[X.]
- 1 BvR 1474/92 -
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der Hotel-Aktiengesellschaft C ... |
- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Prof. Dr. [X.], Dr. [X.], Dr. Jürgen Hoffmann, Dr. [X.] und [X.], [X.] 106, [X.] 1 -
gegen |
den Beschluß des [X.] vom 25. August 1992 - [X.]/92 -, |
hier: Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung, |
hat das [X.] - Erster Senat - unter Mitwirkung
des Präsidenten Herzog,
[X.],
[X.],
Grimm,
Söllner,
[X.],
Kühling
und der Richterin [X.]
am 12. Januar 1993 beschlossen:
- Bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde wird die aufschiebende Wirkung der Klage der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der [X.] vom 13. Mai 1992 - [X.].: [X.] HG 109/92 - einstweilen angeordnet.
G r ü n d e :
I.
Das Verfahren betrifft die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes nach der Zulassung der Veräußerung eines Unternehmens gemäß § 3 a des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz - [X.]) in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. April 1991 (BGBl. I S. 957). Die angegriffene Entscheidung ist nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Vermögensgesetzes und anderer Vorschriften (Zweites Vermögensrechtsänderungsgesetz 2. VermRÄndG) vom 14. Juli 1992 (BGBl. I S. 1257) ergangen.
1. Die beschwerdeführende Aktiengesellschaft erstrebt die Rückübertragung eines Hotels in [X.]. Sie macht geltend, daß es sich bei ihr um die fortbestehende Aktiengesellschaft mit gleicher Firma (im folgenden: [X.]) handele, zu deren Vermögen das Hotel ursprünglich gehört hatte.
Das Hotel wurde seit 1930 von der [X.] auf Grundstücken der [X.] [X.] betrieben, an denen der [X.] ein Erbbaurecht bestellt war. Die [X.] [X.] war spätestens 1948 Inhaberin der Aktienmehrheit. Im Mai 1949 wurde das kommunale Wirtschaftsunternehmen der [X.] [X.] ([X.]) Inhaber der Aktien der [X.]. Am 15. Dezember 1949 beschloß die Generalversammlung der [X.], deren gesamtes Vermögen auf das [X.] zu übertragen und die Aktiengesellschaft "formal zur Abwicklung" zu bringen. Der Übernahmevertrag sah als Gegenleistung vor, daß das [X.] auf die zwischenzeitlich ihm zustehenden, durch Hypotheken auf dem Erbbaurecht gesicherten Forderungen verzichtete. Ferner verpflichtete sich das [X.], den Inhabern der [X.] vom Hundert des [X.] auszuzahlen.
In der Folgezeit wurde das Vermögen der [X.] auf das [X.] übertragen. Das Grundstück ging 1951 in Volkseigentum über. Der Hotelbetrieb wurde 1952 von der HO-Gaststätten übernommen. Im November 1951 wurde in das Handelsregister eingetragen, daß die Liquidation der [X.] beendet und die Firma erloschen sei. Unternehmensträgerin des Hotels und Eigentümerin des Betriebsgrundstücks ist derzeit eine GmbH, deren Geschäftsanteile die [X.] hält.
Nachdem im Jahre 1991 für die [X.] ein Nachtragsliquidator und ein Pfleger für unbekannte Aktionäre bestellt worden waren, fand eine für die Gesellschaft in Liquidation einberufene Hauptversammlung statt, auf der die Fortsetzung der [X.] als werbende Gesellschaft sowie eine Herabsetzung des Grundkapitals unter gleichzeitiger Kapitalerhöhung beschlossen wurden. Der Löschungsvermerk im Handelsregister wurde daraufhin gemäß § 6 Abs. 10 [X.] gelöscht.
2. Schon 1991, als sich die Gesellschaft noch im Stadium der Liquidation befand, meldeten der Pfleger für unbekannte Aktionäre und der Nachtragsliquidator für die Gesellschaft Ansprüche auf Rückgabe des Hotels an. Die [X.] [X.] meldete ebenfalls den Rückgabeanspruch an; sie hat jedoch später erklärt, daß sie mit dem Verkauf des Hotels einverstanden sei und ihren Anspruch auf die Zahlung einer Entschädigung beschränke.
