Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.12.2009, Az. 4 StR 424/09

4. Strafsenat | REWIS RS 2009, 31

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 [X.] vom 17. Dezember 2009 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags - 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 17. Dezember 2009, an der teilgenommen haben: Vorsitzende [X.]in am [X.] [X.], [X.] am [X.] Athing, [X.]in am [X.] [X.], [X.] am [X.] [X.], Dr. [X.] als beisitzende [X.], Staatsanwalt

als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Ange-klagten gegen das Urteil des [X.] vom 1. April 2009 werden verworfen. 2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen. Bei dem Ange-klagten wird von der Auferlegung der im [X.] entstandenen Kosten und Auslagen abgesehen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverlet-zung in zwei Fällen, wegen Bedrohung und wegen gefährlicher Körperverlet-zung unter Einbeziehung dreier Vorverurteilungen zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat ferner angeordnet, dass die in dem einbezogenen Urteil des [X.] vom 3. November 2008 angeordnete Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis aufrechterhal-ten bleibt. 1 Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge; mit der Verfahrensrüge beanstandet er ferner die Verletzung der Aufklärungs-pflicht. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom [X.] vertreten wird, wendet sich dagegen, dass das [X.] bei der Tat zum Nachteil des [X.] bedingten Tötungsvorsatz verneint hat. 2 - 4 - Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg. 3 A. Revision der Staatsanwaltschaft 4 [X.] Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die Verneinung des Tötungsvorsatzes bei der Tat zum Nachteil des Geschädigten [X.]beschränkt. Die Beschwerdeführerin hat zwar einen unbeschränkten Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils gestellt. Dieser steht aber in Widerspruch zu dem Angriffsziel des Rechtsmittels, wie es sich aus der Revisionsrechtfertigungs-schrift ergibt. Deren Auslegung lässt angesichts der Formulierung, das [X.] habe den Angeklagten —hinsichtlich des Anklagevorwurfes Ziffer 3 der [X.] nur wegen gefährlicher Körperverlet-zung verurteiltfi, einen auf diesen Teil des Schuldspruchs bezogenen Beschrän-kungswillen der Beschwerdeführerin erkennen. Die Auslegung wird durch die allgemeine Übung der Staatsanwaltschaft bestätigt, Revisionen regelmäßig so zu begründen, dass klar ersichtlich ist, in welchen Ausführungen des angefoch-tenen Urteils sie eine Rechtsverletzung erblickt und auf welche Gründe sie ihre Rechtsauffassung stützt (Nr. 156 Abs. 2 [X.]; vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3, insoweit in BGHSt 36, 167 nicht [X.].). 5 I[X.] Die Verneinung bedingten Tötungsvorsatzes bei der Tat zum Nachteil des Geschädigten [X.]hält rechtlicher Nachprüfung stand. 6 - 5 - 1. Das [X.] hat insoweit im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: 7 a) Am Tattag, dem 9. Mai 2008, kam es am [X.]in der Nähe von [X.] gegen 21.30 Uhr zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen junger Leute, die sich daran entzündete, dass der zur Gruppe um den Angeklagten gehörende, gesondert verfolgte [X.], von dem zu der ande-ren Gruppe gehörenden [X.], der sich u.a. in Begleitung der später geschädigten Zeugen [X.], [X.] und [X.] befand, wegen des lauten Ru-fens von [X.] zur Rede gestellt worden war. Im Verlauf der Auseinan-dersetzung nahm der Angeklagte zunächst den Geschädigten [X.] in den Schwitzkasten. Dieser setzte sich dagegen zur Wehr, worauf-hin der Angeklagte seine Stirn unvermittelt und mit voller Wucht auf die Nase des Geschädigten stieß, der dadurch eine Nasenbeinfraktur erlitt. Der Ange-klagte verfolgte den nun flüchtenden Geschädigten und versuchte, mit einer Bierflasche auf ihn einzuschlagen, wobei er nur knapp dessen Kopf verfehlte. Der Angeklagte setzte die Verfolgung mit einem beim Grillen benutzten Klapp-messer fort. Als der Geschädigte dies bemerkte, geriet er in Panik, stolperte und fiel zu Boden. Mit der Drohung, ihn umzubringen, stürzte sich der Ange-klagte auf ihn und drückte ihm das Messer fest an die Kehle, so dass eine oberflächliche Verletzung am Hals entstand. Als der Zeuge [X.]den Ange-klagten zum Aufhören aufforderte, versetzte ihm der Angeklagte unvermittelt einen Schlag auf das rechte Auge, der ein schmerzhaftes Hämatom zur Folge hatte. 