Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.12.2023, Az. VI ZR 297/22

6a. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 10269

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Begriff der Versorgungsbezüge im Rahmen der Härtefallleistung nach dem Opferentschädigungsgesetz


Leitsatz

Zum Begriff der Versorgungsbezüge in § 12 Abs. 1 Satz 3 PflVG (hier: Härtefallleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz).

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 11. Zivilsenats des [X.] vom 23. September 2022 aufgehoben.

Die Berufung des [X.] gegen das Urteil der 16. Zivilkammer des [X.] vom 3. November 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittelzüge.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Das klagende Land (im Folgenden: der Kläger) macht gegen den Beklagten, den von den [X.] gegründeten [X.] zur Wahrnehmung der Aufgaben des in § 12 PflVG genannten "Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen", im Rahmen einer Feststellungsklage Ersatzansprüche aus gemäß § 5 Opferentschädigungsgesetz ([X.]) i.V.m. § 81a [X.] ([X.]) übergegangenem Recht der Opfer und Hinterbliebenen einer Amokfahrt geltend. Am 7. April 2018 fuhr [X.] mit einem Kleinbus vorsätzlich auf die Außenterrassen eines in der [X.] der Stadt [X.]. gelegenen Restaurants. Er tötete dabei vier [X.]enschen, verletzte weitere zwanzig Personen teilweise schwer und beging anschließend Suizid. Der Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs lehnte gemäß § 103 [X.] seine Einstandspflicht wegen der vorsätzlichen Begehung der Tat ab.

2

In § 1 Abs. 11 [X.] in der zum [X.]punkt der Amokfahrt und bis zum 30. Juni 2018 gültigen Fassung des Gesetzes (im Folgenden [X.]) war geregelt, dass das Opferentschädigungsgesetz nicht auf Schäden aus einem tätlichen Angriff anzuwenden ist, die von dem Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs verursacht worden sind. Diese - ab 1. Juli 2018 in § 1 Abs. 8 [X.] verortete - Vorschrift wurde mit Wirkung ab 10. Juni 2021 durch eine Regelung ersetzt, wonach Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz auch im Falle eines durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges verübten tätlichen Angriffs erbracht werden. § 1 Abs. 12 [X.] (ab 1. Juli 2018: § 1 Abs. 9 [X.]) sah vor, dass unter anderem die in § 89 [X.] getroffene Regelung zur Gewährung eines Ausgleichs in Härtefällen mit der [X.]aßgabe anzuwenden ist, dass an die Stelle der Zustimmung des [X.] die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist.

3

[X.]it Erlass vom 16. April 2018 teilte das [X.] den örtlichen Landschaftsverbänden u.a. Folgendes mit:

"Hiermit stimme ich gem. § 1 Abs. 12 Opferentschädigungsgesetz ([X.]) dem Grunde nach zu, den Opfern und Hinterbliebenen der Amokfahrt am 7. April 2018 in [X.][...] Versorgung in Anwendung des [X.] zu gewähren. Eine Nichtanwendung des [X.] erachte ich in der Gesamtschau als eine für die Betroffenen unbillige Härte".

4

In der Folgezeit erließ der Kläger durch die örtlichen Landschaftsverbände im [X.]raum vom 19. Juni 2019 bis zum 25. August 2020 auf der Grundlage des Opferentschädigungsgesetzes in seiner in der [X.] vom 25. Juli 2017 bis zum 30. Juni 2018 gültigen Fassung in 45 Fällen Bescheide, mit denen den Opfern und Hinterbliebenen Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem [X.] gewährt wurden und erbrachte auf der Grundlage dieser Bescheide bis zum [X.]punkt der Klageerhebung Leistungen (z.B. als "Versorgungsbezüge" bezeichnete Rentenzahlungen, Bestattungsgelder) in Höhe von insgesamt 332.001,60 €.