3. Mit Bescheid vom 13. Mai 1992 ließ die [X.] gemäß § 3 a [X.] die Veräußerung des Hotels mitsamt dem Betriebsgrundstück an die Beigeladene des Ausgangsverfahrens zu. Zur Begründung führte sie aus, eine Berücksichtigung des Investitionskonzepts der Beschwerdeführerin scheide aus, weil diese nicht als Berechtigte im Sinne des Vermögensgesetzes angesehen werden könne. Unabhängig von der Frage, ob überhaupt eine Schädigung im Sinne von § 1 [X.] vorliege, bestehe die [X.] nicht fort und könne auch das Unternehmen nicht zurückfordern, weil das nach § 6 Abs. 1 a [X.] hierfür erforderliche Quorum von mehr als 50 vom Hundert des Aktienkapitals mangels einer Beteiligung der [X.] [X.] nicht erreicht sei.
4. Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin Widerspruch und - nach dem Inkrafttreten des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes - Anfechtungsklage erhoben. Ferner hat sie beim Verwaltungsgericht beantragt, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage, hilfsweise ihres Widerspruchs, anzuordnen.
Mit dem angegriffenen Beschluß wies das Verwaltungsgericht diesen Antrag zurück. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus:
Die von dem Erwerber zugesagten Investitionen seien geeignet, die Wettbewerbsfähigkeit des Hotels zu verbessern. Das Eigenkonzept der Beschwerdeführerin habe unbeachtet bleiben können, weil sie ihre Berechtigung auf Rückübertragung nicht glaubhaft gemacht habe. Es könne bei summarischer Prüfung nicht mit der für eine Glaubhaftmachung notwendigen überwiegenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, daß die Auflösung der [X.] aufgrund unlauterer Machenschaften erfolgt sei. Die Bewertung der Aktien mit 75 vom Hundert des Nennbetrages erscheine nicht willkürlich und lasse nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf eine Schädigungsabsicht schließen. Gleiches gelte hinsichtlich der unterschiedlichen Bewertung der Gebäude in der Bilanz zum 30. Juni 1949 einerseits und durch den mit der Vermögensaufstellung befaßten Wirtschaftsprüfer im Übernahmevertrag andererseits.
5. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip sowie von Art. 3 Abs. 1, 14 Abs. 1, 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 GG. Zur Begründung macht sie unter anderem geltend:
Die Zurückweisung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz ermögliche den Vollzug des Kaufvertrags und Investitionen des Erwerbers, die nach den Vorschriften des im Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz enthaltenen [X.]gesetzes dazu führten, daß sie ihren Rückübertragungsanspruch verliere. Durch einen nachträglichen Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren könne diese Folge nicht mehr rückgängig gemacht werden. Im Hinblick darauf verstoße es gegen das Gebot wirksamen Rechtsschutzes, daß das Verwaltungsgericht das Vorliegen unlauterer Machenschaften im Jahre 1949 nur summarisch geprüft habe. Art. 19 Abs. 4 GG garantiere eine volle Tatsachen- und Rechtsinstanz mit einer Beweisaufnahme. Diese hätte hier die Fehlerhaftigkeit der Bewertung des Gesellschaftsvermögens bei der Vermögensübertragung im Jahre 1949 ergeben und damit den Nachweis unlauterer Machenschaften ermöglicht. Darüber hinaus hätte der vorläufige Rechtsschutz nicht ohne Abwägung der betroffenen Interessen abgelehnt werden dürfen.
