Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.07.2013, Az. 9 AZR 784/11

9. Senat | REWIS RS 2013, 4117

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Gegenstand

Berufsausbildung - Anspruch auf Abfindung


Leitsatz

Der nach § 23 Abs. 1 Satz 1 BBiG dem Auszubildenden zu ersetzende Schaden umfasst keine Abfindung entsprechend den §§ 9, 10 KSchG.

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 17. Juni 2011 - 6 Sa 19/11 - unter Zurückweisung der Revision im Übrigen teilweise aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 12. November 2010 - 31 [X.] 1202/10 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

a) Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.255,77 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Februar 2010 zu zahlen.

b) Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.653,38 Euro brutto abzüglich bereits bezahlter 1.591,13 Euro netto zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Februar 2010 zu zahlen.

c) Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 480,60 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Februar 2010 zu zahlen.

d) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu 25 % zu tragen, der Beklagte zu 75 %. Die Kosten der Berufung hat die Klägerin zu 17 % zu tragen, der Beklagte zu 83 %. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu 65 % zu tragen, der Beklagte zu 35 %.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über restliche Ausbildungsvergütung und Schadensersatz wegen der vorzeitigen Beendigung des Ausbildungsverhältnisses.

2

Die Klägerin war beim Beklagten, der Ingenieurdienstleistungen im Bereich der Metallindustrie anbietet, in der [X.] vom 14. Juli 2008 bis zum 12. November 2009 auf der Grundlage eines bis zum 1. September 2010 befristeten [X.] vom 7. Juli 2008 als Auszubildende für den Beruf einer Kauffrau für Bürokommunikation beschäftigt. Vor Beginn der Ausbildung bei dem Beklagten hatte die Klägerin mit ihrer Berufsausbildung bereits in einem anderen Ausbildungsbetrieb begonnen. Die dort zurückgelegte Ausbildungszeit von zehn Monaten wurde angerechnet.

3

Im Ausbildungsvertrag vereinbarten die nicht tarifgebundenen Parteien eine monatliche Ausbildungsvergütung für das erste Ausbildungsjahr iHv. 500,00 Euro brutto, für das zweite Ausbildungsjahr iHv. 550,00 Euro brutto und für das dritte Ausbildungsjahr iHv. 600,00 Euro brutto. Die Industrie- und Handelskammer für [X.] und [X.] ([X.]) hatte für den Ausbildungsberuf Kaufmann/-frau für Bürokommunikation mit Stand 2007 eine Ausbildungsvergütung von 669,00 Euro brutto im ersten Ausbildungsjahr, 731,00 Euro brutto im zweiten Ausbildungsjahr und 801,00 Euro brutto im dritten Ausbildungsjahr vorgeschlagen.

4

Ab August 2009 zahlte der Beklagte die Ausbildungsvergütung nicht mehr termingerecht. Die Klägerin forderte ihn mehrfach erfolglos zur Zahlung auf und erklärte, dass sie gezwungen sei, das Ausbildungsverhältnis vorzeitig zu beenden, wenn der Beklagte seiner Zahlungsverpflichtung nicht nachkomme. Mit Schreiben vom 12. November 2009 kündigte die Klägerin das Ausbildungsverhältnis unter Angabe von Gründen fristlos und machte noch ausstehende Ausbildungsvergütung sowie Schadensersatzansprüche geltend. Am 1. Dezember 2009 begann sie ein neues Ausbildungsverhältnis, in dem sie eine Ausbildungsvergütung von 519,00 Euro netto bezog. Auf die Vergütungsansprüche der Klägerin für den [X.]raum August 2009 bis einschließlich 12. November 2009 zahlte der Beklagte insgesamt 1.591,13 Euro netto.

