Bundespatentgericht, Beschluss vom 18.12.2013, Az. 29 W (pat) 76/13

29. Senat | REWIS RS 2013, 126

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Gegenstand

Markenbeschwerdeverfahren – "Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Inanspruchnahme der ausländischen Priorität" – missverständliche Angaben der Anschriften auf Anschreiben des DPMA - Rückzahlung der Erinnerungsgebühr wegen Versagung des rechtlichen Gehörs


Tenor

In der Beschwerdesache

der [X.], 500 [X.], [X.], [X.] 02142, [X.],

Anmelderin und Beschwerdeführerin,

Verfahrensbevollmächtigte: [X.] Rechtsanwälte und Notare [X.], [X.]. 42, 20354 [X.],

betreffend die Markenanmeldung 30 2012 038 986.4

(hier: Wiedereinsetzung)

hat der 29. Senat ([X.]) des [X.] im schriftlichen Verfahren am 18. Dezember 2013 durch die Richterin [X.] als Vorsitzender, die Richterin [X.] und die Richterin kraft Auftrags Akintche

beschlossen:

1. Die Beschlüsse des [X.] vom 5. Juni 2013 und 2. September 2013 werden aufgehoben.

2. Der Anmelderin wird die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Inanspruchnahme der ausländischen Priorität vom 11. Januar 2012 ([X.] 3888173) gewährt.

3. Die Rückzahlung der Erinnerungsgebühr wird angeordnet.

Gründe

I.

1

Das Bildzeichen (rot, weiß, gelb) 30 2012 038 986.4

Abbildung

2

ist durch Telefax vom 10. Juli 2012 unter Inanspruchnahme ausländischer Priorität vom 11. Januar 2012 ([X.] 3888173) zur Eintragung als Marke in das beim [X.] ([X.]) geführte Register angemeldet worden.

3

In der dem [X.] am 10. Juli 2012 per Telefax übermittelten Kopie erschien das Bildzeichen wie folgt:

Abbildung

4

Die gelben Farbflächen sind auf der Telefaxabbildung nicht erkennbar.

5

Gleichzeitig übersandten die Verfahrensbevollmächtigten der Anmelderin das Original der Anmeldeunterlagen einschließlich der farbigen Markenabbildung durch Kurier mit folgender Empfängerangabe an das [X.]: „[X.], [X.]. 64, 81549 [X.]“. Der Kurier lieferte die Sendung ausweislich des Eingangsstempels auf dem Umschlag am 11. Juli 2012 bei der [X.] des [X.]s ([X.]. 38 [X.]) ab. Laut Eingangsstempel auf den [X.] sind diese bei der [X.] des [X.] am 26. Juli 2012 eingegangen. Eine Aufzeichnung über die Daten der Weiterleitung vom [X.] an das [X.] existiert nicht.

6

Das [X.] benutzt im Schriftverkehr ein Deckblatt mit folgenden Angaben:

7

X6507 

Postanschriften:

                          

05.04.11

[X.] Patent- und Markenamt

[X.] Patent- und Markenamt

[X.] Patent- und Markenamt

[X.] Patent- und Markenamt

        

80297 München

Technisches Informationszentrum

Markenabteilung

Markenabteilung

                 

10958 [X.]

80297 München

07738 [X.]

        

Dienstgebäude:

                          
        

Zweibrückenstraße 12

Gitschiner Straße 97

[X.]aße 64

Goethestraße 1

        

60331 München

10969 [X.]

81549 München

07743 [X.]

        

(mit Nachtbriefkasten)

(mit Nachtbriefkasten)

Telefon: +49 (0)89 2196-0 Telefax: +49(0)89 2195-4000

(mit Nachtbriefkasten)
Telefon: +49 (0)3641 40-54 Telefax: +49 (0)3641 40-5690

8

Erstmals mit Beanstandungsschreiben vom 14. Februar 2013 ([X.]. 22 ff. [X.]) teilte das [X.] der Beschwerdeführerin mit, dass der Anmeldung als Anmeldetag der 26. Juli 2012 zuerkannt werde, weil in dem Telefax die Farbverteilung und die genauen Konturen des Bildzeichens nicht ersichtlich seien und das farbige Original der Abbildung erst am „26.06.2012“ beim [X.] eingegangen sei.

9

Mit Schriftsatz vom 26. Februar 2013 wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass das Original am 11. Juli 2012 an das [X.] unter der Anschrift [X.]. 64 in [X.] ausgeliefert worden und die sechsmonatige Prioritätsfrist daher eingehalten sei.

Mit Beschluss vom 5. Juni 2013 hat die mit einem Beamten des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 16 festgestellt, dass Anmeldetag der 26. Juli 2012 und die Priorität der [X.] Anmeldung vom 11. Januar 2012 verwirkt sei. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Anmeldung sei ausweislich des [X.]s beim [X.] abgegeben worden. Eine Feststellung, ob und wann die Unterlagen in der Dienststelle [X.] des [X.] eingegangen seien, sei nicht möglich, da keinerlei Aufzeichnungen über den Postverkehr zwischen Gericht und Amt gefertigt würden. Eine Kopie des mit dem Eingangsstempel versehenen Umschlags ist dem Beschluss beigefügt.

