Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.09.2011, Az. VII ZR 162/09

7. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 2758

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Werklohnklage: Prozessfortführung durch eine vermögenslos gewordene Partei nach Abtretung der Klageforderung und entsprechender Ermächtigung durch den Zessionar


Leitsatz

Eine nach Prozesseinleitung vermögenslos gewordene Partei, die den Prozess nach einer Abtretung und Ermächtigung durch den Zessionar, die Forderung prozessual geltend zu machen, fortführt, handelt grundsätzlich nicht rechtsmissbräuchlich .

Tenor

Auf die Revision der Klägerin zu 1 wird das Urteil des 4. Zivilsenats des [X.] vom 27. August 2009 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage der Klägerin zu 1 als unzulässig abgewiesen worden ist.

Die Sache wird in diesem Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin zu 1 hat Werkleistungen am Hause des Beklagten erbracht. Sie verlangt dafür vom Beklagten Werklohn. In der Revision geht es um die Frage, ob die Klage zulässig ist, obwohl die inzwischen vermögenslose und im Handelsregister gelöschte Klägerin zu 1 die ihr angeblich zustehende Werk-lohnforderung abgetreten hat und sie diese in gewillkürter Prozessstandschaft für die [X.] geltend macht.

2

Auf Antrag der Klägerin zu 1 vom 13. Dezember 2003 hat das Amtsgericht M. am 13. Januar 2004 einen Mahnbescheid über eine Werklohnforderung in Höhe von 31.482,58 € nebst Zinsen erlassen. Der Beklagte hat am 26. Januar 2004 Widerspruch eingelegt. Mit Schriftsatz vom 27. September 2004 hat die Klägerin zu 1 die Durchführung des streitigen Verfahrens beim [X.] beantragt und ihren Werklohnanspruch begründet, den sie nunmehr mit 33.123,98 € aus Abschlagsrechnungen beziffert hat.

3

Am 10. November 2004 beantragte die Klägerin zu 1 beim Insolvenzgericht M. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Der Antrag wurde mit Beschluss vom 23. Februar 2005 mangels Masse abgewiesen.

4

Mit Schriftsatz vom 11. Januar 2005 hat die Klägerin zu 1 im Prozess offengelegt, dass sie die streitige Werklohnforderung bereits am 28. Mai 2004 an die spätere Klägerin zu 2 abgetreten hatte. Die Abtretungsvereinbarung enthält eine Ermächtigung der Zedentin zur gerichtlichen Geltendmachung der abgetretenen Forderung im eigenen Namen auf Rechnung der [X.]. Die Klägerin zu 1 hat ihren Klageantrag auf Zahlung an die Klägerin zu 2 umgestellt.

5

Die Parteien streiten über den Umfang der von der Klägerin zu 1 erbrachten Leistungen, über die Richtigkeit und Ordnungsgemäßheit der erteilten Schlussrechnungen sowie darüber, inwieweit der Beklagte persönlich für die Werklohnforderung der Klägerin zu 1 haftet.

6

Das [X.] hat der Klage nach Beweiserhebung ganz überwiegend stattgegeben.

7

Am 14. Juni 2007 wurde im Handelsregister die Löschung der Klägerin zu 1 wegen Vermögenslosigkeit eingetragen. Mit Schriftsatz vom 14. Mai 2009 haben die Klägerin zu 1 und die nunmehrige Klägerin zu 2 den Beitritt der Klägerin zu 2 im laufenden Rechtsstreit erklärt und die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von nunmehr 92.248,30 € an die Klägerin zu 2 beantragt. Mit Beschluss vom 11. Juni 2009 hat das Amtsgericht S. für die Klägerin zu 1 einen Nachtragsliquidator bestellt.

8

Das Berufungsgericht hat auf die Berufung des Beklagten das Ersturteil abgeändert und sowohl die Klage der Klägerin zu 1 als auch diejenige der Klägerin zu 2 als unzulässig abgewiesen.