5

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die vereinbarte Ausbildungsvergütung sei nicht angemessen. Die Angemessenheit sei nach den [X.] zu beurteilen. Jedenfalls seien aber die Empfehlungen der [X.] zugrunde zu legen. Bei einer unangemessenen Vergütungsvereinbarung finde keine geltungserhaltende Reduktion statt. Ihr Schadensersatzanspruch wegen der vom Beklagten zu vertretenen vorzeitigen Beendigung des [X.] beinhalte auch eine Abfindung analog §§ 9, 10 KSchG.

6

Die Klägerin hat - soweit für die Revision von Interesse - zuletzt beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.255,77 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Februar 2010 zu zahlen,

2. den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.653,38 Euro brutto abzüglich 1.591,13 Euro netto erhaltener Ausbildungsvergütung nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Februar 2010 zu zahlen,

3. den Beklagten zu verurteilen, an sie 1.281,60 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Februar 2010 zu zahlen.

7

Zu seinem Klageabweisungsantrag hat der Beklagte die Ansicht vertreten, die Empfehlungen der [X.] stellten keinen Maßstab für sein Unternehmen dar. Die vereinbarte Ausbildungsvergütung sei angemessen. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung bestehe nicht.

8

Das Arbeitsgericht hat den Beklagten zur Zahlung weiterer Ausbildungsvergütung für den [X.]raum vom 14. Juli 2008 bis zum 31. Juli 2009 iHv. 437,95 Euro brutto und für den [X.]raum vom 1. August 2009 bis zum 12. November 2009 iHv. 2.122,72 Euro brutto abzüglich gezahlter 1.591,13 Euro netto sowie zur Zahlung von Schadensersatz iHv. 384,48 Euro verurteilt, jeweils zuzüglich Prozesszinsen in gesetzlicher Höhe seit dem 6. Februar 2010. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Seine Anschlussberufung hat der Beklagte zurückgenommen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter, soweit diesem nicht bereits rechtskräftig stattgegeben wurde.

Entscheidungsgründe

9

A. Die zulässige Revision der Klägerin ist teilweise begründet.

I. Die Klägerin hat über die bereits gezahlte bzw. bereits rechtskräftig ausgeurteilte Vergütung hinaus einen Anspruch auf weitere Ausbildungsvergütung iHv. 757,35 [X.] brutto aus § 17 Abs. 1 BBiG nebst Zinsen gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 [X.].

1. Die vereinbarte Höhe der Ausbildungsvergütung ist unangemessen.

a) Die in § 17 BBiG geregelte Ausbildungsvergütung hat regelmäßig drei Funktionen. Sie soll den Auszubildenden und seine unterhaltsverpflichteten Eltern bei der Lebenshaltung finanziell unterstützen, die Heranbildung eines ausreichenden Nachwuchses an qualifizierten Fachkräften gewährleisten und die Leistungen des Auszubildenden in gewissem Umfang „entlohnen“ ([X.]., zuletzt [X.] 23. August 2011 - 3 [X.] - Rn. 37 mwN, [X.]E 139, 89; vgl. [X.] 19. Februar 2008 - 9 [X.] 1091/06 - Rn. 18 mwN, [X.]E 126, 12 zur Vorgängervorschrift § 10 BBiG aF). § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG ist nur eine Rahmenvorschrift. Sie legt den Maßstab für die Angemessenheit der Ausbildungsvergütung nicht selbst fest. Bei fehlender Tarifbindung ist es Aufgabe der Vertragsparteien, die Höhe der Vergütung zu vereinbaren. Sie haben dabei einen Spielraum. Die richterliche Überprüfung erstreckt sich nur darauf, ob die vereinbarte Vergütung die Mindesthöhe erreicht, die noch als angemessen anzusehen ist. Ob die Parteien den Spielraum gewahrt haben, ist unter Abwägung ihrer Interessen und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls festzustellen. Maßgeblich dafür ist die Verkehrsanschauung ([X.]., zuletzt [X.] 26. März 2013 - 3 [X.] 89/11 - Rn. 10 mwN). Insoweit kommt dem Revisionsgericht ein unbeschränktes Überprüfungsrecht zu ([X.] 19. Februar 2008 - 9 [X.] 1091/06 - Rn. 20 mwN, aaO).

