Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 04.11.2014, Az. 2 BvR 892/12, 2 BvR 893/12, 2 BvR 1969/12, 2 BvR 1990/12

2. Senat 3. Kammer | REWIS RS 2014, 1680

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Gegenstand

Stattgebender Kammerbeschluss: Parallelentscheidung


Tenor

Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Die Urteile des [X.] vom 16. März 2012 - 20 U 202/11 und - 20 U 256/11 -, vom 11. Mai 2012 - 20 U 18/12 - sowie vom 13. Juli 2012 - 20 U 70/12 - verletzen die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer jeweils in ihrem grundrechtsgleichen Recht aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sachen werden an das [X.] zurückverwiesen.

Das [X.] hat den Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird in dem Verfahren 2 BvR 892/12 auf 16.000 € (in Worten: sechzehntausend [X.]) und in den übrigen Verfahren auf jeweils 12.000 € (in Worten: zwölftausend [X.]) festgesetzt.

Gründe

1

Die [X.] betreffen die Handhabung der Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 A[X.]V in zivilrechtlichen Verfahren mit Blick auf die Rechtsfrage, ob § 5a Abs. 1 [X.] [X.] a.F. europarechtskonform ist.

2

1. § 5a des Gesetzes über den Versicherungsvertrag ([X.]) sah im Geltungszeitraum vom 29. Juli 1994 bis 31. Dezember 2007 (im Folgenden: [X.] a.F.) die Möglichkeit vor, Versicherungsverträge im sogenannten "[X.]" abzuschließen. Dieses Verfahren war dadurch gekennzeichnet, dass der potentielle Versicherungsnehmer zunächst das von ihm unterzeichnete Antragsformular auf Abschluss des [X.] an den Versicherer übermittelte und dieser dem Versicherungsnehmer die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und eine Verbraucherinformation nach § 10a [X.] erst zusammen mit der Versicherungspolice zukommen ließ. [X.] der Versicherungsnehmer nicht innerhalb der Wi[X.]pruchsfrist nach Überlassung der Unterlagen schriftlich, so galt der [X.] und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen als abgeschlossen (§ 5a Abs. 1 [X.] [X.] a.F.). In dem Antrag des Versicherungsnehmers war das Vertragsangebot, in der nachfolgenden Übersendung der Vertragsunterlagen die Annahme durch den Versicherer zu sehen. Außerdem setzte der wirksame Vertragsschluss das Unterbleiben des Wi[X.]pruchs innerhalb der Wi[X.]pruchsfrist voraus; bis zu diesem Zeitpunkt war der Versicherungsvertrag nach herrschender Meinung schwebend unwirksam (vgl. [X.], Urteil vom 24. November 2010 - [X.]/08 -, [X.], S. 337 <338> Rn. 22; Urteil vom 16. Juli 2014 - [X.] -, [X.], [X.]575 <1576> Rn. 14, jeweils m.w.N.). Die Wi[X.]pruchsfrist begann nach dieser Regelung erst zu laufen, wenn der Versicherungsnehmer mit Aushändigung der Versicherungspolice über sein Wi[X.]pruchsrecht belehrt worden war; abweichend hiervon erlosch das Wi[X.]pruchsrecht - auch bei fehlender Belehrung - nach § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie.

3

2. § 5a [X.] a.F. wurde durch das [X.] ([X.]/[X.] zum [X.]) vom 21. Juli 1994 ([X.]) in das Gesetz über den Versicherungsvertrag eingefügt und ist am 29. Juli 1994 in [X.] getreten. Er lautete, soweit für das vorliegende Verfahren von Bedeutung:

(1) Hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes unterlassen, so gilt der [X.], der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation als abgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von vierzehn Tagen nach Überlassung der Unterlagen schriftlich wi[X.]pricht. […]

(2) Der Lauf der Frist beginnt erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Absatz 1 vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Wi[X.]pruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist. Der Nachweis über den Zugang der Unterlagen obliegt dem Versicherer. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Wi[X.]pruchs. Abweichend von [X.] erlischt das Recht zum Wi[X.]pruch jedoch ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie.

4

Nach Änderungen durch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vom 13. Juli 2001 ([X.] 1542) und das Gesetz zur Änderung der [X.] über Fernabsatzverträge bei Finanzdienstleistungen vom 2. Dezember 2004 ([X.] 3102) - Verlängerung der Wi[X.]pruchsfrist von 14 auf 30 Tage bei Lebensversicherungen -, wurde das "[X.]" durch die Einfügung des § 7 Abs. 1 [X.] [X.] im Rahmen einer Gesamtreform des Gesetzes über den Versicherungsvertrag durch das Gesetz zur Reform des [X.]rechts vom 23. November 2007 ([X.] 2631) mit Wirkung zum 1. Januar 2008 abgeschafft. § 5a [X.] a.F. bleibt jedoch für das Zustandekommen der Versicherungsverträge maßgeblich, die in seinem Geltungszeitraum vom 29. Juli 1994 bis zum 31. Dezember 2007 in einer Vielzahl von Fällen nach dem "[X.]" abgeschlossen wurden (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 3. März 2014 - 1 BvR 2534/10 -, NJW 2014, [X.]796 <1798>; Schlussanträge der Generalanwältin [X.] vom 11. Juli 2013 in der Rechtssache [X.]/12, Rn. 26; [X.], in: [X.]/[X.], Praxiskommentar zum [X.], 2. Aufl. 2011, § 8 [X.] Rn. 6, 10; vgl. ferner Armbrüster, in: [X.][X.], [X.], 28. Aufl. 2010, § 1 [X.][X.] Rn. 9; [X.], [X.], [X.]>; [X.], [X.], S. 859 <862>).