9

Der Senat hat auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin zu 1 die Revision gegen das Berufungsurteil zugelassen und die Beschwerde der Klägerin zu 2 gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin zu 1 ihre Zahlungsansprüche weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin zu 1 führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hält die Klage der Klägerin zu 1 für unzulässig, weil weder die Voraussetzungen der gesetzlichen noch der gewillkürten Prozessstandschaft vorlägen. Daher könne die Frage fehlender [X.]- oder Prozessfähigkeit der Klägerin zu 1 dahinstehen.

Eine gesetzliche Prozessstandschaft scheide aus, weil die Abtretung vor der Rechtshängigkeit der Klage nach Zustellung der Anspruchsbegründung im Mahnverfahren gemäß § 253 Abs. 1, § 261 Abs. 1, § 697 Abs. 2 ZPO erfolgt sei. Denn eine Vorverlegung der Rechtshängigkeit nach § 696 Abs. 3 ZPO auf den Zeitpunkt der Zustellung des [X.] komme nicht in Betracht, weil die Abgabe des Verfahrens an das Gericht der Hauptsache nicht alsbald nach Erhebung des Widerspruchs erfolgt sei.

Auch eine gewillkürte Prozessstandschaft sei vorliegend nicht zulässig. Zwar lasse sich die Ermächtigung der Klägerin zu 1 zur gerichtlichen Geltendmachung der [X.] durch die Klägerin zu 2 aus der Abtretungsvereinbarung vom 28. Mai 2004 entnehmen.

Es fehle bei der Klägerin zu 1 jedoch das notwendige schutzwürdige Eigeninteresse an der weiteren gerichtlichen Geltendmachung der Forderung im eigenen Namen. Dieses sei zu verneinen, wenn - wie hier - eine [X.]e, liquidierte und deswegen gelöschte Gesellschaft klage, die keine Aussicht mehr habe, sich weiterhin geschäftlich am Markt zu bewegen und kein Interesse an einer Tilgung ihrer ohnehin gegenstandslos gewordenen Verbindlichkeiten haben könne (Bezug auf [X.], Urteil vom 24. Oktober 1985 - [X.], [X.]Z 96, 151). Vielmehr würde der Beklagte bei Zulassung der Prozessstandschaft durch das allein von ihm zu tragende prozessuale Kostenrisiko in unzumutbarer Weise belastet. Die hierzu von der Rechtsprechung zugelassene Ausnahme, wenn der Vermögensverfall des [X.]s erst nach Erhebung der Klage eintritt, liege nicht vor, weil die Anspruchsbegründung erst am 15. Oktober 2004 zugestellt worden sei und nicht einmal einen Monat später die Klägerin Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt habe, der wegen Schulden der Klägerin zu 1 in Höhe von 257.619,31 € mangels Masse abgewiesen worden sei. Wegen dieser kurzen Zeitspanne sei aller Lebenserfahrung nach mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, zumindest aber unwiderlegt prima facie davon auszugehen, dass auch bereits bei Klageerhebung ein gravierender und weitreichender Vermögensverfall bei der Klägerin zu 1 zu konstatieren gewesen sei, der den Beklagten unbillig mit einem prozessualen Kostenrisiko belaste.

II.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Richtig erkennt das Berufungsgericht allerdings, dass die Voraussetzungen für eine gesetzliche Prozessstandschaft nach § 265 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen, weil die Abtretung vor Rechtshängigkeit des Anspruchs erfolgte, § 697 Abs. 2 i.V.m. § 696 Abs. 3 ZPO. Das wird von der Revision hingenommen.

2. Zu Unrecht verneint das Berufungsgericht jedoch die Voraussetzungen einer gewillkürten Prozessstandschaft.

Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] darf jemand ein fremdes Recht im eigenen Namen im Prozess geltend machen, wenn ihm der Berechtigte eine entsprechende Ermächtigung erteilt hat und wenn er an der Durchsetzung des Rechts ein eigenes schutzwürdiges Interesse hat (sog. gewillkürte Prozessstandschaft, vgl. [X.], Urteil vom 3. April 2003 - [X.], [X.], 1036 = NZBau 2003, 436 = [X.] 2003, 755; Urteil vom 24. Oktober 1985 - [X.], [X.]Z 96, 151, 152). Die Ermächtigung zur Prozessführung im eigenen Namen hat das Berufungsgericht fehlerfrei festgestellt. Anhaltspunkte dafür, dass sie nachträglich entfallen sein könnte, sind nicht vorhanden.