Wichtigster Anhaltspunkt für die Verkehrsanschauung sind die einschlägigen Tarifverträge. Bei ihnen ist anzunehmen, dass das Ergebnis der Tarifverhandlungen die Interessen beider Seiten hinreichend berücksichtigt ([X.]., zuletzt [X.] 26. März 2013 - 3 [X.] 89/11 - Rn. 11 mwN). Nur wenn einschlägige tarifliche Regelungen fehlen, kann auf branchenübliche Sätze abgestellt oder eine der Verkehrsauffassung des betreffenden Gewerbezweigs entsprechende Vergütung zugrunde gelegt werden. In diesem Fall kann auf die Empfehlungen der Kammern oder der Handwerksinnungen zurückgegriffen werden ([X.]., vgl. zuletzt [X.] 26. März 2013 - 3 [X.] 89/11 - Rn. 12 mwN). Eine Orientierung an der Berufsausbildungsbeihilfe scheidet dagegen aus. Eine solche Ausrichtung würde nur die Funktion der Ausbildungsvergütung als Beitrag zum Lebensunterhalt berücksichtigen, nicht aber die Funktionen der Heranbildung eines ausreichenden Nachwuchses und der „Entlohnung“ des Auszubildenden.

Eine vereinbarte Ausbildungsvergütung ist in der Regel unangemessen, wenn sie die einschlägige tarifliche oder branchenübliche Vergütung um mehr als 20 % unterschreitet ([X.]., vgl. [X.] 23. August 2011 - 3 [X.] - Rn. 41, [X.]E 139, 89 zu § 17 Abs. 1 [X.]). Der Auszubildende trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die vereinbarte Vergütung unangemessen ist. Er genügt seiner Darlegungslast regelmäßig damit, dass er sich auf die einschlägige tarifliche Vergütung oder - falls es eine solche nicht gibt - auf Empfehlungen von Kammern und Innungen stützt und darlegt, dass die ihm gezahlte Vergütung diese um mehr als 20 % unterschreitet ([X.]., vgl. zuletzt [X.] 26. März 2013 - 3 [X.] 89/11 - Rn. 14 mwN). Der Ausbildende darf sich dann nicht auf den Vortrag beschränken, die von ihm gezahlte Vergütung sei angemessen. Er hat vielmehr zu begründen, warum dies der Fall sein soll. Zu einem substanziierten Bestreiten des Ausbildenden gehört auch die Darlegung, warum im Einzelfall ein von den geschilderten Grundsätzen abweichender Maßstab gelten soll (vgl. zu § 10 BBiG aF: [X.] 25. Juli 2002 - 6 [X.] 311/00 - zu I 4 der Gründe mwN; 30. September 1998 - 5 [X.] 690/97 - zu II 5 der Gründe).

b) Die von den Parteien vereinbarte Höhe der Ausbildungsvergütung ist unter Anwendung dieser Grundsätze unangemessen, weil sie die von der [X.] empfohlene Ausbildungsvergütung um mehr als 20 % unterschreitet.

aa) Eine einschlägige tarifliche Regelung existiert nicht. Ein Tarifvertrag ist dann einschlägig, wenn beide Vertragsparteien (bei unterstellter Tarifbindung) unter seinen räumlichen, zeitlichen und fachlichen Geltungsbereich fallen ([X.]/Zwanziger/[X.] Aufl. § 115 Rn. 127a). Weder die Klägerin noch der [X.] hat schlüssig dargetan, dass ein Tarifvertrag nach seinem Geltungsbereich für das Ausbildungsverhältnis der Parteien einschlägig war. Die Klägerin hat deshalb zu Recht der Berechnung ihrer Klageforderung die Empfehlung der für den [X.]n zuständigen [X.] zugrunde gelegt.