Hiergegen hat die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 17. Juni 2013, eingegangen am 18. Juni 2013, Erinnerung eingelegt und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wegen Versäumung der Prioritätsfrist, Festsetzung des [X.] auf den 11. Januar 2012 sowie die Rückzahlung der [X.] in Höhe von 150,- € beantragt.

Mit Beschluss vom 2. September 2013 hat die Markenstelle die Erinnerung und die vorgenannten Anträge zurückgewiesen.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Antrag auf Wiedereinsetzung sei verspätet gestellt worden, weil die Anmelderin bereits durch den Bescheid vom 14. Februar 2013 über die Zuerkennung des späteren Anmeldezeitpunkts informiert worden sei und bereits zu diesem Zeitpunkt das Hindernis für die Fristversäumung weggefallen sei. Aber auch wenn man den Wegfall des Hindernisses erst mit Kenntnisnahme des Beschlusses vom 5. Juni 2013 annähme, lägen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht vor, da die fälschliche Abgabe beim [X.] auf der Verwendung einer bereits seit längerem ungültigen Anschrift beruht habe.

Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der sie sinngemäß beantragt,

1. die Beschlüsse des [X.] vom 5. Juni 2013 und 2. September 2013 aufzuheben und der Anmelderin Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Inanspruchnahme der Priorität der [X.] Voranmeldung [X.]3888173 zu gewähren,

2. die Rückzahlung der [X.] anzuordnen.

Zur Begründung trägt sie vor, die Frist sei bereits durch Übersendung des [X.] vom 10. Juli 2012 gewahrt worden, weil die farbigen Flächen der Markenabbildung durch entsprechende handschriftliche Angaben markiert gewesen seien. Jedenfalls habe die Frist aber durch die Übersendung der Originalunterlagen mit Boten gewahrt werden sollen. Die Adressierung sei nicht unzutreffend gewesen, weil das [X.] die Anschrift selbst auf dem Deckblatt seiner Schreiben aufführe. Daher habe die Beschwerdeführerin darauf vertrauen können, an diese Anschrift auch Briefsendungen per Kurier abliefern zu dürfen. Die Ablieferung bei dem [X.] sei ihr auch von dem Kurierdienst bestätigt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 91 Abs. 1 Satz 1 [X.] begründet. Die angegriffenen Beschlüsse waren aufzuheben, da der Beschwerdeführerin Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Inanspruchnahme der ausländischen Priorität zu Unrecht versagt worden ist.

1. Der gegen die Versäumung der Prioritätsfrist gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung ist zulässig und begründet. Gemäß § 91 Abs. 1 [X.] ist demjenigen auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, dem Patentamt gegenüber eine Frist einzuhalten, deren Versäumung nach gesetzlicher Vorschrift einen Rechtsnachteil zur Folge hat.

Die Beschwerdeführerin hat die Frist versäumt, innerhalb derer die inländische Markenanmeldung einer ausländischen Voranmeldung erfolgen muss, um die Zuerkennung der ausländischen Priorität gemäß Art. 4 [X.] [X.]. § 34 Abs. 1 [X.] zu erlangen. Die inländische Nachanmeldung muss innerhalb von sechs Monaten nach der Auslandsanmeldung erfolgen. Die Frist endete am 11. Juli 2012.

Die per Telefax vom 10. Juli 2012 eingereichte in [X.] gehaltene inländische Nachanmeldung stimmte nicht mit der farbigen ausländischen Voranmeldung überein (vg. Art. 6 quinquies [X.] II PVÜ). Auf der eingereichten Abbildung sind die gelben Farbflächen in ihren Konturen nicht erkennbar.

Die Anmeldeunterlagen im Original enthalten demgegenüber eine vollständige Abbildung einschließlich der gelben Flächen. Diese sind jedoch erst nach Ablauf der Sechsmonatsfrist bei dem [X.] eingegangen. Dies ergibt sich aus dem [X.] vom 26. Juli 2012 der Zweigstelle in [X.].

Die Übergabe an die Poststelle des [X.]s am 11. Juli 2012 war nicht geeignet, die Frist zu wahren. Denn maßgeblich für die Einhaltung der Frist ist der Eingang beim [X.]. Da die Unterlagen beim [X.] am letzten Tag der Frist abgegeben wurden, ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht davon auszugehen, dass die Anmeldeunterlagen das [X.] noch am gleichen Tag erreicht haben, zumal sie ausweislich des Eingangstempels bei der [X.] erst am 26. Juli 2012, also 15 Tage später, dort eingegangen sind.

Der genaue Ablauf der Übersendung der Unterlagen vom [X.] an die Dienststelle des [X.] in [X.] ist nach den Feststellungen des angegriffenen Erstbeschlusses nachträglich nicht mehr nachzuvollziehen, da Aufzeichnungen über diese Übermittlung nicht existieren.

