Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.04.2023, Az. I B 98/21

1. Senat | REWIS RS 2023, 1994

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Gegenstand

Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags


Leitsatz

NV: Innerhalb der Frist zur Begründung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (hier: gemäß § 110 AO) müssen grundsätzlich auch die Umstände dargelegt werden, aus denen sich ergibt, dass der Antragsteller die Wiedereinsetzung rechtzeitig nach Behebung des Hindernisses beantragt hat (Bestätigung der Rechtsprechung).

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 22.11.2021 - 7 K 1778/20 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine zum [X.] gehörende GmbH, ist nach einer im Jahr 2004 vollzogenen Verschmelzung Rechtsnachfolgerin der B-GmbH.

2

Nach Abschluss einer Außenprüfung hinsichtlich der B-GmbH erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt --[X.]--) unter dem 15.12.2009 unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung einen geänderten Bescheid über Körperschaftsteuer für das [X.] (Streitjahr), durch den die Körperschaftsteuer auf … € festgesetzt wurde. Der Bescheid ist der von der Klägerin bevollmächtigten Steuerberatungsgesellschaft am 18.12.2009 zugegangen.

3

Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 27.04.2010, beim [X.] eingegangen am 28.04.2010, erhob die Klägerin Einspruch gegen den Körperschaftsteuerbescheid und beantragte wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 der Abgabenordnung ([X.]). Zur Begründung führte sie aus, die Versäumung der Frist habe auf einem Büroversehen in der Kanzlei ihrer Bevollmächtigten beruht. Die für die Versendung des Einspruchsschreibens zuständige und ansonsten zuverlässige Sekretärin habe das Einspruchsschreiben vor Einholung der [X.] nicht versandt, sondern versehentlich in der Gesellschaftsakte abgelegt. In der Sache wandte sich die Klägerin mit dem Einspruch gegen die Versagung des pauschalen [X.] für sog. Drittstaatendividenden und bezog sich dabei auf das Senatsurteil vom 26.11.2008 - I R 7/08 ([X.], 50) und die seinerzeit beim [X.] ([X.]) anhängige Verfassungsbeschwerde der Finanzverwaltung gegen jenes Urteil (Aktenzeichen 2 BvR 862/09). Sie beantragte das Ruhen des Verfahrens bis zum Ergehen der [X.]-Entscheidung.

4

Nach einer Sachstandsanfrage der Steuerabteilung der Konzernobergesellschaft der Klägerin ([X.]) teilte das [X.] dieser mit Schreiben vom 14.05.2019 mit, dass die Bearbeitung des Einspruchs der Klägerin ebenso wie die Bearbeitung der Einsprüche weiterer Firmen des [X.]s bis zur Klärung der Anwendbarkeit des [X.] vom 24.07.2018 - I R 75/16 ([X.], 502, BStBl II 2019, 806) zurückgestellt sei. Mit Schreiben vom 31.07.2019 teilte das [X.] der [X.] mit, dass die endgültige Regelung zur steuerrechtlichen Behandlung des Falles abzuwarten sei. In der Rechtsbehelfsakte des [X.] befinden sich interne Vermerke von Sachbearbeitern, die die Voraussetzungen für die Gewährung der Wiedereinsetzung als gegeben ansehen.

5

Mit Schreiben vom 10.01.2020 teilte das [X.] der Klägerin mit, dass die den [X.] stützenden Tatsachen nicht glaubhaft gemacht worden seien und dass dem Antrag daher nicht entsprochen werde könne. Die Klägerin ergänzte daraufhin ihren Vortrag und legte u.a. das Original des Einspruchsschreibens vom 13.01.2010 vor.

6

Mit Einspruchsentscheidung vom 07.07.2020 verwarf das [X.] den Einspruch der Klägerin wegen verspäteter Einlegung als unzulässig; dem Wiedereinsetzungsantrag sei nicht stattzugeben. Die dagegen erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) München mit Urteil vom 22.11.2021 - 7 K 1778/20 als unbegründet abgewiesen.

7

Die Klägerin beantragt mit ihrer Beschwerde, die Revision gegen das [X.] zuzulassen.

8

Das [X.] beantragt, die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

9

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen --soweit sie den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) entsprechend dargetan worden sind-- nicht vor.