bb) Diese Empfehlung ist maßgeblich. Nach den bindenden Feststellungen des [X.] (§ 559 ZPO) gab es eine Empfehlung der [X.] für den Ausbildungsberuf Kaufmann/-frau für Bürokommunikation mit Stand 2007. Anhaltspunkte dafür, dass die [X.] für die [X.] und 2009 eine geringere Ausbildungsvergütung empfahl, bestehen nicht. Der [X.] hat sich auf eine solche Empfehlung auch nicht berufen. Die [X.] ist nach § 71 Abs. 2 BBiG die für die nicht handwerkliche Ausbildung zuständige Stelle. Das Unternehmen des [X.]n befindet sich im Bezirk der [X.].

c) Anerkennenswerte Gründe, die empfohlene Vergütung um mehr als 20 % zu unterschreiten, sind nach den Feststellungen des [X.] nicht ersichtlich. Im Einzelfall kann es zwar Gründe geben, einen an sich geltenden Maßstab nicht zur Prüfung der Angemessenheit heranzuziehen ([X.] 23. August 2011 - 3 [X.] - Rn. 39 mwN, [X.]E 139, 89 zu § 17 Abs. 1 [X.]). Solche Gründe hat der [X.] jedoch nicht dargetan. Entgegen der Auffassung des [X.]n kommt es insbesondere nicht darauf an, ob der Ausbildende über finanzielle Mittel für eine höhere Ausbildungsvergütung verfügt, welche Leistungsfähigkeit er hat und ob ggf. seine Finanzdecke nicht besonders hoch ist. Die gesetzliche Regelung, nach der eine angemessene Ausbildungsvergütung zu zahlen ist, dient auch dazu, Verfälschungen des Ausbildungsmarkts zu vermeiden. Das schließt eine Orientierung an den finanziellen Möglichkeiten der Träger der praktischen Ausbildung aus ([X.] 23. August 2011 - 3 [X.] - Rn. 40 mwN, [X.]E 139, 89 zu § 17 Abs. 1 [X.]).

2. Die Unangemessenheit der vereinbarten Berufsausbildungsvergütung bewirkt, dass der Klägerin die von der [X.] für das jeweilige Ausbildungsjahr empfohlene Ausbildungsvergütung zusteht. Die Vergütungsvereinbarung der Parteien ist gemäß § 25 BBiG nichtig. An die Stelle der vereinbarten tritt die angemessene Vergütung (vgl. [X.] 10. April 1991 - 5 [X.] 226/90 - zu II 4 c der Gründe, [X.]E 68, 10 zu § 10 BBiG aF; [X.]/[X.]. 14. Aufl. § 174 Rn. 63).

a) Entgegen der Auffassung des [X.]n ist kein Abschlag von 20 % vorzunehmen. Die Begrenzung des Anspruchs auf das gerade noch zulässige Maß der Unterschreitung widerspräche dem Zweck von § 17 Abs. 1 BBiG. Diese Vorschrift soll eine angemessene Ausbildungsvergütung sicherstellen. Damit wäre es nicht vereinbar, bei einer Unterschreitung der nach der Verkehrsanschauung angemessenen Ausbildungsvergütung den Anspruch zugunsten des Trägers der praktischen Ausbildung auf das gerade noch Angemessene zu begrenzen ([X.]., vgl. [X.] 23. August 2011 - 3 [X.] - Rn. 41 mwN, [X.]E 139, 89 zu § 17 Abs. 1 [X.]; 19. Februar 2008 - 9 [X.] 1091/06 - Rn. 50 mwN, [X.]E 126, 12 zu § 12 Abs. 1 [X.]; 25. Juli 2002 - 6 [X.] 311/00 - zu I 8 der Gründe zu § 10 BBiG aF).