Die Fristversäumung ist jedoch unverschuldet. Die Adressierung und Überbringung der Anmeldeunterlagen an eine Anschrift des [X.], deren Dokumentenannahmestelle bereits seit 2009 geschlossen ist, kann der Beschwerdeführerin im konkreten Fall nicht vorgeworfen werden, auch wenn das [X.] die Schließung durch einen entsprechenden Hinweis am 15. September 2009 ([X.]att für [X.] 2009, 301) bekannt gemacht hatte. Denn das Amt selbst erweckt durch die missverständlichen Angaben der Anschriften auf seinen Anschreiben

X6507 

Postanschriften:

                          

05.04.11

[X.] Patent- und Markenamt

[X.] Patent- und Markenamt

[X.] Patent- und Markenamt

[X.] Patent- und Markenamt

        

80297 München

Technisches Informationszentrum

Markenabteilung

Markenabteilung

                 

10958 [X.]

80297 München

07738 [X.]

        

Dienstgebäude:

                          
        

Zweibrückenstraße 12

Gitschiner Straße 97

[X.]aße 64

Goethestraße 1

        

60331 München

10969 [X.]

81549 München

07743 [X.]

        

(mit Nachtbriefkasten)

(mit Nachtbriefkasten)

Telefon: +49 (0)89 2196-0 Telefax: +49(0)89 2195-4000

(mit Nachtbriefkasten)
Telefon: +49 (0)3641 40-54 Telefax: +49 (0)3641 40-5690

den Eindruck, als könnten Anmeldeunterlagen im Dienstgebäude [X.]. 64 in [X.] abgegeben werden. Zwar geht aus dem Briefkopf hervor, dass die Postsendungen an ein Postfach zu adressieren sind. Unter den [X.] sind jedoch die Angaben der Dienstgebäude positioniert, und zwar gleichrangig nebeneinander, wobei die Dienstanschriften mit Ausnahme der [X.]aße 64 mit der zusätzlichen Angabe „(mit Nachtbriefkasten)“ versehen sind. Dadurch wird der falsche Eindruck erweckt, als könnten Unterlagen persönlich auch bei den [X.] abgegeben werden, wobei dies mit Ausnahme der [X.]aße auch nachts geschehen könne. Dass eine Postannahme in der [X.]aße nicht nur nachts, sondern auch tagsüber nicht möglich ist, erschließt sich nicht.

Angesichts dieser missverständlichen Angaben gegenüber der Öffentlichkeit ist der Anmelderin die falsche Adressierung eines mit Boten versandten Schriftstücks, auch wenn sie anwaltlich vertreten war, nicht zum Vorwurf zu machen.

Dabei kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Verspätung zudem auf einem Fehler der Postannahmestelle des [X.]s beruhte, wo die Sendung trotz ausdrücklicher Adressierung an das [X.] am frühen Morgen des 11. Juli 2011 angenommen und zu einem nicht bekannten Zeitpunkt an das Amt weitergeleitet wurde. Wäre die Annahme abgelehnt worden, hätte der Bote durch Nachfrage an der unter dem Absender vermerkten Telefonnummer die richtige Adresse in Erfahrung bringen und die Sendung fristgerecht im [X.] 12 in [X.] abliefern können.

06.2012 statt 26.07.2012 angegeben worden. Da die versäumte Handlung bereits mit Eingang der Originalunterlagen beim [X.] in [X.] nachgeholt war und der Wiedereinsetzungsantrag binnen Jahresfrist nach Ablauf der versäumten Frist gestellt worden ist, sind auch die weiteren Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gemäß § 91 Abs. 4 und 5 [X.] gegeben.

2. Die Rückzahlung der [X.] war anzuordnen. Bei der Zurückweisung des Rückzahlungsantrags durch die Markenstelle ist unberücksichtigt geblieben, dass besondere [X.] vorliegen, die die Rückzahlung der [X.] nach § 64 Abs. 5 [X.] rechtfertigen. Sie ist deshalb ermessenfehlerhaft ergangen. Denn die Einlegung der Erinnerung war nur deshalb erforderlich, weil der Beschwerdeführerin zunächst widersprüchliche Eingangszeitpunkte genannt und die Gründe für den verspäteten Eingang der Originalunterlagen nebst der Kopie des entsprechenden Eingangsstempels erst mit Erlass des Erstbeschlusses mitgeteilt worden waren. Sie war deshalb vor Erlass des Erstbeschlusses daran gehindert, einen Antrag auf Wiedereinsetzung zu stellen, und gezwungen, dies im Wege der Erinnerung nachzuholen. Dies stellt eine Versagung des rechtlichen Gehörs dar, die die Einleitung des Erinnerungsverfahrens erforderlich machte. Daher erscheint die Rückzahlung der [X.] gerechtfertigt.

Meta

29 W (pat) 76/13

18.12.2013

Bundespatentgericht 29. Senat

Beschluss

Sachgebiet: W (pat)

Zitier­vorschlag: Bundespatentgericht, Beschluss vom 18.12.2013, Az. 29 W (pat) 76/13 (REWIS RS 2013, 126)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 126

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