Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.09.2005, Az. 3 StR 324/05

3. Strafsenat | REWIS RS 2005, 1776

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[X.] vom 20. September 2005 in der Strafsache gegen

wegen Totschlags
- 2 - Der 3. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 20. September 2005 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 21. März 2005 mit den Feststellungen auf-gehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin im Revisionsverfahren, an eine andere Straf-kammer des [X.] zurückverwiesen.
Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren ver-urteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. 1. Nach den - auf den objektiven Kernbereich der Tathandlung be-schränkten - Feststellungen des [X.] war es zwischen dem Angeklag-ten und den Eheleuten [X.]nach erheblichem Alkoholgenuss zu einer [X.] gekommen, bei der der Angeklagte ein Messer aus einem Messerblock zog und damit fünfmal auf [X.]einstach. Die sich in das "Kampfgeschehen" einmischende Nicole [X.]"erlitt dabei zwei Messersti-che im Bauchbereich". Während Nicole [X.]durch eine Notoperation geret-- 3 - tet werden konnte, verstarb [X.], den drei Stiche im Brustkorb bezie-hungsweise Rumpf getroffen hatten, aufgrund [X.]. Zur subjektiven Tatseite, insbesondere zum Tötungs- beziehungsweise Körperverletzungsvorsatz des Angeklagten verhalten sich die [X.] des Urteils nicht. Im Rahmen der rechtlichen Würdigung führt das [X.] aus, der Angeklagte habe bezüglich [X.]mit Tötungsvorsatz gehandelt. Dies folge daraus, dass er drei gezielte Stiche gegen dessen Oberkörper geführt habe. Bei einer derart massiven Gewalteinwirkung habe es der Angeklagte zumindest billigend in Kauf genommen, dass [X.]infolge der Messerstiche versterben werde. Hinsichtlich [X.]sei dem Angeklagten dagegen ein Tötungsvorsatz nicht nachzuweisen, da die Umstände, die zur Verletzung der Geschädigten führten, nicht hinreichend hätten aufgeklärt werden können. Nach dem [X.] müsse daher davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte die zwei Stiche gegen [X.]aus der Kampfsituation heraus nicht gezielt mit der Vorstellung führte, diese könne hieran versterben. 2. Dies hält rechtlicher Prüfung nicht stand. a) Allerdings treffen die Erwägungen des [X.] zum Tötungsvor-satz im Ausgangspunkt zu. Wer gegen sein Opfer äußerst gefährliche Gewalt-handlungen ausführt - hier drei Messerstiche in Brustkorb und Rumpf - wird in aller Regel erkennen, dass [X.] zum Tod des Geschädigten führen kann, und diesen Erfolg, da er von seinem Vorhaben trotz der Erkenntnis der Gefähr-lichkeit seines Handelns keinen Abstand nimmt, auch zumindest billigend in Kauf nehmen. In derartigen Fällen ist der Tatrichter daher im Allgemeinen auch nicht gehalten, seine Schlussfolgerung aus dem objektiven Tatgeschehen auf den - bedingten - Tötungsvorsatz des Angeklagten näher zu begründen. [X.] - [X.] liegt es aber dann, wenn sich aus dem Tatbild besondere Umstände er-geben, die es zweifelhaft erscheinen lassen können, ob der Angeklagte tat-sächlich die Lebensgefährlichkeit seines Tuns erkannt beziehungsweise den Tod seines Opfers im Sinne billigender Inkaufnahme hingenommen hat. Derartige Besonderheiten lagen hier vor. Nach den Feststellungen war der Angeklagte bei der Tat erheblich alkoholisiert. Seine [X.] betrug ca. 3,5 Promille. Eine derartige Alkoholisierung kann selbst bei ei-nem trinkgewohnten Täter zu Beeinträchtigungen der Erkenntnisfähigkeit über die möglichen Folgen seines Handelns führen, aber auch Zweifel an der volun-tativen Seite des Vorsatzes begründen (vgl. [X.]