5

3. Die Beschwerdeführer haben allesamt Lebensversicherungsverträge im Wege des sogenannten "[X.]s" abgeschlossen.

6

a) Im Verfahren 2 BvR 892/12 beantragte die Beschwerdeführerin zu [X.] den Abschluss eines [X.] über eine Lebensversicherung im Wege des "[X.]s". Die vollständigen Vertragsunterlagen erhielt sie vom Versicherungsunternehmen per Post zugesandt. In der Folgezeit zahlte die Beschwerdeführerin zu 1. Versicherungsprämien in Höhe von 4.538,09 € ein. Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 28. Juni 2010 erklärte die Beschwerdeführerin zu 1. den "Wi[X.]pruch gem. § 5a [X.] a.F.", hilfsweise die Kündigung des [X.]. Das beklagte Versicherungsunternehmen wertete das Schreiben als Kündigung, errechnete einen Rückkaufswert von 2.669,84 € und zahlte diesen an die Beschwerdeführerin zu 1. aus.

7

Im Verfahren 2 BvR 893/12 beantragte der Beschwerdeführer zu [X.] den Abschluss eines [X.] über eine fondsgebundene Rentenversicherung im Wege des "[X.]s". Die vollständigen Vertragsunterlagen erhielt er vom Versicherungsunternehmen per Post zugesandt. In der Folgezeit zahlte der Beschwerdeführer zu 2. Versicherungsprämien in Höhe von 8.775,00 € ein. Mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2009 erklärte der Beschwerdeführer zu 2. den "Wi[X.]pruch gem. § 5a [X.] a.F.", hilfsweise die Kündigung des [X.]. Das beklagte Versicherungsunternehmen wertete das Schreiben als Kündigung, errechnete einen Rückkaufswert von 3.690,19 € und zahlte diesen an den Beschwerdeführer zu 2. aus.

8

Im Verfahren 2 BvR 1969/12 beantragte der Beschwerdeführer zu [X.] den Abschluss eines [X.] über eine Lebensversicherung im Wege des "[X.]s". Die vollständigen Vertragsunterlagen erhielt er vom Versicherungsunternehmen per Post zugesandt. In der Folgezeit zahlte der Beschwerdeführer zu 3. Versicherungsprämien in Höhe von 9.681,56 € ein. Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 20. September 2010 erklärte der Beschwerdeführer zu 3. den "Wi[X.]pruch gem. § 5a [X.] a.F.", hilfsweise die Kündigung des [X.]. Das beklagte Versicherungsunternehmen wertete das Schreiben als Kündigung, errechnete einen Rückkaufswert von 8.184,83 € und zahlte diesen an den Beschwerdeführer zu 3. aus.

9

Im Verfahren 2 BvR 1990/12 beantragte die Beschwerdeführerin zu 4. im Jahr 2004 den Abschluss eines [X.] über eine fondsgebundene Lebensversicherung im Wege des "[X.]s". Die vollständigen Vertragsunterlagen erhielt sie vom Versicherungsunternehmen per Post zugesandt. In der Folgezeit zahlte die Beschwerdeführerin zu 4. Versicherungsprämien in Höhe von 10.600,00 € ein. Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 27. Mai 2010 erklärte die Beschwerdeführerin zu 4. den "Wi[X.]pruch gem. § 5a [X.] a.F.", hilfsweise die Kündigung des [X.]. Das beklagte Versicherungsunternehmen wertete das Schreiben als Kündigung, errechnete einen Rückkaufswert von 5.604,89 € und zahlte diesen an die Beschwerdeführerin zu 4. aus.

b) Das [X.] wies alle Klagen vollumfänglich ab. Zur Begründung führte es jeweils aus, der Wi[X.]pruch der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer sei bereits deshalb unwirksam, weil sie die maximale Frist des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. versäumt hätten.

c) Die Berufung der Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer wies das [X.] jeweils mit den angegriffenen Urteilen zurück. § 5a Abs. 1 [X.] in Verbindung mit Abs. 2 [X.] [X.] a.F. stehe im Einklang mit [X.] Recht. Diese Gesetzesbestimmungen stellten sich insbesondere nicht als fehlerhafte Umsetzung der Bestimmungen in Art. 31 Abs. 1 in Verbindung mit [X.] [X.] der [X.] [X.] des Rates vom 10. November 1992 beziehungsweise Art. 36 Abs. 1 in Verbindung mit [X.]I [X.] der die erstgenannte Richtlinie ablösenden Richtlinie 2002/83/[X.] und des Rates vom 5. November 2002 dar. Danach seien dem Versicherungsnehmer vor Abschluss des [X.] "mindestens die in Anhang .. (II nach Art. 31 Abs. 1 der [X.] [X.] bzw. III nach Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/[X.]) [X.] aufgeführten Angaben mitzuteilen." In dem jeweils genannten Anhang würden sodann die erforderlichen Angaben im Einzelnen aufgeführt. Diesen Anforderungen werde § 5a Abs. 1, Abs. 2 [X.] [X.] a.F. inhaltlich gerecht. Soweit er die Übermittlung der Verbraucherinformation nach § 10a [X.], in dem die Angaben aus den Anhängen der Richtlinien übernommen worden seien, nicht zwingend bis zur Antragstellung verlange, bleibe der Vertrag bis zum Ablauf einer vierzehntägigen Wi[X.]pruchsfrist nach Überlassung der Unterlagen schwebend unwirksam (vgl. Senat, [X.], [X.] ff.; [X.] ff. sowie [X.] 2011, [X.]; [X.], [X.], S. 837 ff.; [X.], [X.], [X.] ff.). Diese rechtliche Konstruktion gewährleiste, dass die vertragliche Bindung des Versicherungsnehmers erst nach der gebotenen Verbraucherinformation eintrete (Senat, a.a.[X.]). Entgegen der Auffassung des [X.]s sei § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F. und die Frage seiner Europarechtskonformität nicht entscheidungserheblich.