b) Soweit das [X.] argumentiert hat, es gehe nicht an, dass die Vertragspartner bei Begründung des Ausbildungsverhältnisses einen Spielraum haben, der die Vereinbarung einer Vergütung 20 % unterhalb einer tariflichen oder branchenüblichen Vergütung erlaube, sie aber mit einer Anpassung stets auf die volle Höhe der Empfehlung rechnen müssten, wenn sie eine geringere vertragliche Vergütung vorsehen, überzeugt dies nicht. Gewährt der Ausbildende dem Auszubildenden entgegen der gesetzlichen Anordnung in § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG keine angemessene Vergütung, überschreitet er den ihm eingeräumten Spielraum. Wäre die Konsequenz aus diesem gesetzeswidrigen Verhalten, dass nur die Ausbildungsvergütung geschuldet würde, die gerade noch angemessen ist, bestünde bei einem Verstoß gegen § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG für den Ausbilder kein Risiko, die nach der Verkehrsanschauung angemessene Ausbildungsvergütung zahlen zu müssen. Dies widerspräche dem Schutzzweck der Norm.

3. Unter Zugrundelegung der zwischen den Parteien unstreitigen Differenzbeträge und geleisteten Zahlungen steht der Klägerin für den [X.]raum vom 14. Juli 2008 bis zum 31. Juli 2009 ein Anspruch auf Zahlung von 2.255,77 [X.] brutto zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Februar 2010 zu. Für die [X.] vom 1. August 2009 bis zum 12. November 2009 hat sie Anspruch auf Zahlung von 2.653,38 [X.] brutto abzüglich bereits gezahlter 1.591,13 [X.] netto zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Februar 2010.

II. In Bezug auf den geltend gemachten Schadensersatzanspruch ist die Revision nur teilweise begründet. Die Klägerin hat aus § 23 Abs. 1 BBiG einen Anspruch auf weiteren Schadensersatz iHv. 96,12 [X.].

1. Wird das Berufsausbildungsverhältnis nach der Probezeit vorzeitig gelöst, so kann nach § 23 Abs. 1 BBiG der Ausbildende oder der Auszubildende Ersatz des Schadens verlangen, wenn die andere Person den Grund für die Auflösung zu vertreten hat. Diese Voraussetzungen liegen vor.

a) Das bis zum 1. September 2010 befristete Berufsausbildungsverhältnis der Parteien wurde nach Ablauf der Probezeit durch die fristlose Kündigung der Klägerin zum 12. November 2009 gelöst.

b) Die Annahme des [X.], der [X.] habe den Grund für die Auflösung des [X.] zu vertreten, weil er ab August 2009 die Ausbildungsvergütung trotz der Mahnung der Klägerin nicht termingerecht zahlte, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, zumal der [X.] selbst erklärte, er könne die vereinbarte Ausbildungsvergütung erst im Folgejahr zahlen.

c) Mit ihrer dem [X.]n am 5. Februar 2010 zugestellten Klage auf Schadensersatz wahrte die Klägerin die Ausschlussfrist des § 23 Abs. 2 BBiG.

2. Der Schadensersatzanspruch umfasst entgangene Ausbildungsvergütung für die [X.] vom 13. bis zum 30. November 2009 iHv. weiteren 96,12 [X.].

a) Ausgehend von der Empfehlung der [X.] ergibt sich für diesen [X.]raum eine Ausbildungsvergütung iHv. 480,60 [X.] (801,00 [X.] / 30 Tage x 18 Tage). Nach Abzug des bereits rechtskräftig zugesprochenen Betrags iHv. 384,48 [X.] verbleibt als Schaden eine Differenz iHv. 96,12 [X.].

