Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.06.2021, Az. StB 24/21

3. Strafsenat | REWIS RS 2021, 5001

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Gegenstand

Strafverfahren: Entpflichtung des Pflichtverteidigers wegen Zerstörung des Vertrauensverhältnisses


Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des [X.] vom 20. Mai 2021 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

1

Das [X.] führt gegen den Angeklagten eine Hauptverhandlung wegen des Vorwurfs der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in acht Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit einem weiteren Delikt. Der Angeklagte hat beantragt, die Bestellung seiner Pflichtverteidiger, der Rechtsanwälte [X.]     und [X.]    , aufzuheben, da er kein Vertrauen mehr zu ihnen habe. Den Antrag hat der Vorsitzende des mit der Sache befassten [X.]rafsenats des [X.] abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner sofortigen Beschwerde. Diese begründet er im Wesentlichen damit, dass Rechtsanwalt [X.]     die Anklageschrift nicht mit ihm besprochen und ihn überhaupt nur zweimal anlässlich von [X.] in der [X.] des Gerichts aufgesucht habe. Rechtsanwalt [X.]    habe wiederholt der Entlassung von Zeugen zugestimmt, ohne ihnen zuvor von ihm - dem Angeklagten - gewünschte Fragen gestellt zu haben. Auch habe dieser Verteidiger ihm den Entwurf einer Einlassung übergeben, die er - der Angeklagte - aufgrund der enthaltenen Unrichtigkeiten so nicht unterzeichnen könne. Das Vertrauensverhältnis zu den Genannten sei daher endgültig zerstört.

II.

2

Die nach § 143a Abs. 4, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 [X.]PO zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das [X.] hat den Antrag auf Entpflichtung der Verteidiger zu Recht abgelehnt.

3

Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung liegen nicht vor, wie vom insoweit zuständigen Vorsitzenden des [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Februar 2020 - [X.]B 4/20, [X.], 60 Rn. 3) zutreffend angenommen. Weder ist das Vertrauensverhältnis zwischen den [X.] und dem Angeklagten endgültig im Sinne des § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alternative 1 [X.]PO zerstört, noch besteht ein sonstiger Grund, die Verteidigerbestellung aufzuheben.

4

1. Eine [X.]örung des Vertrauensverhältnisses ist aus Sicht eines verständigen Angeklagten zu beurteilen und von diesem oder seinem Verteidiger substantiiert darzulegen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 26. Februar 2020 - [X.]B 4/20, [X.], 60 Rn. 7 mwN; vom 24. März 2021 - [X.]B 9/21, N[X.]Z-RR 2021, 179, 180).

5

a) Insoweit kann zwar von Bedeutung sein, wenn ein Pflichtverteidiger zu seinem inhaftierten Mandanten über einen längeren Zeitraum überhaupt nicht in Verbindung tritt (vgl. etwa [X.], Beschluss vom 11. November 2010 - [X.], N[X.]Z-RR 2011, 48; [X.], Beschluss vom 6. September 2012 - [X.], [X.], 719; [X.], Beschluss vom 2. Juni 1972 - 2 Ws 195/72, [X.] 1972, 799; weitergehend für eine Jugendliche [X.], Beschluss vom 2. Februar 2007 - 2 Ws 51/07, [X.], 157). Allerdings liegt es grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Verteidigers, in welchem Umfang und auf welche Weise er mit dem Beschuldigten Kontakt hält (KG, Beschluss vom 9. August 2017 - 4 Ws 101/17, juris Rn. 12; vgl. auch SächsVerfGH, Beschluss vom 21. Februar 2013 - [X.]. 107-IV-12 [HS], juris Rn. 11, 32 f.). Die unverzichtbaren Mindeststandards müssen jedenfalls gewahrt sein (vgl. [X.], Beschlüsse vom 30. September 2008 - 5 [X.]R 251/08, [X.], 465; vom 18. Januar 2018 - 4 [X.], N[X.]Z-RR 2018, 84 mwN).

