X.], 151, unter [X.]) nicht verzichtbar.

b) Soweit in den Frachtbriefen vereinzelt Bestimmungsorte in [X.] oder [X.] benannt waren, kam dem im Hinblick auf die vom [X.] zusätzlich festgestellte Unklarheit über die Person des Belegausstellers keine Bedeutung zu (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 12. Mai 2009 V R 65/06, [X.], 264, [X.], 511, Leitsatz 1).

c) Einen Sonderfall, bei dem als Bestimmungsort der Unternehmensort des Abnehmers der Lieferung anzusehen ist (BFH-Urteil vom 17. Februar 2011 V R 28/10, [X.], 331, unter [X.]), hat das [X.] im Hinblick auf die unterschiedlichen Auslieferungsorte, die --soweit die Frachtbriefe überhaupt Angaben zu den Bestimmungsorten [X.] nach den Frachtbriefen in verschiedenen Mitgliedstaaten und dabei zum Teil im Inland lagen, zutreffend verneint. Ebenso enthielt die nachträglich erstellte Bestätigung keine Angaben zu den Bestimmungsorten der einzelnen Lieferungen.

3. Die Steuerbefreiung ergibt sich auch nicht aus dem Unionsrecht. Die Mitgliedstaaten dürfen formelle Voraussetzungen für die Steuerbefreiung (siehe unter 2.) aufstellen. Die [X.]/[X.] enthält keine Vorschrift, die sich mit dieser Frage befasst. Seit dem Wegfall der Kontrollen an den Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) in erster Linie anhand der von den Steuerpflichtigen vorgelegten Belege und abgegebenen Erklärungen zu prüfen, ob die Waren den [X.] physisch verlassen haben ([X.]-Urteil [X.] vom 27. September 2007 [X.]/05, [X.]:C:2007:550, Rz 24, m.w.N.).

Vorliegend erfordern weder der [X.] noch das Verhältnismäßigkeitsprinzip die Steuerbefreiung der streitigen Umsätze.

a) Der [X.] gebietet die Steuerbefreiung auch dann, wenn der Steuerpflichtige zwar die formellen Anforderungen an den Nachweis der innergemeinschaftlichen Lieferung nicht oder nicht vollständig erfüllt, die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung indes unbestreitbar feststehen ([X.]-Urteil [X.] vom 27. September 2007 [X.]/05, [X.]:C:2007:549, Rz 31, 33). Das ist vorliegend aber gerade nicht der Fall.

b) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn der Unternehmer ist grundsätzlich nicht berechtigt, den ihm obliegenden sicheren Nachweis der materiellen Anforderungen in anderer Weise als durch Belege und Aufzeichnungen zu führen. Ein Beweis durch Zeugen kommt als Ersatz für den gesetzlich vorgesehenen Buch- und [X.] grundsätzlich nicht in Betracht, und zwar weder von Amts wegen (§ 76 Abs. 1 [X.]O) noch auf Antrag. Nur wenn der Formalbeweis ausnahmsweise nicht oder nicht zumutbar geführt werden kann, gebietet es der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, den Nachweis auch in anderer Form zuzulassen (vgl. dazu z.B. [X.]-Urteil Teleos u.a. vom 27. September 2007 [X.], [X.]:[X.], Rz 52 ff.; [X.], [X.] 2014, 753 ff.). Im Streitfall sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger an der Führung des Buch- und [X.]es gehindert gewesen oder dieser für ihn unzumutbar gewesen sein könnte.

4. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Vertrauensschutz gemäß § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG.

Hat der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl --wie hier-- die Voraussetzungen nach § 6a Abs. 1 UStG nicht vorliegen, ist die Lieferung gemäß § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG gleichwohl steuerfrei, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte (vgl. zu den unionsrechtlichen Grundlagen BFH-Urteil vom 12. Mai 2011 V R 46/10, [X.], 436, [X.], 957, Rz 29).

Dies setzt nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG voraus, dass der Unternehmer den Nachweispflichten nach § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV ihrer Art nach nachkommt (dazu BFH-Urteil in [X.], 436, [X.], 957, Rz 30).

Daran fehlt es hier: Mit Blick auf die unvollständigen und zudem widersprüchlichen Angaben in den Frachtbriefen sowie den nur allgemeinen Angaben in der nachträglichen Bestätigung und den sich daraus ergebenden Mängeln des [X.]es ist das [X.] zu Recht davon ausgegangen, dass dem Kläger keine Steuerfreiheit aus [X.] zu gewähren ist.

5. Die behaupteten Verfahrensmängel greifen nicht durch; der Senat sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab (§ 126 Abs. 6 Satz 1 [X.]O).

6. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

V R 14/14

19.03.2015

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend FG Düsseldorf, 31. Januar 2014, Az: 1 K 3117/12 U, Urteil

§ 6a Abs 1 S 1 UStG 2002, Art 28c Teil A Buchst a UAbs 1 EWGRL 388/77, § 76 FGO, § 6a Abs 3 UStG 2002, § 17a Abs 2 UStDV 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 19.03.2015, Az. V R 14/14 (REWIS RS 2015, 13739)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 13739

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 StR 89/19

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