b) Ein Vermögensvorteil der Klägerin, der auf diesen Schaden anspruchsmindernd anzurechnen wäre, besteht nicht. Zwar muss sich der Auszubildende auf den Ersatzanspruch, der grundsätzlich die Vergütung ab dem tatsächlichen bis zum vereinbarten Ende des Ausbildungsverhältnisses erfasst, den in diesem [X.]raum insgesamt adäquat erworbenen anderweitigen Verdienst anrechnen lassen (vgl. [X.] 17. Juli 2007 - 9 [X.] 103/07 - Rn. 27 mwN, [X.]E 123, 247; [X.]/[X.] 13. Aufl. § 23 BBiG Rn. 2). Der Geschädigte muss dabei, soweit es um Umstände aus seiner Sphäre geht, an der Sachaufklärung mitwirken (vgl. [X.]/[X.] 72. Aufl. § 254 [X.] Rn. 72 mwN). Die Klägerin ist dieser Mitwirkungspflicht nachgekommen und hat ihre ab dem 1. Dezember 2009 im neuen Ausbildungsverhältnis bezogene Ausbildungsvergütung offengelegt. Der [X.] hat daraufhin nicht dargetan, dass und ggf. in welcher Höhe dieser anderweitige Verdienst zu einer Minderung des geltend gemachten Schadens führte. Er hat insbesondere nicht konkret aufgezeigt, dass dieser Verdienst insgesamt höher war als die Vergütung, die die Klägerin vom 13. November 2009 bis zum 1. September 2010 erhalten hätte.

3. § 23 Abs. 1 BBiG gewährt dem Auszubildenden entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin keine Abfindung entsprechend den §§ 9, 10 [X.].

a) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] kann zwar ein Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 [X.] auch eine den Verlust des Bestandsschutzes des Arbeitsverhältnisses ausgleichende angemessene Entschädigung entsprechend den §§ 9, 10 [X.] umfassen (vgl. grundlegend [X.] 26. Juli 2001 - 8 [X.] 739/00 - zu [X.] 2 d der Gründe, [X.]E 98, 275).

aa) Maßgebend dafür ist, dass der Schadensersatzanspruch aus § 628 Abs. 2 [X.] hinsichtlich des [X.] auf den [X.]raum der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist beschränkt ist (vgl. [X.] 26. Juli 2001 - 8 [X.] 739/00 - zu [X.] 2 d der Gründe, [X.]E 98, 275). Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer Kündigungsschutz genießt und das Arbeitsverhältnis ohne das vertragswidrige Verhalten des Arbeitgebers nicht aufgelöst worden wäre. Der kündigende Arbeitnehmer verzichtet in diesen Fällen auf den durch die Kündigungsschutzbestimmungen vermittelten Bestandsschutz. Seine Lage ist mit derjenigen des unberechtigt gekündigten Arbeitnehmers vergleichbar, der einen [X.] nach § 9 oder § 13 [X.] gestellt hat, weil ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Der Arbeitgeber darf aber nicht dadurch bessergestellt werden, dass er anstatt eine unberechtigte außerordentliche Kündigung auszusprechen und damit ggf. abfindungspflichtig nach § 13 Abs. 1 Satz 3, §§ 910 [X.] zu werden, durch vertragswidriges Verhalten den Arbeitnehmer zur außerordentlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses veranlasst (vgl. [X.] 26. Juli 2001 - 8 [X.] 739/00 - zu [X.] 2 c und [X.] 2 d bb der Gründe mwN, aaO).

bb) Den Arbeitnehmer trifft damit neben der für die Dauer der Kündigungsfrist entfallenen Vergütung ein weiterer wirtschaftlicher Verlust, für den er einen angemessenen Ausgleich verlangen kann. Für die Bemessung dieses Ausgleichs bietet es sich an, auf die Abfindungsregelungen der §§ 91013 [X.] abzustellen. Das Gesetz bestimmt in diesen Vorschriften den Wert des Bestandsschutzes, wenn das Festhalten am Arbeitsplatz für den Arbeitnehmer unzumutbar ist. Diese gesetzliche Wertung rechtfertigt es, den Verlust des Bestandsschutzes als normative Schadensposition anzuerkennen. Voraussetzung für den Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers ist jedoch, dass im Falle einer unberechtigten Arbeitgeberkündigung die §§ 9, 10 und/oder § 13 [X.] Anwendung fänden ([X.] 21. Mai 2008 - 8 [X.] 623/07 - Rn. 28 und 31 mwN).

b) Diese Erwägungen greifen beim Ersatz des Schadens nach § 23 Abs. 1 BBiG nicht ein (so auch [X.]/[X.] § 23 BBiG Rn. 2).

