Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.02.2010, Az. 1 StR 635/09

1. Strafsenat | REWIS RS 2010, 9804

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Gegenstand

Steuerhehlerei: Besitzerwerb an steuerpflichtigen Tabakwaren vor Beendigung des Verbringens oder Versendens als Voraussetzung der Erklärungspflicht; Berücksichtigung EU-ausländischer Verbrauchssteuern bei der Strafzumessung bzw. bei der Verfolgungsbeschränkung


Tenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 9. Juli 2009

a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass in den Fällen 1, 2, 3, 4, 6 und 7 der Urteilsgründe die Verurteilung wegen Steuerhinterziehung entfällt, insoweit wird die Angeklagte freigesprochen;

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass die nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe gemäß §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels bleibt dem für das Nachverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO zuständigen Gericht vorbehalten.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei und wegen Steuerhinterziehung in jeweils sechs Fällen sowie wegen Beihilfe zur gewerbsmäßigen Steuerhehlerei und zur Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Ihre auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision hat in dem aus dem [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen des Urteils erwarb die Angeklagte zwischen März 2007 und Juni 2007 in sechs Fällen von dem gesondert verfolgten [X.] bzw. von anderen Personen, die einer [X.] um [X.] angehören, in einer Lagerhalle in [X.] Zigaretten der Marke "Jin Ling".

3

Die Zigaretten waren zuvor zunächst aus [X.] und der [X.] unter Verstoß gegen die Gestellungspflicht gemäß Art. 40 Zollkodex von anderen Personen nach [X.] verbracht und dort zur Vorbereitung des [X.] gelagert worden. Im [X.] daran wurden sie von Mitgliedern der [X.] um [X.] übernommen und entgegen § 12 Abs. 1 [X.] ohne [X.] Steuerzeichen in das Steuergebiet der [X.] verbracht. Die [X.] der Zigaretten gaben dabei in [X.] nicht gemäß § 19 Satz 3 [X.] unverzüglich eine Steuererklärung ab. Die Zigaretten wurden in der vorgenannten Lagerhalle, die allein von [X.] genutzt und verwaltet wurde und zu der keine anderen, außerhalb der [X.] stehenden Personen Zutritt hatten, bis zum Weiterverkauf der Zigaretten durch [X.] oder andere Personen, die der [X.] angehörten, gelagert.

4

Neben dem Erwerb von Zigaretten unterstützte die Angeklagte in einem Fall [X.] bei der Anlieferung von Zigaretten in einem Zwischenlager, indem sie auf dessen Bitte die Umgebung beobachtete und verdächtige Ereignisse über Mobiltelefon mitteilte.

II.

5

1. Die Sachrüge bleibt erfolglos, soweit die Angeklagte in den Fällen 1 bis 4, 6 und 7 wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verurteilt wurde, sowie im Fall 5 der Urteilsgründe insgesamt. All dies hat der [X.], auch schon in seinem Antrag vom 7. Dezember 2009, zutreffend ausgeführt. Hierauf nimmt der Senat Bezug.

6

2. Dagegen kann der Schuldspruch wegen (jeweils tatmehrheitlich begangener) Steuerhinterziehung in den Fällen 1 bis 4, 6 und 7 keinen Bestand haben. In diesen Fällen war die Angeklagte nicht verpflichtet gemäß § 19 Satz 3 [X.] unverzüglich eine Steuererklärung abzugeben, da sie - unbeschadet ihrer Haftung gemäß § 71 [X.] - nicht Steuerschuldner [X.]. § 19 Satz 2 [X.] war. Daher hat sie den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 [X.] nicht erfüllt.

7

a) Nach § 19 Satz 1 [X.] entsteht die Tabaksteuer, wenn - wie hier - Tabakwaren unzulässigerweise entgegen § 12 Abs. 1 [X.] aus dem freien Verkehr anderer Mitgliedstaaten der [X.] zu gewerblichen Zwecken in das Steuergebiet der [X.] (vgl. § 1 [X.]) verbracht oder versandt werden, mit dem Verbringen oder Versenden in das Steuergebiet. Steuerschuldner ist, wer verbringt oder versendet und der Empfänger, sobald er Besitz an den Tabakwaren erlangt hat. Allein diese Steuerschuldner sind nach § 19 Satz 3 [X.] verpflichtet, unverzüglich eine Steuererklärung abzugeben.

8

b) Die Angeklagte war weder [X.] noch Versender. Entgegen der Auffassung des [X.]s war sie auch nicht Empfängerin der vorschriftswidrig in das Steuergebiet verbrachten Tabakwaren [X.]. § 19 Satz 2 [X.]. Gemäß § 19 Satz 1 [X.] knüpft das Entstehen der Tabaksteuerschuld an das Verbringen oder Versenden der Tabakwaren aus einem anderen Mitgliedstaat in das Steuergebiet der [X.] an. Aus dem Wortlaut und der Systematik der Vorschrift ergibt sich, dass als weiterer Steuerschuldner neben dem [X.] und dem Versender allein derjenige "Empfänger" der Ware in Betracht kommt, der im Rahmen des [X.] bzw. [X.]s selbst den Besitz an den Tabakwaren erlangt. Dies bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls.