5

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat auf die Berufung des [X.] das landgerichtliche Urteil abgeändert und festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die von ihm auf der Grundlage bestandskräftiger Bescheide an die Opfer der Tat vom 7. April 2018 und deren Hinterbliebenen erbrachten und noch zu erbringenden Leistungen insoweit zu ersetzen, als der Beklagte im Falle seiner Inanspruchnahme durch die Opfer und deren Hinterbliebenen in zeitlicher und sachlicher Hinsicht diesen gegenüber selbst zur Erbringung gleicher Leistungen verpflichtet gewesen wäre und soweit dem Kläger diese nicht von [X.] erstattet werden. [X.]it der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

I.

6

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner unter anderen in [X.], 1533 veröffentlichten Entscheidung ausgeführt, der gegen den [X.] gerichtete Feststellungsantrag sei gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig und in der Sache begründet.

7

Der Beklagte sei zum Ersatz der bewilligten Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz aus übergegangenem Recht nach § 5 [X.], § 81a [X.], § 12 Abs. 1 [X.] [X.]. § 823 Abs. 1 und 2 BGB, §§ 211, 223, 224, 226, 227 StGB verpflichtet.

8

Die Voraussetzungen des Anspruchsübergangs nach § 5 [X.]. § 81a [X.] seien gegeben. Dies stehe bereits aufgrund der von den örtlichen Landschaftsverbänden an die Opfer und Hinterbliebenen erteilten, bestandskräftigen [X.] gemäß § 118 [X.] fest. Die Vorschrift des § 118 [X.], nach welcher ein Gericht, das über einen nach § 116 [X.] übergegangenen Anspruch zu entscheiden hat, an eine unanfechtbare Entscheidung gebunden ist, dass und in welchem Umfang der Leistungsträger zur Leistung verpflichtet ist, sei entsprechend auf den Fall anzuwenden, in dem der [X.] nicht auf § 116 [X.], sondern wie vorliegend auf § 5 [X.]. § 81a [X.] beruhe. Der prozessökonomische Zweck dieser Vorschrift, sozialrechtliche Vorfragen aus dem Prozessstoff der zivilgerichtlichen Verfahren herauszunehmen und voneinander abweichende Entscheidungen der [X.] Leistungsträger und Verwaltungs- sowie Sozialgerichte auf der einen Seite und der zur Entscheidung über den Anspruchsübergang berufenen ordentlichen Gerichte auf der anderen Seite zu vermeiden, gelte auch in anderen von § 118 [X.] nicht ausdrücklich erfassten Fällen. Die entsprechende Anwendbarkeit der Vorschrift sei nicht auf den Fall des [X.] zwischen zwei Sozialleistungsträgern beschränkt. Dem Anspruch stehe auch nicht die Rechtsprechung des [X.] entgegen, nach der § 118 [X.] dann keine Anwendung finde, wenn ein von vornherein unzuständiger Leistungsträger in der irrtümlichen Annahme seiner Zuständigkeit Leistungen aufgrund eines rechtswidrigen, ihn selbst aber bindenden Verwaltungsakts erbringe. Denn der Kläger und die für ihn tätig gewordenen Landschaftsverbände seien grundsätzlich für die Gewährung von Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz zuständig und mit § 1 Abs. 12 [X.]. § 89 [X.] liege grundsätzlich eine gesetzliche Regelung vor, die zumindest nach ihrem Wortlaut geeignet sei, eine Zuständigkeit des [X.] auch im konkreten Fall zu begründen.

9

Die Haftung des [X.] sei auch nicht durch die [X.] des § 12 Abs. 1 Satz 3 [X.] ausgeschlossen. Der insoweit verwendete Begriff der "Versorgungsbezüge" meine allein die von öffentlich-rechtlichen Dienstherren im Rahmen eines Beamtenverhältnisses gezahlten Versorgungsbezüge. Eine analoge Anwendung der Vorschrift komme ebenfalls nicht in Betracht.

II.

Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Gegenstand der Feststellungsklage ist die Ersatzpflicht des [X.] nach § 5 [X.], § 81a [X.], § 12 Abs. 1 [X.] für Leistungen, die der Kläger gemäß den im Zeitraum vom 19. Juni 2019 bis zum 25. August 2020 auf der Grundlage des Opferentschädigungsgesetzes in seiner vom 25. Juli 2017 bis zum 30. Juni 2018 gültigen Fassung ergangenen Bescheiden unter Berufung auf die Möglichkeit eines Härteausgleichs nach § 1 Abs. 12 [X.]. § 89 [X.] erbracht hat bzw. erbringen wird. Die Gewährung dieser [X.] kann jedenfalls deshalb nicht zu einem Übergang von Ansprüchen der Leistungsempfänger gegen den [X.] auf den Kläger nach § 5 [X.]. § 81a [X.] führen, weil der Entschädigungsfonds (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 [X.]) für durch derartige Leistungen abgedeckte Schäden aufgrund der Subsidiaritätsregel des § 12 Abs. 1 Satz 3 [X.] den Geschädigten gegenüber nicht haftet.

1. Soweit den nach dem Opferentschädigungsgesetz Versorgungsberechtigten ein gesetzlicher Schadensersatzanspruch gegen Dritte zusteht, geht dieser Anspruch gemäß § 5 [X.]. § 81a [X.] auf das zur Gewährung der Leistungen verpflichtete Land über. Der gesetzliche Forderungsübergang bezieht sich auf die Leistungen, die mit dem vom [X.] zu leistenden Schadensersatz zeitlich und sachlich deckungsgleich (kongruent) sind (vgl. Senatsurteil vom 28. März 1995 - [X.], NJW 1995, 2413, 2414, juris Rn. 11; Rademacker, [X.], 2012, § 5 Rn. 3).

Als Grundlage für Ansprüche der Betroffenen der Amokfahrt vom 7. April 2018 gegen den [X.], die gemäß § 5 [X.]. § 81a [X.] auf das klagende Land übergehen könnten, kommt § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann derjenige, dem wegen eines durch den Gebrauch eines [X.]fahrzeugs verursachten Personen- oder Sachschadens Ersatzansprüche gegen den Halter, den Eigentümer oder den Fahrer des Fahrzeugs zustehen, diese Ersatzansprüche auch gegen den Entschädigungsfonds geltend machen, wenn für den Schaden eine Haftpflichtversicherung deswegen keine Deckung gewährt oder gewähren würde, weil der Ersatzpflichtige den Eintritt der Tatsache, für die er dem [X.] verantwortlich ist, vorsätzlich und widerrechtlich herbeigeführt hat.

Nach § 12 Abs. 1 Satz 3 [X.] entfällt die Leistungspflicht des Entschädigungsfonds jedoch, soweit der [X.] in der Lage ist, Ersatz seines Schadens nach den Vorschriften über die Amtspflichtverletzung zu erlangen, oder soweit der Schaden durch Leistungen eines Sozialversicherungsträgers, durch Fortzahlung von Dienst- oder Amtsbezügen, Vergütung oder Lohn oder durch Gewährung von Versorgungsbezügen ausgeglichen wird. Soweit der Entschädigungsfonds aufgrund dieser Subsidiaritätsregel gegenüber den Geschädigten leistungsfrei ist, ist ein Regress gemäß § 5 [X.]. § 81a [X.] mangels übergangsfähiger Ansprüche ausgeschlossen (vgl. Senatsurteil vom 25. Januar 2000 - [X.], [X.], 344, 349, juris Rn. 19).

