Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.06.2012, Az. 2 StR 61/12

2. Strafsenat | REWIS RS 2012, 5421

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

Ablehnungsgesuch gegen Richter eines Strafsenats des BGH: Auseinandersetzung der abgelehnten Richter mit dem Präsidium des BGH über die Verfassungsmäßigkeit der Regelung der Geschäftsverteilung des Strafsenats


Tenor

Das Ablehnungsgesuch des Angeklagten gegen [X.] am [X.] [X.] sowie [X.] am [X.] Prof. Dr. Fischer und Prof. Dr. [X.] wegen der Besorgnis der Befangenheit wird als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer, der auch die vorschriftswidrige Besetzung des 2. Strafsenates gerügt hat, macht geltend, es gebe Anhaltspunkte dafür, dass die abgelehnten [X.] nicht in der ihnen durch das Grundgesetz eingeräumten Unabhängigkeit entscheiden, sondern sich bei ihren Entscheidungen durch einen durch das Präsidium des [X.] ausgeübten Druck bestimmen lassen. Dies ergebe sich aus folgenden Tatsachen:

2

Die abgelehnten [X.] hätten als Mitglieder der [X.] des 2. Strafsenates mit Beschluss vom 11. Januar 2012 (2 [X.]) festgestellt, dass der [X.] nicht ordnungsgemäß besetzt sei und das Verfahren ausgesetzt, weil die Zuweisung des [X.]svorsitzes an den abgelehnten Vorsitzenden [X.] am [X.] [X.] durch den Geschäftsverteilungsplan des [X.] mit Verfassungsrecht nicht in Einklang stehe (anders die [X.] des 2. Strafsenates, vgl. Urteil vom 11. Januar 2012 – 2 [X.]). Am 8. Februar 2012 habe gleichwohl jene [X.], die sich im Hinblick auf den [X.]svorsitz nicht für gesetzmäßig besetzt gehalten habe, in demselben Verfahren durch Urteil in der Sache entschieden. Aus Presseveröffentlichungen gehe hervor, dass ein Mitglied des [X.]s in der mündlichen Verhandlung über die Strafsache 2 [X.] am 8. Februar 2012 dem Präsidium des [X.] vorgeworfen habe, in dieser Sache auf die Rechtsprechung des [X.]es Einfluss genommen zu haben. Der Beschwerdeführer müsse deshalb befürchten, dass diese mit den Grundlagen des juristischen Denkens nicht vereinbare Handlungsweise nur auf einer Druckausübung durch das Präsidium beruhe, sich mithin die abgelehnten [X.] in einer rechtlichen Frage von ihrem Präsidium erfolgreich unter Druck hätten setzen lassen und so ihre Unabhängigkeit selbst aufgegeben hätten. Der Beschwerdeführer müsse auch befürchten, dass [X.], die bereits einmal hierzu bereit gewesen seien, sich auch weiterhin dem durch das Präsidium ausgeübten Druck beugen würden.

II.

3

[X.] hat keinen Erfolg.

4

1. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet eine Ablehnung statt, wenn ein Grund vorgebracht wird, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines [X.]s zu rechtfertigen (§ 24 Abs. 2 StPO). Die Vorschrift ist einfachgesetzlicher Ausdruck der verfassungsrechtlichen Prinzipien des gesetzlichen [X.]s (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) und der Unabhängigkeit der Gerichte (Art. 97 Abs. 1 GG), die garantieren, dass der Rechtssuchende im Einzelfall vor einem [X.] steht, der unabhängig und unparteilich ist und der die [X.] und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet (vgl. [X.] - 2 BvR 958/06 vom 27. Dezember 2006 mwN; - 2 BvR 115/95 vom 19. August 1996). Misstrauen in die Unparteilichkeit des [X.]s ist gerechtfertigt, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des [X.]s zu zweifeln ([X.] NJW 1995, 1277; [X.]E 88, 1, 4; BGHSt 24, 336, 338; [X.] StPO 54. Aufl. 2011 § 24 Rn. 8 mwN). Ob nach § 24 Abs. 2 StPO die Ablehnung eines [X.]s wegen der Besorgnis der Befangenheit stattfindet, beurteilt sich stets im Hinblick auf das konkrete Verfahren; ist ein Bezug zum konkreten Verfahrensgegenstand gegeben, kann nicht von einer verfahrensübergreifenden Generalablehnung die Rede sein, die gesetzlich nicht vorgesehen ist ([X.] - 2 BvR 115/95 vom 19. August 1996).