9

Empfänger im Sinne dieser Vorschrift kann aber nicht mehr sein, wer den Besitz an den Tabakwaren erst dann erlangt, wenn der [X.] bzw. [X.] bereits beendet ist. Beendigung in diesem Sinne ist - ebenso wie z.B. bei der Einfuhr [X.]. § 21 Satz 1 [X.] - dann gegeben, wenn die Tabakwaren in Sicherheit gebracht und "zur Ruhe gekommen" sind (vgl. insoweit für Fälle der Einfuhr [X.]St 3, 40, 44; [X.], 262; 2000, 425). Dies ist auch beim Verbringen oder Versenden [X.]. § 19 Satz 1 [X.] erst dann der Fall, wenn die Tabakwaren die "gefährliche" Phase des Grenzübertritts passiert haben und der [X.] bzw. Versender sein Unternehmen insgesamt erfolgreich abgeschlossen hat (vgl. [X.] aaO). In der Regel wird das Verbringen oder Versenden erst dann beendet sein, wenn die Tabakwaren ihren Bestimmungsort erreicht haben (vgl. auch [X.] NStZ 2007, 590, 592; [X.], 425).

c) Nach diesen Grundsätzen kommen in den vorliegenden Fällen als Empfänger allein der gesondert verfolgte [X.] und die Personen, die seiner [X.] angehören, in Betracht. Denn diese Personen nahmen die Zigaretten in der Lagerhalle in Empfang, wodurch die Zigaretten bestimmungsgemäß zur Ruhe kamen. Der sich anschließende Weiterverkauf der Zigaretten an die Angeklagte war nicht mehr Teil des Verbringungsvorgangs.

War die Angeklagte aber nicht Empfängerin der Zigaretten, geht der konkurrenzrechtliche Hinweis der [X.] auf den anders gelagerten Fall, der dem [X.]uss des Senats vom 28. August 2008 (1 [X.]/08 = wistra 2008, 470) zu Grunde lag, ins Leere.

3. Im Hinblick darauf, dass das [X.] zwischen der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei und der von ihm zu Unrecht angenommenen Steuerhinterziehung jeweils Tatmehrheit angenommen hat, lässt der Senat nicht lediglich den fehlerhaften Schuldspruch wegen Steuerhinterziehung entfallen, sondern spricht zur Klarstellung die Angeklagte teilweise - nämlich vom Vorwurf der Steuerhinterziehung - frei.

4. Der Wegfall der Schuldsprüche wegen Steuerhinterziehung führt zugleich zum Entfallen der hierfür jeweils verhängten Einzelstrafen (zwischen sechs und zehn Monaten) und zur Aufhebung der Gesamtstrafe. Die Auffassung, dass darüber hinaus zugleich die in den Fällen 1 bis 4, 6 und 7 wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei verhängten Einzelstrafen (jeweils sechs Monate Freiheitsstrafe) aufzuheben seien, um bei insgesamt im Tatgeschehen gleich bleibendem Gesamtschuldgehalt für die einzelnen Taten höhere Einzelstrafen zu ermöglichen, teilt der Senat nicht.

a) Anhaltspunkte dafür, dass die Einzelstrafen für die Fälle der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei zum Nachteil der Angeklagten von der fehlerhaften Verurteilung wegen Steuerhinterziehung beeinflusst worden sein könnten, bestehen nicht.

b) Der Senat ist auch nicht der Ansicht, dass diese Einzelstrafen deshalb aufzuheben seien, weil sie - vergleichbar Fällen einer Schuldspruchänderung wegen abweichender Beurteilung des [X.] bei gleich bleibendem Schuldumfang (z.B. in Fällen sog. Bewertungseinheit vor allem bei Rauschgifthandel, vgl. [X.] NStZ 1996, 93; NStZ-RR 1999, 218; vgl. auch die Nachw. b. [X.] in [X.]. § 358 Rdn. 30) - unbeschadet § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO bis zur Summe der jeweiligen Einzelstrafen erhöht werden könnten.

Eine solche Fallgestaltung liegt hier nach Auffassung des Senats nicht vor. Es geht hier nicht nur um eine Änderung der [X.]. Da die Angeklagte in den in Rede stehenden Fällen keine Steuerhinterziehung begangen hat, kann sich auch nicht die Frage nach dem Konkurrenzverhältnis hinsichtlich der abgeurteilten gewerbsmäßigen Steuerhehlerei und Steuerhinterziehung stellen.