2. Danach kann der Kläger hinsichtlich der von ihm auf der Grundlage von § 1 Abs. 12 [X.]. § 89 [X.] gewährten bzw. noch zu gewährenden [X.] den [X.] nicht aus übergegangenem Recht in Anspruch nehmen. Dabei kann zugunsten des [X.] unterstellt werden, dass er - aufgrund der ergangenen Bescheide (vgl. zum konstitutiven Charakter des [X.] für den Anspruch auf Gewährung von [X.] nach § 89 [X.] [X.], [X.]E 60, 16, 39, juris Rn. 71; BSG, Urteil vom 25. April 1978 - 9 RV 3/78, juris Rn. 11) - gegenüber den Geschädigten zur Erbringung dieser Leistungen verpflichtet war bzw. ist, wie es gemäß § 5 [X.]. § 81a [X.] für den Anspruchsübergang erforderlich ist (vgl. zum Anspruchsübergang nach § 116 Abs. 1 Satz 1 [X.] nur Senatsurteil vom 18. Oktober 2022 - [X.], r+s 2023, 35 Rn. 14 mwN). Selbst bei Erfüllung dieser Voraussetzung steht der Inanspruchnahme des [X.] nämlich entgegen, dass es sich bei den streitgegenständlichen [X.] um Versorgungsbezüge im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 3 [X.] handelt, in deren Umfang der etwaige - ansonsten von der [X.] nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] zu ersetzende - kongruente Schaden der Opfer der Amokfahrt und deren Hinterbliebenen ausgeglichen wurde.

a) Ob Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz bzw. dem [X.], auf das das Opferentschädigungsgesetz hinsichtlich der Rechtsfolgen eines gegebenen Versorgungsanspruchs verweist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 8 Satz 1 [X.]; vgl. auch BT-Drucks. 7/2506, [X.]), unter die [X.] des § 12 Abs. 1 Satz 3 [X.] fallen, ist umstritten. In der Literatur gibt es Stimmen, die die Auffassung des Berufungsgerichts teilen, in dieser Vorschrift seien mit "Versorgungsbezüge" allein die von öffentlich-rechtlichen Dienstherren im Rahmen eines Beamtenverhältnisses gezahlten Versorgungsbezüge gemeint (vgl. Fehl, [X.] 1972, 54 f.; [X.], [X.], 333, 354 mwN auch zur Gegenansicht). Nach anderer Auffassung bezieht sich die in § 12 Abs. 1 Satz 3 [X.] angeordnete Subsidiarität auch auf Versorgungsleistungen nach dem [X.] (vgl. [X.], Leistungspflicht und Regress des Entschädigungsfonds für Schäden aus [X.]fahrzeugunfällen, 1969, S. 50 f.; [X.] in 58. [X.] Verkehrsgerichtstag, 2020, 303, 308).

b) Der Senat schließt sich hinsichtlich der für den Streitfall maßgeblichen Fassung des Opferentschädigungsgesetzes und der auf dessen Grundlage erbrachten [X.] der letztgenannten Ansicht an.

aa) Dem Wortlaut nach umfasst der in § 12 Abs. 1 Satz 3 [X.] verwendete und dort nicht näher definierte Begriff der Versorgungsbezüge sowohl die seitens eines öffentlich-rechtlichen Dienstherren gewährten Bezüge (vgl. Senatsurteil vom 4. Oktober 1977 - [X.], [X.], 315, 318, juris Rn. 11) als auch Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz [X.]. dem [X.]. Das [X.], das bereits bei Einführung des § 12 [X.] im Jahr 1965 existierte und wie das Opferentschädigungsgesetz Ansprüche auf Versorgung im Sinne des § 5 Satz 1 SGB I regelt (vgl. § 1 [X.], §§ 1, 9 [X.]), bezeichnet die zu zahlenden Leistungen als Versorgungsbezüge (z.B. in § 66 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Durch die Rechtsfolgenverweisung des Opferentschädigungsgesetzes auf das [X.] erhalten auch die Opfer von Gewalttaten Versorgungsbezüge in diesem Sinne. Dementsprechend hat auch der Kläger ausweislich der von ihm vorgelegten Bescheide diesen Begriff für die von ihm erbrachten Leistungen verwendet.