4. Bereits die [X.]/[X.] des Rates vom 5. März 1979 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die Aufnahme und Ausübung der Direktversicherung (Lebensversicherung) ([X.]. [X.] Nr. L 63 vom 13. März 1979, [X.] ff.; im Folgenden: Erste Lebensversicherungsrichtlinie) enthielt Regelungen für den Bereich der "Lebensversicherung". Sie wurde durch die Zweite Richtlinie 90/619/[X.] des Rates vom 8. November 1990 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) und zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie zur Änderung der Richtlinie 79/267/[X.] ([X.]. [X.] Nr. L 330 vom 29. November 1990, [X.] ff.; im Folgenden: Zweite Lebensversicherungsrichtlinie) geändert und ergänzt. Die Zweite Lebensversicherungsrichtlinie wiederum wurde geändert durch die [X.]/[X.] des Rates vom 10. November 1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Direktversicherung (Lebensversicherung) sowie zur Änderung der [X.]/[X.] und 90/619/[X.] ([X.]. [X.] Nr. L 360 vom 9. Dezember 1992, [X.] ff.; im Folgenden Dritte Lebensversicherungsrichtlinie). Art. 15 der Zweiten Lebensversicherungsrichtlinie in der durch Art. 30 der [X.] geänderten Fassung hatte folgenden Wortlaut:

(1) Jeder Mitgliedstaat schreibt vor, dass der Versicherungsnehmer eines individuellen Lebensversicherungsvertrags von dem Zeitpunkt an, zu dem der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist, über eine Frist verfügt, die zwischen 14 und 30 Tagen betragen kann, um von dem Vertrag zurückzutreten.

Die Mitteilung des Versicherungsnehmers, dass er vom Vertrag zurücktritt, befreit ihn für die Zukunft von [X.] aus diesem Vertrag resultierenden Verpflichtungen.

Die übrigen rechtlichen Wirkungen des Rücktritts und die dafür erforderlichen Voraussetzungen werden gemäß dem auf den Versicherungsvertrag nach Artikel 4 anwendbaren Recht geregelt, insbesondere was die Modalitäten betrifft, nach denen der Versicherungsnehmer davon in Kenntnis gesetzt wird, dass der Vertrag geschlossen ist.

(2) Bei Verträgen mit einer Laufzeit von höchstens sechs Monaten oder wenn der Versicherungsnehmer aufgrund seines Status oder wegen der Umstände, unter denen der Vertrag geschlossen wird, dieses besonderen Schutzes nicht bedarf, können die Mitgliedstaaten von der Anwendung von Absatz 1 absehen. Die Mitgliedstaaten legen in ihren Rechtsvorschriften die Fälle fest, in denen Absatz 1 nicht zur Anwendung gelangt.

In Art. 31 der [X.] war die Verpflichtung geregelt, dem Versicherungsnehmer vor Abschluss des Vertrags bestimmte Angaben mitzuteilen:

(1) Vor Abschluss des [X.] sind dem Versicherungsnehmer mindestens die in [X.] [X.] aufgeführten Angaben mitzuteilen.

(2) Der Versicherungsnehmer muss während der gesamten Vertragsdauer über alle Änderungen der in [X.] B aufgeführten Angaben auf dem Laufenden gehalten werden.

(3) Der Mitgliedstaat der Verpflichtung kann von den Versicherungsunternehmen nur dann die Vorlage von Angaben zusätzlich zu den in [X.] genannten Auskünften verlangen, wenn diese für das tatsächliche Verständnis der wesentlichen Bestandteile der Versicherungspolice durch den Versicherungsnehmer notwendig sind.

(4) Die Durchführungsvorschriften zu diesem Artikel und zu [X.] werden von dem Mitgliedstaat der Verpflichtung erlassen.

In [X.] war eine Aufzählung der Informationen aufgeführt, die dem Versicherungsnehmer "entweder (A) vor Abschluss des Vertrages oder (B) während der Laufzeit des [X.] waren. Die Informationen waren "eindeutig und detailliert schriftlich in einer Amtssprache des Mitgliedstaats der Verpflichtung abzufassen". [X.] enthielt eine Tabelle, in deren linker Spalte die Informationen über das Versicherungsunternehmen und in deren rechter Spalte die Informationen über die Versicherungspolicen selbst genannt waren.

Die am 20. Dezember 2002 in [X.] getretene Richtlinie 2002/83/[X.] und des Rates vom 5. November 2002 über Lebensversicherungen ([X.]. [X.] vom 19. Dezember 2002, [X.] ff.; im Folgenden: Lebensversicherungsrichtlinie) sah in ihren Art. 35 und Art. 36 vergleichbare Regelungen vor. Durch sie wurden zugleich die Erste, Zweite und Dritte Lebensversicherungsrichtlinie einschließlich ihrer Änderungen aufgehoben. Die Lebensversicherungsrichtlinie wurde ihrerseits durch die Richtlinie 2009/138/[X.] und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit ([X.]) ([X.]. [X.] Nr. L 335 vom 17. Dezember 2009, [X.] ff.) mit Wirkung zum 1. November 2012 aufgehoben.

Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer wenden sich mit ihren [X.] gegen die Zurückweisung ihrer Berufungen und rügen eine Verletzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG.

