Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.09.2017, Az. 1 StR 348/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2017, 5069

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:200917B1STR348.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 348/17

vom
20. September
2017
in der Strafsache
gegen

wegen
schweren Raubes u.a.

-
2
-
Der 1. Strafsenat des [X.] hat
nach Anhörung des [X.] und des [X.]

zu 3. auf dessen Antrag

am 20.
September
2017
gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. März 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen [X.] ist.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des [X.]s zurück-verwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in zwei Fällen in Tatmehrheit mit Raub in Tatmehrheit mit versuchtem schweren Raub in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Strafe aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von [X.] verurteilt.
Hiergegen richtet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte [X.] des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel er-sichtlichen Erfolg (§
349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] unbegründet (§
349 Abs. 2 StPO).
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3
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Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entzie-hungsanstalt (§
64 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Das [X.] hat, soweit für die Maßregelfrage relevant, im [X.] folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Der Angeklagte begann im Alter von 12 Jahren mit dem [X.] von Cannabis und ergänzte ihn rasch durch den [X.] von Alkohol und anderen Stimulanzien. Er ist mehrfach

unter anderem wegen [X.]

vorbestraft. Der Angeklagte hat keinen Schulabschluss und verbüßte erstmals in den Jahren 2004 bis 2006 eine Jugendstrafe von zwei Jahren und drei [X.]. Nach der Entlassung aus der Haft arbeitete er zunächst etwa acht [X.] bei zwei Autozuliefererbetrieben und anschließend während eines [X.] von zwei bis drei Jahren in verschiedenen Gelegenheitsjobs. Etwa ab dem Jahr
2009 übte der Angeklagte keinerlei Erwerbstätigkeit mehr aus und befand sich immer wieder zur Verbüßung von Freiheitsstrafen und Ersatzfrei-heitsstrafen in Haft. Der Angeklagte verzichtete während der [X.], in der er für die Automobilzuliefererfirma tätig war, für rund ein halbes Jahr vollständig auf den [X.] von Drogen. Auch nach der letztmaligen Entlassung aus der Haft Anfang 2016 gab der Angeklagte jeglichen [X.] von Drogen und Medika-menten auf. Er konsumierte nur noch Alkohol (Bier und Wodka), wobei
eine Flasche Wodka etwa drei bis vier Tage reichte. Im Hinblick auf den [X.] Antritt einer weiteren Haftstrafe begann der Angeklagte im April oder Mai 2016 erneut mit dem [X.] von Betäubungsmitteln. Vor den verfahrens-gegenständlichen Taten konsumierte er täglich Alkohol und Cannabis und ver-

Das [X.] hat hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Taten festgestellt, dass diese dazu dienen sollten, während eif-3
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.

die Hotelübernachtungen des Angeklagten, seinen [X.], sein Glücksspiel und seine sonstigen Ausgaben zu [X.] ([X.] f., 26).
b) Die Kammer geht

gestützt auf die Ausführungen des [X.]

davon aus, dass bei dem Angeklagten ein Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, nicht festzustellen sei ([X.] ff.). Bei dem Angeklagten sei zwar ein multipler Substanzkonsum im Sinne einer Polytoxi-komanie ([X.]: [X.]) gegeben, dieser habe aber noch nicht das Ausmaß einer körperlichen Abhängigkeit erreicht. Auch fehle es an einer einen Hang indizierenden Depravation der Persönlichkeit. Der Angeklagte verfüge zwar über ausgeprägt dis[X.] Persönlichkeitszüge. Diese könnten jedoch nicht auf den missbräuchlichen Substanzkonsum zurückgeführt werden. Bei den dis-[X.]n Verhaltensweisen des Angeklagten

einschließlich der gegenständli-chen Taten

handele es sich um Ausprägungen der dis[X.]n Persönlich-keitsanteile, welche auch die Bereitschaft zum missbräuchlichen Substanzkon-sum umfassten. Der [X.] von Alkohol und Drogen sowie das Begehen von Straftaten gehörten seit dessen frühester Jugend zum Lebensentwurf des [X.]. Vor diesem Hintergrund lasse sich zwar eine [X.] Gefährdung des Angeklagten feststellen, diese habe ihre Ursache aber nicht in der [X.] sondern in den dis[X.]n Persönlichkeitsanteilen.
2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das [X.] rechts-fehlerhaft von einem unzutreffenden Verständnis eines Hanges im Sinne des §
64 StGB ausgegangen ist.
Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Nei-gung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese 7
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Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss (vgl. Senat, Beschlüsse vom 12. Januar 2017