bb) Sinn und Zweck des § 12 Abs. 1 Satz 3 [X.] sprechen ebenfalls dafür, die im Streitfall auf der Grundlage des Opferentschädigungsgesetzes erbrachten Leistungen unter den Begriff der Versorgungsbezüge zu fassen. Grundgedanke der Subsidiaritätsregelung ist, dass der Entschädigungsfonds die wesentlichsten Lücken schließen soll, die nach Einführung der Pflichtversicherung im Schutz der Verkehrsopfer noch verblieben sind. Seiner Zweckbestimmung entsprechend soll der Entschädigungsfonds, anders als ein Haftpflichtversicherer, dem Geschädigten nur subsidiär leistungspflichtig sein, nämlich dann, "wenn der Geschädigte von den in erster Linie in Betracht kommenden Leistungspflichtigen Ersatz seines Schadens nicht erlangen kann" (BT-Drucks. IV/2252, [X.]). Der Fonds soll also im Falle der in § 12 Abs. 1 Satz 3 [X.] genannten anderweitigen Ersatzmöglichkeiten leistungsfrei sein, weil die dritte Seite dem Schaden näher steht (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/Lemor, [X.]fahrtversicherung, 3. Aufl., § 12 [X.] Rn. 62). Dies ist hinsichtlich der durch die [X.] des [X.] ausgeglichenen Nachteile der durch die Amokfahrt Geschädigten der Fall.

(1) Grundlage des Opferentschädigungsgesetzes ist die Erkenntnis, dass der Staat ein Monopol für die Verbrechensbekämpfung hat und deswegen für den Schutz seiner Bürger vor Schädigungen durch Gewalttaten im Bereich seines [X.] zuständig ist. Kann der Staat diese Schutzpflicht nicht erfüllen, übernimmt die staatliche Gemeinschaft die Entschädigung des Opfers (vgl. BT-Drucks. 7/2506, [X.]; BSG, Urteil vom 16. Dezember 2004 - [X.] [X.], juris Rn. 31 mwN). Damit besteht im Anwendungsbereich des Opferentschädigungsgesetzes - ähnlich wie im Falle einer Amtspflichtverletzung - ein besonderes Näheverhältnis zwischen der öffentlichen Hand und dem Geschädigten, das über die Fürsorgepflicht nach dem Bedürftigkeitsprinzip hinausgeht (vgl. BT-Drucks. 7/2506, [X.]). Daher entspricht es grundsätzlich dem oben dargelegten Sinn der Subsidiaritätsregelung des § 12 Abs. 1 Satz 3 [X.], sie auf nach dem Opferentschädigungsgesetz erbrachte Leistungen zu erstrecken.

(2) Eine hiervon abweichende Bewertung ergibt sich für die im Streitfall in Rede stehenden [X.] entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht daraus, dass bis zu der im Jahr 2021 in [X.] getretenen Neuregelung des § 1 Abs. 8 [X.], der wortgleich an die Stelle der zum Zeitpunkt der Amokfahrt und bis zum 30. Juni 2018 geltenden Bestimmung in § 1 Abs. 11 [X.] getreten war, das Opferentschädigungsgesetz keine Anwendung auf Schäden aus einem tätlichen Angriff finden sollte, die von dem Angreifer durch den Gebrauch eines [X.]fahrzeugs verursacht worden sind. Zwar wollte der Gesetzgeber durch diese Regelung in Verbindung mit der Bestimmung des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 [X.] sicherstellen, dass der Entschädigungsfonds für diese Schäden leistungspflichtig ist (vgl. BT-Drucks. 7/2506, [X.]). Er ist dabei aber ersichtlich davon ausgegangen, dass daneben - anders als nach der aktuellen Fassung des § 1 Abs. 8 [X.] bzw. der das [X.] und das [X.] ab 1. Januar 2024 ersetzenden Neuregelung des Sozialen Entschädigungsrechts (vgl. § 18 [X.]IV) - Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz ausgeschlossen sind.