Indem das [X.] jeweils davon abgesehen habe, sich zur unionsrechtlichen Rechtslage hinreichend kundig zu machen und es seine Vorlagepflicht an den [X.] nach Art. 267 Abs. 3 A[X.]V mit einer offenkundig nicht tragfähigen Begründung verneint habe, habe es das Recht auf [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt. Als letztinstanzlich entscheidendes Gericht sei das [X.] verpflichtet gewesen, die Frage, ob das durch § 5a [X.] a.F. eröffnete "[X.]" den unionsrechtlichen Vorgaben entspreche, gemäß Art. 267 Abs. 3 A[X.]V dem [X.] zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Die Auslegung der einschlägigen Richtlinienbestimmungen, nach denen dem Versicherungsnehmer die Informationen "vor Abschluss des [X.]" mitzuteilen seien, sei keinesfalls zweifelsfrei. Nach dem Ziel der Richtlinien müssten dem Versicherungsnehmer die Informationen bereits vorliegen, bevor er eine Auswahlentscheidung treffe und er seine auf den Vertragsschluss gerichtete Willenserklärung abgebe. Dem damit verfolgten Zweck, dem Versicherungsnehmer die Auswahl eines seinen Bedürfnissen am besten entsprechenden Angebots zu ermöglichen, werde § 5a [X.] a.F. nicht gerecht, weil hiernach Versicherer ihre vorvertraglichen Informationspflichten erst nach der Auswahlentscheidung des Versicherungsnehmers erfüllen müssten. Daran ändere auch die Einräumung eines Wi[X.]pruchsrechts nichts, weil dem Versicherungsnehmer die [X.] aufgebürdet werde, was einer effektiven Durchsetzung der vorvertraglichen Informationspflichten wi[X.]preche.

Das [X.] sei in den angegriffenen Entscheidungen seiner Vorlagepflicht willkürlich nicht nachgekommen. Es habe sich weder mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] noch mit dem im Jahr 2005 durch die [X.] gegen die [X.] eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren (Nr. 2005/5046) befasst. Indem es stattdessen lediglich auf die unzureichende Begründung eigener Entscheidungen und mehrerer Entscheidungen anderer Berufungsgerichte Bezug genommen habe, habe das [X.] einen insgesamt leichtfertigen Umgang mit dem Unionsrecht dokumentiert.

Die [X.] sind dem [X.] des [X.] sowie den in den Ausgangsverfahren beklagten Versicherungsunternehmen zugestellt worden. Die Akten der Ausgangsverfahren wurden beigezogen. Im Verfahren 2 BvR 892/12 wurden zudem der Präsident des [X.], der [X.] ([X.]), der [X.] versicherter Unternehmer e.V. ([X.]), der [X.] ([X.]) und der [X.] der Versicherten e.V. ([X.]) als sachkundige Dritte um die Abgabe einer Stellungnahme gebeten. Die eingegangenen Stellungnahmen wurden auch den Beteiligten der übrigen Verfahren zur Kenntnis gegeben.

1. Das [X.] des [X.], der [X.] und der [X.] versicherter Unternehmer e.V. haben von einer Äußerung abgesehen.

2. Die in den jeweiligen Ausgangsverfahren beklagten Versicherungsunternehmen haben - mit Ausnahme des Verfahrens 2 BvR 1969/12 - jeweils eine Stellungnahme abgegeben und die angegriffenen Entscheidungen verteidigt.

a) Die in den Verfahren 2 BvR 892/12 und 2 BvR 893/12 erhobenen [X.] seien bereits unzulässig, weil den Beschwerdeführern das Rechtsschutzbedürfnis fehle, da einer Rückabwicklung des [X.] auch bei unterstellter Unionsrechtswidrigkeit des "[X.]s" § 242 BGB entgegenstehe. Im Übrigen sei das "[X.]" jedoch vollumfänglich europarechtskonform, was die einhellige Rechtsprechung der Instanzgerichte ebenso beurteile.

b) Im Verfahren 2 BvR 1990/12 hält das beklagte Versicherungsunternehmen die Verfassungsbeschwerde wegen fehlendem Rechtsschutzbedürfnis für unzulässig. Die Beschwerdeführerin rüge nur vordergründig Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, in Wahrheit erstrebe sie eine allgemeine Normenkontrolle des "[X.]s". Zudem sei der Versicherungsvertrag ordnungsgemäß zustande gekommen. Das [X.] sei auch deshalb an einer Vorlage an den [X.] gehindert gewesen, weil eine richtlinienkonforme Auslegung von § 5a [X.] a.F. nicht möglich sei. Die Verfassungsbeschwerde sei aber auch unbegründet, weil das "[X.]" offensichtlich europarechtskonform sei.

3. Der Präsident des [X.] hat eine Stellungnahme des stellvertretenden Vorsitzenden des [X.] vom 17. Juni 2014 übermittelt. Darin wird insbesondere ausgeführt, dass seit Anfang 2012 über 100 gleichgelagerte Fälle beim [X.]esgerichtshof anhängig geworden seien, und dass der [X.]esgerichtshof sich demnächst mit der Problematik des "[X.]s" auseinanderzusetzen habe. Ergänzend wird auf die im Verfahren 1 BvR 2771/11 abgegebene Stellungnahme vom 25. Januar 2012 Bezug genommen, in der mitgeteilt wurde, der [X.] sei mit den im Verfassungsbeschwerdeverfahren aufgeworfenen Rechtsfragen bereits mehrmals befasst gewesen. Eine Vorlage in Bezug auf die [X.] des "[X.]s" sei bislang nicht vorgesehen gewesen, sondern nur eine Vorlage zur [X.] der Regelung des § 5a Abs. 2 Satz 4 [X.] a.F.