1 [X.], [X.], 672
und vom 14. Juni 2016

1 [X.], [X.]R
StGB §
64 Hang 4; [X.], Urteile vom 10.
November 2004

2 [X.], [X.], 210
und vom 15.
Mai 2014

3
[X.], [X.], 271).
Das [X.] ist zwar im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass ein übermäßiger Genuss von [X.] im Sinne des §
64 StGB jedenfalls dann gegeben ist, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhän-gigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. Senat, Beschlüsse vom 12. Januar 2017

1 [X.], [X.], 672
und vom 14. Juni
2016

1 [X.], [X.]R StGB
§ 64 Hang 4;
[X.], Urteile vom 10. November 2004

2 [X.], [X.], 210 und vom 15. Mai 2014

3 [X.], [X.], 271). Der Schluss der Kammer, dass die dis[X.]n Persönlichkeits-anteile des Angeklagten

und nicht auch die [X.]

allein ursäch-lich für dessen [X.] Gefährdung seien, begegnet jedoch durchgreifenden Bedenken. Dies ergibt sich zunächst bereits daraus, dass nach den Feststel-lungen des [X.]s die dis[X.]n Primärpersönlichkeitsanteile auch die Bereitschaft zum missbräuchlichen Substanzkonsum umfassen ([X.]) und dieser damit

wenn auch mittelbar

ebenfalls kausal für die von der Kammer angenommene [X.] Gefährdung des Angeklagten ist. Zudem kommt eine [X.] Gefährdung oder [X.] Gefährlichkeit nicht
nur dann in Betracht,
wenn der Betroffene Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits-
und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich be-einträchtigt werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 6.
November 2002

1 StR 382/02, [X.], 106 f. mwN und vom 14. Dezember 2005

1 [X.], [X.], 103 f.; [X.], Beschluss vom 1. April 2008

4 StR 56/08, NStZ-RR
2008, 198
f.), sondern insbesondere auch bei Beschaffungs-kriminalität ([X.], Beschluss vom 10.
August 2007

2
StR 344/07, [X.], 10
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76 mwN). Angesichts der Feststellungen des [X.]s, dass die verfah-rensgegenständlichen Taten auch dazu dienen sollten, den [X.] des Angeklagten zu finanzieren ([X.] f., 26), kann die Ursächlich-keit der [X.] für die [X.] Gefährdung und [X.] Gefährlichkeit des Angeklagten daher nicht verneint werden. Im Übrigen erscheint im [X.] Fall eine eindeutige Abgrenzbarkeit von jahrzehntelangem, multiplem Substanzkonsum und dis[X.]n Persönlichkeitsanteilen kaum möglich.
3. Rechtsfehlerhaft ist auch die Annahme des [X.]s, es würde jedenfalls an einem
symptomatischen Zusammenhang
zwischen
einem
Hang und den verfahrensgegenständlichen Taten
fehlen. Eine Tat hat dann [X.], wenn sie in dem Hang ihre Wurzel findet, also Symptomwert für den Hang des [X.] zum Missbrauch von Alkohol oder anderen berauschen-den Mitteln hat ([X.],
Urteil vom 11. September 1990

1 StR 293/90,
NStZ 1991, 128; Beschluss vom 28. August 2013

4
[X.], [X.], 75), also

zumindest mitursächlich

auf den Hang zurückgeht (Senat, [X.] vom 10.
November 2015

1 [X.], [X.], 113, 114; [X.], Beschluss vom 28. August 2013

4 [X.], [X.], 75). Typisch sind hierfür Delikte, die begangen werden, um Rauschmittel oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen (Senat, Beschluss vom 10.
November 2015

1 [X.], [X.], 113, 114; Urteil vom 18. Februar 1997

1 [X.], [X.]R StGB §
64 Abs. 1 Rausch 1; [X.], Beschluss vom 28. August 2013

4 [X.], [X.], 75), was nach den Feststellungen des [X.]s

wie zuvor ausgeführt

gegeben ist.
4. Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung
der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt neu verhandelt und entschieden wer-den. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat 11
12
-
7
-

358 Abs. 2 Satz 3 StPO; [X.], Urteil vom 10. April 1990

1 StR 9/90, [X.]St 37,
5, 9; Beschluss vom 19. Dezember 2007

5 [X.], [X.], 107); er hat die Nichtanwendung des §
64 StGB auch nicht vom [X.] ausgenommen.
5. Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Es ist im vorliegenden
Fall auszuschließen, dass das [X.] bei einer Anord-nung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine niedrigere Frei-heitsstrafe erkannt hätte.
Raum Jäger

Radtke

Fischer Hohoff
13

Meta

1 StR 348/17

20.09.2017

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.09.2017, Az. 1 StR 348/17 (REWIS RS 2017, 5069)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 5069

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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