/[X.], StGB 52. Aufl. § 212 Rdn. 7 b m. zahlr. [X.]). Diese hätte hier auch wegen des festgestellten [X.] des Angeklagten näherer Prüfung bedurft; denn dessen festgestellte Bemühungen, Erwin [X.]durch Mund-zu-Mund-Beatmung zu retten, sowie seine Äußerung "[X.], ich habe sein Herz getroffen, Du darfst nicht sterben. [X.] wir doch nur unsere Schnauze gehalten", könnten mögli-cherweise Zweifel daran begründen, dass der Angeklagte bei der Tat den Tod von [X.]billigend hinnahm (vgl. BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 11). Hinzu kommt, dass das [X.] die Einlassung des Angeklagten, mit der dieser eine Notwehrlage darzutun versuchte, zwar als Schutzbehauptung zurückgewiesen hat, andererseits jedoch - in der rechtlichen Würdigung - von einem "Kampfgeschehen" ausgegangen ist und bei der Strafzumessung einen minder schweren Fall des Totschlags nach § 213 StGB angenommen hat, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Angeklagte zu der Tat dadurch gereizt wurde, dass Erwin [X.] zunächst Streit mit einem weiteren Zech-kumpan begonnen hatte und dann auch gegen den Angeklagten handgreiflich geworden war. Danach hält das [X.] - entgegen der rein abstrakten Tatschilderung im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung - aber eine Tatsituation - 5 - für möglich, die durch eine affektive Erregung des Angeklagten geprägt war. Auch eine solche kann indessen im Einzelfall Einfluss auf das Vorstellungsbild des [X.] über die Folgen seines Tuns beziehungsweise das voluntative [X.] gewinnen ([X.]/[X.] aaO § 212 Rdn. 7 b m. zahlr. [X.]). Obwohl die genannten Gesichtspunkte von vornherein weder für sich noch in ihrer Gesamtheit notwendig oder auch nur mit überwiegender Wahr-scheinlichkeit der Feststellung bedingten Tötungsvorsatzes des Angeklagten entgegenstehen, durfte sie das [X.] daher bei seiner Überzeugungsbil-dung zur subjektiven Tatseite nicht völlig unberücksichtigt lassen. Seine Be-weiswürdigung zu diesem Punkt erweist sich demgemäß als lücken- und damit als rechtsfehlerhaft. 2. Aber auch der [X.] hinsichtlich der Geschädigten [X.]ist nicht rechtsfehlerfrei dargetan. Die Feststellungen belegen ledig-lich, dass diese während der Auseinan[X.]etzung zwei Stichverletzungen "[X.]", als sie sich in das Kampfgeschehen einmischte. Dass der Angeklagte [X.] Verletzungen willentlich oder auch nur bedingt vorsätzlich herbeiführte, lässt sich der Sachverhaltsdarstellung nicht entnehmen. In der rechtlichen Würdi-gung legt das [X.] lediglich dar, dass wegen der Nichtaufklärbarkeit der "Kampfsituation" dem Angeklagten Tötungsvorsatz nicht nachweisbar sei. Mit dem für eine Verurteilung nach § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB erforderlichen [X.] befasst es sich auch hier nicht. Dies war [X.] nicht entbehrlich; denn wenn sich die Geschädigte, wie festgestellt, in das Kampfgeschehen zwischen ihrem Ehemann und dem Angeklagten "ein-mischte", ist es jedenfalls nicht von vornherein auszuschließen, dass sie - etwa bei einem Dazwischentreten - vom Angeklagten unbeabsichtigt mit dem Messer getroffen wurde. Eine entsprechende Erörterung war hier auch nicht deswegen - 6 - entbehrlich, weil die Tatsache, dass die Geschädigte zwei Stiche im Bauchbe-reich davontrug, eher gegen die Annahme lediglich fahrlässigen Verhaltens des Angeklagten sprechen könnte; denn zwingend ausgeschlossen wird ein solches hierdurch im Hinblick auf die sonstigen - nicht ausschließbaren (s. o-ben 1.) - Gesamtumstände des Geschehens nicht. 3. Die Sache muss daher insgesamt neu verhandelt werden. Die [X.] zur Entscheidung berufene [X.] wird sich zu bemühen haben, gegebenenfalls auch unter Anwendung des [X.]es nähere [X.] zu den Gesamtumständen der Tat zu treffen, die ersichtlich in ein komple-xeres Geschehen eingebunden war, als dies die eher abstrakte, auf den objek-tiven [X.] beschränkte Sachdarstellung des angefochtenen Urteils dartut. [X.] [X.]von Lienen

Becker

[X.]

Meta

3 StR 324/05

20.09.2005

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.09.2005, Az. 3 StR 324/05 (REWIS RS 2005, 1776)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2005, 1776

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