4. Der [X.] der Versicherten e.V. hält die Verfassungsbeschwerde für zulässig und begründet. Er tritt ihren rechtlichen Wertungen vollumfänglich bei und ist der Auffassung, ihr sei unter Anwendung der Maßstäbe der einschlägigen Beschlüsse der [X.] des [X.] ebenfalls stattzugeben (vgl. [X.], Beschlüsse der [X.] des [X.] vom 3. März 2014 - 1 BvR 2083/11 -, [X.], [X.] ff.; vom 2. Juli 2014 - 1 BvR 543/12, 1 BvR 544/12, 1 BvR 545/12, 1 BvR 892/12, 1 BvR 894/12, 1 BvR 2476/12 -, juris).

5. Der [X.] hat unter Vorlage zweier Rechtsgutachten die von der Verfassungsbeschwerde angegriffene Entscheidung verteidigt. Die von dem Berufungsgericht angenommene [X.] der Regelung des § 5a [X.] a.F. entspreche dem von der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen und zutreffenden Standpunkt. Es sei daher verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn ein letztinstanzliches Gericht, das mit der herrschenden Meinung keine Zweifel an der [X.] des § 5a [X.] a.F. habe, von einer Vorlage der Rechtsfrage an den [X.] absehe. Im Übrigen sei die Frage nach der Unionsrechtwidrigkeit des "[X.]s" im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich, weil eine richtlinienkonforme Auslegung insoweit nicht möglich wäre.

Die Kammer verbindet die [X.] zur gemeinsamen Entscheidung, nimmt sie zur Entscheidung an und gibt ihnen statt, weil sie unter Berücksichtigung der bereits hinreichend geklärten Maßstäbe zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. [X.]E 73, 339 <366 ff.>; 75, 223 <233 ff.>; 82, 159 <192 ff.>; 126, 286 <315 ff.>; 128, 157 <186 ff.>; 129, 78 <105 ff.>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12 -, NVwZ 2014, S. 646 <657>) offensichtlich begründet sind (§ 93c Abs. 1 [X.] i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b [X.]G).

1. Die Entscheidungen des Berufungsgerichts verletzen die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer wegen einer unhaltbaren Handhabung der Vorlagepflicht gemäß Art. 267 Abs. 3 A[X.]V in ihrem Recht auf [X.] (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG).

a) Der [X.] ist [X.] im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. [X.]E 73, 339 <366>; 82, 159 <192>; 126, 286 <315>; 128, 157 <186 f.>; 129, 78 <105>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12 -, NVwZ 2014, S. 646 <657>). Unter den Voraussetzungen des Art. 267 Abs. 3 A[X.]V sind die nationalen Gerichte von Amts wegen gehalten, den Gerichtshof anzurufen (vgl. [X.]E 82, 159 <192 f.>; 128, 157 <187>; 129, 78 <105>; st[X.]pr). Kommt ein [X.] Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des Gerichtshofs im Wege des [X.] daher nicht nach oder stellt es ein Vorabentscheidungsersuchen, obwohl eine Zuständigkeit des Gerichtshofs der [X.] nicht gegeben ist (vgl. [X.], Urteil des [X.] vom 24. April 2013 - 1 BvR 1215/07 -, NJW 2013, [X.]499 <1501>, Rn. 91; Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12 -, NVwZ 2014, S. 646 <657>), kann dem [X.] des Ausgangsrechtsstreits [X.] entzogen sein (vgl. [X.]E 73, 339 <369>; 126, 286 <315>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12 -, NVwZ 2014, S. 646 <657>).

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] ([X.], Urteil vom 6. Oktober 1982, [X.]. [X.]/81, [X.], [X.]. 1982, S. 3415 ff., Rn. 21) muss ein nationales letztinstanzliches Gericht seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. auch [X.]E 82, 159 <193>; 128, 157 <187>; 129, 78 <105 f.>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12 -, NVwZ 2014, S. 646 <657>).

b) Durch die grundrechtsähnliche Gewährleistung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wird das [X.]esverfassungsgericht allerdings nicht zu einem Kontrollorgan, das jeden die gerichtliche Zuständigkeitsordnung berührenden Verfahrensfehler korrigieren müsste. Es muss vielmehr dem Umstand Rechnung tragen, dass die Kontrolle der gerichtlichen Zuständigkeitsverteilung in erster Linie in den Händen der Fachgerichte liegt (vgl. [X.]E 82, 159 <194>). Das [X.]esverfassungsgericht beanstandet die Auslegung und Anwendung von Normen, die die gerichtliche Zuständigkeitsverteilung regeln, daher nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind (vgl. [X.]E 29, 198 <207>; 82, 159 <194>).

Diese Grundsätze gelten auch für die unionsrechtliche Zuständigkeitsvorschrift des Art. 267 Abs. 3 A[X.]V ([X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12 -, NVwZ 2014, S. 646 <657>). Daher stellt nicht jede Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht zugleich einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar (vgl. [X.]E 126, 286 <315>). Das [X.]esverfassungsgericht überprüft nur, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 A[X.]V bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. [X.]E 126, 286 <315 f.>; 128, 157 <187>; 129, 78 <106>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12 -, NVwZ 2014, S. 646 <657>). Durch die zurückgenommene verfassungsrechtliche Prüfung behalten die Fachgerichte bei der Auslegung und Anwendung von Unionsrecht einen Spielraum eigener Einschätzung und Beurteilung, der demjenigen bei der Handhabung einfachrechtlicher Bestimmungen der [X.] Rechtsordnung entspricht. Das [X.]esverfassungsgericht wacht allein über die Einhaltung der Grenzen dieses Spielraums (vgl. [X.]E 126, 286 <316> m.w.N.). Ein "oberstes Vorlagenkontrollgericht" ist es nicht (vgl. [X.]E 126, 286 <316>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12 -, NVwZ 2014, S. 646 <657>; [X.]K 13, 506 <512>; 14, 230 <233>; 16, 328 <336>; [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 9. November 1987 - 2 BvR 808/82 -, NJW 1988, [X.]456 <1457>).