6

Daran gemessen ist mit Blick auf Rechtsanwalt [X.]    , der wegen des Ausscheidens eines anderen Verteidigers erst mit Beschluss vom 2. März 2021 zum Pflichtverteidiger bestellt worden ist, nicht von einem endgültigen Vertrauensverlust auszugehen. Bereits nach dem Vorbringen des Angeklagten ist dieser seitdem zweimal durch Rechtsanwalt [X.]      anlässlich von [X.] persönlich aufgesucht worden. Dass Rechtsanwalt [X.]     die Anklageschrift vom 13. Januar 2021 nicht mit dem Angeklagten besprochen hat, ist, wie in dem Beschluss des [X.] vom 20. Mai 2021 zutreffend dargelegt, dem Umstand geschuldet, dass er zu diesem Zeitpunkt noch nicht zum Pflichtverteidiger bestellt worden war. Hinzu kommt, dass die Anklageschrift im Wesentlichen dem im Haftbefehl ausgeführten Tatvorwurf (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Februar 2021 - AK 6/21, juris Rn. 2 f.) entspricht, weswegen von erheblichem, über den 2. März 2021 hinaus fortbestehendem [X.] nicht ausgegangen werden kann. Anzeichen dafür, dass die unverzichtbaren Mindeststandards der Kontakthaltung nicht gewahrt worden sein könnten, sind jedenfalls nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als Rechtsanwalt [X.]     - ausweislich seiner [X.]ellungnahme vom 17. Mai 2021 - in der Sache des Angeklagten in intensivem Austausch mit seinem Bürokollegen Rechtsanwalt [X.]     steht und auch während mehrerer Telefonate dieses Mitverteidigers mit dem Angeklagten zugegen war.

7

b) Soweit das Entpflichtungsbegehren indessen auf das Bestehen von Meinungsverschiedenheiten gestützt wird, gilt:

8

Bloße Differenzen zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten über die Verteidigungsstrategie rechtfertigen für sich genommen die Entpflichtung nicht (vgl. [X.], Urteile vom 18. Mai 1988 - 2 [X.]R 22/88, [X.]R [X.]PO § 142 Abs. 1 Auswahl 2; vom 8. Februar 1995 - 3 [X.]R 586/94, [X.]R [X.]PO § 142 Abs. 1 Auswahl 4; [X.], Beschluss vom 26. Oktober 2006 - 2 BvR 426/06 u.a., juris Rn. 8). Etwas Anderes kann mit der Folge einer endgültigen und nachhaltigen Erschütterung des Vertrauensverhältnisses allenfalls gelten, wenn solche Meinungsverschiedenheiten über das grundlegende Verteidigungskonzept nicht behoben werden können und der Verteidiger sich etwa wegen der Ablehnung seines Rats außerstande erklärt, die Verteidigung des Angeklagten sachgemäß zu führen (vgl. [X.], Urteil vom 18. Mai 1988 - 2 [X.]R 22/88, [X.]R [X.]PO § 142 Abs. 1 Auswahl 2; Beschluss vom 5. März 2020 - [X.]B 6/20, [X.], 434 Rn. 11).

9

Nach den dargelegten Maßstäben ist ein endgültiger Vertrauensverlust auch in Bezug auf Rechtsanwalt [X.]      nicht feststellbar. Soweit im Hinblick auf die Ausübung und den Umfang des Fragerechts gegenüber Zeugen zwischen Rechtsanwalt [X.]      und dem Angeklagten unterschiedliche Auffassungen zur Verteidigungsstrategie offenbar geworden sein sollten, ist dieser Umstand nach dem Vorstehenden nicht ohne Weiteres geeignet, eine Erschütterung des Vertrauensverhältnisses zu begründen. Dass und warum der Pflichtverteidiger aufgrund der Differenzen zu einer sachgerechten Verteidigung insgesamt außerstande sein sollte, ist nicht dargetan. Abgesehen davon hat das [X.] in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass der Angeklagte - der vorherigen Belehrung durch das Gericht entsprechend - sein Fragerecht eigenverantwortlich und unabhängig von der Zustimmung des Pflichtverteidigers ausüben kann.

2. Eine Entpflichtung beider Pflichtverteidiger aus einem anderen Grund kommt ebenfalls nicht in Betracht. Insbesondere das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung ist nicht ersichtlich (s. § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alternative 2 [X.]PO). Zwar könnte eine solche in der Abgabe einer mit dem Angeklagten nicht abgesprochenen Sachdarstellung gegenüber dem Gericht (vgl. [X.], Verfügung vom 18. November 2014 - 7 [X.] 7/14 (2), [X.]V 2015, 155, 156; [X.]/[X.], [X.]PO, 64. Aufl., § 143a Rn. 27) zu sehen sein; Rechtsanwalt [X.]      hat dem Angeklagten seinen Einlassungsentwurf jedoch vor dessen Einreichung bei Gericht zur Durchsicht und Unterschrift vorgelegt und damit den Fortgang hinsichtlich dieser schriftlichen Erklärung der Entscheidung des Angeklagten überantwortet. Durch diese Vorgehensweise wird eine Pflichtverletzung gerade vermieden.

[X.]

Meta

StB 24/21

15.06.2021

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

§ 143a Abs 2 S 1 Nr 3 Alt 1 StPO, § 143a Abs 4 StPO, § 152 Abs 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.06.2021, Az. StB 24/21 (REWIS RS 2021, 5001)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 5001

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 610/17

2 Ws 51/07

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