1. Das [X.] hat seine Entscheidung auf drei Gründe gestützt: Es sieht die Monatsfrist für die [X.]egründung des [X.] (§ 110 Abs. 2 Satz 1 und 2 [X.]) als nicht gewahrt an, weil die Klägerin innerhalb dieser Frist nicht dargetan habe, wann vorliegend der für die [X.]erechnung der Antragsfrist maßgebliche Zeitpunkt des "Wegfall(s) des Hindernisses" i.S. von § 110 Abs. 2 Satz 1 [X.] gewesen sei. Des Weiteren hält das [X.] die Ausführungen der Klägerin (einschließlich der im Klageverfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherung) aus mehreren Gründen für nicht geeignet, auszuschließen, dass ein Organisationsverschulden der [X.]evollmächtigten der Klägerin ursächlich für die Versäumung der Einspruchsfrist gewesen ist. Und schließlich sieht das [X.] die von der Klägerin aus dem Verhalten des [X.] abgeleitete stillschweigende Gewährung der Wiedereinsetzung durch schlüssiges Verhalten als nicht gegeben an.

2. Die zur Versäumung der [X.]egründungsfrist des § 110 Abs. 2 Satz 1 [X.] von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen [X.]edeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 [X.]O) und der Erforderlichkeit einer Entscheidung des [X.] ([X.]) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Variante 1 [X.]O) liegen nicht vor.

Die von der Klägerin insoweit zur Klärung gestellte Rechtsfrage, ob zum Vortrag der wesentlichen Tatsachen i.S. des § 110 Abs. 2 [X.] hinsichtlich der [X.]eschreibung des Hindernisses auch die [X.]ezeichnung des Datums gehöre, zu dem das Hindernis weggefallen sei, ist nicht klärungsbedürftig, weil der [X.] und andere oberste [X.]undesgerichte diese Frage --zu entsprechenden Regelungen über die Wiedereinsetzung in anderen [X.] bereits entschieden haben. Danach muss --entsprechend der Rechtsauffassung des [X.] im angefochtenen [X.] innerhalb der Antragsfrist für die Wiedereinsetzung auch dargelegt werden, dass die Antragsfrist gewahrt ist, und müssen daher auch die Umstände dargelegt werden, aus denen sich ergibt, dass der Antragsteller die Wiedereinsetzung rechtzeitig nach [X.]ehebung des Hindernisses beantragt hat (zu § 56 [X.]O: [X.]-Urteil vom 08.03.2007 - IV R 41/05, [X.]/NV 2007, 1813; [X.]-[X.]eschlüsse vom 05.12.1990 - II [X.] 66/90, [X.]/NV 1991, 335; vom 13.10.1993 - II [X.] 130/93, [X.]/NV 1994, 254; vom 27.08.1997 - XI [X.] 118, 119, 149/96, [X.], 44, 50/96, [X.]/NV 1998, 617; zu § 60 der Verwaltungsgerichtsordnung: [X.]eschluss des [X.] vom 05.10.1984 - 9 [X.] 10668.83, [X.]uchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des [X.], Nr. 143 zu § 60 VwGO; zu § 236 der Zivilprozessordnung: [X.]eschluss des [X.]undesgerichtshofs vom 20.09.1989 - [X.] Z[X.] 91/89, [X.] 1991, 238; s.a. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 110 [X.] Rz 495; [X.]/[X.], [X.], 16. Aufl., § 110 Rz 102, [X.]randis in Tipke/[X.], § 56 [X.]O Rz 18; [X.]runs in Gosch, [X.]O § 56 Rz 42). Etwas anderes gilt nur, sofern es sich um allgemein- oder gerichtskundige, insbesondere aktenkundige Tatsachen handelt (vgl. [X.]VerfG-[X.]eschluss vom 30.03.1995 - 2 [X.]vR 2119/94, Neue Juristische Wochenschrift 1995, 2544). Gründe dafür, die Rechtslage im Rahmen von § 110 Abs. 2 [X.] abweichend von den Wiedereinsetzungsvorschriften der genannten Verfahrensordnungen zu beurteilen, trägt die Klägerin nicht vor und sind auch sonst nicht erkennbar.

3. Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde die vom [X.] verneinte stillschweigende Gewährung der Wiedereinsetzung durch das Verhalten des [X.] betrifft, hat die Klägerin den gemachten Zulassungsgrund (Verfahrensmangel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O) nicht entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O schlüssig dargetan.