aa) Die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 A[X.]V wird in den Fällen offensichtlich unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der - seiner Auffassung nach bestehenden - Entscheidungserheblichkeit der unionsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt und das Unionsrecht somit eigenständig fortbildet (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht; vgl. [X.]E 82, 159 <195 f.>; 126, 286 <316 f.>; 128, 157 <187 f.>; 129, 78 <106 f.>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12 -, NVwZ 2014, S. 646 <657>).

bb) Gleiches gilt in den Fällen, in denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt (bewusstes Abweichen ohne Vorlagebereitschaft; vgl. [X.]E 82, 159 <195 f.>; 126, 286 <316 f.>; 128, 157 <187 f.>; 129, 78 <106 f.>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12 -, NVwZ 2014, S. 646 <657>).

cc) Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] hingegen noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit (Unvollständigkeit der Rechtsprechung), wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschreitet (vgl. [X.]E 82, 159 <195 f.>; 126, 286 <316 f.>; 128, 157 <187 f.>; 129, 78 <106 f.>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12 -, NVwZ 2014, S. 646 <657>). Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn die Fachgerichte das Vorliegen eines "acte clair" oder eines "acte [X.]" willkürlich bejahen (vgl. [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12 -, NVwZ 2014, S. 646 <657>). Das Gericht muss sich daher hinsichtlich des materiellen Unionsrechts hinreichend kundig machen. Etwaige einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] muss es auswerten und seine Entscheidung hieran orientieren (vgl. [X.]E 82, 159 <196>; 128, 157 <189>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12 -, NVwZ 2014, S. 646 <657>). Auf dieser Grundlage muss das Fachgericht unter Anwendung und Auslegung des materiellen Unionsrechts (vgl. [X.]E 75, 223 <234>; 128, 157 <188>; 129, 78 <107>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12 -, NVwZ 2014, S. 646 <657>) die vertretbare Überzeugung bilden, dass die Rechtslage entweder von vornherein eindeutig ("acte clair") oder durch Rechtsprechung in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offen lässt ("acte [X.]"; vgl. [X.]E 129, 78 <107>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12 -, NVwZ 2014, S. 646 <657>). [X.] gehandhabt wird Art. 267 Abs. 3 A[X.]V im Falle der Unvollständigkeit der Rechtsprechung insbesondere dann, wenn das Fachgericht eine von vornherein eindeutige oder zweifelsfrei geklärte Rechtslage ohne sachlich einleuchtende Begründung bejaht (vgl. [X.]E 82, 159 <196>; [X.], Urteil des [X.] vom 28. Januar 2014 - 2 BvR 1561, 1562, 1563, 1564/12 -, NVwZ 2014, S. 646 <657>; zum Vorliegen eines solchen Falles, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Unionsrechts gegenüber der vom Gericht zugrunde gelegten Meinung eindeutig vorzuziehen sind, vgl. [X.]E 82, 159 <196>; 126, 286 <317>).

2. Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht die Vorlagepflicht in nicht mehr vertretbarer Weise gehandhabt und durch das Unterlassen der Vorlage an den [X.] Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt.

a) Das Berufungsgericht ist Gericht im Sinne von Art. 267 Abs. 3 A[X.]V, weil seine Entscheidung nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden kann. In Fällen der zulassungsgebundenen Revision (vgl. dazu [X.]E 82, 159 <196>), in denen die Nichtzulassung der Revision durch das Instanzgericht nicht mit dem Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbar ist, tritt die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 A[X.]V bei dem Gericht ein, das die Revision nicht zugelassen hat. Das ist vorliegend das Berufungsgericht, weil der Wert der mit der Revision (im Falle ihrer Zulassung) geltend zu machenden Beschwer 20.000 € nicht übersteigt und somit die Nichtzulassungsbeschwerde, die "Rechtsmittel" im Sinne von Art. 267 Abs. 3 A[X.]V ist (vgl. [X.]E 82, 159 <196>), unzulässig ist (vgl. § 26 Nr. 8 [X.]ZPO).

b) Durch die Annahme, die Frage der [X.] des in § 5a Abs. 1 [X.] a.F. geregelten "[X.]s" bedürfe nicht der Vorlage an den [X.], weil die obergerichtliche Rechtsprechung einen Verstoß gegen unionsrechtliche Vorgaben bisher verneint habe, hat das Berufungsgericht Art. 267 Abs. 3 A[X.]V unvertretbar gehandhabt (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 3. März 2014 - 1 BvR 2083/11 -, [X.], [X.] ff.).

aa) Die Frage der [X.] des durch § 5a Abs. 1, Abs. 2 [X.] [X.] a.F. eröffneten "[X.]s" war nach der Auffassung des Berufungsgerichts entscheidungserheblich. Sie war und ist durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs der [X.] bisher nicht beantwortet. Der [X.] hat insbesondere in seinem Urteil vom 19. Dezember 2013 ([X.], Urteil vom 19. Dezember 2013 - [X.]. [X.]/12 - Endress, NJW 2014, [X.]) von einer Stellungnahme dazu abgesehen, ob das "[X.]" insgesamt richtlinienkonform ist.

bb) Ein "acte clair" lag nicht vor. Der durch das Berufungsgericht zur Begründung seines Standpunktes angeführte Verweis auf die vorangegangene eigene und die von ihm in diesem Zusammenhang in Bezug genommenen Entscheidungen anderer [X.]e (vgl. [X.], Beschluss vom 5. Februar 2010 - 20 U 150/09 -, [X.], [X.]; Beschluss vom 29. Oktober 2010 - 20 U 100/10 -, [X.], [X.]; Beschluss vom 9. Juli 2010 - 20 U 51/10 -, juris ; [X.] a.M., Urteil vom 10. Dezember 2003 - 7 U 15/03 -, [X.], [X.]; [X.], Urteil vom 5. Dezember 2000 - 4 U 32/00 -, [X.], S. 837) sind vorliegend nicht geeignet, um die richtige Anwendung des Unionsrechts als derart offenkundig erscheinen zu lassen, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 3. März 2014 - 1 BvR 2083/11 -, [X.], [X.] <648>).