8 b) Nachdem es dem Geschädigten [X.]durch das Einschreiten des [X.]gelungen war, wieder aufzustehen und seine Flucht fortzusetzen, nahm der Angeklagte erneut die Verfolgung auf. Nunmehr eilte der Zeuge [X.] dem [X.]zu Hilfe und stieß den Angeklagten zur Seite. In diesem Moment 9 - 6 - stach der Angeklagte dem [X.] unvermittelt mit dem Klappmesser in die lin-ke Flanke des Oberkörpers, wobei er ihn mit den Worten anschrie: "Soll ich dich abstechen oder was?" Dabei versuchte er weiter auf den [X.]einzustechen, was dieser aber durch einen Festhaltegriff verhindern konnte. Nachdem nun aber auch der gesondert Verfolgte [X.] hinzu kam und auf den [X.]ein-schlug, ergriff dieser die Flucht. Erst jetzt bemerkte er seine Stichverletzung und die dadurch verursachten Schmerzen. Nach medizinischer Erstversorgung durch den Notarzt vor Ort wurde der Geschädigte, dessen linke Brusthöhle durch den etwa 2 cm langen, leicht schräg verlaufenden Stich eröffnet worden war, was bei zunehmender Luftnot zu einer potentiell lebensgefährlichen Verletzung führte, fünf Tage stationär be-handelt; die Verletzung ist mittlerweile folgenlos abgeheilt. 10 2. Das [X.] hat bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten bei der Tat zum Nachteil des Geschädigten [X.]verneint. Zwar sei der Messerstich objektiv gefährlich gewesen, in der konkreten Situation stelle er sich jedoch le-diglich als ungezielt dar und sei - bei lebensnaher Betrachtung - nur von der Absicht des Angeklagten getragen gewesen, sich des Einschreitens des [X.] [X.] zu erwehren, ohne diesen mit bedingtem Tötungsvorsatz gezielt schwer zu verletzen. 11 3. Diese Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite hält revisionsrechtli-cher Kontrolle (noch) stand. 12 a) Die Bejahung bedingten Tötungsvorsatzes erfordert bei [X.] Gewalthandlungen eine sorgfältige Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles. Die offensichtliche Lebensgefährlichkeit einer Hand-lungsweise stellt dabei für den Nachweis bedingten Tötungsvorsatzes einen Umstand von erheblichem Gewicht dar, weil bei äußerst gefährlichen [X.] - 7 - tigen Handlungen ein bedingter Tötungsvorsatz nahe liegt (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 58, 59). Angesichts der hohen Hemmschwelle bei Tötungsdelikten bedarf die Frage der Billigung des [X.] indes einer Gesamtschau alle objektiven und subjektiven Tatumstände, in die die psychi-sche Verfassung des [X.] bei der Tatbegehung sowie seine Motivation [X.] einzubeziehen sind wie die konkrete Angriffsweise (BGHSt 36, 1, 10; BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 39). Insbesondere bei einem spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlung kann aus dem Wissen um einen möglichen Erfolgseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des [X.] ergebenden Besonderheiten [X.] werden, dass auch das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 62; BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 4). b) Gemessen daran beanstanden Beschwerdeführerin und Generalbun-desanwalt im Ansatz zu Recht, dass die vom [X.] als Grundlage für die Ablehnung eines bedingten Tötungsvorsatzes bei dem Messerangriff zum Nachteil des Geschädigten [X.] angestellte Gesamtbetrachtung aller maß-geblichen Umstände bedenklich knapp ausgefallen ist. Insbesondere muss der [X.] von der [X.] für die Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes maßgeblich herangezogene [X.] Umstand, dass der Angeklagte nicht gezielt in die Brust des Geschädigten einstach, für sich genommen nicht dagegen sprechen, dass dem Angeklagten ein etwaiger Tod seines Opfers gleichgültig war, was für die