a) Die Klägerin rügt in diesem Zusammenhang die Aktenwidrigkeit (Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 [X.]O) des vom [X.] gefundenen Ergebnisses, dem zufolge dem Verhalten des [X.] kein nach außen gerichteter Wille zu entnehmen gewesen sei, dem Wiedereinsetzungsantrag stattzugeben. Die Klägerin hält dem in der [X.]eschwerdebegründung entgegen, die aus den internen Vermerken der Finanzamtsmitarbeiter ersichtliche Auffassung, der Wiedereinsetzungsantrag sei begründet, komme in der Korrespondenz des [X.] mit der [X.] zum Ausdruck. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die Schreiben des [X.] an die [X.] vom [X.] und vom 31.07.2019. Auch seien Sachbearbeiter des [X.] in dem Vermerk vom 08.01.2020 selbst davon ausgegangen, man habe bisher gegenüber der Klägerin den Eindruck erweckt, dem Wiedereinsetzungsantrag werde nicht widersprochen.

b) Aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich indessen nicht, woraus konkret geschlossen werden könnte, dass das [X.] die Korrespondenz des [X.] mit der [X.] und den internen Vermerk vom 08.01.2020 bei seiner Überzeugungsbildung nicht gebührend zur Kenntnis genommen und berücksichtigt hat, zumal das [X.] die Schreiben vom [X.] und vom 31.07.2019 sowohl im Tatbestand ([X.] S. 6) als auch in den Entscheidungsgründen ([X.] S. 19) ausdrücklich erwähnt hat. Im [X.] bezieht sich das Vorbringen der Klägerin auch nicht auf ein Übergehen der Dokumente durch das [X.]. Sie präsentiert vielmehr eine von der Würdigung des [X.] abweichende Würdigung deren Inhalts. Während das [X.] in dem Umstand, dass das [X.] gegenüber der Klägerin bereits die materiellen Tatsachen- und Rechtsfragen des Rechtsbehelfs angesprochen hat, ohne nochmals die Wiedereinsetzungsproblematik zu erwähnen, keinen erkennbaren [X.] in [X.]ezug auf die Gewährung der Wiedereinsetzung ableitet, möchte die Klägerin das Verhalten des [X.] im gegenteiligen Sinne gewertet wissen. Eine aus Sicht der Klägerin unzutreffende Auslegung bzw. Tatsachenwürdigung durch das [X.] vermag jedoch einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O regelmäßig nicht zu begründen. Die Grundsätze der [X.]eweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung des [X.] im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde entzogen (ständige Rechtsprechung, z.[X.]. Senatsbeschluss vom 12.03.2014 - I [X.] 37/13, [X.]/NV 2014, 1059, m.w.N.).

Im Übrigen befasst sich die Klägerin im Rahmen der Darlegung der Kausalität des geltend gemachten [X.] für das vom [X.] gefundene Ergebnis nicht mit dem Umstand, dass nach ständiger Rechtsprechung die Entscheidung der Finanzbehörde über den Wiedereinsetzungsantrag von den Gerichten ohne Einschränkungen nachprüfbar ist (z.[X.]. [X.]-Urteil vom 26.10.1989 - IV R 82/88, [X.]E 159, 103, [X.]St[X.]l II 1990, 277; [X.]-[X.]eschluss vom 27.04.2011 - III [X.] 207/10, [X.]/NV 2011, 1184; [X.]randis in Tipke/[X.], § 110 [X.] Rz 39, m.w.N.) und folglich das [X.] die Klage wegen verspäteter Einlegung des Einspruchs abweisen kann, obwohl die [X.]ehörde (ggf. auch stillschweigend) Wiedereinsetzung gewährt hatte.

4. Liegen sonach die Voraussetzungen einer Revisionszulassung weder in [X.]ezug auf die Versäumung der [X.]egründungsfrist für den Wiedereinsetzungsantrag noch hinsichtlich der Verneinung einer stillschweigenden Gewährung der Wiedereinsetzung durch das [X.] vor, ist die Frage der unverschuldeten Versäumung der Einspruchsfrist durch die Klägerin bzw. deren [X.]evollmächtigte nicht mehr zulassungsrelevant und es bedarf keiner [X.]efassung des Senats mit den in diesem Zusammenhang von der Klägerin geltend gemachten weiteren Zulassungsgründen. Nach ständiger Rechtsprechung (z.[X.]. Senatsbeschluss vom 09.06.2021 - I [X.] 58/20, [X.]/NV 2022, 26) muss dann, wenn ein [X.]-Urteil kumulativ auf mehrere Gründe gestützt ist, von denen jeder für sich das Entscheidungsergebnis trägt, hinsichtlich jedes Grundes ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 [X.]O geltend gemacht werden und vorliegen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

I B 98/21

05.04.2023

Bundesfinanzhof 1. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 22. November 2021, Az: 7 K 1778/20, Urteil

§ 110 Abs 2 S 1 AO, § 110 Abs 2 S 2 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 05.04.2023, Az. I B 98/21 (REWIS RS 2023, 1994)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1994

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