6. a) Die Beschwerdeführerin beantragt, im Wege einer einstweiligen Anordnung die Vollziehung des angegriffenen Beschlusses sowie des Bescheids der [X.] bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde auszusetzen. Die Folgenabwägung falle zu ihren Gunsten aus. Das Hotel sei kein Sanierungsfall. Es sei seit Jahren gewinnträchtig und werde in seinem Geschäftsbetrieb nicht gefährdet, wenn die vorgesehenen Investitionen erst nach Abschluß des [X.] vorgenommen würden.
b) Zu dem Antrag hat die [X.] vorgetragen: Vor dem Kreisgericht sei ein Verfahren gemäß § 142 [X.] eingeleitet worden, das die Löschung der Eintragung der in der Hauptversammlung der Beschwerdeführerin gefaßten Beschlüsse über die Fortsetzung der Gesellschaft und die Kapitalerhöhung zum Gegenstand habe. Danach bestünden erhebliche Bedenken gegen die "Aktivlegitimation" der Beschwerdeführerin. Es könne nicht von einer Fortsetzung der im Jahre 1951 gelöschten [X.] ausgegangen werden. Eine vollbeendete Gesellschaft höre auf zu existieren und lebe auch dann nicht wieder auf, wenn ihr nachträglich in Form von Restitutionsansprüchen wieder Vermögen zugeführt werde. Im übrigen lägen die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht vor, weil die Folgenabwägung zu Lasten der Beschwerdeführerin ausfalle. Die Erwägungen des [X.]s in seinem Beschluß vom 3. Dezember 1991 ([X.] 85, 130) gälten auch im vorliegenden Fall.
II.
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
1. Nach § 32 Abs. 1 [X.] kann das [X.] im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum Gemeinwohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung dieser Voraussetzungen haben die Gründe, welche der Beschwerdeführer für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts anführt, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang der Verfassungsbeschwerde muß das [X.] die Folgen, die im Falle des Erlasses oder [X.] der einstweiligen Anordnung jeweils einträten, gegeneinander abwägen (vgl. [X.] 85, 130 <133> m.w.N.; st. Rspr.).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
Das Verwaltungsgericht hat die Beschwerdeführerin in der angegriffenen Entscheidung als partei- und rechtsfähig erachtet und in der Sache gegen sie entschieden. Auch im [X.] muß daher von ihrer Beteiligtenfähigkeit ausgegangen werden. Den mit der Sache befaßten Behörden und Gerichten bleibt es unbenommen, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten im weiteren Verlauf des Verfahrens die Partei- und Rechtsfähigkeit der Beschwerdeführerin erneut zu prüfen.
Auch in anderer Hinsicht sind keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde ersichtlich. Insbesondere steht ihr das Gebot der Rechtswegerschöpfung (§ 90 Abs. 2 [X.]) nicht entgegen. Das Verwaltungsgericht hat die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, daß sein Beschluß nach Art. 14 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit Art. 6 § 23 Abs. 2 Satz 1 des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes unanfechtbar sei. Nach dem Wortlaut der vom Verwaltungsgericht herangezogenen Übergangsvorschrift des Art. 14 Abs. 5 Satz 1 (in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4) 2. VermRÄndG ist diese Auffassung jedenfalls vertretbar und so naheliegend, daß es der Beschwerdeführerin nicht zuzumuten war, zunächst den angegriffenen Beschluß mit einem Rechtsmittel anzufechten.
In der Sache wirft die Verfassungsbeschwerde klärungsbedürftige Fragen auf. Insbesondere bedarf es im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG der Prüfung, ob sich das Verwaltungsgericht angesichts des Umstands, daß die Ablehnung des vorläufigen Rechtsschutzes nach Maßgabe von § 12 Abs. 3 des [X.]gesetzes (InVorG) das Erlöschen des in der Hauptsache verfolgten Rückübertragungsanspruchs zur Folge haben kann, die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes aufgrund einer lediglich summarischen Prüfung ablehnen durfte (vgl. dazu auch die Ausführungen in der Begründung des Gesetzentwurfs, BTDrucks. 12/2480, S. 73).
Im [X.] kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß das Rückgabebegehren der Beschwerdeführerin unter keinen Umständen begründet ist. Das gilt auch unter dem Gesichtspunkt des nach § 6 Abs. 1 a [X.] für die Zurückforderung eines Unternehmens erforderlichen [X.], auf den die [X.] ihren Bescheid gestützt hat. Im Zusammenhang mit dem Erfordernis des [X.] ergeben sich einfachrechtliche Fragen, deren Beantwortung dem Verwaltungsgericht im weiteren Verfahren vorbehalten bleiben muß. In der angegriffenen Entscheidung hat das Gericht diese Fragen ungeprüft gelassen und sich auf andere Erwägungen gestützt.
