Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.10.2017, Az. XI ZR 456/16

11. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 4233

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Gegenstand

Revisionszulassung: Einschränkung der Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts hinsichtlich der Prozessvoraussetzungen


Leitsatz

Das Berufungsgericht kann die Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts nicht einschränken, soweit Prozessvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen sind (Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2009, I ZB 53/07, BGHZ 182, 325 Rn. 15 und vom 16. Juli 2009, I ZB 54/07, juris Rn. 14).

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des [X.] vom 29. Juli 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss von zwei Verbraucherdarlehensverträgen gerichteten Willenserklärungen der Klägerin.

2

Die Klägerin schloss mit der Beklagten zwecks Finanzierung einer Immobilie zwei Darlehensverträge, einmal am 23. März 2006 über 83.000 € mit einem auf 20 Jahre festen Zinssatz von nominal 4,49% p.a. und zum anderen am 28. März 2006 über 47.000 € zu einem auf zehn Jahre festen Zinssatz von nominal 4,10% p.a. Die Beklagte belehrte die Klägerin bei Abschluss der Darlehensverträge über ihr Widerrufsrecht zum einen und zum anderen wie folgt:

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3

Mit Schreiben ihres vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom 6. März 2014, der Beklagten zugegangen am 12. März 2014, erklärte die Klägerin den Widerruf ihrer auf den Abschluss des Darlehensvertrags vom 28. März 2006 gerichteten Willenserklärung. Die Beklagte wies den Widerruf zurück. Die Klägerin äußerte mit der Beklagten am selben Tag zugegangenem [X.] vom 28. April 2014, sie stelle klar, dass sich der Widerruf auch auf ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags vom 23. März 2006 gerichtete Willenserklärung beziehe.

4

Ihre Klage zuletzt auf Feststellung, dass der Darlehensvertrag vom 28. März 2006 aufgrund des Widerrufs vom 6. März 2014 und der Darlehensvertrag vom 23. März 2006 aufgrund des Widerrufs vom 28. April 2014 jeweils mit dem [X.] "beendet" und rückabzuwickeln seien, außerdem auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten, hat das [X.] abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und den Feststellungsbegehren entsprochen. In der Entscheidungsformel hat es dahin erkannt, es werde die "Revision gegen dieses Urteil" zugelassen. In den Gründen hat es ausgeführt, es habe "die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung […] im Hinblick auf divergierende obergerichtliche Entscheidungen zur Frage der Verwirkung bzw. der rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung von Verbraucherwiderrufsrechten zugelassen". Dagegen komme eine "Revisionszulassung - wie von der Beklagten begehrt - hinsichtlich der allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Feststellungsklage" nicht in Betracht. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die vollständige Zurückweisung der klägerischen Berufung.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision der [X.]n hat Erfolg.

I.

6

Das Berufungsgericht ([X.], Urteil vom 29. Juli 2016 - 8 U 948/15, juris) hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen ausgeführt:

7

Die Feststellungsklage sei zulässig. Zwar genieße eine Leistungsklage grundsätzlich Vorrang. Bei einer Bank sei indessen davon auszugehen, dass sie auf ein rechtskräftiges Feststellungsurteil leisten werde, auch wenn die [X.] das Gegenteil erklärt habe.

8

Zwischen den Parteien seien [X.] zustande gekommen, so dass der Klägerin das Recht zugestanden habe, ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen zu widerrufen. Durch die Verwendung des Wortes "frühestens" bei der Beschreibung der Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist habe die [X.] die Klägerin über die Bedingungen des Widerrufs undeutlich unterrichtet. Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung nach der maßgeblichen Fassung der [X.] könne sich die [X.] nicht berufen, weil die Widerrufsbelehrung der [X.]n dem Muster nicht vollständig entsprochen habe. Mangels ordnungsgemäßer Belehrung sei die Widerrufsfrist nicht angelaufen, so dass die Klägerin den Widerruf noch 2014 habe erklären können. Die Klägerin habe ihr Widerrufsrecht nicht verwirkt.

II.

9

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Feststellungsklage für zulässig erachtet.

1. Der [X.] hat die Zulässigkeit der Feststellungsklage unter dem Aspekt des Vorhandenseins eines Feststellungsinteresses von Amts wegen zu prüfen ([X.]surteil vom 21. Februar 2017 - [X.], [X.], 906 Rn. 14 mwN). Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht in den Gründen des Berufungsurteils ausdrücklich ausgeführt hat, es lasse die Revision nur zur Begründetheit und nicht auch zur Zulässigkeit der Feststellungsklage zu. Das Berufungsgericht kann die Prüfungskompetenz des [X.] nicht einschränken, soweit Prozessvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen sind (vgl. [X.], Beschlüsse vom 16. Juli 2009 - [X.], [X.]Z 182, 325 Rn. 15 und - [X.], juris Rn. 14). Auch der [X.] könnte mittels einer Beschränkung seines Angriffs auf die materielle Rechtfertigung des Anspruchsgrunds eine solche Prüfung nicht ausschließen. Insoweit gilt entgegen der Rechtsmeinung der Revisionserwiderung anderes als in Fällen einer Beschränkung der Zulassung auf die Frage der Zulässigkeit der Klage (vgl. [X.]surteil vom 12. April 2011 - [X.], [X.], 1437 Rn. 10; [X.], Beschlüsse vom 17. April 2012 - [X.], NJW-RR 2012, 759 Rn. 5 und vom 17. Mai 2017 - [X.], [X.], 1124 Rn. 19).

