Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.01.2021, Az. 1 StR 476/20

1. Strafsenat | REWIS RS 2021, 9540

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Gegenstand

Vergewaltigung: Ausnutzen einer schutzlosen Lage bei Verfolgung des Opfers bis an eine abgelegene Stelle; Konkurrenzverhältnis zwischen den Tatbestandsalternativen


Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 10. Juli 2020 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Ergänzend bemerkt der Senat:

Soweit das [X.] sowohl die Tatbestandsvariante der Anwendung von Gewalt (§ 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB) als auch diejenige des Ausnutzens einer schutzlosen Lage (§ 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB) als - tateinheitlich - verwirklicht angenommen hat, hält dies rechtlicher Prüfung stand.

Der durch das [X.] vom 1. Juli 1997 eingeführte § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF sollte nach dem Willen des Gesetzgebers vor allem [X.] in Fällen schließen, in denen das Opfer wegen der Aussichtslosigkeit von Widerstand auf körperliche Gegenwehr verzichtet (BT-Drucks. 18/8210, [X.] und 13/7324, [X.]; [X.]/[X.]/[X.], 30. Aufl., StGB § 177 Rn. 85). Daraus folgt jedoch nicht, dass das nunmehr nach der seit [X.] geltenden Fassung des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB als Verbrechen strafbare Ausnutzen einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des [X.] schutzlos ausgeliefert ist, lediglich als Auffangtatbestand diejenigen Fälle erfasst, in denen der Täter weder Gewalt anwendet noch mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht. Ebenso wenig tritt auf Konkurrenzebene Nr. 3 hinter den anderen beiden Alternativen zurück (a.[X.], StGB, 68. Aufl., § 177 Rn. 112; MüKoStGB/[X.], 3. Aufl., StGB § 177 Rn. 180 mwN). Vielmehr stehen die [X.] gleichrangig nebeneinander (so auch [X.], Urteile vom 2. Juli 2020 - 4 StR 678/19 Rn. 40 und vom 9. Januar 2020 - 5 StR 333/19 Rn. 45).

Das tatbestandliche Vorliegen einer schutzlosen Lage ist dabei stets anhand einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen; einzelne äußere Umstände oder Gegebenheiten sind regelmäßig für sich genommen nicht dazu geeignet, eine schutzlose Lage des Opfers im Sinne des § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB zu begründen (dazu [X.], Urteil vom 2. Juli 2020 - 4 StR 678/19 Rn. 15 f.). Nur durch eine solche Gesamtschau kann gewährleistet werden, dass der Annahme der schutzlosen Lage eine eigenständige Bedeutung zukommt und diese nicht allein in der vom Täter gegenüber dem Opfer ausgeübten Gewalt oder Drohung aufgeht. Die teilweise geäußerte Kritik [X.], [X.], 665, 667), das Vorliegen einer schutzlosen Lage sei praktisch jedem (vollendeten) sexuellen Übergriff immanent - und müsse deshalb auf Konkurrenzebene zurücktreten - überzeugt vor diesem Hintergrund nicht.

Während die höhere Strafandrohung des § 177 Abs. 5 Nr. 1 und 2 StGB in der Anwendung oder Androhung von Gewalt gegenüber dem [X.] begründet liegt, zielt § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB darauf ab, das Opfer zu schützen, das aufgrund objektiver Umstände in seinen Verteidigungsmöglichkeiten deutlich eingeschränkt und daher dem Täter schutzlos ausgeliefert ist (BT-Drucks. 18/8210, [X.]; [X.], Urteil vom 2. Juli 2020 - 4 StR 678/19 Rn. 12 ff.).

Dem Merkmal des Ausnutzens einer schutzlosen Lage kommt dabei eine eigenständige, über die mit der Anwendung von Gewalt (Nr. 1) oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (Nr. 2) hinausgehende Bedeutung zu, weil eine vom Täter ausgenutzte schutzlose Lage für das [X.] eine besondere - keineswegs jedem sexuellen Übergriff innewohnende - Gefahr begründet. Beim Ausnutzen einer schutzlosen Lage ist sich der Täter bewusst, dass das [X.] seinem ungehemmten Einfluss ausgesetzt ist und er daher mit diesem nach Belieben verfahren kann, und macht sich dies zu Nutze. Dies zeigt der verfahrensgegenständliche Sachverhalt in besonderer Deutlichkeit. In dem hier zugrunde liegenden Fall verfolgten die beiden Angeklagten die stark alkoholisierte Geschädigte in der Nacht bewusst über mehrere hundert Meter, bis sie sich auf der Straße weit genug von jeglicher Bebauung entfernt an abgelegener Stelle befanden, um so etwaige Hilfemöglichkeiten für die Geschädigte zu minimieren. Gerade aufgrund dieser objektiven Gegebenheiten, welche die Angeklagten bewusst schufen und unter denen sie weder die Entdeckung der Tat noch das Eingreifen Dritter ernstlich befürchten mussten, war es ihnen möglich, über 50 Minuten hinweg gegen den Willen des sich vergeblich wehrenden und nach Hilfe rufenden [X.]s den Geschlechtsverkehr auszuüben. Dass die Angeklagten das [X.] darüber hinaus während des erzwungenen Geschlechtsverkehrs zu Boden drückten, seine Arme festhielten und es jeweils mehrfach ins Gesicht schlugen, begründet zudem das Vorliegen von Gewalt im Sinne des § 177 Abs. 5 Nr. 1 StGB.

Ein Zurücktreten der Variante des Ausnutzens einer schutzlosen Lage (§ 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB) hinter den anderen beiden Alternativen des § 177 Abs. 5 Nr. 1 und 2 StGB auf Konkurrenzebene ist wegen des ihr zukommenden eigenständigen Gewichts und des damit erfassten zusätzlichen [X.] jedenfalls dann nicht zu rechtfertigen, wenn die Schutzlosigkeit der Lage nicht auf einer vorherigen Gewaltanwendung des [X.] beruht. Dies ist hier offensichtlich nicht der Fall. Die vorliegend verwirklichten Alternativen des § 177 Abs. 5 Nr. 1 und 3 StGB stehen daher in Tateinheit zueinander.

Raum     

        

Jäger     

        

Fischer

        

Hohoff     

        

Pernice     

        

Meta

1 StR 476/20

14.01.2021

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Traunstein, 10. Juli 2020, Az: 370 Js 28670/19 - 2 KLs

§ 52 StGB, § 177 Abs 5 Nr 1 StGB, § 177 Abs 5 Nr 2 StGB, § 177 Abs 5 Nr 3 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.01.2021, Az. 1 StR 476/20 (REWIS RS 2021, 9540)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 9540

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