aa) Zwar sind auf den Berufsausbildungsvertrag nach § 10 Abs. 2 BBiG die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze anzuwenden, soweit sich aus seinem Wesen und Zweck und aus dem BBiG nichts anderes ergibt. Nach dem schriftlichen Bericht des [X.] zum Entwurf des BBiG sollte der Gesetzesentwurf insoweit, wie er auf eine Regelung verzichtet, um die allgemeinen für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsgrundsätze und Rechtsvorschriften ergänzt werden, um dem Auszubildenden mindestens in gleichem Maße wie dem Arbeitnehmer Schutz zu geben (vgl. BT-Drucks. V/4260 S. 5). Damit sollte die Anwendung auch solcher Vorschriften sichergestellt sein, die das Berufsausbildungsverhältnis nicht ausdrücklich einbeziehen. Hierzu sollte auch das [X.] zählen (vgl. BT-Drucks. V/4260 S. 6).

bb) Durch Berufsausbildungsvertrag begründete [X.] und durch Arbeitsvertrag begründete Arbeitsverhältnisse sind jedoch nicht generell gleichzusetzen ([X.] 21. September 2011 - 7 [X.] 375/10 - Rn. 15 mwN, [X.]E 139, 213). Die Regelungen im [X.] zur ordentlichen Kündigung durch den Arbeitgeber finden auf Auszubildende keine Anwendung. Nach Ablauf der Probezeit kann der Ausbildende das Ausbildungsverhältnis aufgrund der [X.] des § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG nicht ordentlich kündigen. Auch § 628 Abs. 2 [X.] ist auf Auszubildende nicht anwendbar; § 23 Abs. 1 BBiG ist die speziellere Vorschrift ([X.] 8. Mai 2007 - 9 [X.] 527/06 - Rn. 17 mwN zur Vorgängervorschrift § 16 BBiG aF; [X.]/[X.] 10. Aufl. §§ 21 - 23 BBiG Rn. 131; Pepping in [X.] BBiG § 23 Rn. 2).

cc) Auch § 13 Abs. 1 Satz 3 und §§ 910 [X.] sind auf das Berufsausbildungsverhältnis nicht anzuwenden, weil dies mit dem Wesen und dem Zweck des [X.] nicht zu vereinbaren ist (vgl. mit ausführlicher Begründung [X.] 29. November 1984 - 2 [X.] 354/83 - zu II der Gründe; vgl. auch [X.]/Spilger § 9 [X.] Rn. 14b mwN; v. [X.] in [X.]/L 15. Aufl. § 13 Rn. 18; [X.]/[X.] BBiG 2. Aufl. § 22 Rn. 172 mwN; [X.]/[X.] BBiG Stand Juni 2013 § 22 Rn. 155 f.; [X.]/Zwanziger/[X.] § 84 7. Aufl. Rn. 3). An den Vorschriften des BBiG ist erkennbar, dass der Gesetzgeber es zur Erreichung des Ausbildungsziels für erforderlich gehalten hat, auf einen möglichst lange dauernden Bestand des Ausbildungsverhältnisses hinzuwirken und Kündigungen zu erschweren. Die Erfüllung der Berufsausbildungsaufgabe verlangt eine besonders starke Bindung der Vertragsparteien (vgl. BT-Drucks. V/4260 S. 11). Die Eröffnung einer erleichterten Auflösungsmöglichkeit ist hiermit unvereinbar (vgl. [X.] 29. November 1984 - 2 [X.] 354/83 - zu II der Gründe). Dieser Wertung würde es widersprechen, wenn im Falle der vom Ausbildenden verursachten fristlosen Kündigung des Auszubildenden - anders als bei Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses nach unberechtigter Kündigung des Ausbildenden - ein Abfindungsanspruch angenommen würde.