Das erforderliche eigene schutzwürdige Interesse der Ermächtigten an der Geltendmachung des fremden Rechts im eigenen Namen kann der Klägerin zu 1 nicht abgesprochen werden.

a) Ein schutzwürdiges Interesse an der Geltendmachung der abgetretenen Forderung kann der Klägerin nach der gefestigten Rechtsprechung des [X.] nicht deshalb abgesprochen werden, weil sie mittlerweile im Handelsregister gelöscht ist. Allerdings hat der [X.] entschieden, dass einer überschuldeten, [X.]en GmbH oder GmbH & Co. KG, die keine Aussicht hat, die Geschäfte fortzuführen, in aller Regel das schutzwürdige Interesse daran fehlt, abgetretene Forderungen nach Offenlegung der Abtretung im eigenen Namen und auf eigene Kosten mit Ermächtigung des neuen Gläubigers zu dessen Gunsten einzuklagen ([X.], Urteil vom 24. Oktober 1985 - [X.], [X.]Z 96, 151, 155). Er hat jedoch von dieser Regel Ausnahmen anerkannt. Eine solche Ausnahme ist z.B. dann gegeben, wenn die Vermögenslosigkeit der klagenden [X.] erst während des Prozesses eingetreten ist und kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Überschuldung, der Offenlegung der Abtretung und der Ermächtigung zur Prozessführung besteht ([X.], Urteil vom 22. Dezember 1988 - [X.], [X.], 359 = [X.] 1989, 112; Urteil vom 19. September 1995 - [X.], NJW 1995, 3186; Urteil vom 3. April 2003 - [X.], aaO). An das Fortbestehen des schutzwürdigen Eigeninteresses des Zedenten sind in einem solchen Fall keine zu strengen Anforderungen zu stellen ([X.], Urteil vom 22. Dezember 1988 - [X.], [X.], 359 = [X.] 1989, 112). Ein schutzwürdiges Interesse des zur Prozessführung ermächtigten Zedenten besteht allerdings nur dann, wenn die beklagte [X.] durch die gewählte Art der Prozessführung nicht unbillig benachteiligt wird ([X.], Urteil vom 24. Oktober 1985 - [X.], [X.]Z 96, 151, 155; Urteil vom 22. Dezember 1988 - [X.], aaO). Ein solcher Fall liegt nicht vor, wenn die gewählte Art der Prozessführung der beklagten [X.] missbräuchlich das Risiko auferlegt, bei einer erfolglosen Klage aller Voraussicht nach den ihr zustehenden Kostenerstattungsanspruch infolge der Zahlungsunfähigkeit des [X.]s nicht durchsetzen zu können. Denn ein erkennbarer Missbrauch der gewillkürten Prozessstandschaft kann nicht hingenommen werden ([X.], Urteil vom 11. Mai 1989 - [X.], [X.], 610, 611 = [X.] 1989, 199; Urteil vom 21. Dezember 1989 - [X.], [X.], 254, 255 = [X.] 1990, 137; Urteil vom 11. März 1999 - [X.], NJW 1999, 1717, 1718).