(1) Die angeführten Entscheidungen gehen zum einen davon aus, dass Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/[X.] (bzw. Art. 31 Abs. 1 der [X.]/[X.]) lediglich eine Übermittlung der Verbraucherinformationen "vor" Vertragsschluss erfordere und dass § 5a Abs. 1 [X.] [X.] a.F. dem hinreichend Rechnung trage, weil der Vertrag erst nach Ablauf der Wi[X.]pruchsfrist rechtsverbindlich zustande komme. Der Verbraucher könne mithin die Informationen prüfen, bevor er sich endgültig für den Vertragsschluss entscheide. Dies trage dem Ziel der Richtlinie, Markttransparenz zu schaffen, Rechnung. Diese Erwägungen sind nicht geeignet, die Auslegung des Unionsrechts als offenkundig im Sinne eines "acte clair" erscheinen zu lassen.

Die in Bezug genommenen Entscheidungen haben sich zunächst, sofern es ihnen nach der zeitlichen Abfolge überhaupt möglich war, nicht mit den beachtlichen Gegenargumenten der [X.] in dem von ihr im Jahr 2005 gegen die [X.] eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren (Nr. 2005/5046) auseinandergesetzt. Die [X.] hatte in ihrer Stellungnahme vom 12. Oktober 2006 darauf hingewiesen, dass der Versicherungsnehmer nach der [X.] Regelung bereits eine Auswahlentscheidung für eine Versicherung treffen müsse, bevor ihm die notwendigen Informationen erteilt würden. Nach Erteilung der Information müsse er sodann durch fristgemäßes Erheben eines Wi[X.]pruchs aktiv werden, um eine Bindung an den Vertrag zu verhindern. Es spreche daher Einiges dafür, dass dies die Zielsetzung der Richtlinie, den Versicherungsbinnenmarkt zu stärken, [X.]. Der Verbraucher solle nämlich gerade deshalb umfassend informiert werden, um die Vielfalt der Angebote im Binnenmarkt und den verstärkten Wettbewerb der Versicherer untereinander besser nutzen und einen seinen Bedürfnissen am ehesten entsprechenden Vertrag auswählen zu können (siehe die Erwägungsgründe [X.] und [X.]2 der Richtlinie 2002/83/[X.] bzw. die Erwägungsgründe Nr. 20 und Nr. 23 der [X.]/[X.]; vgl. dazu weiter und ebenso die Generalanwältin [X.] bei Rn. 59 ihrer Schlussanträge vom 11. Juli 2013 in der Rechtssache [X.]/12 - Endress).

Nach dem "[X.]" musste ein Versicherungsnehmer in der Tat möglicherweise gegenüber mehreren Versicherern zunächst Anträge auf Abschluss eines [X.] stellen, um erst mit der Versicherungspolice die spezifischen Informationen zu erhalten, die ihm eine sachgerechte Auswahlentscheidung ermöglichten. Damit wurden ihm nicht nur eine mit erheblichen Risiken - etwa dem der Fristversäumnis - behaftete "[X.]" aufgebürdet; es erscheint auch lebensfremd, dass er die nicht immer zeitgleich bei ihm eingehenden Versicherungsbedingungen während der regelmäßig unterschiedlich laufenden Wi[X.]pruchsfristen eingehend vergleichen konnte [X.], [X.] 1999, S. 335 <341 f.>; [X.], Informationspflichten des Versicherers und Abschluss des Versicherungsvertrages, 1996, [X.] f.; [X.], [X.] als Informationsproblem, 2003, [X.]09 ff. <113 f.>). Dass die Verträge vor Ablauf der Wi[X.]pruchsfrist rechtsdogmatisch noch "schwebend unwirksam" sind, ist insoweit nicht entscheidend. Entscheidend ist vielmehr, dass dem Versicherungsnehmer angesonnen wurde, mehrere auf Abschluss verschiedener Verträge gerichtete Willenserklärungen abzugeben, von vornherein jedoch mit der Absicht, alle Erklärungen bis auf eine später zu widerrufen, nur um vor dem Wirksamwerden der Verträge in den Besitz der gebotenen Verbraucherinformation zu gelangen. Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2002/83/[X.] stellt demgegenüber auf einen Zeitpunkt "vor Abschluss des [X.]" ab, nicht fernliegender Weise also auf den Zeitpunkt der maßgeblichen, zum Vertragsschluss führenden Willenserklärung.

(2) Zum anderen vermag auch die Annahme des [X.]s, die Richtlinie mache den Mitgliedstaaten ausschließlich Vorgaben für das Versicherungsaufsichtsrecht und strebe eine Harmonisierung des [X.]rechts gerade nicht an (vgl. die Erwägungsgründe [X.] und Nr. 44 der Richtlinie 2002/83/[X.] bzw. die Erwägungsgründe [X.] und Nr. 19 der [X.]/[X.]), der [X.] Gesetzgeber aber habe ihre Vorgaben in § 10a [X.] umgesetzt, das Unterlassen einer Vorlage an den [X.] nicht zu rechtfertigen. Sie gibt für die Auslegung des Unionsrechts vielmehr nichts her.