Es verbleibt daher bei den auch sonst ohne Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten gebildeten Einzelstrafen wegen gewerbsmäßiger Steuerhinterziehung in den Fällen 1 bis 4, 6 und 7 sowie wegen Beihilfe zu gewerbsmäßiger Steuerhehlerei und Steuerhinterziehung im Fall 5 der Urteilsgründe.

5. Ausgehend von ihrer rechtlichen Würdigung hat die [X.] bei der Bemessung der Einzelstrafen wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei die bei der Verbringung der Zigaretten in das Steuergebiet der [X.] hinterzogene [X.] Tabaksteuer nicht berücksichtigt. Im Rahmen der Gesamtstrafenbildung hat die [X.] auch auf den durch die Taten verursachten Gesamtsteuerschaden abgestellt. Hierzu bemerkt der Senat:

Bei der gegebenen Sachlage bedarf es hier keiner Entscheidung, ob das [X.] im Rahmen der Strafzumessung wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei die in [X.] und die in [X.] verkürzten Verbrauchsteuern auf Tabakwaren der Angeklagten kumulativ hätte zur Last legen dürfen.

Für den tatbestandlichen Schuldumfang in den Fällen 1 bis 4, 6 und 7 der Urteilsgründe bestehen gegen die kumulative Heranziehung dieser Abgaben keine Bedenken, weil der Steuerhehlerei gemäß § 374 [X.] jeweils zwei Vortaten zugrundelagen. Einerseits ist dies die Hinterziehung der bei Einfuhr der Zigaretten nach [X.] angefallenen Einfuhrabgaben, nämlich Zoll, [X.] Einfuhrumsatzsteuer und [X.] Tabaksteuer. Andererseits ist dies die beim dem Verbringen der Zigaretten in das Steuergebiet der [X.] hinterzogene [X.] Tabaksteuer. Die in [X.] verkürzten Abgaben sind auch nicht nachträglich durch das Verbringen der Zigaretten nach [X.] entfallen.

Allerdings ist im Blick zu behalten, dass das gemeinschaftsrechtliche Verbrauchsteuersystem - jedenfalls für den Fall normgemäßen Verhaltens - davon ausgeht, dass verbrauchsteuerpflichtige Waren im Ergebnis grundsätzlich nicht mit den Verbrauchsteuern mehrerer Mitgliedstaaten belastet sein sollen. Das Gemeinschaftsrecht sieht deshalb die Möglichkeit der Erstattung von in anderen Mitgliedstaaten entstandenen und auch erhobenen Verbrauchsteuern vor (vgl. Art. 7 Abs. 6 und Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie [X.] vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren [ABl. EG Nr. L 76/1 - "[X.]"] sowie Art. 33 Abs. 6 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der [X.] sowie die dortigen Erwägungsgründe Nr. 12, 30 und 31; ABl. [X.] 2009 Nr. L 9/12).

Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, in zukünftigen, dem vorliegenden Fall vergleichbaren Fällen der Steuerhehlerei oder Steuerhinterziehung die Strafverfolgung hinsichtlich der verkürzten Abgaben gemäß §§ 154, 154a StPO auf die bei der Einfuhr in einen anderen Mitgliedstaat hinterzogenen Einfuhrabgaben Zoll und Einfuhrumsatzsteuer sowie die bei dem Verbringen in das [X.] Verbrauchsteuergebiet hinterzogene [X.] Tabaksteuer zu beschränken. Es bedarf dann auch nicht der sonst erforderlichen Feststellung und Anwendung der tabaksteuerrechtlichen Vorschriften anderer Mitgliedstaaten sowie der zuweilen schwierigen Berechnung und Darstellung der in anderen Mitgliedstaaten hinterzogenen Tabaksteuer (vgl. insoweit [X.] NStZ 2007, 595; siehe auch [X.] NStZ 2008, 21, 24).

6. Der Senat verweist die Festsetzung der allein noch zu bildenden neuen Gesamtstrafe gemäß § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO in das [X.]ussverfahren nach den §§ 460, 462 StPO. Somit obliegt die Bildung der Gesamtstrafe dem gemäß § 462a Abs. 3 StPO zuständigen Gericht. Dies ist nach der Rechtsprechung des [X.] (auch) zulässig, wenn - wie hier - eine neue Gesamtstrafe wegen eines im Revisionsverfahren erfolgten Teilfreispruchs gebildet werden muss (vgl. [X.], [X.]. vom 10. Oktober 2006 - 1 StR 377/06).

Nack                                Wahl                                    Hebenstreit

                    [X.]                                [X.]

Meta

1 StR 635/09

02.02.2010

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hagen (Westfalen), 9. Juli 2009, Az: 71 KLs 6 Js 101/08 (5/09), Urteil

§ 19 S 3 TabStG, § 370 Abs 1 Nr 2 AO, § 374 AO, § 154 StPO, § 154a StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.02.2010, Az. 1 StR 635/09 (REWIS RS 2010, 9804)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9804

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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