billigende Inkaufnahme des tödlichen Erfolges ausreichen würde. Anders als im Fall eines gezielten Stichs in einen Körperbereich, in dem sich lebenswichti-ge Organe befinden, musste sich dem [X.] hier ein Tötungsvorsatz aber auch nicht geradezu aufdrängen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdefüh-rerin erforderten die im angefochtenen Urteil zum Verhalten des Angeklagten vor Ausführung des Messerangriffs getroffenen Feststellungen keine andere 14 - 8 - rechtliche Beurteilung. Zwar hatte sich der Angeklagte auch schon zuvor äu-ßerst gewaltbereit gezeigt. Gleichwohl war es nicht zur Zufügung lebensbedroh-licher Verletzungen gekommen, obwohl er unter anderem dem Geschädigten [X.] das Messer an die Kehle gesetzt und gedroht hatte ihn umzubrin-gen. Dass die [X.] angesichts dieses zwar gewalttätigen, aber auch von großsprecherischen Zügen geprägten Verhaltens des Angeklagten seiner an den Geschädigten [X.] gerichteten (rhetorischen) Frage: [X.] ich Dich abstechen, oder was?fi ersichtlich keine maßgebende Bedeutung als Indiz für einen vorhandenen Tötungsvorsatz beigemessen hat, stellt jedenfalls keinen durchgreifenden Erörterungsmangel im Rahmen der dem Tatrichter obliegen-den Gesamtschau dar. B. Revision des Angeklagten 15 [X.] Die vom Angeklagten erhobene Verfahrensrüge, das [X.] habe durch die Ablehnung des Beweisantrags auf Einholung eines Sachverständi-gengutachtens gegen die ihm obliegende richterliche Aufklärungspflicht i.S. des § 244 Abs. 2 StPO verstoßen, ist aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). 16 - 9 - I[X.] 1. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge hat einen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler nicht ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). 17 2. Entgegen der Auffassung des [X.]s ist es im [X.] nicht zu beanstanden, dass das [X.] eine alkoholbedingt erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit verneint hat. 18 a) Zwar hat die [X.] aufgrund der Trinkmengenangaben des Angeklagten nur die höchstmögliche Blutalkoholkonzentration (6,37 Promille) ermittelt. Hingegen hat sie die Kontrollberechnung zur Feststellung der [X.] nicht vorgenommen. Der [X.] weist zwar zutreffend darauf hin, dass sich bei Zugrundelegung eines [X.] von 30 % und einem stündlichen Abbauwert von 0,2 Promille zuzüglich eines einmaligen Sicherheitszuschlags von 0,2 Promille (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 7, 8, 18) ein [X.] von (nur) 4,22 Promille erge-ben hätte. Auch vor dem Hintergrund dieses geringeren Wertes durfte das [X.] die Trinkmengenangaben im Ergebnis zu Recht als unglaubhaft ansehen und insoweit das damit nicht vereinbare Leistungsverhalten des Ange-klagten heranziehen. Danach verfügte der Angeklagte trotz der Beeinflussung durch Alkohol- und Drogenkonsum über eine beachtliche körperliche Leistungs-fähigkeit, die ihn in die Lage versetzte, einen komplexen Handlungsablauf zu steuern; von körperlichen Ausfallerscheinungen haben die in der Hauptverhand-lung vernommenen Zeugen nichts berichtet. Vielmehr bestätigte die Freundin des Angeklagten, dieser sei nicht betrunken gewesen. 19 - 10 - b) Für den zu einer Jugendstrafe verurteilten heranwachsenden Ange-klagten wäre die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB im Übrigen schon deshalb nicht günstiger gewesen, weil dies nicht zu einer Strafrahmenverschiebung geführt hätte. Auch der der Höhe der [X.] zu legende Erziehungsbedarf wäre kaum geringer anzu-setzen gewesen, weil der Angeklagte auf Grund seiner Vorverurteilungen wuss-te, dass er unter Alkoholeinfluss zu Aggressivität neigt und gleichwohl erneut Alkohol in erheblichem Umfang konsumierte. 20 Tepperwien Athing [X.] Ernemann [X.]

Meta

4 StR 424/09

17.12.2009

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.12.2009, Az. 4 StR 424/09 (REWIS RS 2009, 31)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 31

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4 StR 387/15

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