5

2. Nach diesen Maßstäben sind die Ablehnungsgesuche gegen den Vorsitzenden [X.] am [X.] [X.] sowie die [X.] am [X.] Prof. Dr. Fischer und Prof. Dr. [X.] als unbegründet zurückzuweisen. Der Beschwerdeführer hat bei vernünftiger Würdigung aller Umstände, unter besonderer Berücksichtigung der Gründe der Entscheidung vom 8. Februar 2012, keinen Anlass, an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der abgelehnten [X.] zu zweifeln.

6

Unerheblich ist der von einem der abgelehnten [X.] in seiner dienstlichen Erklärung aus seiner subjektiven Wahrnehmung geschilderte Ablauf seiner Anhörung am 18. Januar 2012 vor dem Präsidium. Ebenso kann dahinstehen, ob ansonsten durch das Präsidium - wie ein anderer abgelehnter [X.], der am 18. Januar 2012 nicht angehört wurde, dienstlich erklärt hat - nach seinem subjektiven Eindruck und Empfinden ein hoher Druck aufgebaut wurde, die Rechtsprechung der [X.] des [X.]es zu ihrer Besetzung aufzugeben. Weiterer Aufklärung, etwa durch Anhörung der Mitglieder des Präsidiums, bedarf es daher nicht. Selbst wenn die Behauptung, das Präsidium - das, mit Ausnahme des Präsidenten, aus von allen [X.]n am [X.] gewählten [X.]n am [X.] besteht - habe wie auch immer gearteten Druck auf die abgelehnten [X.] ausgeübt, zutreffen sollte, bezog sich dieser Druck auch nach den dienstlichen Erklärungen der abgelehnten [X.] nicht etwa inhaltlich auf die Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten, sondern ausschließlich darauf, dass den bei der [X.] des 2. Strafsenates anhängigen Verfahren - also auch dem die Beschwerdeführer betreffenden - Fortgang gegeben wird. Eine unabhängigkeitsbeeinträchtigende Einflussnahme auf die angehörten [X.] - oder den 2. Strafsenat insgesamt - ist in der vorliegenden Konstellation ausgeschlossen (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Juni 2012 - 2 BvR 610/12, 2 BvR 625/12).

7

Misstrauen in die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der abgelehnten [X.] ergibt sich bei vernünftiger Würdigung auch nicht daraus, dass die [X.] des [X.]es am 8. Februar 2012 durch Urteil - anders als noch am 11. Januar 2012 - in der Sache entschieden hat, wobei aufgrund des [X.] offen bleiben muss, welcher [X.] wie abgestimmt hat. Nach den Gründen des Beschlusses vom 11. Januar 2012 ist die Revisionshauptverhandlung deshalb ausgesetzt worden, um dem Präsidium Gelegenheit zu geben, eine mit der Verfassung in Einklang stehende Regelung herbeizuführen ([X.] 19 f.). Nachdem das Präsidium des [X.] in seiner Entscheidung vom 18. Januar 2012 an der Geschäftsverteilung für den 2. Strafsenat mit Vorsitzendem [X.] am [X.] [X.] als Vorsitzendem festgehalten hat, hat der [X.] unter Mitwirkung der abgelehnten [X.] in dem genannten Urteil ausgeführt, dass die Rechtslage zu der Frage nicht eindeutig sei, ob ein Präsidiumsbeschluss zur Geschäftsverteilung regelmäßig bindend sei, mithin die Spruchkörper des Gerichts nicht befugt seien, im fachgerichtlichen Verfahren ihre Besetzung zu überprüfen. Mit Rücksicht darauf, dass es andernfalls zu einem partiellen Stillstand der Rechtspflege käme, hat die [X.] des [X.]es es für geboten gehalten, in allen bei ihr anhängigen Revisionen in der Sache zu entscheiden, auch wenn sie sich weiterhin nicht für ordnungsgemäß besetzt hält. Der [X.] hat dies mit dem rechtsstaatlichen Beschleunigungsgebot und dem Gebot der Rechtsschutzgewährung begründet und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es nicht zu Lasten der Rechtsmittelführer gehen dürfe, dass das Präsidium des [X.] die Rechtsprechung der [X.] des [X.]es nicht umgesetzt habe.