2. Die Feststellungsanträge zielen auf die positive Feststellung, dass sich die Darlehensverträge vom 23. März 2006 und 28. März 2006 aufgrund der Widerrufserklärungen der Klägerin in [X.] umgewandelt haben. Die von der Revisionserwiderung gewünschte Auslegung als negative Feststellungsklage kommt mangels eines in diesem Sinne auslegungsfähigen anspruchsleugnenden Zusatzes nicht in Betracht (einen anderen Fall betraf [X.]surteil vom 16. Mai 2017 - [X.], [X.], 1258 Rn. 10 ff., 16).

Als positive Feststellungsklage sind die Feststellungsanträge unzulässig. Wie der [X.] nach Erlass des Berufungsurteils näher ausgeführt hat ([X.]surteile vom 24. Januar 2017 - [X.], [X.], 766 Rn. 11 ff., vom 21. Februar 2017 - [X.], [X.], 906 Rn. 13 ff., vom 14. März 2017 - [X.], [X.], 849 Rn. 19, vom 16. Mai 2017 - [X.], [X.], 1258 Rn. 16 und vom 4. Juli 2017 - [X.], [X.], 1602 Rn. 16), muss ein Kläger, der die Umwandlung eines Verbraucherdarlehensvertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis geltend macht, vorrangig mit der Leistungsklage auf der Grundlage der § 357 Abs. 1 Satz 1 [X.] in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung in Verbindung mit §§ 346 ff. [X.] gegen die [X.] vorgehen. Ist dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar und erschöpft sie das Rechtsschutzziel, fehlt ihm das Feststellungsinteresse, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in einem Prozess klären kann.

Im konkreten Fall hat das Berufungsgericht ausdrücklich festgestellt, die [X.] habe angekündigt, auf ein Feststellungsurteil nicht freiwillig leisten zu wollen. Damit steht fest, dass der Rechtsstreit die Meinungsverschiedenheiten der Parteien nicht endgültig bereinigen wird. Die Feststellungsklage ist damit auch nicht nach den Maßgaben des [X.] vom 24. Januar 2017 ([X.], [X.], 766 Rn. 16) ausnahmsweise zulässig.

III.

Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung zugunsten der [X.]n (§ 563 Abs. 3 ZPO) kann der [X.] nicht fällen. Die Feststellungsanträge sind nicht abweisungsreif.

1. Der [X.] kann auf die Revision der [X.]n die Feststellungsklage nicht als unzulässig abweisen. Denn der Klägerin müsste zunächst Gelegenheit gegeben werden, zu einem zulässigen Klageantrag überzugehen ([X.]surteil vom 4. Juli 2017 - [X.], [X.], 1602 Rn. 34).

2. Der [X.] kann aber auch nicht auf die Unbegründetheit der Feststellungsklage erkennen. Zwar ist das Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO nur für ein stattgebendes Urteil echte Prozessvoraussetzung. Ein Feststellungsbegehren, das das Berufungsgericht für zulässig erachtet hat, kann bei tatsächlich fehlendem Feststellungsinteresse in der Revisionsinstanz aus sachlichen Gründen abgewiesen werden (st. Rspr., zuletzt etwa [X.]surteil vom 4. Juli 2017 - [X.], [X.], 1602 Rn. 31). Aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist die Klage indessen nicht in der Sache abweisungsreif.

a) Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, der Klägerin sei gemäß § 495 Abs. 1 [X.] zunächst das Recht zugekommen, ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen nach § 355 Abs. 1 und 2 [X.] in der hier nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2, §§ 32, 38 Abs. 1 Satz 1 EG[X.] maßgeblichen, zwischen dem 1. August 2002 und dem 10. Juni 2010 geltenden Fassung zu widerrufen.

b) Ebenfalls zutreffend ist die Auffassung des Berufungsgerichts, die Widerrufsfrist sei bei Abgabe der Widerrufserklärungen am 6. März 2014 und 28. April 2014 noch nicht abgelaufen gewesen. Die der Klägerin erteilten Widerrufsbelehrungen informierten mittels des Einschubs "frühestens" unzureichend deutlich über den Beginn der Widerrufsfrist (vgl. [X.]surteil vom 12. Juli 2016 - [X.], [X.]Z 211, 123 Rn. 18). Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung gemäß Anlage 2 zu § 14 [X.]-InfoV in der hier maßgeblichen, zwischen dem 8. Dezember 2004 und dem 31. März 2008 geltenden Fassung kann sich die [X.], die unter der Überschrift "[X.]" den [X.] 9 nicht vollständig umgesetzt hat, schon deshalb nicht berufen ([X.]surteil vom 11. Oktober 2016 - [X.], [X.], 2295 Rn. 27, zur [X.] bestimmt in [X.]Z).

c) Der tatrichterlichen Würdigung der nach § 242 erheblichen Umstände kann der [X.] abgesehen davon, dass die Revision durchgreifende Rechtsfehler nach Maßgabe des im Revisionsverfahren eröffneten [X.] (vgl. [X.]surteile vom 12. Juli 2016 - [X.], [X.]Z 211, 105 Rn. 18 sowie - [X.], [X.]Z 211, 123 Rn. 43 und vom 14. März 2017 - [X.], [X.], 849 Rn. 27) nicht aufzeigt, nicht vorgreifen.

IV.

Da die Sache, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der [X.]n entschieden hat, nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

[X.]     

      

Grüneberg     

      

Maihold

      

Menges     

      

Derstadt     

      

Meta

XI ZR 456/16

10.10.2017

Bundesgerichtshof 11. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Koblenz, 29. Juli 2016, Az: 8 U 948/15, Urteil

§ 256 Abs 1 ZPO, § 543 Abs 1 Nr 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.10.2017, Az. XI ZR 456/16 (REWIS RS 2017, 4233)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 107-108 WM2017,2254 REWIS RS 2017, 4233

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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