3. Die danach gebotene Abwägung der eintretenden Folgen fällt zugunsten der Beschwerdeführerin aus.
Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später jedoch als begründet, hätte dies allerdings nicht das Erlöschen eines etwaigen Rückübertragungsanspruchs der Beschwerdeführerin nach § 12 Abs. 3 Satz 4 InVorG zur Folge. Würde der Beschluß über die Ablehnung des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung im [X.] wieder aufgehoben, so entfiele damit auch die Wirkung, daß der Rückübertragungsanspruch erlischt, wenn mit der tatsächlichen Durchführung der zugesagten Investition nachhaltig begonnen worden ist (§ 12 Abs. 3 Satz 4 Nr. [X.]). Die Durchsetzung des Anspruchs könnte aber wirtschaftlich wesentlich erschwert werden, wenn das Hotelunternehmen veräußert würde und die Erwerberin erhebliche Investitionen vornähme, aufgrund deren die Beschwerdeführerin möglicherweise Gegenansprüchen ausgesetzt wäre (vgl. [X.] 84, 286 <289>).
Ergeht die einstweilige Anordnung, wird die Verfassungsbeschwerde aber später zurückgewiesen, so wiegen die damit verbundenen Nachteile weniger schwer. Für die Beteiligte des Ausgangsverfahrens bringt der Erlaß der einstweiligen Anordnung lediglich eine Verzögerung des Erwerbs und der vorgesehenen Investitionen für eine begrenzte [X.]spanne mit sich. Es sind keine konkreten Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß der Fortbestand des Hotelbetriebs ohne die sofortige Durchführung von Investitionen gefährdet würde. Die [X.] ist in ihrem die Veräußerung zulassenden Bescheid davon ausgegangen, daß zur [X.] für das Hotel wegen des Mangels an Übernachtungsmöglichkeiten eine günstige Ertragslage bestehe, die Investitionen allerdings "angesichts der zu erwartenden und auch in der [X.] [X.] bereits geplanten Neubauten von Hotels" zur Verbesserung seiner Wettbewerbsfähigkeit und zur Sicherung seiner jetzt innegehabten Marktstellung erforderlich seien (Bescheid S. 6/7). Weitergehende Nachteile sind auch im vorliegenden Verfahren von keiner Seite geltend gemacht worden.
Es ist schließlich nicht zu erwarten, daß sich der Erlaß der einstweiligen Anordnung auf die Investitionstätigkeit in den neuen Bundesländern insgesamt hemmend auswirkt (vgl. dazu [X.] 85, 130 <133>). Das Verfahren betrifft nicht die allgemeine Frage der Anwendbarkeit von Regelungen im Zusammenhang mit dem [X.], sondern die Ausgestaltung des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes in einem konkreten Fall. Bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde bleibt lediglich ungeklärt, ob sich das Verwaltungsgericht bei der Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes im Hinblick auf die damit nach dem [X.]gesetz verbundenen Folgen mit einer summarischen Prüfung begnügen durfte. Diese Bedenken kann das Gericht bereits in der Zwischenzeit ausräumen. Es ist durch das [X.] und eine einstweilige Anordnung des [X.]s nicht gehindert, seine Entscheidung über die Vollziehbarkeit des im Verwaltungsrechtsweg angefochtenen Bescheids zu überprüfen (§ 80 Abs. 7 VwGO). Dabei kann es den Bedenken gegen eine summarische Prüfung durch eine umfassendere Aufklärung und Würdigung Rechnung tragen und sich auch mit bisher nicht behandelten Gesichtspunkten, wie etwa den zu § 6 Abs. 1 a [X.] aufgeworfenen Fragen, auseinandersetzen.
Insgesamt wiegt danach die Beeinträchtigung der Belange, die im Falle des Erlasses der einstweiligen Anordnung betroffen sind, weniger schwer als die der Beschwerdeführerin andernfalls drohenden Nachteile.
Herzog | [X.] | [X.] | |||||||||
Grimm | Söllner | [X.] | |||||||||
Kühling | [X.] |