Aus § 1 Abs. 11 bzw. § 1 Abs. 8 [X.] kann deshalb keine Entscheidung des Gesetzgebers für eine primäre Leistungspflicht des Entschädigungsfonds in Fällen abgeleitet werden, in denen - wie im Streitfall - abweichend von der gesetzlichen Grundregel im Wege einer Ermessensentscheidung der zuständigen Behörden (vgl. § 89 Abs. 1 [X.]) Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz gewährt werden, weil der Verweis auf die ausschließliche Haftung des Entschädigungsfonds als besondere Härte für die Geschädigten, also als unbillig, bewertet wird. Insoweit muss also auf den oben beschriebenen Grundgedanken des § 12 Abs. 1 Satz 3 [X.] zurückgegriffen werden. Gerade die im Streitfall zum Ausgleich unbilliger Härten in Ausübung behördlichen Ermessens gewährten Leistungen dienen aber dazu, der besonderen Verantwortung des Staates für die Opfer von Gewalttaten gerecht zu werden, und sind daher Ausdruck des [X.] zwischen ihnen und der öffentlichen Hand. Nach der Ratio der [X.] ist der Entschädigungsfonds daher nicht für Schäden eintrittspflichtig, die durch diese Leistungen abgedeckt werden.

(3) Dass der Kläger, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geltend gemacht hat, den [X.] durch die den Geschädigten gewährten Leistungen nicht entlasten, sondern nur die Durchführung des [X.] beschleunigen und erleichtern wollte, steht der Anwendung der Subsidiaritätsregel nicht entgegen. Die Intention des [X.] bei Erbringung der Leistungen ändert nichts daran, dass in Höhe der Zahlungen der Schaden der Empfänger ausgeglichen wurde, was nach § 12 Abs. 1 Satz 3 [X.] zur Leistungsfreiheit der [X.] führt. Zu etwaigen Absprachen des [X.] mit dem [X.] hinsichtlich des Zusammenwirkens bei der Entschädigung der Opfer der Amokfahrt und deren Hinterbliebenen hat das Berufungsgericht weder Feststellungen getroffen, noch macht der Kläger insoweit im Wege der [X.] zu berücksichtigenden Vortrag geltend.

III.

Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und das landgerichtliche Urteil wiederherzustellen, § 562 Abs. 1, § 563 Abs. 3 ZPO.

[X.]     

      

von [X.]     

      

[X.]

      

Klein     

      

Böhm     

      

Meta

VI ZR 297/22

12.12.2023

Bundesgerichtshof 6a. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Hamm, 23. September 2022, Az: I-11 U 192/21, Urteil

§ 12 Abs 1 S 3 PflVG, § 5 OEG, § 81a BVG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 12.12.2023, Az. VI ZR 297/22 (REWIS RS 2023, 10269)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 10269


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 11 U 192/21

Oberlandesgericht Hamm, 11 U 192/21, 23.09.2022.


Az. VI ZR 297/22

Bundesgerichtshof, VI ZR 297/22, 12.12.2023.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

11 U 192/21 (Oberlandesgericht Hamm)


VI ZR 227/06 (Bundesgerichtshof)


B 9 VG 1/10 R (Bundessozialgericht)

Erstattungsstreit zwischen Versorgungsträger und Krankenkasse - Rückerstattungsanspruch - Rückabwicklung - Pauschalbetrag - Einzelfallerstattung - pauschale …


VI ZR 194/10 (Bundesgerichtshof)

Sozialleistungsrecht: Familienprivileg für den Forderungsübergang nach dem Gewaltopferentschädigungs- und dem Bundesversorgungsgesetz


B 9 V 2/11 R (Bundessozialgericht)

(Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren - Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander - Abgrenzung zwischen § 103 SGB 10 und …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

VI ZR 1177/20

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.