b) Für eine missbräuchliche Verlagerung des Kostenrisikos auf die Beklagte ist nichts erkennbar. Die Klägerin hat den Mahnbescheid in einem Zeitpunkt eingereicht, in dem sie noch selbst Inhaberin der Forderung war. Der Umstand, dass sie den selbst eingeleiteten Prozess nach Abtretung und Ermächtigung zur Prozessführung auch selbst weiterführte, lässt keine rechtsmissbräuchlichen Tendenzen erkennen. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass zu diesem Zeitpunkt schon ein weitreichender Vermögensverfall vorlag, wie das Berufungsgericht annehmen will. Denn eine nach Prozesseinleitung [X.] gewordene [X.], die den Prozess nach einer Abtretung und Ermächtigung durch den Zessionar, die Forderung prozessual geltend zu machen, fortführt, handelt grundsätzlich nicht rechtsmissbräuchlich. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Klage erst mit der Anspruchsbegründung rechtshängig geworden ist. Eine missbräuchliche nicht hinnehmbare "gezielte Prozessrollenverschiebung" ist nicht erkennbar. Dagegen spricht, dass die Klägerin zu 2 eine Garantie für die Prozesskosten angeboten hat. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten kann auch nicht deshalb angenommen werden, weil die Klägerin zu 1 später ihre Klage deutlich erweitert hat. Dem [X.] ist es grundsätzlich nicht verwehrt, die Klage zu erhöhen, obwohl er [X.] geworden ist. Das könnte allenfalls in Ausnahmefällen angenommen werden, in denen eine Benachteiligungsabsicht erkennbar ist. Ansonsten liegt in der Erhöhung der Klage lediglich die Verfolgung des zunächst berechtigt erscheinenden Interesses, die abgetretene Forderung vollständig durchzusetzen. Eine Aufteilung des schutzwürdigen Interesses, wie es der Beklagten vorschwebt, das zu einer teilweisen Abweisung der [X.] führen müsste, würde zu untragbaren prozessrechtlichen Folgen führen.

3. Das Urteil ist auch nicht aus anderem Grund richtig, wie die Revisionserwiderung meint.

Die Klägerin zu 1 ist trotz ihrer Liquidation und Löschung im Handelsregister im Prozess parteifähig. Mit Beschluss des Registergerichts S. vom 11. Juni 2009 wurde für die Klägerin zu 1 die [X.] angeordnet und ein Nachtragsliquidator für diesen Rechtsstreit eingesetzt. Damit ist sie rechts- und auch parteifähig und, vertreten durch den Nachtragsliquidator, auch prozessfähig, § 50 Abs. 1, § 51 Abs. 1 ZPO (vgl. [X.], [X.], 80, 81; [X.]/[X.], GmbHG, 10. Aufl., § 74 Rn. 24).

III.

Nach alledem kann das Berufungsurteil nicht bestehen bleiben; es ist aufzuheben. Da hinreichende tatrichterliche Feststellungen des Berufungsgerichts zur sachlichen Berechtigung der der Klägerin zu 1 vom Landgericht zugesprochenen Forderung fehlen, ist der [X.] zu eigener abschließender Entscheidung nicht in der Lage (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Sache ist daher zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

[X.]                                            Kuffer                                         [X.]

                      Halfmeier                                      [X.]

Meta

VII ZR 162/09

29.09.2011

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 27. August 2009, Az: 4 U 66/08, Urteil

§ 51 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.09.2011, Az. VII ZR 162/09 (REWIS RS 2011, 2758)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 2758

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VII ZR 162/09 (Bundesgerichtshof)


II ZR 72/22 (Bundesgerichtshof)

GmbH in Liquidation: Geltendmachung abgetretener Ansprüche auf verbotene Zahlungen des Geschäftsführers in gewillkürter Prozessstandschaft; Wirksamkeit …


VII ZR 50/06 (Bundesgerichtshof)


VIII ZR 31/13 (Bundesgerichtshof)

Leasingvertrag über Fitnessgeräte eines Fitnessstudios: Wegfall der Ermächtigung des Leasingnehmers zur Geltendmachung eines Anspruchs auf …


VII ZR 41/10 (Bundesgerichtshof)

VOB-Vertrag: Fälligkeit des Werklohnanspruchs nach Einreichung einer objektiv nicht prüfbaren Schlussrechnung


Referenzen
Wird zitiert von

II ZR 72/22

V ZR 176/12

V ZR 176/12

VII ZR 162/09

III ZR 45/19

3 U 147/16

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.