8

Damit hat der [X.] seiner Entscheidung unter Mitwirkung der abgelehnten [X.] aus der Verfassung abgeleitete Prinzipien zugrunde gelegt, die gewährleisten sollen, dass über die Revision eines Angeklagten zügig und ohne unangemessene Verzögerung entschieden wird. Die die Entscheidung im Ergebnis leitenden Verfassungsgrundsätze wirken vor allem zu Gunsten des rechtssuchenden Bürgers; der [X.] hat bei seiner Abwägung auch bestimmend auf die Interessen der jeweiligen Rechtsmittelführer abgestellt. Es liegt aus Sicht eines vernünftigen Angeklagten fern, bei der gegebenen, von der betreffenden [X.] des [X.]s als unklar gewerteten Rechtslage und mit Rücksicht auf die für die Entscheidung angeführten, maßgeblich die Interessen der jeweiligen Revisionsführer in den Blick nehmenden Gründe, zu besorgen, dass die abgelehnten [X.] ihm bei der Entscheidung seines konkreten Falles nicht mit der gebotenen Neutralität und Distanz gegenübertreten.

9

Auch soweit es im Urteil vom 8. Februar 2012 heißt, dass "die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 97 Abs. 1 GG partiell zurückstehen" müsse und der [X.] "nach der Entscheidung des Präsidiums gehalten" sei, "in seiner Meinung nach verfassungswidriger Besetzung zu entscheiden", rechtfertigt dies bei vernünftiger Würdigung kein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der abgelehnten [X.]. Die betreffenden Formulierungen sind - ungeachtet des auch an dieser Stelle wegen des [X.] offen bleibenden Abstimmungsverhaltens der einzelnen [X.] - erkennbar in den dargelegten argumentativen Zusammenhang des Urteils eingebettet. Sie beschreiben insofern lediglich die Konsequenz, mit Rücksicht auf die in der konkreten Situation als höherrangig bewerteten Gebote der Beschleunigung und der Rechtsschutzgewährung in der Sache zu entscheiden, obwohl sich die [X.] des [X.]s nicht für ordnungsgemäß besetzt hält.

Schließlich ist auch im Übrigen nichts dafür erkennbar oder vorgetragen, dass jenseits der Besetzungsfrage in der Sache selbst ein Grund vorliegen könnte, der Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der abgelehnten [X.] rechtfertigt. Dies gilt insbesondere für die von zwei der abgelehnten [X.] behaupteten und von einem [X.] zum Gegenstand eines Antrags an das [X.]dienstgericht gemachten Umstände der Einsichtnahme in Verfahrensakten durch den Präsidenten des [X.], zumal der Angeklagte selbst daraus keinen Befangenheitsgrund herleitet.

[X.]                               Schmitt

                Mutzbauer                            [X.]

Meta

2 StR 61/12

20.06.2012

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bonn, 25. Mai 2011, Az: 24 Ks 23/10 - 930 Js 573/10

§ 24 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 20.06.2012, Az. 2 StR 61/12 (REWIS RS 2012, 5421)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 5421

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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