dd) Auch dem Bestandsschutz kommt im Ausbildungsverhältnis kein dem Bestandsschutz im Arbeitsverhältnis entsprechender wirtschaftlicher Wert zu. Das Arbeitsverhältnis stellt regelmäßig die wirtschaftliche Lebensgrundlage des Arbeitnehmers dar. Daraus leitet sich der wirtschaftliche Wert des Bestandsschutzes ab. Das Berufsausbildungsverhältnis ist dagegen darauf angelegt, dem Auszubildenden - in einem zeitlich befristeten [X.]raum - eine breit angelegte berufliche Grundausbildung und die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln ([X.] 29. November 1984 - 2 [X.] 354/83 - zu II 2 b der Gründe). Entsprechend der Zwecksetzung des [X.] stellt die Ausbildungsvergütung deshalb nur eine finanzielle Unterstützung bei der Lebenshaltung und nur eine „Entlohnung“ in gewissem Umfang dar. Das Erreichen des Ausbildungsziels vermittelt den wesentlichen wirtschaftlichen Wert des Ausbildungsverhältnisses für den Auszubildenden und damit den Wert des Bestandsschutzes.

ee) Der Auszubildende erhält bereits durch den Ersatz des materiellen Schadens nach § 23 Abs. 1 BBiG die Möglichkeit, dieses Ausbildungsziel trotz des vertragswidrigen Verhaltens des Ausbildenden zu erreichen. Bei § 23 Abs. 1 BBiG findet eine Begrenzung des Schadensersatzanspruchs auf den Lohnausfall während einer fiktiven Kündigungsfrist nicht statt. Daher ist es - anders als bei § 628 Abs. 2 [X.] - nicht erforderlich, als Ausgleich für eine solche Begrenzung den Wert des Bestandsschutzes als zusätzliche Schadensposition anzuerkennen. Der Auszubildende kann nach § 23 Abs. 1 BBiG vielmehr Ersatz des gesamten Schadens verlangen, der durch das vorzeitige Lösen vom Berufsausbildungsverhältnis verursacht worden ist. Bei der Schadensermittlung ist das nicht ordnungsgemäß erfüllte Berufsausbildungsverhältnis nach Maßgabe der §§ 249 ff. [X.] mit einem ordnungsgemäßen zu vergleichen. Der Ausbildende hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Ungeachtet der besonderen Funktionen der Ausbildungsvergütung hat der zum Schadensersatz verpflichtete Ausbildende dem Auszubildenden die Ausbildungsvergütung bis zur Aufnahme einer neuen Ausbildung oder ggf. eines Arbeitsverhältnisses weiterzuzahlen (vgl. [X.] 8. Mai 2007 - 9 [X.] 527/06 - Rn. 23). Der Schadensersatzanspruch umfasst ferner auch Aufwendungen, die notwendig sind, um die Ausbildung in einer anderen Ausbildungsstätte fortzusetzen (vgl. [X.] 17. Juli 2007 - 9 [X.] 103/07 - Rn. 16, [X.]E 123, 247).

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1, § 269 Abs. 3 Satz 2, § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO.

        

    Krasshöfer    

        

    Krasshöfer    

        

    Klose    

        

        

        

    Faltyn    

        

    Starke    

                 

Meta

9 AZR 784/11

16.07.2013

Bundesarbeitsgericht 9. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG München, 12. November 2010, Az: 31 Ca 1202/10, Urteil

§ 9 KSchG, § 10 KSchG, § 23 Abs 1 S 1 BBiG 2005, § 10 Abs 2 BBiG 2005, § 17 Abs 1 S 1 BBiG 2005, § 22 Abs 2 Nr 1 BBiG 2005, § 25 BBiG 2005, § 71 Abs 2 BBiG 2005, § 13 KSchG, § 628 Abs 2 BGB, § 628 Abs 2 BGB, § 249 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.07.2013, Az. 9 AZR 784/11 (REWIS RS 2013, 4117)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 4117

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Referenzen
Wird zitiert von

2 C 40/13

B 3 K 15.633

2 Ca 2548/18

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