Zwar war die Informationspflicht "vor" Abschluss des Vertrages in § 10a [X.] aufsichtsrechtlich normiert; ihr Inhalt war freilich durch die versicherungsvertragsrechtliche Regelung des § 5a [X.] a.F. geprägt. Da Maßstab für die Versicherungsaufsicht ausweislich des § 81 Abs. 1 [X.] jedoch allein die "Einhaltung der aufsichtsrechtlichen, der das Versicherungsverhältnis betreffenden und aller sonstigen die Versicherten betreffenden Vorschriften" sind, bestand für ein Einschreiten der Aufsichtsbehörden kein Anlass, solange das [X.]recht das "[X.]" als Möglichkeit für den Abschluss eines [X.] vorsah, (vgl. nur [X.], in: Micklitz, Verbraucherrecht in [X.] - Stand und Perspektiven, 2005, [X.], 260 ff. <266 f.>). Sollte die Praxis der Informationserteilung im Rahmen des "[X.]s" nach § 5a Abs. 1 [X.] [X.] a.F. der Richtlinie daher nicht entsprochen haben, hätte die [X.] der Richtlinie auch durch das Aufsichtsrecht mithin keine praktische Wirksamkeit verschafft.

(3) Darüber hinaus spricht gegen die Annahme eines "acte clair" (vgl. [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 3. März 2014 - 1 BvR 2083/11 -, [X.], [X.] <649>), dass der Gesetzgeber ausweislich der Begründung zu der am 1. Januar 2008 in [X.] getretenen Reform des [X.]gesetzes die Vereinbarkeit des - abgeschafften - "[X.]s" mit unionsrechtlichen Vorgaben als "nicht zweifelsfrei" eingeschätzt hat (vgl. BTDrucks 16/3945, [X.]) und dass die [X.] des "[X.]s" im Schrifttum außerordentlich umstritten war (die [X.] bezweifeln: [X.], [X.] 1999, S. 335 <341 f.>; [X.], in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.]/[X.]/[X.], Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, Private Krankenversicherung und Gesundheitsreform, Schwachstellen der [X.]-Reform, 2009, [X.]37 <145 f.>; [X.]/[X.], [X.], [X.]710 <1712>; [X.], in: Micklitz, Verbraucherrecht in [X.] - Stand und Perspektiven, 2005, [X.] <260 ff.>; [X.], in: [X.]/Fock, Europäisches [X.]recht, [X.], 2002, [X.]39 <164 f.>; Micklitz/[X.], in: [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.] durch und im [X.] bei Abschluss von privaten Versicherungsverträgen - Altersvorsorgeverträge - [X.]-Reform, 2003, S. 43 <82 f.>; [X.], Informationspflichten des Versicherers und Abschluss des Versicherungsvertrages, 1996, [X.] f.; [X.], [X.] als Informationsproblem, 2003, [X.]09 ff. <116 f.>; [X.], [X.] 1996, S. 223 <238 f.>; die Übereinstimmung mit den Richtlinienvorgaben bejahen: [X.], in: [X.], [X.]gesetz, 9. Aufl. 2009, § 7 Rn. 65; [X.], [X.], S. 616 <625 f.>; [X.]., [X.], S. 773 <780 f.>; [X.], in: [X.][X.], [X.]gesetz, 27. Aufl. 2004, [X.] § 5a Rn. 8; [X.], [X.], S. 267 <271>; [X.], [X.], [X.]045 <1056>; Wandt, Verbraucherinformation und Vertragsschluss nach neuem Recht - Dogmatische Einordnung und praktische Handhabung -, 1995, S. 31 ff.).

c) Die angegriffenen Urteile des Berufungsgerichts über die Zurückweisung der Berufung beruhen auf dem festgestellten Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. hierzu [X.], Beschluss der [X.] des [X.] vom 3. März 2014 - 1 BvR 2083/11 -, [X.], [X.] <649 f.>).

Die Anordnung der Auslagenerstattung folgt aus § 34a Abs. 2 [X.]G.

Die Festsetzung des [X.] beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG in der gemäß § 60 Abs. 1 RVG vor dem 1. August 2013 geltenden Fassung und den durch das [X.]esverfassungsgericht für die Festsetzung des [X.] im Verfahren der Verfassungsbeschwerde entwickelten und fortgeltenden Maßstäbe (vgl. [X.]E 79, 357 ff.; 365 ff.).

Meta

2 BvR 892/12, 2 BvR 893/12, 2 BvR 1969/12, 2 BvR 1990/12

04.11.2014

Bundesverfassungsgericht 2. Senat 3. Kammer

Stattgebender Kammerbeschluss

Sachgebiet: BvR

vorgehend OLG Köln, 16. März 2012, Az: 20 U 202/11, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesverfassungsgericht, Stattgebender Kammerbeschluss vom 04.11.2014, Az. 2 BvR 892/12, 2 BvR 893/12, 2 BvR 1969/12, 2 BvR 1990/12 (REWIS RS 2014, 1680)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 1680


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 2 BvR 892/12, 2 BvR 893/12, 2 BvR 1969/12, 2 BvR 1990/12

Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 892/12, 2 BvR 893/12, 2 BvR 1969/12, 2 BvR 1990/12, 04.11.2014.


Az. 20 U 202/11

Oberlandesgericht Köln, 20 U 202/11, 30.01.2015.


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1 BvR 2083/11

IV ZR 252/08

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1 BvR 2534/10

1 BvR 1215/07

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